Brechstangenpolitik der Bundesregierung auf dem Balkan
Tobias Pflüger, MdEP, Tübingen
Nach der Anerkennung der einseitigen Unabhängigkeitserklärung des Kosovo durch die deutsche Bundesregierung fangen neue Probleme – wie erwartet – an: In vielen Regionen der Welt wird sich nun auf diesen von westlichen Staaten unterstützten einseitigen Schritt des Kosovo, berufen, bis hin zu völlig unsinnigen Forderungen, wie die nach der Unabhängigkeit "Padaniens" durch die italienische Lega Nord.
Die Bundesregierung betreibt auf dem Balkan wie anno 1991 (Anerkennung von Kroatien und Sloweniens durch Deutschland) wieder eine Brechstangenpolitik, ohne die Folgen abzusehen. Die jetzigen Appelle an die serbische Regierung und Bevölkerung, Ruhe zu bewahren und friedlich zu bleiben, sind zutiefst heuchlerisch. Sie gleichen dem Appell eines Einbrechers an sein Opfer, doch Ruhe zu bewahren und zu kooperieren.
Es ist und bleibt zutreffend: Die Büchse der Pandora wurde geöffnet. Kosovo ist tatsächlich ein Präzedenzfall. Die Staaten, die den Kosovo einseitig anerkannt haben, darunter Deutschland, sind nun mitverantwortlich für mögliche Eskalationen weltweit. Was hier stattfindet, ist ein organisierter Völkerrechtsbruch.
Für den Einsatz der Polizisten und anderen Mitglieder der geplanten EULEX-Mission, aber auch der Bundeswehr-Soldaten der KFOR-Mission, gibt es mit der einseitigen Anerkennung des Kosovo keine völkerrechtliche Grundlage (mehr). Dies hat auch Folgen für die eingesetzten Polizisten und Soldaten.
Das Mandat der KFOR hat sich mit dem Tage der Anerkennung völlig gewandelt. Ohne neue Abstimmung im Bundestag agieren die Bundeswehr-Soldaten auf Geheiß der Bundesregierung in einem rechtlichen Vakuum. Der Abzug der Bundeswehrsoldaten ist das Gebot der Stunde. Völlig falsch ist dagegen das Dauerengagement der Bundeswehr im Kosovo, das Franz-Josef Jung jetzt angekündigt hat. Die EULEX-Mission der EU hat kein Mandat der Vereinten Nationen, soll aber die UN-Mission UNMIK ablösen. Die zirka 2.200 EULEX-Mitarbeiter/innen mit den rund 1.500 Polizisten, wozu 750 Angehörige schwerbewaffneter Polizei-Spezialkräfte zählen, die für Eingriffe bei Ausschreitungen und Unruhen ausgebildet sind, haben kein UN-Mandat. Gleichzeitig ist ein langfristiges Engagement (vorläufig bis Juni 2010) geplant. EULEX als "zivil" zu bezeichnen ist nur ein Verfahrenstrick. "Zivile" Missionen können aus dem EU-Haushalt finanziert werden, Militäraktionen nicht. EULEX darf nicht umgesetzt werden.
Die EULEX-Mission und ihr Leiter Pieter Feith sollen die eigentlichen Machthaber im Kosovo werden. Kosovo ist damit de facto nicht unabhängig, sondern ein Protektorat der Europäischen Union, aber ohne völkerrechtliche Grundlage. Der völkerrechtswidrige NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien hat diese Entwicklung eingeleitet.
Presseerklärung vom 21. Februar 2008. Tobias Pflüger ist Mitglied des Auswärtigen Ausschusses und Koordinator der Linksfraktion (GUE/NGL) im Unterausschuß Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlaments.