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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Brot, Land und Frieden

Ronald Friedmann, Berlin

 

Vor 90 Jahren siegte die Oktoberrevolution in Rußland, weil sie die Forderungen der Massen aufgriff

 

Je dichter der 7. November 2007, der 90. Jahrestag der Oktoberrevolution in Rußland, heranrückt, desto zahlreicher werden die Berichte und Kommentare in den verschiedenen Medien zu diesem Thema sein. Es bedarf keiner Prophetie, um vorherzusagen, daß man in jenen Medien, die man aus gutem Grunde die bürgerlichen nennt, wohl vor allem die alten Gruselgeschichten vom „Oktoberputsch der Bolschewisten“ und von den „Machenschaften des deutschen Agenten Lenin“ finden wird. Ganz offensichtlich geht es bei diesen endlos wiederholten, aber dennoch immer falsch bleibenden Geschichten nicht um die historische Wahrheit, sondern darum, die weltgeschichtlichen Ereignisse des Oktobers 1917 im damaligen Rußland zu verunglimpfen, um allein schon dadurch ihre grundlegende Bedeutung für den Verlauf der Geschichte des 20. Jahrhunderts herunterspielen oder gar leugnen zu können.

Die Tatsachen sprechen allerdings eine deutliche Sprache: Die Oktoberrevolution war nicht das Werk sinisterer Verschwörer, sondern das wohl unvermeidliche Resultat extrem zugespitzter sozialer Konflikte im damaligen Rußland – keine Kraft der Welt hätte die Oktoberrevolution produzieren oder auch verhindern können. Im vierten Jahr des Ersten Weltkriegs wollten die Massen in Rußland buchstäblich Brot, Land und Frieden. Und sie waren bereit, diese Forderungen kämpfend gegen die Zarenherrschaft und – nach deren Sturz in der Februarrevolution 1917 – auch gegen die in der Folge eingesetzte großbürgerliche Provisorische Regierung durchzusetzen. Den Bolschewiki – unter der maßgeblichen Führung Wladimir I. Lenins – gelang es dabei, in den entscheidenden Augenblicken des revolutionären Prozesses des Jahres 1917, die mehr oder weniger spontane Bewegung der Massen aufzugreifen und schließlich auf das Ziel zu lenken, das unter der Losung „Alle Macht den Sowjets“ zusammenfaßt werden kann: Am 7. November 1917, nach dem damals geltenden julianischen Kalender der 25. Oktober 1917, wurde die Provisorische Regierung gestürzt und der Rat der Volkskommissare, legitimiert durch den in Petrograd tagenden Zweiten Allrussischen Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte, übernahm die politische Regierungsgewalt. Die ersten Entscheidungen der neubegründeten Sowjetmacht betrafen die elementaren Forderungen der revolutionären Massen: Das Dekret über den Frieden, das Dekret über Grund und Boden und das Dekret über die Rechte der Völker Rußlands. Sie waren der Beginn eines umfassenden Prozesses der gesellschaftlichen Umgestaltung.

Daß in diesem historischen Prozeß, der heutzutage unter dem Begriff „Oktoberrevolution“ subsummiert wird, auch schwerwiegende Fehler gemacht wurden, steht auf einem ganz anderen Blatt. Doch diese Fehler geschahen in einem konkreten geschichtlichen Prozeß, für den es kein Beispiel und daher auch keine Erfahrungen gab. Und sie geschahen als Ergebnis von realen Umständen und Bedingungen, aus dem Handeln von Menschen heraus, die unter diesen Umständen und Bedingungen Entscheidungen treffen mußten, ohne das Privileg zu haben, die Ergebnisse ihrer Entscheidungen aus der historischen Distanz und mit dem Wissen um deren Folgen bewerten zu können.

Schon deshalb sollte dieser Jahrestag für die Linken – knapp zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch des Realsozialismus in Europa – Anlaß sein, eigene Positionen und Haltungen zur russischen Oktoberrevolution von 1917, die unter dem Eindruck der sogenannten Wendezeit 1989/1990 oftmals vorschnell und dem damals neuen Zeitgeist entsprechend eingenommen wurden, kritisch zu überdenken: Rosa Luxemburg, die mit ausgewählten Zitaten immer wieder als Kronzeugin gegen Lenin und die Bolschewiki herhalten muß, begrüßte die Oktoberrevolution als weltgeschichtliches Ereignis. Dann erst, als Verfechterin der Oktoberrevolution, war sie auch eine Kritikerin der Bolschewiki, die sie als ihre Genossen und Verbündeten ansah. Schon deshalb sollte auch das wissenschaftliche Werk Lenins Gegenstand einer neuen, durchaus kritischen Aneignung durch die Linken sein.

Erwähnt sei in diesem Zusammenhang auch dies: Anfang Juni 2007 erhoben siebzehn namhafte russische Wissenschaftler und Autoren in einem Aufruf nachdrücklich die Forderung, den Jahrestag der Oktoberrevolution in Rußland wieder zu einem offiziellen Feiertag zu machen. Dankenswerterweise hat die Tageszeitung „junge Welt“ in ihrer Ausgabe vom 23. August 2007 dieses wichtige Dokument im Wortlaut veröffentlicht. So kann man auch hierzulande nachlesen: „Aus dem Scheitern des sowjetischen Gesellschaftsmodells ist nicht zu folgern, daß die Ideale des Oktober falsch sind. Ebensowenig wie die Ideen des Christentums für die Praxis der Inquisition verantwortlich gemacht werden können, vermochte der Stalinsche Totalitarismus die Ideale der Revolution zu zerstören. Das historische Projekt des Sozialismus wird nicht im ersten Anlauf verwirklicht. Schon formiert sich eine neue, junge Generation, welche das kapitalistische System nicht akzeptiert. Es gibt allen Grund zu hoffen, daß es ihr gelingt, die Ideale der Oktoberrevolution neu mit Leben zu erfüllen.“