Den Jugendlichen näher bringen, wozu die Toten uns mahnen
Konrad Hannemann, Eisenhüttenstadt
Auf der Sitzung des Bundeskoordinierungsrates der KPF am 2. 8. 2008, auf der das Thema "Antifaschismus und Bündnispolitik" zur Diskussion stand, mahnte uns Genosse Prof. Heinrich Fink, die Erinnerungskultur zu pflegen, da sie für das Verständnis der Geschichte wichtig ist.
Für uns als ältere Genossen, die wir den Faschismus erlebt haben, ist es schwer verständlich, daß junge Menschen heute erneut diese verbrecherische Ideologie vertreten; oder daß man, wie mir in unserem Hochhaus passiert ist, mit "Heil Hitler" begrüßt wird.
Diese Jugendlichen haben nicht im Entferntesten eine Vorstellung davon, was Faschismus und Krieg wirklich bedeuten. Und der Geschichtsunterricht in der heutigen Schule ist auch nicht gerade geeignet, ein reales Bild davon zu vermitteln. Ein verzerrtes Bild von der DDR zu geben – das geht! Aber Faschismus wird im Geschichtsunterricht nicht oder nur am Rande thematisiert. Deshalb können wir gar nicht genug dafür tun, diese dringend notwendige Aufklärung zu leisten.
Mir bietet sich alljährlich Gelegenheit dazu, denn die Arbeiterwohlfahrt in Frankfurt/Oder ist in dieser Beziehung auf Draht. Sie bringt in jedem Jahr etwa drei Busse mit Jugendweiheteilnehmern zur Besichtigung in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Begleitet und betreut werden sie dabei von Mitgliedern der VVN-Bund der Antifaschisten Frankfurt/Oder. Dazu möchte ich anmerken, daß wir von der Art der Aussagen und der Qualität des Personals der Gedenkstätte nicht sonderlich begeistert sind. Deshalb haben unsere Kameraden die Führung der Gruppen selbst übernommen.
Dabei habe ich eine besondere Aufgabe. Mein Vater, Max Hannemann, war als Kommunist und antifaschistischer Widerstandskämpfer von Februar 1940 bis zum Frühjahr 1945 ein sogenannter "Schutzhäftling" in diesem KZ; und möglicherweise ist er dort auch umgebracht worden (die genauen Umstände seines Todes konnten nicht ermittelt werden). Deshalb habe ich eine persönliche Beziehung zu diesem Lager!
Nachdem den Jugendweiheteilnehmern durch einen anderen Kameraden an den verschiedenen Standorten der Gedenkstätte das Allgemeine über das Leben im KZ vermittelt wurde, werden sie zu dem Stein geführt, der den Standort der Baracke kennzeichnet, in der mein Vater untergebracht war.
Dort erwarte ich die Gruppe, lege Blumen auf dem Stein nieder, drehe mich um und spreche zu den Jugendlichen.
Ich erkläre ihnen mit kurzen Worten, wer Max Hannemann war, worin die Arbeit der von ihm geleiteten Widerstandsgruppe bestand und daß diese Genossen bewußt ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzten, um den furchtbaren Weltkrieg zu verhindern, der über 50 Millionen Menschenleben kostete und große Teile Europas in Schutt und Asche legte. Auf die aktuelle Situation bezogen sage ich den Jugendweiheteilnehmern sinngemäß: Manche Jugendliche schwärmen vom Heldentum deutscher Soldaten. Aber sie haben nicht die geringste Vorstellung davon, wie grausam der Krieg wirklich ist. Es stimmt, daß viele Soldaten mit dem Wunsch in den Krieg zogen, Helden zu werden. Aber wenn sie mit zerfetzten Därmen im Schützengraben nach Vater und Mutter schrieen, verging ihnen die Sehnsucht nach "Heldentaten".
Natürlich fordere ich die Jugendlichen auch auf, die heute im KZ gewonnenen Erkenntnisse zu nutzen, um rechtsextremistisch beeinflußten Mitschülern mit wirksamen Argumenten entgegenzutreten. Abschließend wünsche ich Ihnen, daß sie nie eine Zeit des Faschismus und des Krieges erleben mögen.
Man darf mir wohl glauben: Die Tatsache, daß ein mittelbar Betroffener zu ihnen spricht, wirkt sehr stark auf die Jugendlichen. Sie verfolgen meine Worte mit einer Aufmerksamkeit, die sich mancher Lehrer in der Schule nur wünschen könnte.
Leider haben wir nur noch wenige Menschen, die über den Faschismus aus eigenem Erleben berichten können. Deshalb müssen wir jede sich bietende Gelegenheit dazu nutzen. Da in sehr vielen Städten Jugendweihen stattfinden, sollten wir überall dort den Besuch von KZ-Gedenkstätten anregen und möglichst selbst daran teilnehmen. Der AWO in Frankfurt/Oder bin ich dankbar, daß unsere Kameraden in jedem Jahr diese Möglichkeit nutzen können.
Ich selbst wohne in Eisenhüttenstadt, konnte aber erst einmal eine Schülergruppe unserer Stadt nach Sachsenhausen begleiten. Deshalb nutzte ich eine öffentliche Veranstaltung, um zu schildern, wie es die Frankfurter AWO handhabt. Natürlich bot ich mich an, die Besuchergruppen zu begleiten. Dieser Vorschlag wurde wohlwollend angenommen.
So hoffe ich, meinen Wirkungskreis im nächsten Jahr zu erweitern, um noch mehr Jugendlichen die Gefährlichkeit faschistischer Ideologien nahebringen zu können.