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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

»das leben ist eine verknotete sache«

Gina Pietsch, Berlin

 

Georg Kreisler zu seinem 100.eine Hommage

Am 18. Juli 2022 würde er 100. Da er Jude war, wurden seine 100 Jahre sehr umtriebig. Im Stenogramm so: 1922 Wien,1938 Flucht vor Hitler nach Hollywood, 1942 Einberufung zur Armee, 1945 Entlassung aus der US-Army,1946 Übersiedlung nach New York, 1955 nach Wien, 1958 München, 1962 wieder Wien, 1976 Berlin, 1988 Hof bei Salzburg, 1992 Basel, 2007 wieder Salzburg. Natürlich handelt es sich hier nicht um Urlaubsreisen. Der Komponist, Sänger und Dichter Georg Kreisler war ungeheuer produktiv, musste es sein, bringt es auf 15 Theaterstücke, 2 komische Opern, 3 Romane, Sketche etc. Sein »Taubenvergiften im Park«fällt uns als erstes ein, und er leidet darunter. Ich ahnte nicht, dass mich faule journalisten noch jahrzehntelang damit belästigen würden, schreibt er und meint das ernst. Mit seinen 600 Liedern hat er sich's angeblich leicht gemacht, weil: gesungene Sprache ist besser verdaulich, sagt er. Zum Warum aus seinem Munde: das leben ist eine verknotete sache. Die Nazis haben an dieser Sicht einen entscheidenden Anteil. Gerade noch rechtzeitig konnte sein Vater, jüdischer Rechtsanwalt, Ausreisepapiere erlangen und unter Verlust fast des gesamten Vermögens mit der Familie in die USA emigrieren, 3 von 28.000 österreichischen Juden, die ein amerikanisches Visum erhielten. 1943 wird er amerikanischer Staatsbürger und per Gestellungsbefehl Soldat der US-Army. Da er deutsch spricht, entgeht er dem Schießen durch Verhöre. Nach Kriegsende in Deutschland lernt er dabei den gefürchteten »Stürmer«-Nazi Julius Streicher als armseliges Würstchen kennen, auch Göring, als natürlich Uneinsichtigen, der Sätze von sich gibt wie »Das Gescheiteste wäre doch, wenn ihr mit uns gegen die Russen kämpfen würdet.«

All das speichert er für seine späteren Lieder. Denn dort in Amerika beginnt Kreislers Karriere, u.a. in der Mitarbeit bei Chaplins »Monsieur Verdoux«. Laut Beschreibung pfeift Chaplin ihm die Melodien seiner Lieder vor, Kreisler setzt sie in Noten, läuft dann zu Eisler, der sie orchestriert. Ach ja, und Chaplins Klavierspiel, wenn das im Film zu sehen war, war es zu hören von Kreisler.

Ein Klavierhumorist ...

Und immer weiter ist er beschäftigt mit Antisemitismus, der jeder Vernunft widerspricht und trotzdem nicht verschwindet. 1955 in Wien erlebt er das besonders. Schon als Fünfjähriger, also sechs Jahre vor Hitler und rund zehn vor dem »Heim ins Reich« ermahnte ihn seine Mutter: »Sei nicht so laut, wir sind Juden.« Dem Vater reichten damals Ermahnungen nicht, er schlägt und denkt, obwohl Jude, antisemitisch. Meine Kindheit war eine Einschüchterungskindheit, sagt er, aber auch, Wenn es keinen Antisemitismus gäbe, wäre ich wahrscheinlich auch kein Jude. Das meint allerdings nicht Zionist, weil mir immer jeder Nationalismus fremd war, vor allem der jüdische, so Kreisler 1998 und setzt auf die klugen Israelis, die längst erkennen, dass die Zukunft des Staates Israel nur durch Versöhnung mit den Arabern gesichert werden kann. Das seine Hoffnung aus den reichen Erfahrungen seines Lebens. Er hat schlimme Dinge gesehen. In jüdischen Kaffeehäusern wurden, wie er erzählt, Menschen die Zunge an den Tisch genagelt, unter Garderobenständern zerquetscht, gewürgt und angezündet.«

Wer sein wunderbares »Ein-Frau-Stück« Lola Blau kennt, bekommt, wenn auch nicht in solcher Deutlichkeit, das in beinah jedem deutschsprachigen Theater lang hautnah vorgeführt, obwohl das Fernsehen sich verweigert. Tja, Wiener zu seinist kein Vergnügen, sagt er und produziert eine beachtliche Zahl hinreißender komischer Lieder über die einzige Stadt der Welt, in der ich geboren bin. Das sind meist Satiren, einige davon direkt auf Mozarts Musiken, Kleine Nachtmusik oder die C-Dur-Klaviersonate, betextet von ihm als Wo sind die Zeiten dahin mit einem die Dummen vorführenden Patriotismus, deren Stolz auf Reaktion und Ablehnung alles Neuem. Als Anarchist sah er sich, und dieses Wissen trieb ihn immer wieder an den Schreibtisch und auf die Bühne, was auch in einigen seiner Lieder zum Ausdruck kommt, z.B. im Kapitalistenlied, Meine Freiheit, Deine FreiheitSie sind so mies, Wir sind alle Terroristen oder Wenn alle das täten. In den Anfängen ist das Schreiben und Singen noch motiviert zur Bestreitung seines Lebensunterhalts, später dann geht es um Kunst, seine freilich. Wagners Musik war und bleibt für mich genauso verlogen, pompös, umständlich und treudeutsch-schlecht wie seine Texte – erfreuliches Urteil für mich! Auch Regisseure konnte er nicht leiden. Regisseure inszenieren immer nur sich selbst. Er führt eine große Tradition weiter, die des singenden Klavierhumoristen, der sich zu eigenkomponierten Liedern selbst begleitet. So kam es, dass er mit seinem schwarzen, tiefsinnigen Humor und Sprachwitz das musikalische deutschsprachige Kabarett seiner Zeit als Interpret und Verfasser eigener Werke stark prägte. Das gelang, weil er ein Meister der Sprache, Mimik und Gestik war. Virtuos konnte er »jüdeln«, also jiddisch gefärbt singen, wie in seinen »Nichtarischen Arien«, »böhmakeln« wie in der herrlichen »Telefonbuchpolka«, schmalzige Wienerlieder parodieren wie »Am Totenbett« und Schnulzensänger pathetisch imitieren wie im »Mütterlein«.

Er sprüht vor Einfällen, makabren, bösen, witzigen und hochpolitischen, auch wenn sie manchmal gar nicht unbedingt so daherkommen. Er hat die Herrschenden genau studiert, die in Wien in seiner frühen und späten Zeit, die in München und New York, und er lässt sie vortanzen, mit Biss und Härte, zum Kaputtlachen und Losheulen. Schon in Amerika, wohin er nach dem Krieg, 1946, wieder zog, als Unterhalter in Nachtklubs auftrat und auf Tourneen durch das Land zog, wurden drei seiner aufgenommenen Schallplatten nicht verlegt, weil morbide und makaber, also »unamerikanisch«.

und Unruhestifter

Aber auch in Wien, wohin er 1955 zurückging, durften seine Lieder, die sich berühmte Leute in seinen Konzerten, meist in der Marietta Bar, anhörten, eine Zeitlang nicht im Österreichischen Rundfunk gesendet werden. Sein Schwarzer Humor wird sein Markenzeichen, durchaus zu seinem Bedauern. 1959 schreibt er ein Ausnahmelied, nicht zum Kaputtlachen aber realistisch bis heute. »Die Hexe« nennt er es und führt Ausgrenzung einer Vielleicht-Ausländerin vor, beginnend wie ein schönes Märchen und endend mit der Aufforderung »Leute, schlagt zu!« Ansonsten aber natürlich immer wieder wunderbar komisch, zunehmend mehr sich politisierend. Ein Kritiker hat »Diese seltsamen Gesänge aus Mondschein und Ameisensäure gefertigt« genannt. Aber Kreisler will mehr: Der Krieg war ja nicht zu Ende, auch Auschwitz nicht vorbei. Ein Wiener in Kreislers Liedhat angesichts dieser Situation nur die Sorge: Wenn jetzt ein Krieg kommt, sagen S', was g' schieht dann mit mein' Hund?

All das führt ihn in den späten Sechzigern zum Anschluss an die damaligen Unruhestifter, die heute die 68er genannt werden. Aber ich war nicht mehr jung, Marcuse war ich auch keiner, stellt er traurig fest und blieb deshalb der Kunst verpflichtet. Die die Demos in Berlin und Paris zerschlagen, führt er vor in »Schützen wir die Polizei«. So muss er sich verhalten, behält aber immer seine Zweifel am Effekt seiner Kunst und kommt 1969 zu dem Ergebnis: Es hat keinen Sinn mehr, Lieder zu machen, statt die Verantwortlichen niederzumachen. Es hat keinen Sinn mehr Worte zu wählen, die Zeiten sind vorbei.

Über die Liebe dachte er anders, wenn auch wenig Liebeslieder als Beweis vorliegen. Vier Ehefrauen hatte er. Mit 19, also 1941, ist es Philine, deren Namen vom Vater Friedrich Hollaender und Mutter Blandine Ebinger aus Goethes »Wilhelm Meister« geklaut war. Mit ihr zeugte er einen Sohn und mit der dritten Ehefrau, Topsy Küppers, einen Sohn Sascha und eine Tochter Sandra, die als Chansonsängerin, Autorin, Regisseurin und Sprecherin tätig ist. Die Ehe mit Topsy Küppers war eine lange, produktive, aber zumindest auf das Ende hin eine unglückliche, die sogar Gerichte beschäftigt.1984 spielte Küppers wie von Anfang an geplant die Lola in »Heute Abend: Lola Blau« in einem Wiener Theater. Nun aber reichte ihr die Hauptrolle nicht mehr. Sie gab sich im Programmheft auch noch als Autorin des Stückes aus und in ihren biografischen Unterlagen als Jüdin, die sie gar nicht war. 14 Jahre dauerte der Rechtsstreit, bis Kreisler schließlich Recht bekam. Das muss für ihn schlimm gewesen sein, denn rein kommerziell war ich nie, aber das spricht nicht für mich, weil ich es anders nicht konnte.

Wenn man den Bildern und Buchstaben glauben kann, war Kreislers vierte und letzte Ehe Glück von Anfang bis Ende. Ich wünsche allen Menschen eine Barbara, singt er prophetisch in einem seiner Songs, als die Schauspielerin Barbara Peters noch gar nicht seine war. Gewonnen hatte er sie mit einem Satz, den jede singende Schauspielerin gern gehört hätte. Er hatte sie in einer Vorstellung gesehen und danach die Kritik eines Kollegen, dass sie unrhythmisch gewesen sei. »Du musst zählen!«, wird ihr geraten. Kreisler mischt sich ein: Sie muss überhaupt nicht zählen! Der Pianist soll aufpassen. 1977 fing das an, also eigentlich 1976, aber im Februar war Premiere mit einem gemeinsamen Abend im Theater von Hallervorden in der Nürnberger Straße in Berlin. »Rette sich, wer kann«, heißt der Abend mit der zweiten Reimzeile »... oder bau' zumindest Pellkartoffeln an.« Er selber hatte ihr in dieser Zeit etwas anderes gesagt. »Was hältst du davon, wenn wir uns nie wieder auch nur eine Nacht trennen?«. Und sie haben das geschafft, sind, wie er beschreibt, »aus zwei Menschen einer geworden … Ohne Toleranz. Nur mit Liebe«. Schöne Geschichte, die erst endet mit Kreislers Ende am 22. November 2011.

Konzert-Termine, Lesungen und Workshops von Gina Pietsch: http://www.ginapietsch.de/termine.html.

 

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