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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Den USA geht es um die Schwächung Russlands

Prof. Dr. Norman Paech, Land Hamburg

 

Wer hätte sich vor fünf Jahren vorstellen können, was derzeit in der Welt geschieht? In Gaza ein Völkermord, in Europa ein Krieg mit hohen Opfern und ohne Zukunft, im Hintergrund eine Konfrontation mit der Volksrepublik China, die alle Zeichen einer militärischen Eskalation in sich trägt – und nun der Beschluss der USA, die aggressivsten Waffen in Deutschland zu stationieren. Die Bundesregierung stimmt zu, und alle Medien reden von Verteidigung und Sicherheit. Nein, hier geht es um Aggression, Vernichtung und Sieg.

Wir haben nie in einer friedlichen Welt gelebt. Ob in Asien, Afrika oder Lateinamerika, überall war ständig Krieg, und die alten Kolonialmächte, nun in der NATO vereint, waren immer mittendrin. Hatten sie ihre Kolonien auch verloren, so kämpften sie doch um ihren Einfluss und die Herrschaft in der Welt. Gut 50 Jahre sind wir hier in Europa zumindest von einem Krieg verschont geblieben. Bis die NATO mit der Bundesrepublik 1999 unseren Nachbarn Jugoslawien überfiel. Jugoslawien kämpfte damals mit einer schweren Krise und die Führung in der NATO nutzte den Vorwand, eine humanitäre Krise in dem Land zu verhindern, um einen alten Plan nun militärisch zu verwirklichen, einen Plan, den sie mit politischen Mitteln zu Zeiten Titos nie durchsetzen konnte: Jugoslawien aus der Bindung zur Sowjetunion, nun Russland, zu lösen. Das war eine offene völkerrechtswidrige Aggression – aus heutiger Sicht der erste Schritt der NATO, sich der Grenze Russlands zu nähern.

Wir kennen alle die folgenden Aggressionen unter dem Vorwand der Verteidigung, der Rettung der Freiheit und der Demokratie: der Kriegszug gegen die Taliban in Afghanistan 2001, der Überfall auf den Irak 2003, der Krieg gegen Libyen und die Ermordung Gaddafis 2011, der Einfall in Syrien 2011 ohne völkerrechtliche Legitimation. Und nun die Unterstützung Israels bei ihrem gnadenlosen Krieg gegen die Hamas. Dieser Krieg ist schon lange zu einem Völkermord an der Bevölkerung im Gazastreifen ausgeartet. Alle öffentliche Kritik an der barbarischen Kriegsführung Netanjahus, die ohnmächtigen Versuche humanitärer Hilfe und die halbherzigen Forderungen nach einem Waffenstillstand offenbaren ihre Verlogenheit, wenn gleichzeitig unvermindert Waffen geliefert und in Milliarden-Dollar-Höhe zugesagt werden. Dies ist Beihilfe zum Völkermord, und alle Mitleidsbekundungen für die palästinensische Bevölkerung klingen hohl, wenn diesem Vernichtungswahn des israelischen Regimes kein wirksamer »Stopp« entgegengesetzt wird. Die einzige Macht, die das tun könnte, die USA, tut nichts, kein Stopp der Waffenlieferungen, keine Sanktionen, kein ernsthafter politischer Druck – und die Bundesregierung folgt ihr wie ein treuer Vasall.

Fast 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges und dem Neuanfang mit der UNO-Charta für die Vereinten Nationen und 75 Jahre mit dem Grundgesetz für eine neue Bundesrepublik ist diese Politik ein unbegreiflicher Rückfall in die Barbarei. Noch vor einigen Jahren hätte das niemand für möglich gehalten. Ein Skandal, der von dieser Regierung und den ihr folgenden Medien mit einer frei erfundenen, völlig willkürlich gesetzten Staatsräson gerechtfertigt werden soll. Pausenlos werden wir vor einem Populismus von rechts und links gewarnt, dies ist Populismus aus der Mitte.

Wird der Krieg in Gaza mit der Verteidigung Israels begründet, so wird der Krieg in der Ukraine mit der Verteidigung unserer Freiheit und Demokratie begründet. Im Klartext der Außenministerin heißt das, »Russland ruinieren«. Das sichert zwar weder unsere Freiheit noch Demokratie, dient aber auch hier dem langfristigen Ziel von USA und NATO, Russland als gleichberechtigten Faktor in der internationalen Politik auszuschalten. Wir wissen seit der berühmten Publikation von Zbigniew Brzeziński »Die einzige Weltmacht« 1997, dass die Herrschaft über die Ukraine eine entscheidende Schwächung Russlands bewirkt und eine dominante Position im ganzen eurasischen Kontinent ermöglicht. Nach diesem Konzept hatte die US-amerikanische Außenpolitik schon lange die Einkreisung Moskaus mit Militärstützpunkten in den Nachbarländern auf dem Programm. Wir wissen von den Warnungen Gorbatschows, Jelzins und schließlich Putins vor dem Überschreiten einer roten Linie nach Georgien und der Ukraine. Das wusste auch die US-Administration in Washington, die immer wieder von ihren Vertretern in Moskau vor einem solchen Schritt gewarnt wurde. Man muss schon sehr gutgläubig sein, wenn man die 4 Milliarden Dollar, zu denen Victoria Nuland stolz verkündete, die USA hätten sie für die Demokratisierung der Ukraine investiert, nicht mit dem Aufruhr auf dem Maidan 2013/2014 und der Vertreibung von Präsident Janukowitsch in Verbindung bringt. Die USA wussten, was sie taten, und kalkulierten die Reaktion Putins. Die hatte dieser immer wieder angekündigt.

Man fühlt sich erinnert an das Jahr 1979, als Brzeziński sich die Hände rieb, weil die USA den Kreml in die Falle gelockt hatten, nach Afghanistan einzumarschieren, wo die Russen ihr Vietnam erleben würden. Damals wie heute waren die russischen Interventionen völkerrechtswidrig, daran gab und gibt es keinen Zweifel. Aber es ist damals wie heute falsch, sie einem sowjetischen oder heute russischen Imperialismus zuzuschreiben. Es handelte sich damals wie auch heute um militärische Maßnahmen der Verteidigung gegen das Vorrücken der USA unmittelbar an die Grenze der Sowjetunion, heute Russlands. Das war und ist auch den USA durchaus klar, aber Kriege werden nicht nur mit Haubitzen geführt, sondern auch mit den Redaktionen der eigenen Presse, die die Propaganda verbreitet und ihren Auftrag kritischer Analyse und Information aufgegeben hat.

Der Regierung in Kiew geht es um die territoriale Souveränität der Ukraine, nicht aber den USA. Ihr geht es um die Schwächung Russlands. Sie wissen, dass die Ukraine den Donbass und die Krim mit militärischen Mitteln nicht zurückgewinnen wird. Sie halten aber die Illusion aufrecht, um die Kriegslasten für den Kreml zu erhöhen und die Probleme und Unzufriedenheit in der russischen Bevölkerung zu verschärfen. Ein altes Rezept der US-Außenpolitik, welches sie mit ihren Sanktionen seit Jahrzehnten in Cuba und seit Jahren in Irak, Syrien und Iran anwenden. In der Abwägung zwischen der territorialen Souveränität und Menschenleben haben sie sich mit der Regierung in Kiew für die Souveränität und gegen die Menschenleben entschieden. Das sehen nicht nur die menschliche Moral, sondern auch die UNO-Charta in der Rangfolge genau umgekehrt.

Krieg führt zu Tod und Vernichtung, nur Verhandlungen führen zum Frieden. Doch offensichtlich ist die Angst vor dem Verhandlungstisch und der Notwendigkeit, den russischen Sicherheitswünschen entgegenzukommen, so groß, dass man zur Dämonisierung Putins greift, um diesen Friedensweg zu blockieren. Das entspricht ganz der Hegemoniestrategie der USA und der NATO. Man mag die Politik des ungarischen Präsidenten Orban nicht mögen, aber seine Reisediplomatie für Verhandlungen als Profilierungssucht abzutun, beweist nur die Abwehrhaltung gegenüber Verhandlungen zur Beendigung dieses Krieges.

»Frieden schaffen mit Waffen« ist offensichtlich die Devise. Deshalb auch jetzt die gigantischen Rüstungsprojekte, die das Geld verschlingen, das dann den Gesellschaften für ihre sozialen, kulturellen und Bildungsaufgaben fehlt. Denn hinter dem alten Feind Russland haben die USA schon lange die Volksrepublik China als neue Herausforderung ihres Führungsanspruchs ausgemacht. Machen wir uns nichts vor. Die gewaltigen Rüstungsprogramme und die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland, die Scholz und Biden separat beschlossen haben, können uns nicht als notwendige Abschreckung vor einem Angriff Russlands verkauft werden. Der Rüstungs- und Militärhaushalt des Kremls erreicht nicht einmal ein Viertel der Etats der EU-Länder. Die russischen Militärausgaben stiegen 2023 auf 103 Milliarden Dollar, die der EU auf 552 Milliarden Dollar und die der USA auf 916 Milliarden Dollar. Die Stationierung dieser Raketen wird nicht nur den Rüstungswettlauf verschärfen, sondern die Kriegsgefahr in der Welt unendlich verschärfen. Raketen, die mit 3.000 km Reichweite und kurzer, verdeckter Vorbereitung strategische Ziele in Russland angreifen können, sind keine Verteidigungs-, sondern Angriffswaffen. Hunderttausende sind 1979 gegen den sogenannten Nachrüstungsbeschluss der NATO auf die Straßen gegangen. Die damaligen Pershing-Raketen und cruise missiles waren nicht gefährlicher als die nun beschlossenen US-Raketen. 1979 gab es noch Verhandlungsmöglichkeiten mit Moskau, heute werden sie von der NATO abgelehnt.

Genug des Wahnsinns –

wir müssen uns fragen, was wir tun müssen, um dieser Katastrophe eines Krieges zu entgehen … Und es wird ein Weltkrieg sein, der dritte in weniger als 150 Jahren.

Hier nur einige Gedanken zum Abschluss, kein Manifest:

Wir müssen mit einem aufgeklärten Realismus den Wandel der neuen Weltordnung analysieren, die Gefahren für den Frieden, ihre Ursachen und Verursacher ohne Kompromisse, wir müssen die Wahrheit benennen.

Wir müssen jedem Versuch entgegentreten, die Völkerrechtsordnung der UNO-Charta und der internationalen Verträge durch eine selbsterfundene sogenannte regelbasierte Ordnung zu ersetzen.

Wir müssen der Militarisierung unserer Gesellschaft, der Aufrüstung und den Großmachtambitionen der herrschenden Klasse in Deutschland wie in der EU und NATO entschlossen entgegentreten.

Wir müssen uns jedem Spaltungsversuch in der Friedensbewegung widersetzen und keinen Zweifel aufkommen lassen, dass der Frieden alles bedeutet, ohne den die Menschheit nicht überleben kann.

Wir müssen darauf bestehen, dass Krieg nie eine Alternative zu Verhandlungen, Diplomatie und Kooperation sein kann.

Wir müssen einig sein in unserem Friedenswillen und jede Regierung, die den Frieden blockiert, mit unseren Mitteln des Protestes unnachgiebig bekämpfen.

(Für die Friedenskonferenz, bei der der Autor nicht anwesend sein konnte, schriftlich eingereichter Diskussionsbeitrag. Ein Auszug erschien in der Printausgabe 10/2024 der »Mitteilungen«.)

 

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