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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Das Attentat

Prof. Dr. Kurt Finker, Potsdam

 

Hintergründe und Bedeutung des 20. Juli 1944 bestehen nicht nur in dem Sprengstoffattentat, bei dem Hitler nicht getötet, sondern nur leicht verletzt wurde; sie sind umfassender und widerspruchsvoller: Das Attentat sollte der notwendige Auftakt sein für einen militärisch-politischen Umsturz, über dessen Ziele und Charakter allerdings recht unterschiedliche Vorstellungen bei den beteiligten Gruppen und Personen bestanden. Bereits zum 1. Jahrestag des Ereignisses 1945 kritisierte Anton Ackermann, damals Mitglied des Sekretariats des ZK der KPD, in dem Zentralorgan der Partei "Deutsche Volkszeitung" jene, die die Volkserhebung "durch eine Art Palastrevolution ersetzen" wollten, und schrieb: "Die lange Liste der namhaften Personen ..., die abgesetzt, vom Posten gejagt oder aus der Wehrmacht ausgeschlossen, erschlagen, verhaftet und gehängt wurden, ließ auch den fernstehenden Beobachter erkennen, daß es sich bei den Männern des 20. Juli keinesfalls um eine ‚kleine Gruppe’ und auch nicht nur ‚aufrührerische Generale und Offiziere’ handelte, sondern um eine relativ bedeutende illegale Bewegung entschlossener Männer aus ganz verschiedenen Lagern und verschiedenen Schichten des Volkes." Es wäre völlig abwegig, so Ackermann, "die Bewegung auf die Generale und Offiziere zu beschränken, die an diesem Tage aktiv in Erscheinung traten. Diese Bewegung ging vielmehr vom Generalfeldmarschall über christliche Gewerkschaftsführer und sozialdemokratische Funktionäre bis zu kommunistischen Gruppen in Betrieben und Wohnbezirken." Doch zugleich verwies er auf dominante Hemmnisse: "Eine bestimmte Illoyalität der Generale und Offiziere des 20. Juli gegenüber den antifaschistisch-demokratischen Kräften kann nicht bestritten werden. In der politisch entscheidenden Frage, der Frage der Einheit aller antifaschistischen Kräfte, fehlte es auf der einen Seite an der notwendigen Aufrichtigkeit und Folgerichtigkeit." [1] 

Der Terror und der Widerstand in der Gesellschaft

Die Errichtung der blutigen Nazidiktatur, Aufrüstung, Hofierung des Hitlerregimes durch die Regierungen Italiens, Frankreichs, Großbritanniens, Polens u. a., schrittweise Beseitigung des Versailler Vertrages, Anspruch auf deutsche Weltmachtstellung fanden – mit wenigen Aus­nahmen – die einhellige Zustimmung der maßgebenden Generale und bürgerlichen Politiker. Der Nazi- und NATO-General Dr. Hans Speidel schrieb 1977 in seinen Memoiren über das Jahr 1933: "Äußerlich ging das Leben in Berlin zunächst seinen gewohnten Gang, von einem polizeilichen Druck war wenig zu spüren, das Rowdytum der SA war nur sporadisch." [2] Und das zu einer Zeit, als sich bereits über 20.000 Antifaschisten, zumeist Kommunisten, aber auch Sozialdemokraten, bürgerlich-christliche Demokraten und andere Nazigegner, in Konzentrationslagern und Zuchthäusern befanden! Der Widerstandskampf und seine blutige Unterdrückung wurden von der Großbourgeoisie, den Großgrundbesitzern, Generalen und hohen Beamten – wenn überhaupt – nur marginal zur Kenntnis genommen – war er doch zu etwa 75 Prozent kommunistisch, 10 Prozent sozialdemokratisch und 3 Prozent christlich-bürgerlich. Doch die terroristisch-demagogische und aggressive Politik der faschistischen Machthaber rief allmählich auch bei einigen Militärs, konservativen Politikern und Großkapitalisten Be­sorgnis hervor. Heeresgeneralstabschef Ludwig Beck trat 1938 von seinem Posten zurück, weil er die Gefahr eines Zweifrontenkrieges heraufziehen sah. Der konservative Politiker Dr. Carl Goerdeler, der Beziehungen zum Großindustriellen Robert Bosch besaß, gab 1937 sein Amt als Oberbürgermeister von Leipzig auf, vereinigte um sich eine Schar Gleichgesinnter, die bei Fortsetzung der Hitler-Göring-Himmler-Politik den Sturz in die Katastrophe fürchte­ten. Er knüpfte Kontakte zu bürgerlich-konservativen Oppositionellen, aber auch zu Sozial­demokraten und bürgerlichen Demokraten wie Wilhelm Leuschner, seit 1932 stellvertretender Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes, zu Dr. Julius Leber, ehemals SPD-Reichstagsabgeordneter, zu Jakob Kaiser, einem Führer der christlichen Gewerkschaf­ten. Seit 1940 sammelte sich um den schlesischen Gutsbesitzer und Juristen Helmuth James Graf von Moltke, Urgroßneffe des preußischen Feldmarschalls Helmuth Carl Bernhard von Moltke, sowie den schlesischen Gutsbesitzer und Oberregierungsrat Dr. Peter Graf Yorck von Wartenburg, Vetter Stauffenbergs und Ururenkel des Generals Graf Hans David Yorck von Wartenburg, der 1812/13 die Konvention von Tauroggen abgeschlossen. hatte, eine Gruppe von oppositionellen Beamten, Offizieren, Geistlichen sowie sozialdemokratischen Politikern, später genannt "Kreisauer Kreis" nach dem Moltkeschen Gut Kreisau.

Entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung dieser Gruppierung gewannen die militärischen Ereignisse 1942-1944: die Siege der Sowjetarmee vor Moskau 1941/42, in Stalingrad 1942/43, bei Kursk im Sommer 1943 bis zur Bjelorussischen Operation im Sommer 1944, die die Heeresgruppe Mitte zerschlug; die Vertreibung der Deutschen und Italiener aus Nordafri­ka bis Mai 1943, die erfolgreiche Landung der Alliierten an der Kanalküste 1944.

Von wesentlicher Bedeutung war, daß sich 1942/43 eine Gruppe jüngerer Offiziere – 1933 und Jahre danach durchaus noch Anhänger des "Führers" – angesichts der militärischen Er­eignisse und vor allem in wachsender, erschütternder Kenntnis der von den Nazis verübten Verbrechen zum Handeln entschloß. Im Stab der Heeresgruppe Mitte der Ostfront formierte sich eine aktive Gruppe unter Führung des Generalmajors Henning von Tresckow, die bereits im März 1943 einen Attentatsversuch auf Hitler unternahm, der jedoch mißlang. Im Stab des Militärbefehlshabers Frankreich in Paris wirkte Cäsar von Hofacker, ein Vetter Stauffenbergs, Prokurist bei den Vereinigten Stahlwerken, Reserveoffizier, der die Verbindung zwischen den Gruppen in Paris und Berlin herstellte und Kontakte zur französischen Résistance und zur Bewegung "Freies Deutschland" in Frankreich besaß. Eine weitere Gruppe bildete sich im Oberkommando des Heeres und im Generalstab in Zossen/Wünsdorf unter Leitung der Generäle Friedrich Olbricht, Helmuth Stieff und des Obersten Mertz von Quirnheim, der die Entscheidung seines Schwagers General Dr. Otto Korfes billigte, der 1943 in sowjetischer Kriegsgefangenschaft den Bund Deutscher Offiziere mitbegründet hatte. "Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein! Diese Minderheit, die durch Morden, Plündern und Sengen den deutschen Namen besudelt, wird das Unglück des ganzen deutschen Volkes werden, wenn wir ihnen nicht bald das Handwerk legen", schrieb Stieff im November 1939 an seine Frau [3]. Die Gruppe gewann an Aktivität durch den Obersten Claus Schenk Graf von Stauffenberg, aus einer bayerisch-württembergischen Adelsfamilie stammend, ein Ururenkel Gneisenaus, im April 1943 in Afrika schwer verwundet, der im Juni 1944 als Stabschef beim Befehlshaber des Ersatzheeres in Berlin eingesetzt wurde.

Stauffenberg und die Arbeiterbewegung

Stauffenberg beschränkte sich nicht auf die Vorbereitung der militärischen Aktion, sondern erörterte auch mit bürgerlichen und sozialdemokratischen Politikern, insbesondere mit Dr. Julius Leber, politische und soziale Fragen der künftigen Gestaltung Deutschlands. Im Juni 1944 war er einverstanden, daß Leber und Adolf Reichwein Kontakt mit der illegalen kom­munistischen Widerstandsgruppe unter Leitung von Franz Jacob und Anton Saefkow in Berlin aufnahmen. Zum gemeinsamen Handeln kam es nicht mehr, da alle Beteiligten infolge von Verrat verhaftet wurden.

Ehemalige SPD- und Gewerkschaftsfunktionäre waren bemüht, in den illegalen Widerstands­gruppen der Arbeiterbewegung eine Basis für den geplanten Umsturz zu schaffen. Besondere Aktivität entwickelte dabei der sozialdemokratische Pädagoge Prof. Dr. Adolf Reichwein, der noch aus der Weimarer Zeit Verbindungen zu Kommunisten besaß und zum Kreisauer Kreis gehörte. So gab es 1944 aus Sozialdemokraten und Kommunisten bestehende illegale Gruppen insbesondere im Raum Berlin, in Sachsen, Thüringen, Mecklenburg, Hamburg, Hessen [4], die allgemein von einem geplanten Umsturz informiert waren und auf das Signal warteten. Über die künftige Gestaltung Deutschlands existierten gegensätzliche Vorstellungen. Goerdeler, Botschafter a. D. Ulrich von Hassell, der preußische Finanzminister Johannes Popitz u. a. erstrebten anfangs eine konstitutionelle Monarchie, es gab Kontakte zum Kaiserenkel Louis Ferdinand Prinz von Preußen. Vorherrschend war der Plan einer konservativ-rechtsstaatlich verfaßten Republik, mit einigen beschränkten Rechten und Freiheiten für die Volksmassen, aber durch die "Eliten" des Großkapitals, des Großgrundbesitzes, des Militärs, der hohen Beamtenschaft dominiert. Während Leber, Leuschner und andere Sozialdemokraten bereit waren, der alliierten Forderung nach bedingungsloser Kapitulation nachzukommen, hofften Goerdeler, Hassell und der erst im Sommer 1944 zur Opposition gestoßene "Wüstenfuchs" Feldmarschall Erwin Rommel, mit den Westmächten Waffenstillstand schließen und die Ostfront halten zu können.

Das Scheitern des Unternehmens löste eine Terrorwelle aus, der etwa 160 bis 180 Menschen, die mehr oder weniger beteiligt waren, zum Opfer fielen. Die Naziführung nahm das Ereignis darüber hinaus zum Anlaß für eine umfassende Verhaftungs- und Ausrottungsaktion gegen alle, die für eine künftige demokratische Neugestaltung in Frage kamen. Zu den Opfern gehörte Ernst Thälmann, der auf direkte Weisung Hitlers am 18. August 1944 im KZ Buchenwald erschossen wurde. Thälmann befand sich seit 1933 in Nazihaft und hatte mit der Verschwörung nichts zu tun.

Ein Ehrenplatz in der Geschichte des Widerstandskampfes

Die Beurteilung des 20. Juli war auch in der DDR nicht unumstritten. Im Zuge der von der SED-Führung seit 1947/48 betriebenen Durchsetzung der "führenden Rolle der marxistisch-leninistischen Partei" gerieten vielfach nichtkommunistische Antifaschisten an den Rand des Geschichtsbildes. So hieß es in einer Studie von 1959: "Jede nähere Untersuchung zeigt, daß im Zusammenhang mit den Ereignissen vom 20. Juli von antifaschistischem Kampf nicht die Rede sein kann. Die Verschwörung war das Werk einer Gruppe reaktionärer Politiker und Militärs, die von gewissen Kreisen des Finanzkapitals um Schacht, Krupp, Bosch, Flick, Siemens u. a. inspiriert und gelenkt wurde, und die deren Interessen vertrat." [5] In den 60er und 70er Jahren erarbeiteten jedoch DDR-Historiker ein realistisches Bild und werteten den 20. Juli als bedeutenden Teil des antifaschistischen Widerstandskampfes, ohne dabei die zugleich vorhandenen reaktionären Züge zu verschweigen. Am 18. Juli 1984 führten Historiker-Gesellschaft und Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR in Berlin ein Kolloquium durch, in dem es im Hauptreferat hieß: "Die Aktion vom 20. Juli 1944 mißlang, die Handelnden fielen dem faschistischen Terror zum Opfer. Dennoch war dieser Einsatz nicht sinnlos. Es war eine Tat von historischem und nationalen Rang, er hat einen Ehrenplatz in der Geschichte des deutschen antifaschistischen Widerstandskampfes ... Ein Gelingen des Aufstandes hätte dem deutschen Volk und anderen Völkern gewaltige Opfer erspart. Fast zwei Drittel seiner Menschenverluste erlitt Deutschland nach dem 20. Juli 1944; auf diese Zeit entfielen mehr als 60 Prozent der materiellen Zerstörungen." [6] 

Ein Erfolg des Umsturzes hätte sicher noch keine demokratische Republik gebracht, aber den Krieg beendet, die Verluste des letzten Kriegsjahres vermieden, das Terrorsystem beseitigt und Möglichkeiten für die Entfaltung einer Volksbewegung geschaffen. Ohne schärfere Aus­einandersetzungen wäre es dabei aber sicher nicht abgegangen.

In der BRD galten bei der Beurteilung des 20. Juli die Verschwörer zunächst meist als "Eidbrüchige", als "Landesverräter". Noch in jüngster Zeit stellte Konstanze von Schulthess, eine Tochter Stauffenbergs, in veröffentlichten Erinnerungen an ihre Mutter fest: "Der deutsche Widerstand galt kurz nach dem Krieg nicht gerade als heroische Episode in einer dunklen Zeit. Das mußte meine Mutter schnell erkennen, denn die breite öffentliche Anerkennung ihres Mannes und seiner Mitverschwörer stand noch lange bevor." [7] Im Zuge der Konstituierung der BRD mit ihren 21 NS-Ministern und -Staatssekretären, 100 NS-Generalen und -Admiralen, 245 NS-Diplomaten, 828 hohen NS-Justizbeamten usw. und ihrer Einbeziehung in das westliche Bündnis bedurfte dieser Staat auch einer Anti-Hitler-Legitimation, die aber zugleich militant antikommunistisch zu sein hatte. Hier boten sich die Konservativen des 20. Juli an, waren sie doch geeignet, wie der Münchner Historiker Prof. Martin Broszat schrieb, "die eher peinliche Tatsache zu verdecken, daß zwischen den ehemaligen aktiven Widerstandskämpfern und dem neuen politischen Führungspersonal der Bundesrepublik eine nur sehr schwache Verbindung bestand." [8] Bereits 1945 verkündete Dr. Marion Gräfin Dönhoff anmaßend die – seitdem oft wiederholte – Doktrin: "Zum erstenmal jährt sich der Tag, an dem Deutschland mit einem Schlage seine besten, seine wirklich letzten Patrioten, verloren hat." [9] In diesem Sinne erhielt der 20. Juli die "Weihe", einziger Ausdruck des deutschen Widerstandes gewesen zu sein. In der Folgezeit wurde diese "Weihe" noch dahingehend ausgedehnt, "preußischer Geist" und "preußischer Adel" seien die ideellen und personellen Hauptkräfte dieses "Widerstandes" gewesen. Auf einer Historikerkonferenz im Juli 1984 in Westberlin ging Regierungsdirektor Dr. Ekkehard Klausa noch weiter: "Am 20. Juli 1944 hat der soldatische 'Geist von Potsdam' noch kurz vor Toresschluß Hitlers 'Tag von Potsdam' widerlegt". [10] Im Gegenzug durften "Widerstandskämpfer" wie Nazipropagandist Eugen Gerstenmaier 1956, KZ- und Rüstungsbaumeister Heinrich Lübke 1964, Nazigeneral Hans Speidel 1966, Naziblutrichter Hans Filbinger 1974 in Westberlin "Gedenkreden" zum 20. Juli halten!

 

Anmerkungen:

[1] Anton Ackermann: Der 20. Juli 1944 und seine Lehren. Die Hintergründe großer und zugleich tragischer Ereignisse. In: "Deutsche Volkszeitung" vom 20. Juli 1945, S. 3.

[2] Hans Speidel: Aus unserer Zeit. Erinnerungen. Berlin/Frankfurt/Wien 1977, S. 52.

[3] Helmuth Stieff: Briefe. Berlin 1991, S. 108.

[4] Axel Ulrich: Der "20. Juli 1944" und seine Verbindungen nach Wiesbaden. In: Peter Joachim Riedle (Hrsg.): Wiesbaden und der 20. Juli 1944. Wiesbaden 1969.

[5] Zum Charakter der Verschwörung vom 20. Juli 1944. In: "Militärwesen", Berlin, Heft 6/1959, S. 33.

[6] Historiker-Gesellschaft der DDR. Wissenschaftliche Mitteilungen 1985/I-II, S. 23 f.

[7] Konstanze von Schulthess: Nina Schenk Gräfin von Stauffenberg. Ein Porträt. München und Zürich 2008, S. 199.

[8] Martin Broszat: Nach Hitler. Der schwierige Umgang mit unserer Geschichte. München 1988, S. 316.

[9] "Die Zeit", 19. Juli 2001, S. 84.

[10] Ekkehard Klausa: Preußische Soldatentradition und Widerstand. Das Potsdamer Infanterieregiment 9 zwi­schen dem "Tag von Potsdam" und dem 20. Juli 1944. In: Der Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Mün­chen/Zürich, 1985, S. 535.