Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Datum von Jahrhundert-Bedeutung: Zum 65. Jahrestag der Befreiung vom Hitler-Faschismus

Berliner Alternatives Geschichtsforum

Der Bundesvorstand der Gesellschaft zum Schutz von Bürgerrecht und Menschenwürde(GBM) e.V. beschloß die folgenden vom Berliner Alternativen Geschichtsforum entworfenen Thesen:

1. Der 8. Mai 1945 ist ein Datum von Jahrhundertbedeutung, das an den historischen Sieg über das Naziregime, die Beendigung des Zweiten Weltkriegs und die Befreiung Europas vom Hitlerfaschismus erinnert. Die UNO hat diesen Tag zum Weltfeiertag erklärt. Die auf Leben und Tod in der Antihitlerkoalition vereinigten Völker und Staaten, von denen die Sowjetunion die Hauptlast trug, gedenken ihres Kampfes, ihrer Opfer und ihres schwer errungenen Triumphes. Befreit wurde auch das deutsche Volk: befreit von der Herrschaft der Naziclique, befreit von dem Zwang, sich ihrem Rassenwahn zu unterwerfen, ihrem Eroberungsdrang zu folgen, sich an Kriegsverbrechen und Völkermord zu beteiligen – einem Zwang, dem nur eine Minderheit im deutschen Volk widerstand. In der DDR wurde der 8. Mai als Tag der Befreiung begangen; denn Antifaschismus war Staatsdoktrin und wurde in wachsendem Maße zur Sache der Bürger. In der Sowjetunion feierte man den 9. Mai als Tag des Sieges.

2. In der Bundesrepublik dauerte es vierzig Jahre, bis sich ein Bundespräsident dazu verstand, den 8. Mai einen Tag der Befreiung zu nennen. Bis dahin galt er mehrheitlich als Tag der Kapitulation, der Niederlage, des Zusammenbruchs, des Untergangs, der Katastrophe – als Gedenktag an eine Tragödie. Damit bezeichneten die Herrschenden ihren eigenen Standort in der Nachfolge jener, die damals kapitulierten, und bestimmten die Traditionslinie, in der sie sich selber sahen und zum Teil noch immer sehen. Damit traten sie willig in den Kalten Krieg ein, eine Fortsetzung des Zweiten Weltkriegs mit anderen Mitteln, nahmen die Partei des militanten Antikommunismus, bereiteten neofaschistischen Bestrebungen ein gedeihliches Umfeld und überboten einander an Zynismus durch die Gleichsetzung von Faschismus und Sozialismus in der Totalitarismusdoktrin, die heute das Hauptmittel zur Verunglimpfung progressiver und antifaschistischer Geschichtstraditionen geworden ist.

3. Hat sich in den zweieinhalb Jahrzehnten, die seit der Rede Richard von Weizsäckers vergangen sind, etwas von den Hoffnungen erfüllt, die die Menschen damit verbanden? Hat sich das gesellschaftliche Klima in der Bundesrepublik nennenswert verändert?

Heute spricht man vom 8. Mai offiziell als dem Tag des Kriegsendes. Das jedoch ist eine bloße Datumsangabe. Umgangen werden dabei die wesentlichsten Fragen:

  • Wer hatte diesen Krieg von langer Hand geplant und dann in voller Absicht vom Zaun gebrochen?
  • Wer hat durch diesen Krieg und in diesem Krieg die schlimmsten Verbrechen gegen Frieden und Menschlichkeit begangen?

Diese Fragen zu stellen heißt für uns Antifaschisten und Demokraten, sie zu beantworten: Hauptschuldiger ist Nazi-Deutschland, hauptverantwortlich sind die auf Profit und Expansion orientierten Kräfte des deutschen Großkapitals. Das führt zu den entscheidenden Fragen:

  • Wer hat diesen Krieg folgerichtig verloren und am 8. Mai bedingungslos kapituliert?
  • Wo wurden die Lehren aus diesem Krieg gezogen und beherzigt, wo wurden sie mißachtet und in den Wind geschlagen?

Gesellschaftsstruktur und Politik der beiden Staaten, die bis 1990 auf deutschem Boden existierten, geben die Antwort darauf.

4. Seit Jahren will man uns weismachen, die Befreiung Europas habe, wenn nicht am 10. Juli 1943 mit der Landung britisch-amerikanischer Truppen in Sizilien, so am 6. Juni 1944 mit der Landung westalliierter Streitkräfte in der Normandie ("D-Day") begonnen. Doch ohne die Leistungen der Westalliierten, ihren Anteil am Sieg über den Nazifaschismus und seine Verbündeten schmälern zu wollen, bleibt um der geschichtlichen Wahrheit willen festzustellen:

  • Die Niederlage Hitler-Deutschlands deutete sich Ende 1941/Anfang 1942 in der Winterschlacht vor Moskau an, als die faschistische Offensive stecken blieb und die Nazi-Wehrmacht erstmals weit zurückgedrängt wurde.
  • Die Wende im Zweiten Weltkrieg wurde herbeigeführt mit der vernichtenden Niederlage der faschistischen Aggressoren bei Stalingrad, diesem historischen Menetekel.
  • Die Befreiung Europas wurde vorangeführt mit der Schlacht im Kursker Bogen und den weiteren Schlachten an der sowjetisch-deutschen Front, die in der Schlacht um Berlin gipfelten.

An dieser Hauptfront des Zweiten Weltkriegs waren im Durchschnitt zwei Drittel aller Divisionen der Hitler-Wehrmacht im Einsatz. In diesem Kriegsgeschehen offenbarten sich Kampfgeist und Opfermut der Sowjetsoldaten, das Zusammenstehen der Völker der UdSSR, die Überlegenheit ihrer antifaschistischen und sozialistischen Gesinnung im Kampf gegen die nazistischen Welteroberungspläne.

Die Antihitlerkoalition bleibt ein Beispiel für das erfolgreiche Zusammenwirken von Staaten unterschiedlicher Systemzugehörigkeit im Kampf gegen einen gemeinsamen Feind und für gemeinsame Ziele.

5. Bestandteil der Antihitlerkoalition waren in übertragenem Sinne die deutschen Antifaschisten. Ihre Gesinnung und Aktivität speisten sich aus unterschiedlichen politischen und geistigen Quellen; aber geschichtlich betrachtet bildeten sie eine gemeinsame Bewegung:

  • die Widerstandskämpfer in Deutschland und im Exil,
  • die Wegbereiter und Mitstreiter des Nationalkomitees und der Bewegung "Freies Deutschland",
  • die Deutschen in der Résistance und in den Streitkräften der Alliierten.

Wir ehren sie und würdigen ihre bleibenden Verdienste um unser Volk wie um den Triumph der Völker über den Faschismus.

6. Der 8. Mai 1945 ist gleichbedeutend mit einer weltgeschichtlichen Zäsur: Die Menschheit wurde vor dem Absturz in die Barbarei bewahrt, der ihr bei einem anderen Verlauf des Krieges drohte. Zwölf Jahre faschistische Diktatur hatten dafür einen blutigen Anschauungsunterricht erteilt: Ihrem Antikommunismus, ihrer Fortschrittsfeindlichkeit fielen Hunderttausende von Kommunisten, Sozialdemokraten, Christen, bürgerlichen Humanisten und Demokraten zum Opfer. Faschistischer Rassenwahn forderte das Leben von Millionen Angehörigen slawischer Völker, Millionen Juden, hunderttausenden Sinti und Roma. 27 Millionen Sowjetbürger mußten ihr Leben lassen – die Hälfte aller Toten des Krieges. Mindestens 10 Millionen Menschen, zumeist aus den von Deutschland überfallenen Ländern, wurden als Arbeitssklaven eingesetzt; ungezählte überlebten die Zwangsarbeit nicht. Solche Tatsachen verbieten es, den Eindruck zu erwecken, als seien Deutsche – etwa die Opfer des Bombenkrieges, die Kriegsgefangenen, die "Vertriebenen" – die Hauptleidtragenden des Zweiten Weltkriegs und seiner Folgen gewesen.

7. Um so schlimmer ist es, wenn heute Nazis wieder frech gegen Frieden und Völkerverständigung hetzen dürfen, und umso verwerflicher, wenn sie sich zusammenrotten dürfen und auch vor Mord und Totschlag nicht zurückschrecken. Umso gefährlicher ist es, wenn Behörden und Gerichte ihr Treiben dulden und ihnen gar Wege dafür öffnen. Uns empört, daß Nazis in Parlamenten sitzen und dafür auch noch öffentliche Mittel bekommen. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen!

Dieses Verbrechen läßt sich mit keinem anderen Geschehnis des 20. Jahrhunderts, und sei es noch so verurteilenswert, auf eine Stufe stellen.

Dem Vermächtnis des 8. Mai 1945 widerspricht es auch, wenn heute die Befreiungsmission der Roten Armee in diskreditierender Weise geleugnet wird und in osteuropäischen Ländern faschistische Kollaborateure zu Nationalhelden umgefälscht werden.

8. Weit verbreitet war nach dem 8. Mai 1945 der Vorsatz: "Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!" Heute rechtfertigen Regierende "humanitäre Interventionen" mit der heuchlerischen Parole "Nie wieder Auschwitz!" Die Not der ärmsten Länder wird nach der Devise "responsibility to protect" mit der Ermutigung der Großmächte zu neuen Kolonialregimen mißbraucht. Die blutigsten geopolitisch motivierten Kriege der letzten beiden Jahrzehnte im Kongo, in Irak, Afghanistan, Darfur oder um das Kosovo gegen Jugoslawien und andere Sezessionskriege sind neokoloniale Raubkriege um strategische Rohstoffe.

Der Kampf um die Ablösung des USA-Unilateralismus durch multilaterale Strukturen und die friedliche Bewältigung der globalen wirtschaftlichen Krisenerscheinungen sind eine Herausforderung für alle Friedenskräfte der Welt und Europas.

9. Über 50 Millionen Tote des Zweiten Weltkriegs mahnen zum Frieden. Dem Vermächtnis des 8. Mai 1945 widerspricht es, wenn heute, seit dem Ende der sozialistischen Staatengemeinschaft, der Imperialismus die Androhung und Anwendung militärischer Gewalt wieder als ein legitimes Mittel der Politik betrachtet.

Dem Vermächtnis des 8. Mai 1945 widerspricht es, wenn die Bundeswehr einer expansionistischen Militärdoktrin folgt und grundgesetzwidrig als weltweit operierende Interventionstruppe eingesetzt wird. Wir fordern: "Bundeswehr raus aus Afghanistan, raus aus internationalen Krisenregionen!"

Das Europa, das wir meinen, hervorgegangen aus dem antifaschistischen Kampf der Völker unseres Kontinents, muß ein Europa des Friedens und gemeinsamer Sicherheit sein. Dringend notwendig ist darüber hinaus eine neue globale Friedens- und Sicherheitsordnung, die das Gewaltverbot der UNO-Charta zur Grundlage hat.