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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Das Kapital. Ein Buch der Bücher nicht nur für Linke

Bücherbord

Am 14. September 1867 erschien im Otto Meissner Verlag Hamburg »Das Kapital«, Teil I. Diesem Ereignis ist eine sehens- und lesenswerte Broschüre gewidmet mit 22 »Das Kapital« illustrierenden Cartoons (Burkhardt Hollstein) und Textbeiträgen von Wolfgang Gehrcke (Kei­ne »Marx-freien« Räume), Urte Sperling und Georg Fülberth (Zwei Geheimnisse des Mehr­werts), Christiane Reymann (Vollkommenes und Unvollkommenes der Befreiungstheorie) und Harald Werner. Letzterer schildert den in den 70er Jahren einsetzenden Bruch mit der staatsmonopolistischen Regulation anschaulich als einen mit Neoliberalismus und Digitalisie­rung einhergehenden Prozess.

Sahra Wagenknecht schrieb dazu das Vorwort:

Vor 150 Jahren erschien der erste Band von »Das Kapital« von Karl Marx. Dieses Werk war revolutionär und hat die Welt bewegt. Doch was hat uns Karl Marx heute noch zu sagen? Hat er uns überhaupt noch etwas zu sagen? Es gehört zu den beliebten Behauptungen der Mainstream-Ökonomen, dass dem nicht so sei. Dass der Marxismus versagt habe, dass er bedeutungslos geworden sei. Es gibt viele, die sich wünschen, dass Marx bestenfalls noch als touristischer Anziehungspunkt für seine Geburtsstadt Trier dienen soll. All denen möchte ich zurufen: Vergesst es! Wer heute auf den Abgesang des Marxismus setzt, macht sich genau so etwas vor wie diejenigen, die vor 150 Jahren nicht die Zeichen der Zeit erkannten.

Denn wie präzise Karl Marx Struktur und Wirkmuster des Kapitalismus analysiert hat, lässt sich nicht etwa nur geschichtlich betrachten, sondern zeigt sich auch heute jeden Tag aufs Neue. Karl Marx hat den Kapitalismus in seiner historischen Dynamik begriffen und die wesentlichen Triebkräfte kapitalistischen Wirtschaftens offengelegt. Er beschreibt geradezu fasziniert die Fähigkeit des Kapitalismus, immensen Reichtum zu produzieren –  und analysiert zugleich die dem Kapitalismus inhärente Unfähigkeit, diesen Reichtum auch nur ansatzweise gerecht zu verteilen. Was dies bedeutet, lässt sich bestens in der heutigen Gesellschaft betrachten: Die Einkommensverluste, unter denen viele Menschen leiden, sind nicht etwa darauf zurückzuführen, dass sich der gesellschaftliche Reichtum verringert hätte. Im Gegenteil. Das Niveau der Wirtschaftsleistung hat sich in den vergangenen Jahrzehnten beachtlich erhöht, Unternehmen erzielen Rekordgewinne. Doch 40 Prozent der Menschen in Deutschland haben ein geringeres Einkommen zur Verfügung als 1999. Wirtschaftswachstum bei gleichzeitig zunehmender Ungleichheit ist im Kapitalismus eben kein Widerspruch.

Sicher, nicht alle Marxschen Prognosen sind eingetreten. Aber erstaunlich viele sind es. Und sehr viel mehr im Vergleich zu den Prognosen der vielen Wirtschaftsökonomen, die Marx so gern als obsolet abtun wollen. Marx braucht sich nicht zu verstecken, wenn es darum geht, seine ökonomische Theorie an der Fähigkeit zu messen, Ereignisse vorherzusagen. Dies liegt auch daran, dass er im Gegensatz zu vielen Mainstream-Ökonomen sein Denkgebäude auf der Realität und nicht auf Wunschdenken aufgebaut hat. Die schönen Gleichgewichtsmodelle, die heute üblich sind, gehen von einer Welt aus, in der der Markt alles zum Guten regelt, wenn man ihn nur von staatlicher Einwirkung befreit. Krisen, ungewünschte Arbeitslosigkeit, ungenutzte Kapazitäten – all das kommt unter den restriktiven Annahmen der Modelle nicht vor. Es wundert deshalb nicht, dass in einem solchen Gedankengebäude eine Finanzkrise, wie die von 2007/2008 und die nachfolgende Wirtschaftskrise, die in Teilen Europas bis heute anhält, nicht vorauszusehen war. Die Überraschung, die viele der hochgefeierten Ökonomen angesichts der Ereignisse ereilte, wäre Karl Marx erspart geblieben. Denn er erfasste in seiner Theorie die widersprüchliche Dynamik einer Wirtschaft, die wesentlich auf Profit ausgerichtet ist. Aus diesem Grunde prophezeite er die zunehmende Konzentration des Kapitals genauso richtig wie die Entstehung marktbeherrschender Oligopole und den Trend zur zunehmenden Globalisierung der Wertschöpfung.

Wer jedoch denkt, dass Marx' Kritik sich grundsätzlich gegen Marktwirtschaft richtete, irrt. Was Marx überwinden wollte, ist kapitalistische Produktion, die darauf beruht, dass eine Minderheit von der Arbeit anderer leben kann. An ihre Stelle neue Formen des Wirtschaftseigentums setzen, die Kreativität und Leistung fördern, ohne Ausbeutung zu ermöglichen.

150 Jahre sind seit Erscheinen der bedeutendsten Schrift Karl Marx' vergangen. 150 Jahre, in denen man die Mechanismen der kapitalistischen Wirtschaftsweise, wie sie Marx beschreibt, an der Realität überprüfen konnte. Wäre es jetzt nicht geboten, einen stärkeren Fokus darauf zu richten, die kapitalistischen Verhältnisse zu überwinden und mit der Erfahrung all der gescheiterten Versuche der Vergangenheit daran zu arbeiten, eine neue bessere Wirtschaftsordnung zu schaffen? Ich denke, es ist dringend an der Zeit, sich diesem Ziel neu zu widmen. Fangen wir an!

Wolfgang Gehrcke / Christiane Reymann (Hg.): Das Kapital, Ein Buch der Bücher nicht nur für Linke, PapyRossa Verlag Köln 2017, 10 Euro, ISBN 987-3-89438-647-4.