Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Braune Neugründung

Dr. Ronald Friedmann, Berlin

 

Am 26. Februar 1925 erschien im »Völkischen Beobachter«, dessen Verbot erst wenige Tage zuvor aufgehoben worden war, ein »Aufruf« Hitlers, mit dem er die Neugründung der NSDAP verkündete.

Die NSDAP war am 9. November 1923, wenige Stunden nach dem kläglich gescheiterten Bierkeller-Putsch und dem von der Polizei gewaltsam unterbundenen »Marsch auf die Feldherrenhalle« in München, verboten worden. Hitler selbst war am 11. November 1923 verhaftet worden, die Mehrzahl der Mitglieder seiner Entourage war untergetaucht oder wurde ebenfalls in Haft genommen. Eine wirksame Führung der Partei, die in keiner Weise auf ein Weiterbestehen unter den Bedingungen der Illegalität vorbereitet war, gab es nicht mehr. Im Streit rivalisierender Kräfte drohte der vollständige Zerfall. Hitler sah sich politisch am Ende.

Doch insbesondere in Bayern, das sich als »Ordnungszelle« im Kampf gegen die politischen und sozialen Veränderungen seit der Novemberrevolution 1918 verstand, gab es einflussreiche Kräfte, die Hitlers Ziel, die Weimarer Republik zu zerschlagen, uneingeschränkt teilten. Besonders deutlich wurde das während des unvermeidlichen Hochverratsprozesses gegen Hitler und weitere Teilnehmer des Putschversuches, der Ende Februar 1924 vor einem bayerischen Gericht in München – und nicht vor dem eigentlich zuständigen Reichsgericht in Leipzig – begann. Gericht und Staatsanwaltschaft behandelten die Angeklagten mit größtem Wohlwollen. Wesentliche Straftaten, so die Tötung von vier Beamten der Münchner Polizei, die zwingend zur Verhängung der Todesstrafe geführt hätte, wurden überhaupt nicht angeklagt. Und auch der Vorwurf des Hochverrats wurde in einer Weise erhoben, der Geist und Buchstaben des Gesetzes Hohn sprach. Hitler, der angesichts dieser Entwicklung nun wieder eine politische Perspektive für sich und seine Partei sah, erhielt während des Prozesses wiederholt die Möglichkeit, in mehrstündigen Reden vor einem großen Publikum seine menschenverachtenden Positionen darzulegen und für seine »Bewegung« zu werben.

Das Urteil gegen Hitler, das am 1. April 1924 erging, war ein klarer Rechtsbruch. Hitler wurde lediglich zur Mindeststrafe von fünf Jahren Festungshaft verurteilt, wobei das Gericht ausdrücklich die Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung nach sechs Monaten Haft betonte. Eine auf Bewährung ausgesetzte rechtskräftige Verurteilung zu einer Haftstrafe aus dem Jahre 1922 fand keine Berücksichtigung. Das Gericht, das Hitler eine »ehrenhafte Gesinnung« unterstellte und seine viereinhalbjährige Zugehörigkeit zum Heer als »Dienst an Deutschland« würdigte, lehnte die gesetzlich vorgeschriebene Ausweisung Hitlers als straffällig gewordener Ausländer ab. Die Ausweisung eines Mannes, »der so deutsch denkt und fühlt wie Hitler«, sei unbillig.

Hitler und die übrigen Verurteilten verbüßten ihre eher symbolische Haftstrafe in der Strafanstalt Landsberg, wo sie als »Festungshäftlinge« von den übrigen Gefangenen getrennt untergebracht wurden. Hitler erhielt eine komfortable Unterkunft, die in keiner Weise den Vorstellungen von einer Gefängniszelle entsprach. Die Gefangenen konnten sich innerhalb des Gefängnisses weitgehend frei bewegen, gegenseitige Besuche waren jederzeit möglich. Der Briefverkehr war nicht eingeschränkt, sodass Hitler buchstäblich körbeweise Post mit Grußschreiben und Ergebenheitsadressen von Anhängern aus ganz Deutschland erhielt. Und er hatte eine außerordentlich große Zahl von Besuchern – während der gesamten Haftzeit waren es etwa 500 Personen, davon allein im ersten Monat in Landsberg 150.

Ungeachtet dieser äußerst vorteilhaften Haftumstände, die eine Fortsetzung seiner politischen Betätigung außerordentlich begünstigten, verlor Hitler zunehmend den Einfluss auf die Reste der noch immer verbotenen NSDAP und der Gruppen und Gruppierungen in ihrem Umfeld. Im Juli 1924 sah er sich deshalb gezwungen, sich mit einer offiziellen Erklärung auch formell vom tagespolitischen Geschäft zurückzuziehen, was den Verfall der rechtsextremen und völkischen Bewegung in Deutschland weiter beschleunigte. Deutlich wurde das nicht zuletzt bei den beiden Reichstagswahlen des Jahres 1924. Am 4. Mai 1924 konnte die gemeinsame Wahlliste der rechtsextremen und völkischen Kräfte 6,5 Prozent der Wählerstimmen und damit 32 Mandate erringen, von denen zehn Mandate auf die NSDAP entfielen. Ein reichliches halbes Jahr später, am 7. Dezember 1924, waren es nur noch 3 Prozent der Wählerstimmen und 14 Mandate, davon drei für die NSDAP. Das »Schreckgespenst Hitler« hätte, wie es der britische Historiker Ian Kershaw formulierte, am Ende des Jahres 1924 »endgültig gebannt« sein sollen.[1]

Doch Hitler und seine Kumpane wurden bereits am 20. Dezember 1924 aus der Haft entlassen. Ernsthafte Versuche, Hitler doch noch nach Österreich abzuschieben, unterblieben, zumal sich die Regierung in Wien mit Hinweis auf dessen Militärdienstzeit in Deutschland weigerte, Hitler wieder einreisen zu lassen.

Bereits am Tag nach der Haftentlassung empfing der bayerische Ministerpräsident Heinrich Held Hitler zu einem informellen Gespräch. Held genügte die Aussage Hitlers, künftig auf Putschversuche verzichten zu wollen, um seinerseits Hitler die baldige Aufhebung des Ausnahmezustandes und damit die Aufhebung des Parteiverbotes der NSDAP in Aussicht zu stellen.

Hitler vollzog die Neugründung der NSDAP ohne Autorisation und Legitimation durch eine wie auch immer geartete Körperschaft. Das entsprach seinem Selbstverständnis und seiner angemaßten Rolle als allmächtiger und in seinem Handeln durch keine Gremien eingeschränkter »Führer« der Partei. In den »Grundsätzlichen Richtlinien« für die Neugründung hatte Hitler das so formuliert: »Erst der Führer, dann die Organisation, und nicht umgekehrt.« Er behielt sich vor, über jede Neuaufnahme in die Partei selbst zu entscheiden: Auch die Mitglieder der »alten« NSDAP mussten neue Aufnahmegesuche stellen.

Programmatisch verpflichtete Hitler die neugegründete NSDAP, ihr Handeln an den Leitsätzen und dem Parteiprogramm auszurichten, die bereits 1920 verkündet worden waren. Doch es gab einen wesentlichen Unterschied. Hitler hatte erkannt, dass er mit den bisherigen putschistischen Methoden keinesfalls die politische Macht in Deutschland würde erringen können. Er orientierte nunmehr auf den parlamentarischen Weg. Er wollte die Weimarer Republik mit den Instrumenten der Weimarer Verfassung zerschlagen. In den »Richtlinien« verbot er den Parteimitgliedern daher ausdrücklich jeden Waffenbesitz.[2]

Allerdings bedeutete das keineswegs, dass Hitler auf Terror und andere Formen der physischen Gewalt verzichten wollte, im Gegenteil. Im Zuge der Neugründung der NSDAP gelang es ihm, die ebenfalls neugegründete SA der »Partei«, also sich selbst, ohne jede Einschränkung zu unterstellen. Dabei konnte er wichtige innerparteiliche Gegenspieler ausbooten. Beim ersten Parteitag der NSDAP nach der Neugründung, der im Juli 1926 ausgerechnet in Weimar stattfand, war Hitlers Rolle als »Führer der Partei und der Bewegung« in jeder Hinsicht unangefochten.

Ein Jahr zuvor, im Juli 1925, war der erste Band von Hitlers Elaborat »Mein Kampf« erschienen, dem »schrecklichste(n) Buch, das je auf Deutsch geschrieben« wurde.[3] Hitler hatte das Buch in den Monaten der Landsberger Haft geschrieben. Ursprünglich hatte er die Absicht gehabt, eine Art Autobiografie zu verfassen. Und tatsächlich enthält das Buch weitschweifige Passagen, in denen Hitler ein völlig überhöhtes und tatsachenbefreites Selbstbild zeichnete, mit dem er seine Rolle als von der »Vorsehung« auserwählter »Führer« und »Retter des deutschen Volkes« begründen zu können glaubte. Doch der wesentliche Teil war seiner »Weltanschauung« gewidmet, wie sie sich in den Jahren ab 1920 entwickelt hatte. Zentrales Element war sein abgrundtiefer Antisemitismus, den er mit der angeblichen Bedrohung des deutschen Volkes durch eine »jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung« begründete. Als unmittelbare Aufgabe sah Hitler den Anschluss Österreichs an Deutschland, langfristig forderte er die »Gewinnung« von »Lebensraum« im Osten, also letztlich einen Krieg gegen die Sowjetunion.

Das Buch machte Hitler zu einem reichen Mann. Bis zum Januar 1933 wurden knapp 290.000 Exemplare verkauft, für die Hitler 10 Prozent Tantiemen erhielt. Nach dem Januar 1933 stieg die Zahl der verkauften Exemplare in die Millionen. Unter Historikern ist noch immer umstritten, ob das Buch überhaupt Leser in namhafter Zahl fand. Doch kein Zweifel kann daran bestehen, dass Hitler mit großer Offenheit darlegte, welchen Weg er nach der Machtübernahme zu gehen beabsichtigte. Nach der Veröffentlichung von »Mein Kampf« konnte niemand mehr sagen, er habe es nicht gewusst.

 

Anmerkungen: 

[1] Ian Kershaw, Hitler, Teil 1: 1889 - 1936, München 2013 (eBook der Verlagsgruppe Random House)

[2] Ebenda

[3] Antoine Vitkine, Hitlers »Mein Kampf«. Geschichte eines Buches, Hoffmann und Campe, Hamburg 2015 (eBook)

 

Mehr von Ronald Friedmann in den »Mitteilungen«: 

2024-06: Auf Weisung des Kraken

2023-07: Reichskonkordat

2022-04: Gerechtigkeit am Galgen