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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Das Establishment hätte zu Recht Angst vor uns

Sahra Wagenknecht, Berlin

 

Liebe Genossinnen und Genossen, was entfesselter Kapitalismus bedeutet, kann man nicht zuletzt im jüngsten Armutsbericht der Bundesregierung nachlesen: eine Gesellschaft, in der viele selbst von harter Arbeit nicht mehr leben können, in der privatisierte Profitjäger Kommunen und Verbraucher arm machen, in der für Renten angeblich das Geld fehlt, während Banken und andere Finanzhaie tausende Milliarden in morbiden Finanzpyramiden versenken, deren Trümmer dann doch wieder der Steuerzahler zusammenkehren muß.

Gegenwehr tut bitter not, und dazu, Widerspruch hörbar zu machen, hat die neue LINKE bereits im ersten Jahr ihrer Existenz erheblich beigetragen. Das hat zwar noch längst keinen Linksrutsch der neoliberalen Parteien, aber immerhin einen hektischen Wettbewerb im Linksblinken ausgelöst, in dem sich nun besonders die SPD hervortut.

Aber unverschämtes Lohndumping wird nicht durch öffentlichkeitswirksame Entrüstung beendet. Wer keine Hungerlöhne will, der muß eben auch sagen: Hartz VI muß weg, der muß sagen, Schluß mit Privatisierungen statt Verschleuderung jetzt auch noch der Bahn, der muß sagen: weg mit der ganzen Agenda 2010, denn das ist die Politik der Arbeitgeberverbände und Konzernvorstände, und wer Politik für die oberen Zehntausend macht, der sollte sich nicht wundern, wenn ihm die Wähler davonlaufen, denn er verdient es, auch nur noch von den oberen Zehntausend gewählt zu werden.

Es versteht sich eigentlich von selbst, daß so eine Partei für uns als Koalitionspartner im Bund nicht in Frage kommen kann.

Wir müssen uns von niemandem mehr einreden lassen, nur in der Regierung würden wir "Verantwortung" übernehmen und das Land verändern. Die LINKE beweist, daß konsequente Oppositionspolitik sehr viel verantwortungsvoller sein und letztlich auch mehr bewegen kann, als eine Regierungseinbindung, bei der man allzu leicht das eigene Gesicht verliert, gerade wenn die möglichen Partner so aussehen, wie sie aussehen.

Die Tragödie der italienischen Linken – die vor wenigen Jahren genau das war, was wir heute sind: ein Hoffnungsträger – diese Tragödie nach weniger als drei Jahren Mitregieren müssen wir ernst nehmen. Und in Rom selbst kann man mit Grausen besichtigen, wie die möglichen Profiteure einer solchen Entwicklung aussehen können.

Geschichte wiederholt sich nicht, aber daß der braune Schoß heute europaweit so fruchtbar ist wie lange nicht mehr, hat Gründe, und auch und vor allem, um dem zu widerstehen, brauchen wir eine starke Linke.

Und wir brauchen sie, um dazu beizutragen, daß aus der passiven Ablehnung neoliberaler Politik, die inzwischen Mehrheiten tragen, endlich ein ähnlich breiter aktiver Widerstand entsteht. Das ist viel wichtiger als alle rot-roten Farbenspiele.

Wir müssen die Menschen in vielen Fragen gar nicht mehr von unseren Positionen überzeugen. Wir müssen sie vor allem davon überzeugen, daß wir tatsächlich auch zu diesen Positionen stehen, daß die LINKE nicht eine jener Parteien ist und auch niemals werden wird, die in der Opposition das Blaue vom Himmel versprechen und alle Prinzipien über Bord werfen, sobald ein Zipfel vermeintlicher Macht in Reichweite gerät.

Denn daß sich Parteien nach diesem Muster verhalten, das haben die Leute einfach zu oft erlebt, und gerade einer linken Partei wird so etwas am wenigstens verziehen.

Durch antikommunistische Kampagnen oder durch Schnüffler vom Verfassungsschutz wird uns niemand kleinkriegen.

Schwächen können wir uns nur selbst, wenn wir zulassen, daß unser linkes Profil unklar und verschwommen wird, sei es durch eilfertige Bekenntnisse zur deutschen Staatsräson und die Abgrenzung von antiimperialistischen Positionen, sei es, weil ein 50-Milliarden-Investitionsprogramm offenbar das Vorstellungsvermögen auch einiger Genossen unserer Partei übersteigt, oder sei es, weil Gewerkschaften uns in einer Landesregierung eben nicht als Partner, sondern als Gegner wahrnehmen.

Die große Akzeptanz, die wir schon jetzt haben, die haben wir gerade als glaubwürdige Opposition gegen Neoliberalismus und Kapitalismus gewonnen, als Partei, die heute um Veränderung kämpft und Perspektiven auch für das Morgen anzubieten hat, weil sie den Mut hat, die Systemfrage zu stellen. Ich bin überzeugt, wenn wir diesen Weg weitergehen, dann hat das politische Establishment zu Recht Angst vor uns.

Rede auf dem Parteitag am 25. Mai 2008 zur Vorstellung als Kandidatin für die Wahl in den Vorstand