Carl von Ossietzky (1889 - 1939)
Zum 125. Geburtstag
Am 3. Oktober 1889 wurde Carl von Ossietzky geboren. Der Journalist und Verleger der »Weltbühne« überlebte seine Entlassung aus dem faschistischen KZ nur um etwas mehr als ein Jahr. Für sein Wirken als Antifaschist und Friedenskämpfer war ihm 1936 rückwirkend der Friedensnobelpreis verliehen worden.
Die Weltbühne, 1. Dezember 1931:
[...] Wir stehen an einem schicksalsvollen Wendepunkt. In absehbarer Zeit schon kann der offene Fascismus ans Ruder kommen. Dabei ist ganz gleichgültig, ob er sich seinen Weg mit sozusagen legalen Mitteln frei macht oder mit solchen, wie sie der Henkerphantasie eines hessischen Gerichtsassessors entstiegen sind. Das Wahrscheinliche dürfte eine Zusammenfassung von beiden Methoden sein: eine Regierung, die beide Augen zudrückt, während die Straße der Hooligan- und Halsabschneiderarmee der SA-Kommandeure ausgeliefert bleibt, die jede Opposition als »Kommune« blutig unterdrücken. Noch ist die Möglichkeit der Zusammenfassung aller antifascistischen Kräfte vorhanden. Noch! Republikaner, Sozialisten und Kommunisten, in den großen Parteien Organisierte und Versprengte - lange werdet ihr nicht mehr die Chance haben, eure Entschlüsse in Freiheit zu fassen und nicht vor der Spitze der Bajonette! Die Zeit der isolierten Aktionen geht zu Ende, der Bürgerkrieg der Sozialisten wird seinen eifrigsten Kombattanten plötzlich fragwürdig. In diesen ganz großen Dingen spielt der Weltbühnen-Prozeß nur eine bescheidene Rolle, aber die Bewegung, die er im Gefolge hat, gibt doch wieder eine ferne Vision von der Macht kameradschaftlichen Abwehrwillens, der sich nicht nur schützend vor einzelne Personen stellt, sondern eine Sache groß auf die Fahne schreibt. Wir wollen mit dem starken Wort von der Roten Einheitsfront keinen vorschnellen, die natürliche Entwicklung schädigenden Unfug treiben. Es ist noch lange nicht soweit, noch sind die Hemmnisse zu groß. Noch kämpft die deutsche Arbeiterschaft gegen Wind und Sonne. Aber es ist heute die beglückende Tatsache zu verzeichnen, daß der Sinn für das wieder wächst, was der größte deutsche Freiheitsdichter etwas zu pathetisch, aber doch mit einem Feuer ausgedrückt hat, das auch in unsrer härter und sachlicher gewordenen Zeit noch brennt: »Es ist ein Feind, vor dem wir alle zittern, und eine Freiheit macht uns alle frei!«
Die Weltbühne, 15. Dezember 1931:
[…] Kommt Hitler also doch? Vor acht Tagen war der Schreckensruf »Fascismus ante portas!«. Brünings Rede hat ihn nicht verscheucht, er ist nur einstweilen stehengeblieben. Gewiß will Brüning vor Hitler weder ruhmlos abtreten noch als minderberechtigter Partner vorihm kuschen. Der Reichskanzler mag sich seine eigne Methode ausgedacht haben, mit dem Fascismus fertig zu werden. Aber um eine Methode‚ die man nicht kennt, zu tolerieren‚ dazu gehört Vertrauen, und dieses Vertrauen haben wir zu Herrn Brüning nicht, wie wir das hier vom ersten Tage seiner Kanzlerschaft an betont haben. Brüning will nur die Anmaßung des Fascismus, seinen Anspruch auf Alleinherrschaft‚ brechen, nicht ihn selbst.
Neben den wirtschaftlichen Bestimmungen der Notverordnung sind die politischen in der öffentlichen Diskussion vernachlässigt worden. Und doch verdienen sie nicht minder Beachtung. Sie geben einen wertvollen Einblick, wie sich die Regierenden die Abwehr des umstürzlerischen Nationalsozialismus vorstellen. Zunächst: die Herren wollen die Republik retten, indem sie sich Unterstützung durch republikanische Kräfte verbitten und diese unerwünschte Unterstützung unter Strafe stellen. Das undifferenzierte Versammlungsverbot, das Verbot, Uniformen und Abzeichen zu tragen, trifft ja nicht nur die Nazis, sondern viel ärger die von links. Ist es der Regierung ernst damit, den Verfassungsstaat zu verteidigen, so kann sie auf die Mobilisation aller demokratisch-republikanischen Kräfte nicht verzichten. Die res publica ist die öffentliche Sache. Der Staat, den Brüning und die andern verteidigen, ein Homunculus, ein Retortengeschöpf. Die vergebliche Parität wird in der Praxis zum schreiendsten Unrecht. Denn die Organisation des Staates selbst, Militär, Exekutive, Beamtentum, steckt voll von unzuverlässigen Elementen. So wie die Justiz durchweg jeden Rotfrontmann bisher härter anfaßte als einen Nationalsozialisten, so wird der Mann aus dem republikanischen Verband in Zukunft schlechter dran sein als der vom Stahlhelm oder von Hitler. Aber es ist schon grotesk genug, daß Loyalität ebenso bestraft werden soll wie Auflehnung.
»Es ist schlimm um einen Staat bestellt, der seinen Bürgern verbietet, Abzeichen in seinen Farben zu tragen«, ruft der Bundesvorstand des Reichsbanners. Richtig, richtig, richtig. Doch dann heißt es: »Über ein kurzes, dann wird auch diese Regierung einsehen müssen ...« Nein, meine Herren, diese Regierung wird gar nicht einsehen. Diese Hoffnung ist ebenso töricht wie die Parole »Staat, greif zu!«. Wenn dieser Staat zugreift, so nimmt er, wie er es immer getan hat, die Republikaner zuerst. Wäre die Regierung wirklich gewillt, gegenüber dem Nationalsozialismus Autorität zu zeigen, so hätte sie Hitler an dem Tage, wo er wie der Chef einer Nebenregierung im Kaiserhof Parade abhielt, als Hochverräter verhaften lassen müssen, ebenso wie Rosenberg bei seiner Rückkehr aus London. Dann dürfte auch Herr Gregor Strasser nicht mehr frei herumlaufen, der soeben wieder in Stuttgart gedonnert hat: »Und wenn wir bis an die Knöchel in Blut stehen müssen um Deutschlands willen, so haben wir es haben wollen.« Dann dürfte dieser Oberreichsanwalt sich nicht mehr auf seinem Posten befinden, der - nach den Worten des »Berliner Tageblatts« - für die Verfasser der Boxheimer Mordpläne eine Entlastungsaktion vorgenommen hat. Und dieser Herr Werner, der längste Arm des Staates, soll zupacken? Armes Reichsbanner, er wird dich zuerst haben und dich nicht so glimpflich behandeln wie Best und seine Bluthunde. […]