Daniela Dahn: Bilanz nach 20 Jahren
Dr. Friedrich Wolff, Stolzenhagen
Ein ungewöhnliches Buch. Ein ungewöhnlicher Titel. Eine ungewöhnliche Bürgerrechtlerin. Alles reizt zum Lesen. Man kennt das "Vae victis!" Das "Wehe dem Besiegten!" Das Wehe dem Sieger! ist unbekannt. Die Ossis wissen, sie sind die Verlierer und die Wessis selbstverständlich die Sieger. Und jetzt kommt ein Ossi und sagt: Wehe! Wie kann das sein? Man weiß aus dem Geschichtsunterricht, es gab einmal im alten Griechenland einen Herrscher, der errang einen Sieg, aber er hatte sich dabei übernommen. Mein Jahrgang kennt aus eigener Erfahrung das Wort zu Tode siegen. Auch Napoleon hatte sich zu Tode gesiegt. Was für den Krieg gilt, gilt nach Daniela Dahn auch für politische Siege. Eine neue Erkenntnis. Dahn bringt es auf griffige Formulierungen: Ohne Osten kein Westen! So der Untertitel ihres Buches. Sie selbst bezeichnet es als den bescheidenen Versuch, "die Geschichte seit dem Untergang des Sozialismus einmal anders zu erzählen. Weil die bisherigen Deutungen weiße Flecken und Paradoxien hinterlassen".
"Der Wettlauf um die bessere Sozialpolitik" ist ein Abschnitt im Kapitel "Die Untergangsgesellschaft" überschrieben. Sicher, man weiß dies und jenes davon aus eigenem Erleben, aber diese Gesamtschau hat es in sich, das hat man so noch nicht gelesen.
Alles ist interessant, fast alles überzeugt. Die einstige Bürgerrechtlerin sieht natürlich manches anders als der Rezensent. So meint sie: "Was den juristischen Umgang mit Andersdenkenden betrifft, so ist der Begriff Unrechtsregime allemal gerechtfertigt". Wenn es beim Andersdenken geblieben wäre, wäre in der DDR niemand verurteilt worden. Gerade dadurch gewinnt jedoch alles an Bedeutung, was Daniela Dahn in dem Abschnitt "Zwei deutsche Diktaturen" schreibt. Schließlich kommt sie auch zu dem Ergebnis: "Wider alle politische Absicht hat sich bestätigt, daß die DDR mit dem pauschalisierenden, unwissenschaftlichen Begriff 'Unrechtsstaat' nicht zu beschreiben ist".
Im vorletzten Absatz teilt uns die Autorin mit: "Aristoteles lehrte: Wem der Zorn fehlt, dem fehlt Selbstachtung. Wenn sich die krisenhafte Entwicklung zuspitzt, ist auch eine Globalisierung des Zorns zu erwarten. Prekarier aller Länder vereinigt euch!"
Das hört sich anders an als die Worte, die im ND vom 24. April 2009 unter der Überschrift Schwans Fieberfantasien zu lesen waren: "Jedoch kann ihre Befürchtung, daß sich soziale Unruhen, in welcher Form auch immer, ereignen könnten, getrost als eine Fieberfantasie abgetan werden". Da sieht die Bürgerrechtlerin klarer.
Fazit: Unbedingt lesen!
Wehe dem Sieger! – Ohne Osten kein Westen, Hamburg: Rowohlt 2009, 304 S., 18,90 €, ISBN: 978-3-498-01329-5.