Das ist ein kalter Putsch gegen das Grundgesetz
Sahra Wagenknecht, MdB
Aus der Rede in der Bundestagsdebatte am 29. Juni 2012 über den Europäischen Rettungsschirm ESM und den Fiskalpakt:
(...) Schauen wir uns einmal die Zahlen an. Wenn der Fiskalpakt eingehalten wird, müssen die europäischen Staaten in den nächsten Jahren über 2.000 Milliarden Euro aus ihren Haushalten heraushacken: bei Gesundheit, bei Sozialem, bei Bildung und bei Renten. Was soll dann denn noch von Europa übrig sein? Herr Gabriel, jetzt zu behaupten, dass das durch die zusätzlichen 10 Milliarden Euro für die Europäische Investitionsbank und die Umwidmung einiger Gelder in der EU aufgefangen wird: Machen Sie sich doch nicht lächerlich! (Beifall bei der LINKEN)
Wer Wachstum und Wohlstand in Europa will, der muss den unsäglichen Fiskalpakt mit seinen billionenschweren Kürzungsdiktaten stoppen. Wer das nicht macht, der heuchelt. Das sage ich Ihnen ganz deutlich. (Beifall bei der LINKEN)
Vieles spricht dafür, dass die geplante Finanztransaktionsteuer eine Mogelpackung wird. Immerhin rechnet Herr Schäuble gerade einmal mit Einnahmen von 2 Milliarden Euro. Schauen Sie sich doch einmal an, was auf den Derivatemärkten umgesetzt wird. Eine ordentliche Steuer müsste wesentlich mehr einbringen.
Frau Merkel, ich sage Ihnen auch: Wenn Sie weiter die europäischen Staaten mit brutalen Kürzungsprogrammen in die Krise zwingen, statt sie endlich durch Direktkredite der Europäischen Zentralbank von der Zinstreiberei der Finanzmärkte unabhängig zu machen, dann werden Sie nicht als eiserne Kanzlerin in die Geschichte eingehen, sondern als Totengräberin des Euro. (Beifall bei der LINKEN)
Sie erzählen uns, dass der Fiskalpakt dazu da wäre, die Schulden zu senken. Auch das ist unwahr. Wenn Sie die öffentliche Schuldenexplosion eindämmen wollen, dann müssen Sie endlich aufhören, weitere Milliarden auf Pump in den Finanzsektor zu schleusen. Aber das haben Sie gar nicht vor; denn parallel zu diesem europäischen Kürzungspakt soll der Bundestag heute das nächste Milliardengrab absegnen, nämlich den ESM.
Sie haben vor kurzem einen Nachtragshaushalt beschlossen, in den schon einmal 8 Milliarden Euro eingestellt wurden, um die erste Überweisung an diesen großen, neuen Bankenrettungsschirm zu leisten. (...) Wer von dieser Umverteilung tatsächlich profitiert, kann man in Griechenland deutlich sehen. Zu Beginn seiner vermeintlichen Rettung hatte Griechenland 300 Milliarden Euro Schulden, die von Banken, Hedgefonds und vermögenden Privatanlegern gehalten wurden. Heute hat Griechenland 360 Milliarden Euro Schulden, aber für 300 Milliarden davon haften jetzt die europäischen Steuerzahler. An diesem Beispiel sieht man übrigens auch, was mit den vermeintlichen Hilfsgeldern passiert. Sie gehen nicht an griechische Rentner, sondern an die europäische Finanzmafia.
Spanien soll jetzt bis zu 100 Milliarden Euro für seine Banken bekommen. Auch das Geld wird nicht in Spanien bleiben. Allein die Deutsche Bank hat in Spanien 14 Milliarden Euro im Feuer. Sie ist natürlich hocherfreut, dass der deutsche Steuerzahler weiter brav überweist.
Herr Brüderle, Sie haben hier gerade populär herumgetönt, dass die Oma mit ihrem Sparbuch nicht für die Investmentbanker haften soll. Wenn Sie das ernst nehmen, müssen Sie und Ihre Fraktion heute aber geschlossen gegen den ESM stimmen; (Beifall bei der LINKEN) denn der bedeutet genau das, was Sie gesagt haben, dass nämlich Rentner, Beschäftigte und Arbeitslose für die Zockereien der Investmentbanker zahlen müssen. (Rainer Brüderle (FDP): Viele Grüße von Erich!)
Wer den Steuerzahler solchen Risiken aussetzt – wir reden hier über zwei gigantische Rettungsschirme mit einem Haftungsvolumen für Deutschland von 300 Milliarden, eventuell von 400 Milliarden Euro –, wer solche Risiken provoziert, sollte rot anlaufen, wenn er von Haushaltskonsolidierung redet. Nehmen Sie das doch von Ihnen selber beschworene Prinzip der Haftung nur einmal ernst: Wer den Nutzen hatte, soll auch den Schaden tragen. Wer hatte den Nutzen? Es ist doch kein Zufall, dass parallel zu den Staatsschulden auch die privaten Vermögen der oberen Zehntausend in Europa immer neue Rekorde erreichen. Holen Sie sich das Geld doch dort zurück. Da liegen die Milliarden, die uns fehlen. Sie können sie von dort holen – ohne Fiskalpakt und ohne Zerstörung der Demokratie. (Beifall bei der LINKEN)
Sie aber tun das Gegenteil. Sie vergemeinschaften die Schulden, gerade damit die Finanzvermögen der Reichen nicht entwertet werden. Um das nötige Geld einzutreiben, soll jetzt die Budgethoheit der Staaten zugunsten einer Brüsseler Eurokratie aufgehoben werden, weil die natürlich rücksichtsloser kürzen kann. Das ist doch die Wahrheit darüber, was dahintersteht. Das ist der Kern Ihrer Politik. Sie retten nicht den Euro, sondern Sie retten die Euros der Millionäre. (Beifall bei der LINKEN)
Dann seien Sie wenigstens so ehrlich und sagen das den Bürgern. Sagen Sie ihnen, dass sich der soziale Bundestaat, den das Grundgesetz festschreibt, mit den vorliegenden Verträgen erledigt hat. Sagen Sie ihnen, dass sie in Zukunft auch in Deutschland ein Parlament wählen dürfen, das nicht mehr viel zu sagen haben wird; denn auch Deutschland gehört zu den Ländern, deren Staatsverschuldung weit über dem liegt, was der Fiskalpakt verlangt. Sagen Sie den Menschen, dass das ein kalter Putsch gegen das Grundgesetz ist. (...)
Auf einer Pressekonferenz am 30. Juni 2012 in Berlin haben Gregor Gysi, Prof. Dr. Hans-Peter Schneider und Prof. Dr. Andreas Fisahn die Organ- und Verfassungsklage sowie den Eilantrag der Bundestagsfraktion DIE LINKE. gegen den ESM und den Fiskalpakt erläutert: "Es handelt sich um Gesetze, die noch nicht in Kraft getreten sind."