Bundeswehr all over the world
Rolf Richter, Eberswalde
"Brauchen wir wirklich Tropenanzüge für die Soldaten?" [1]
So fragte die pazifistische Publizistin Dorothee Sölle ahnungsvoll vor zwanzig Jahren zur Zeit deutschen "Engagements" im Bosnienkrieg. [2] Sölle vermerkte das "faschistoide Feindbild" in den Medien. Statt zu vermitteln, instrumentalisiere deutsche Politik Konflikte, um "uns mal wieder an die Gewalt zu gewöhnen".
Heute leidet das Berliner politische Personal an der Psychose, womöglich die Beteiligung an einer gewaltsamen Auseinandersetzung zu verpassen. Die Nichtteilnahme an der Libyen-Intervention wird inzwischen. als "Schande" bewertet. Kennzeichnender Zug des deutschen Bellizismus ist Verlogenheit. Friedensengel spielen und zugleich Kriegsprofiteur sein, sich neutral geben, aber westliche Interessen gewaltsam durchsetzen. Die Bundesmarine kontrolliert die libanesische Küste - für Israel und gegen die Hisbollah. In der Türkei steht die Bundeswehr bereit, um in den syrischen Konflikt einzugreifen. In Mali muss man der französischen Armee "helfen", jedenfalls mindestens mit drei Flugzeugen "dabei sein". Die Muster sind immer gleich - jetzt heißt das Feindbild "Islamisten", wirkliche Aggressionsopfer und wahre Interessen werden verschleiert. Nicht David, sondern Goliath sei das Problem, fand Sölle. Reden wir also von Goliath und David.
Die Region. Sahara und Sahelzone
Die Länder des westlichen Sudan haben wechselnde Anteile an Sahara (0-250 mm Regen, Oasenwirtschaft) und Sahel (250-600 mm, Trockensteppe), die nur nomadisierende Weidewirtschaft erlaubt. Im Süden (800-1500 mm) werden als Haupt-Exportkulturen Baumwolle und Erdnüsse (z.T. als Monokultur) und Hirse als Hauptgetreide gebaut. Die stark wechselnden Niederschläge bewirken zyklisch Nahrungsmangel, Migrationen der Bevölkerung nach Süden (Konfliktursache!) und stark schwankende Exporterlöse. Rohstoffe: Exportiert werden Phosphat (Senegal), Eisenerz (Mauretanien), Gold (Mali), Uran, Zinn (Gruben bei Arlit, Niger), Erdöl (Tschad; Pipeline nach Kamerun). Reiche Lager an Schwermetallen (Elemente Cr, Mn, Ni, Pb, Ta, Ti, Va, W, Zr) und seltenen Erden sind nachgewiesen. [3] Ethnische Inhomogenität, Bevölkerungswachstum über 3 %, Analphabetenraten über 30 %, starke Weltmarktabhängigkeit, Außenhandelsdefizit, hohe Arbeitslosigkeit kennzeichnen die meisten Staaten. Soziale Verteilungskämpfe münden in politische Instabilität: Staatsstreiche, Militärputsche und lang dauernde Bürgerkriege (vor allem Tschad [4]). Die sozialen Unruhen des sogenannten "Arabischen Frühlings" erfassten 2011/12 auch Senegal, Mauretanien und Burkina Faso. General Amadou Touré, seit 2002 demokratisch gewählter Präsident von Mali, wurde im April 2012 von rebellischen Militärs gestürzt. Es folgten Gegenputsch und Straßenkämpfe in Bamako.
Goliath. Die Franzosen in Afrika
Nach der blutigen französischen Eroberung Westafrikas entstanden die einzelnen Kolonien von "Afrique Occidentale Française" (A.O.F.). Die Grenzziehung erfolgte ohne Rücksicht auf Wirtschafts- und Siedlungsgebiete der verschiedenen Ethnien. [5] Eklatanter Verlierer dieser kolonialen Grenzziehung war das Berbervolk der Tuareg, das traditionell die Sahara und die südlich anschließende Sahelzone nomadisierend durchstreift (Karte von A.O.F.: Tuareggebiete punktiert [6]). Die Weidegebiete der ehemals Rinder- und Kamelhaltung treibenden Tuareg (Imoshaq) sind ähnlich wie das Siedlungsgebiet der Kurden auf mehrere Staaten aufgeteilt, in denen die Tuareg Minderheiten bilden und in denen ihre Sprache (Tamasheq) und Kultur gefährdet sind. Die aus den einzelnen Kolonien hervorgegangenen Staaten haben noch heute die Hypothek dieser kolonialen Vergangenheit zu tragen. Mit ihnen hat Frankreich 23 - zumeist noch heute geheime - Militärabkommen abgeschlossen. Präsident De Gaulle hat im Falle der damaligen Mali-Föderation (Senegal und Französisch Sudan) 1959 für die Unabhängigkeit u.a. als Bedingung durchgesetzt: a) Verbleib des Staates im Verbund der Französischen Gemeinschaft, b) Stationierung französischer Truppen. [7] 1964 waren 3.000 französische Offiziere als Ausbilder und Instrukteure in den ehemaligen afrikanischen Kolonien tätig. In den Stützpunkten Dakar, Fort Lamy (heute N'Djamena), auf Madagaskar und in mehreren Luftbasen waren insgesamt ca. 10.000 Mann stationiert. [8] Mit Stand 2008 waren es noch immer in Dakar (Senegal) 1.125, in Tschad 1.250, in Elfenbeinküste 1.800 Mann. Weitere Kontingente standen in der Zentralafrikanischen Republik (Oubangui-Chari, 200 Mann), in Gabun (980 Mann) und Djibouti (2.900 Mann). [9] Sterne auf der Karte zeigen die Standorte. Die Truppe in Tschad hat 2007 im Bürgerkrieg zugunsten des Präsidenten Idris Déby eingegriffen und die Rebellen an der Einnahme der Hauptstadt gehindert. [10] Im Februar 2008 erklärte Präsident Sarkozy allerdings, Frankreich wolle nicht länger "den Gendarmen Afrikas spielen", die Militärabkommen würden "angepasst" und "zukünftig offengelegt". [11] Das hat Sarkozy nicht daran gehindert, im März 2011 gemeinsam mit "willigen" NATO-Staaten Libyen zu überfallen und die Gaddafi-Regierung wegzubomben. Nun setzt sein Nachfolger Hollande die praktischerweise längst vor Ort stationierte Streitmacht im Bürgerkrieg in Mali zugunsten der putschenden Militärs von Bamako ein. Bleiben Fragen: Angesichts des französischen Militärpotentials in der Region und seiner hohen Mobilität - wozu brauchen die Franzosen drei Flugzeuge der Bundeswehr? Will Berlin sich unbedingt lächerlich machen? Oder welche Interessen verfolgen Paris und Berlin? Wer sind die Gegner?
Feindbild "Islamisten"?
Seit Wochen stellen Meinungsmedien "islamistische Extremisten" als die Gefahr dar, die angeblich die hastige französische Intervention in Mali nötig machte. Der Begriff "Islamisten" ist unscharf, ungeeignet zur Wiedergabe von Differenzierung innerhalb der islamischen Bewegungen, gerade deshalb aber bestens zur Manipulation geeignet (nicht besser ist "Djihadisten" [12]). Der Popanz "Fundamentalismus" drücke die Angst der Kolonialherren aus, "die Völker zwischen Atlas und Hindukusch könnten sich dem politischen Einfluß des Westens entziehen, uns unser Öl wegnehmen, unsere Industrie ruinieren und uns ins Elend stürzen", meinte der Tübinger Islam-Historiker H. Halm [13]. Natürlich gibt es in der westafrikanischen Region auch Gruppen extrem militanter Moslems. Da sind streng gläubige Salafisten und in Algerien in den Untergrund gedrängte Splittergruppen von FIS und GIA. Sie haben sich "trendig" als "Al Qaida im Maghreb" (AQIM) proklamiert. Aber: haben sie in Mali die Armee in Bedrängnis gebracht?
Permanente Krise. Die Tuareg
Das von den Zentralregierungen nicht gelöste Tuareg-Problem hat periodische Krisen und Aufstände verursacht, die durch Vermittlung Algeriens und Libyens zeitweilig entschärft wurden (2007/09. Zu Libyen und den Tuareg vgl. Ines Kohl [14]). Fischer Weltalmanach 2013 vermerkt für 2012 zu Mali die "größte Tuareg-Offensive seit der Rebellion von 2009 ... Nach der Niederlage ... von Muammar al Gaddafi im Oktober 2011 kamen Tuareg-Söldner der Grünen Legion ... von Niger her mit schweren Waffen nach Mali ... Angesichts der rasanten Geländegewinne der Aufständischen lancierte das Militär einen Putsch gegen Präsident Amadou Touré." Die erfolgreiche Tuareg-Bewegung MNLA fordert nicht mehr nur Autonomie - und in Niger Beteiligung an den Erlösen des Uranabbaues - sondern die Unabhängigkeit der malischen Nordregion Azawad. Die Tuareg wollten allerdings nicht Bamako erobern, sondern blieben in ihrer Region (Tombouctou - Gao). Und Touré wollte gegen die Tuareg nicht militärisch vorgehen, sondern mit ihnen verhandeln. Das ändert das Bild! Letztlich hat nicht die auf den Zug aufgesprungene Islamisten-Truppe AQIM, sondern die MNLA Frankreichs Intervention veranlasst. Angesichts der Tuareg-Offensive und des Chaos in Bamako fürchtete Paris um die Kontrolle über die rohstoffreiche Region, die Uran für die vielen französischen AKW und zudem Erdöl liefert. Aber von den Tuareg spricht jetzt niemand mehr, weil sich mit dem Islamisten-Gespenst besser Unterstützung gewinnen lässt. Ironischerweise hat gerade Frankreichs Angriff auf Libyen die Lawine ausgelöst, die seine "Interessen" gefährdet. Zuzug der Tuareg und Aufschwung für Islamisten sind Folgen von Gaddafis Sturz [15]. Weshalb aber sollte deutsches Militär gegen die Tuareg vorgehen? Und weshalb will SPD-Außenpolitiker Erler nebst seiner Fraktion in den Kolonialkrieg des "Genossen" Hollande ziehen?
Die rasche Militäraktion "pour la gloire de la Grande Nation" beseitigt nicht die Ursachen der regionalen Konflikte, schon gar nicht die soziale Misere, die militanten Gruppierungen immer neue Kräfte zuführt. Berlin und Paris stolpern in den nächsten räumlich und zeitlich uferlosen asymmetrischen Krieg à la Irak & Afghanistan. Die brav "mandatierenden" CDU- und SPD-Bundestagsabgeordneten werden wohl noch öfter die Hände heben müssen.
Anmerkungen:
[1] Überarbeiteter Beitrag aus "Barnimer Bürgerpost", Heft 2/2013.
[2] Dorothee Sölle, "Zu viel Helm im Kopf", in "Weltbühne", 25. Mai 1993, 643-646.
[3] G. BREHME, H. KRAMER (Hg.), Afrika. Berlin 1985.
[4] G. BREHME, K. KRAMER, Afrika, a.a.O.
[5] D. T. NIANE, J. SURET-CANALE, Afrikanisches Geschichtsbuch. Geschichte Westafrikas. Darmstadt o.J. (1961).
[6] Karte aus D. T. NIANE, J. SURET-CANALE, Afrikanisches Geschichtsbuch, a.a.O., 156, ergänzt. Angabe der Gebiete der Tuareg nach Fischer Weltalmanach (= FWA) Frankfurt/M. 2009. Die dort angegebenen Siedlungsgebiete sind nur ein Teil der ursprünglichen Tuareg-Stammesgebiete. Nach einer Sprachenkarte von 1914 wurden Berberdialekte auch in Südwestalgerien und ganz Nord-Mali gesprochen.
[7] E. SIK, The History of Black Africa, Bd. IV. Budapest 1974, 221 ff.; C. MÄHRDEL, Die Rolle der Armee in der nationalen Befreiungsrevolution afrikanischer Völker. Z. Geschichtswiss. (ZfG) 15 (8), 1967, 1406-1421.
[8] C. MÄHRDEL, Die Rolle der Armee ..., a.a.O.
[9] Fischer Weltalmanach (FWA), Frankfurt/M. 2009.
[10] FWA 2008.
[11] FWA 2009, Chronik Frankreich.
[12] H. HALM, Fundamentalismus - ein leeres Etikett. In: G. ROTTER (Hg.), Die Welten des Islam. Frankfurt/M. 1993, 211-218. Herausgeber war Direktor des Orient-Instituts Hamburg.
[13] H. HALM, Fundamentalismus ..., a.a.O. 211.
[14] Ines Kohl, Libyens Tuareg zwischen Stillstand und Aufbruch. In: F. EDINGER, E. M. RUPRECHTSBERGER (Hg.), Libyen. Geschichte - Landschaft - Gesellschaft - Politik. Wien 2009, 159-171, sowie weitere Arbeiten der Autorin.
[15] Zu Gaddafis Stellung gegenüber islamistischen Gruppen in Libyen vgl. Chronikteil Libyen von FWA und H. MATTES, Kadhafi - Erneuerung des Islam im 20. Jahrhundert? In G. ROTTER (Hg.), Welten des Islam, a.a.O. 106-111.
Mehr von Rolf Richter in den »Mitteilungen«:
2011-11: Heimkehr der Faschisten (1. Fortsetzung und Schluß)
2011-10: Heimkehr der Faschisten