Den Castor stoppen? Yes, we can!
Dieter Vogel, Lüneburg
Über 16.000 Atomkraftgegner demonstrierten am Samstag, den 8. November 2008, in Gorleben gegen den diesjährigen Castor-Transport, der zeitgleich an der französisch-deutschen Grenze eine "Zwangspause" einlegte, die schlußendlich über 12 Stunden dauerte. Drei Frauen und Männer hatten ihre Arme in einem unter den Bahnschwellen versteckten massiven Block befestigt. Diese Meldung sorgte entsprechend für großen Beifall vor den Toren des Zwischenlagers im Wendland. "Yes, we can!" – der Slogan aus Obamas Wahlkampf – wurde auch zur Devise der Castor-GegnerInnen.
Der Protest richtete sich auch gegen die verantwortungslose Absicht, Gorleben als Endlager festzuschreiben, wie dies nach Willen der CDU-RegierungspolitikerInnen in Hannover und Berlin geschehen soll. Bundesumweltminister Siegmar Gabriel (SPD) dagegen möchte die geologischen Zweifel erneut prüfen lassen, die von CDU/CSU ignoriert werden. Laut Regierungserklärung vom 11. November 2005 will man in Berlin noch in dieser Legislaturperiode zu einer Lösung kommen. Die seit 1977 in die Forschung investierten 1,5 Mrd. Euro will die Union dabei ungern in den Sand gesetzt sehen. Ob das Deckgebirge des Gorlebener Schachtes hält oder nicht, scheint dabei egal zu sein.
Die französische Kletter-Aktivistin Cécile Lecomte, die bereits mehrere Atommülltransporte zum Stoppen brachte, wurde am 6. November festgenommen. Sie hatte sich bei Lüneburg von einer Brücke abgeseilt, um gemeinsam mit anderen Robin-Wood-Kletterern gegen den bevorstehenden Castor-Transport zu protestieren. Während ihre GefährtInnen wieder auf freien Fuß gesetzt wurden, wurde Cécile in "Unterbindungsgewahrsam" genommen und mußte bis Sonntagabend ausharren. Zahlreiche Proteste bewirkten ein Verkürzen der rechtswidrigen Haftzeit, die zunächst bis Montagabend angesetzt war.
Der Ansturm zur Anti-Atom-Demonstration in Gorleben nahm Ausmaße wie zuletzt im Jahr 2001 an, als mehr als 10.000 Menschen gegen die Atomtransporte in das Elbdorf kamen und für den Atomausstieg auf die Straße gingen. Die Forderung der Demonstranten ist klar: der Atomausstieg darf nicht auf die lange Bank geschoben werden, Gorleben als nukleares Endlager ist nach den Ereignissen in der Asse und Morsleben nun endgültig "verbrannt". Unter den Demonstranten war erstmals auch die niedersächsische Landtagsabgeordnete Christel Wegner (DKP), die sich sichtlich begeistert von dem bunten Treiben und dem beherzten Engagement der wendländischen Landwirte zeigte.
Erstmalig war auch die IG Metall prominent vertreten. Das Engagement der Kolleginnen und Kollegen gegen den Schacht Konrad bei Salzgitter führte sie nun auch nach Gorleben. Auf der Abschlußkundgebung sprach Hartmut Meine, Bezirksleiter der IG Metall Niedersachsen/Sachsen-Anhalt. Er geißelte die Atomkraft als veraltete, rückwärtsgewandte Technologie. Es reiche nicht aus, sich gegen die Atommülldeponien zu wehren. Den Energiekonzernen schrieb er ins Stammbuch: "Ich rufe den Herren in den Chefetagen zu, zieht euch warm an, wenn die Anti-Atomkraftbewegung und die Gewerkschaften gemeinsam handeln, ... wird es verdammt ungemütlich für euch." Im Wahljahr 2009 dürfe Schwarz-Gelb keine Chance bekommen, sagte Meine in Anspielung auf die schwarz-gelben Atommüllfässer. Er verschwieg oder vergaß dabei, daß auch unter Rot-Grün Castor-Transporte nach Gorleben mit analoger Polizeigewalt durchgeprügelt wurden.
Die Umweltverbände unterstützen die Forderungen der Gorleben-GegnerInnen unmißverständlich. Für den BUND erinnerte Renate Backhaus an die Kinderkrebsstudie. Eine 2008 veröffentliche Qualitätsprüfung der Studie bewertete den kausalen Zusammenhang neu. "Danach können die radioaktiven Emissionen aus den Atomanlagen als Erklärung für das erhöhte Krebsrisiko bei Säuglingen und Kleinkindern in ihrer Nähe nicht ausgeschlossen werden. Sie stellen im Gegenteil die bislang plausibelste Erklärung dar." Backhaus plädiert für den Atomausstieg von unten: Protest auf der Straße und den Anbieterwechsel, weg vom Atom- und hin zum Ökostrom.
Kurt Herzog, Abgeordneter der Fraktion DIE LINKE im Niedersächsischen Landtag, hat Strafantrag gegen die Hersteller der Atommüllbehälter TN 85 und die Genehmigungsbehörden gestellt. Es ist bekannt geworden, daß die französischen Behälter deutlich höhere Strahlung emittieren, als die bisher verwendeten. Der neue, deutsche Behältertyp HAW 28 M wurde bisher noch nicht zugelassen und soll erst 2010 zum Einsatz kommen. Am Sonntagmorgen hatte Greenpeace den Zug an der französischen Grenze mit einer Wärmebildkamera fotografiert und wies damit eine deutlich höhere Wärmeentwicklung als in den vergangenen Jahren nach. "Der Konvoi darf nicht auf die Straße", forderte ein Sprecher der BI Lüchow-Dannenberg e.V. Es sei unverantwortlich, daß PolizistInnen wie auch Demonstranten einer solchen Gefahr ausgesetzt werden. Die von den Behältern ausgehende Neutronenstrahlung ist laut Greenpeace-Messungen noch in 14 Metern Entfernung mit 4,8 Mikrosievert pro Stunde mehr als 500 Mal höher als die zuvor gemessene Hintergrundstrahlung durch Neutronen.
Unterdessen organisierte die Polizeidirektion Lüneburg einen Begleitservice für sogenannte "Castor-‚Fachbesucher’", wie die Landeszeitung Lüneburg in ihrer Wochenendausgabe vom 1./2. November meldete. Neben "hohen Beamten aus mehreren Bundesländern" waren auch "Polizeidelegationen aus Kroatien, Ungarn und der Schweiz" gekommen, die sich "vor Ort ein Bild vom Einsatz machen, um daraus Erkenntnisse für ähnliche Großlagen in ihrer Heimat zu gewinnen." Außerdem waren auf Einladung des niedersächsischen Innenministeriums 24 Abgeordnete aus allen fünf Landtagsfraktionen mit von der Partie. "Sie sollen und wollen gewappnet sein, falls das Geschehen rund um Gorleben ein parlamentarisches Nachspiel auslöst." Eine zehnköpfige Gruppe "Betreuung und Information von Gästen" (BIG) kümmerte sich um die Besucher, vermittelte Hotelunterkünfte, sorgte für Verpflegung aus der Feldküche und fuhr die Beobachter in drei zivilen Kleinbussen zu den "Brennpunkten des Einsatzes".
Die Kosten hierfür trägt bekanntlich der Steuerzahler, der nach Sinn und Nutzen dieses "Services" ebensowenig nach seiner Meinung gefragt wird, wie beim eigentlichen corpus delicti, bei der Einlagerung atomaren Sondermülls in dem einer Tropfsteinhöhle gleichenden Salzstock in Gorleben.
Die elf Castor-Behälter sind nach zahlreichen Blockaden mit deutlicher Verspätung erst am Dienstagmorgen im Zwischenlager Gorleben eingetroffen. Es war der bisher längste Castor-Transport. Nun werden dort noch weitere sechs Transporte erwartet. Mittlerweile stehen 91 Behälter in der "Kartoffelhalle". Neben den noch 22 Behältern aus La Hague in den Jahren 2010 und 2011 werden voraussichtlich zwischen 2014 und 2017 in vier Transporten weitere 22 Behälter aus dem britischen Sellafield geliefert.
Teile des Beitrages erschienen bereits in der UZ am 7. bzw. 14. November 2008.