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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Der 6. Parteitag der KP Kubas

Jörg Rückmann, AG Cuba Sí

 

Der Termin war symbolträchtig gewählt: 50 Jahre nach der Proklamation des sozialistischen Charakters der kubanischen Revolution und der Niederschlagung der US-Invasion in der Schweinebucht beriet der VI. Parteitag der Kommunistischen Partei Kubas (PCC) vom 16. bis 19. April 2011 über die wirtschaftliche Entwicklung des Landes.

Schon seit Ende 2010 haben die Kubaner ein rund 30 Seiten starkes Papier mit dem Titel "Leitlinien der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Partei und der Revolution" (die sogenannten Lineamientos) diskutiert. In mehr als 163 000 Versammlungen in Betrieben, Universitäten, Stadtvierteln und Gemeinden wurden die "Lineamientos" beraten, fast acht Millionen Kubaner haben sich dazu geäußert und rund 780 000 Änderungsvorschläge eingereicht. Fast 90 Prozent der Hinweise, Kritiken und Vorschläge wurden in den Debatten auf dem Parteitag berücksichtigt. Zirka 60 Prozent der ursprünglichen "Lineamientos" wurden geändert.

Die "Lineamientos"

Der Text analysiert die wirtschaftliche Entwicklung seit dem letzten Parteitag 1997, beziffert die Verluste des Landes durch Blockade, Naturkatastrophen und die internationale Krise. So habe sich z.B. nicht zuletzt durch die Preisentwicklungen auf dem Weltmarkt ein riesiges Außenhandelsminus aufgebaut. 16 Hurrikans in den Jahren von 1998 bis 2008 und die Dürre zwischen 2003 und 2005 verursachten Schäden in Milliardenhöhe. Genannt werden die neuen ökonomischen Möglichkeiten im Rahmen der ALBA und die neuen Handels- und Finanzbeziehungen mit Ländern wie China, Vietnam, Rußland, Angola, Iran, Brasilien oder Algerien. Als Probleme des Landes hebt das Papier die niedrige Effizienz, eine Kapitalunterversorgung in Wirtschaft und Infrastruktur hervor, aber auch die Überalterung der Bevölkerung und eine Stagnation im Bevölkerungswachstum.

Zur Analyse gehören natürlich auch die bisher schon eingeleiteten Maßnahmen – so z. B. die Verabschiedung des Gesetzes 259 zur Vergabe brachliegenden Landes an private Nutzer zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion, Maßnahmen zur Einsparung von Energie und Treibstoffen, Umstrukturierungen in Staat und Regierung sowie eine Neuorientierung in der Investitionspolitik. Diese Maßnahmen hätten aber die Probleme des Landes bisher nicht lösen können.

Kritisch eingeschätzt wird in den "Lineamientos" auch die Suche nach vorwiegend kurzfristigen Lösungen durch das Ministerium für Wirtschaft und Planung, das damit "nicht die Rolle erfüllt hat, die ihm als Führungsorgan der Wirtschaft zukommt".

Kuba steht vor einem Berg von Aufgaben, um stabile wirtschaftliche Verhältnisse zu erreichen. So will das Land z.B. den immer noch hohen Anteil brachliegender Böden verringern, die Arbeitsproduktivität und die wirtschaftliche Effizienz steigern und ein entsprechendes Motivationssystem entwickeln, den Prozeß einer Dekapitalisierung in Industrie und Infrastruktur stoppen, die zu großen Belegschaften ohne negative soziale Folgen reduzieren, die Exportkapazitäten in traditionellen Industriesparten wiedererlangen, ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Importen und Exporten erreichen und auch endlich das Problem der zwei Währungen lösen.

Entgegen allen Spekulationen und politischen Begehrlichkeiten der neoliberalen Welt formulieren die "Lineamientos" ganz unmißverständlich: "Die Wirtschaftspolitik wird in der neuen Etappe dem Prinzip entsprechen, daß nur der Sozialismus in der Lage ist, die Schwierigkeiten zu überwinden und die Errungenschaften der Revolution zu bewahren – bei der Aktualisierung unseres Wirtschaftsmodells wird die Planung vorherrschen und nicht der Markt."

Der sozialistische Staatsbetrieb bleibt das Hauptmodell der nationalen Wirtschaft. Daneben werden Betriebe mit gemischtem Kapital, Kooperativen, Pächter von Böden oder Läden sowie die selbständige Arbeit anerkannt und gefördert – es wird aber "keine Konzentration von Eigentum in Händen juristischer oder natürlicher Personen gestattet". Das Primat der Planung wird auch den Bereich des nichtstaatlichen Wirtschaftens erfassen.

Es ist vorgesehen, betriebliche und staatliche Funktionen zu trennen sowie die Befugnisse der Betriebe und ihre Verantwortung für ihre materiellen und finanziellen Ressourcen zu erhöhen. Es werden Versorgungsmärkte geschaffen, in denen Kooperativen, Pächter und Selbständige Werkzeuge und Material für ihre Arbeit kaufen können. Auf die Finanzen der Betriebe werden Außenstehende keinen Zugriff haben; die Betriebe verwalten ihre Mittel und bestimmen ihre Investitionen im Rahmen des Planes selbst. Bei der Preisbildung für ihre Produkte bekommen die Betriebe im Rahmen der staatlichen Preispolitik mehr Freiräume. Staatsbetriebe, die dauerhaft Verluste ausweisen, werden geschlossen.

Die Betriebe können mit ihren Gewinnen z. B. Investitions- oder Prämienfonds einrichten. Sie sollen ebenfalls in ihren Gebieten zur regionalen Entwicklung beitragen. Die Einkommen der Arbeiter sollen an die erzielten Produktionsergebnisse gebunden werden. Bei der Aufstellung ihrer Belegschaften sind die Betriebe unabhängig. Kooperativen dürfen Produktionsmittel besitzen, pachten oder in Nießbrauch nutzen. Sie können entsprechend der gesellschaftlichen Zielsetzung ihre Produkte direkt an die Bevölkerung verkaufen. Auch sie bestimmen die Einkommen der Arbeiter und die Aufteilung der Gewinne selbstständig.

Dem sogenannten budgetfinanzierten Bereich werden Pflichten und Zuständigkeiten zugewiesen, z.B. Aufgaben des Staates, der Regierung, im Bildungs- oder Gesundheitswesen. Auch hier gilt das Prinzip des sparsamen Wirtschaftens. Denjenigen budgetfinanzierten Unternehmen, die nur einen Teil der Mittel erwirtschaften können, werden Zahlungen aus dem Staatshaushalt genehmigt.

Der Parteitag

"In den vergangenen 500 Jahren von Hatuey bis Fidel ist zu viel Blut unseres Volkes vergossen worden, um heute alles aufzugeben, was wir unter solchen Opfern errungen haben." Mit diesen Worten erteilte Raúl Castro bereits in der Phase der Diskussion zu den "Lineamientos" all denen eine Absage, die sich mit den angestrebten Wirtschaftsreformen eine Abkehr vom Sozialismus erhofften. Zum Abschluß des 6. Parteitages bekräftigte er noch einmal sein Engagement gegen eine "Rückkehr des kapitalistischen Regimes" in Kuba. Mit seiner Wahl zum Sekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei stelle er sich seiner "letzten Aufgabe" – der Perfektionierung und Verteidigung des Sozialismus.

Zentrales Thema des Parteitags war erwartungsgemäß die Wirtschaftspolitik. Die 997 Delegierten beschlossen auf der Grundlage der "Lineamientos" und der dazu eingebrachten Vorschläge ein Paket von 313 Maßnahmen zur "Aktualisierung des wirtschaftlichen Modells". Eine vollständige Veröffentlichung des beschlossenen Papiers liegt bis jetzt leider noch nicht vor.

Viele Kubaner hatten mit dem Parteitag auch einen Generationswechsel in den oberen Parteiebenen erwartet. Dieser ist aber nur halbherzig gelungen: Fidel Castro hat offiziell sein letztes politisches Amt abgegeben und wird von Raúl als Parteichef abgelöst. Das neu gewählte Politbüro wurde von 24 auf 15 Mitglieder verkleinert – es hat aber nur drei neue Mitglieder. Erstmals gehört dem Politbüro eine Frau an. Das Durchschnittsalter beträgt 67 Jahre. Gewählt wurde auch ein neues 115 Mann starkes Zentralkomitee.

Die Verjüngung im Staats- und Parteiapparat müsse in Angriff genommen werden, sagte Raúl Castro in seiner Rede zu Beginn des Parteitages. Zugleich sprach er von einer "unzureichenden Systematik und dem fehlenden politischen Willen, ... den Aufstieg von Frauen, Farbigen, Mestizen und jungen Kräften in entscheidende Positionen zu ermöglichen". Um einen Generationswechsel zu beschleunigen, sollen künftig alle politischen Ämter – also auch die des Parteichefs und des Präsidenten – auf maximal zwei Legislaturperioden von jeweils fünf Jahren begrenzt werden.

"Wir müssen ein demokratisches System weiterentwickeln, bei dem die Aufgabenteilung klar geregelt ist." Mit diesem Satz kündigte Raúl Castro notwendige Änderungen im Verhältnis der Partei zu Staat, Wirtschaft und Bevölkerung an. Die Partei habe in der Vergangenheit Aufgaben übernommen, die ihr nicht zugestanden hätten. Sie müsse politische und moralische Leitlinien als Vorschläge erarbeiten. Entscheiden aber sollen die gewählten Gremien. Wichtig sei die Dezentralisierung aller Aufgaben – bis hin zur Autonomie der staatlichen Unternehmen.

Raúl Castro kritisierte auch die Unbeweglichkeit mancher Institutionen, die zu hohe Zahl unnötiger Sitzungen sowie opportunistisches Verhalten, um an Posten zu gelangen. Für die Entwicklung des Landes seien die Parteimitglieder verpflichtet, kritisch zu diskutieren und vor allem selbst Verantwortung zu übernehmen. Das gelte auch für diejenigen, die bereits politische oder wirtschaftliche Verantwortung tragen. Die Medien des Landes müßten die Entwicklung der Gesellschaft kritisch begleiten. Es muß offen diskutiert und auch die abweichende Meinung berücksichtigt werden.

Die Beratungen und Diskussionen wurden sehr offen und kritisch in mehreren Arbeitsgruppen weitergeführt. Themen waren hier zum Beispiel die Stärkung der produktiven Basis des Landes. Betriebe, Genossenschaften und Selbständige sollen die Möglichkeit bekommen, nach Erfüllung der Planauflagen ihre Produkte direkt an den Kunden zu verkaufen – zu fairen Preisen und ohne Zwischenhändler. Einzelproduzenten müsse der Zugang zu benötigten Ausrüstungen gewährt werden. Die Rahmenbedingungen für das Zusammenwirken von Wissenschaft und Forschung mit dem Produktions- und Dienstleistungssektor müßten verbessert werden.

Kritisiert wurden das oft unzureichende wirtschaftliche Wissen sowie Trägheit, mangelnde Disziplin und Inkonsequenz. Diskutiert wurden auch die Einführung eines Steuersystems, das die unterschiedlichen wirtschaftlichen Bedingungen in den einzelnen Landesteilen berücksichtigen muß, sowie eine Kreditvergabepolitik für alle Bereiche der Wirtschaft – auch für den privaten Sektor –, die sich am konkreten Nutzen für das Land orientiert. Ein Hauptthema war natürlich auch die Zusammenführung der zwei Währungen.

Auffällig war, daß manche schon als selbstverständlich wahrgenommene Leistungen des Staates auf den Prüfstand kommen sollen. Angeregt wurde z.B., die Dichte des Schulnetzes zu überprüfen. Es gebe mehr als 1.400 Schulen im Land mit fünf und weniger Schülern pro Jahrgang; die Anzahl der Lehrer und die Kosten für diese kleinen Schulen seien unverhältnismäßig hoch. Ein Schwerpunkt in den Arbeitsgruppen war auch der Klimawandel und die Umweltpolitik. So sollen Programme für die Aufforstung und den Schutz der Wälder fortgesetzt werden. Für Umweltzerstörung sind höhere Strafen angedacht. Die Liste der in den Arbeitsgruppen behandelten Themen ist lang, und noch sind nicht alle Dokumente des Parteitages veröffentlicht.

Die Perspektive

Die Diskussionen des Parteitages und die Beratungen in den Arbeitsgruppen fanden ohne ausländische Korrespondenten, nahezu hinter verschlossenen Türen statt. So sind die in der kubanischen Presse veröffentlichte Rede Raúl Castros sowie die Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen derzeit die Diskussionsgrundlage. Klar ist, Kubas Wirtschaft bleibt eine Planwirtschaft, die sich auf das "sozialistische Eigentum des ganzen Volkes an den grundlegenden Produktionsmitteln" stützen wird.

Aber immer wieder hört man auch den Satz, die Zukunft Kubas hänge von der erfolgreichen Umsetzung des gesamten Reformpaketes ab. Eine Steigerung der Lebensmittelproduktion z.B. wird nicht zu erreichen sein, wenn nicht gleichzeitig mehr junge Leute für einen landwirtschaftlichen Beruf gewonnen werden, die Erschließung und Vergabe von landwirtschaftlichen Nutzflächen konsequent weitergeführt wird und umfangreiche Investitionen in der verarbeitenden Lebensmittelindustrie getätigt werden.

Die erste Phase der Reformen soll mindestens fünf Jahre dauern. Eine Kommission wird die Umsetzung prüfen. Die eingeleiteten Maßnahmen seien aber keine Dogmen und müßten bei negativen Effekten korrigiert werden. Im Januar 2012 wird ein Kongreß der Kommunistischen Partei die Diskussion fortsetzen, u. a. über neue Formen der Partizipation der Bevölkerung, den Fortgang des bisher nur langsam angelaufenen Prozesses der personellen Umstrukturierung in Wirtschaft und Verwaltung sowie über die Eingliederung der freigesetzten Arbeitskräfte in andere Bereiche, z. B. Landwirtschaft, Baubranche oder Erdölindustrie.

AG Cuba Sí, 30. April 2011, siehe http://cuba-si.org/113/der-6-parteitag-der-kp-kubas.