Botschaft an die Delegierten des Gründungsparteitags der Partei DIE LINKE
Sprecher des Ältestenrates der Linkspartei.PDS
Der 16. Juni 2007 soll und kann in die deutsche Geschichte als ein wichtiges Ereignis eingehen, besonders in die Geschichte der sich wieder zusammenfindenden emanzipatorischen, demokratisch wie sozialistisch orientierten Volksbewegung. Die Sprecher des Ältestenrats der Linkspartei.PDS begrüßen das erfolgreiche Ergebnis des seit zwei Jahren verlaufenden Fusionsprozesses, der jetzt mit diesem Gründungsparteitag seine Krönung findet. Nicht zuletzt für die Mitglieder des Ältestenrats erfüllt sich eine lang ersehnte Hoffnung. Unser Gremium wurde im Januar 1990 mit der Aufgabe gebildet, daß seine Mitglieder ihre langjährigen Erfahrungen zu Anregungen nutzen, um so auf die Erörterung von Grundfragen der Politik einzuwirken. Wir haben diesen Auftrag in den zurückliegenden 17 Jahren nach Maßgabe unseres Vermögens, unserer Erkenntnisse und Kräfte erfüllt.
Der Parteivorstand der Linkspartei.PDS hat am 2. April in Vorbereitung auf den Gründungsparteitag der Partei DIE LINKE die Tätigkeit des Ältestenrats gewürdigt. Er dankte dem Ältestenrat für die von ihm übermittelten programmatischen und strategischen Überlegungen und Vorschläge und sprach sich einstimmig dafür aus, diese in die künftige programmatische Debatte der Partei DIE LINKE einzubeziehen. Zugleich empfahl er den Vorsitzenden der neuen Partei, auch künftig einen Ältestenrat zu berufen.
Die Sprecher des Ältestenrats begrüßen dies als eine Bestätigung für die Nützlichkeit der bisherigen Tätigkeit unseres Gremiums, das erstmalig bereits im Januar 1990 als Beratungsorgan für den Parteivorsitzenden der PDS berufen wurde. Unser Gremium hat in den letzten 17 Jahren seine Tätigkeit im engen Zusammenwirken mit den bzw. der Parteivorsitzenden sowie dem Ehrenvorsitzenden und Mitgliedern des jeweiligen Bundesparteivorstands gestaltet. Der Ältestenrat hat sich auch mit seinen Anregungen und Positionspapieren an die Delegierten der Parteitage gewandt. Unser Anliegen war es stets, unsere langjährigen Lebens-, Politik- und Parteierfahrungen in die Debatte einzubringen, auf die Klärung des Parteiverständnisses beratend einzuwirken und das konstruktive Zusammenwirken der verschiedenen Generationen in der Mitgliedschaft zu unterstützen. Das alles hat sich auch aus unserer Sicht bewährt.
Uns bewegt zugleich die Frage nach der möglichen Perspektive eines solchen Beratungsgremiums, wie es der Ältestenrat darstellte, nach der Vereinigung von Linkspartei.PDS und WASG. Die Entscheidung darüber muß selbstverständlich der neue Parteivorstand bzw. müssen die Ko-Vorsitzenden der vereinten Partei treffen.
Die Mitglieder des Ältestenrats haben sich verständlicherweise auch auf jene positiven wie negativen Lebenserfahrungen gestützt, auf die sie seit Jahrzehnten zurückblicken. Nach wie vor halten wir eine ausgewogene, damit wahrheitsgetreue und zukunftsorientierte Nutzung der Traditionen von Parteien und Bewegungen für erforderlich, auf die sich die neue Partei stützen sollte. Da der Ältestenrat den Fusionsprozeß von Anfang an befürwortet und mit entsprechenden Vorschlägen begleitet hat, bitten wir die Delegierten des Gründungsparteitags der Partei DIE LINKE auch die folgenden Überlegungen zur Kenntnis zu nehmen.
Die Partei DIE LINKE ist als gesamtdeutsche wirklich linke Partei ein Novum, wenn sie in ihren aktuellen wie strategischen Zielen auch an geschichtliche Erfahrungen anknüpfen wird. Im 21. Jahrhundert ist DIE LINKE, die sich heute hier in Berlin gründet, die einzige deutsche Partei, die uneingeschränkt mit dem Anspruch einer einflußreichen linken Kraft antreten kann. Das ist ein hoher politischer Anspruch, der in der Zukunft immer wieder die Prüfungen neuer Herausforderungen bestehen muß. Davon wird es auch abhängen, inwieweit wir durch unsere politischen Angebote, parlamentarische wie sonstige Aktionen und durch die Zustimmung aus breitesten Kreisen der Gesellschaft als echte Volkspartei in ganz Deutschland wahrgenommen werden.
Der Kapitalismus hat im Zeichen der Globalisierung sowie durch Nutzung der wissenschaftlich-technischen Revolution, nicht zuletzt aber dank des Wegfalls des europäischen Realsozialismus als alternativer Faktor, eine neue Stufe in seiner imperialistischen Phase erreicht. Sie geht mit einer neuen Zuspitzung von systemimmanenten Widersprüchen und Krisen einher. Die sich als angeblich modern bezeichnende Ausbeuterordnung ist weder besser noch gar erträglicher geworden. Sie hat sich zwar in ihren politischen wie ökonomischen Grundlagen gefestigt, zugleich aber noch schlimmere Gefahren für die menschliche Zivilisation heraufbeschworen. Auch daraus ergibt sich nach unserer Auffassung die Notwendigkeit eines unmißverständlichen politischen Profils der neuen Partei, das sowohl im gegenwärtig erforderlichen Aktionsprogramm als auch in der strategischen Zielsetzung einer antikapitalistischen Alternativkraft erkennbar sein sollte.
Den heute dringend herangereiften Problemen kommt zweifellos die höchste Bedeutung zu. Ihre Lösung oder zumindest Entschärfung verlangt einschneidende Reformen und andere Maßnahmen, die noch im Rahmen des kapitalistischen Systems verwirklicht werden können. Sie müßten die von diesem verursachten Bedrohungen spürbar abmindern, wenn sie auch ihre eigentlichen Ursachen noch nicht beseitigen können. Doch bereits das wäre ein großer Gewinn für die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung. Wir denken dabei nicht zuletzt an folgende Schlüsselfragen, vor denen wir längerfristig stehen dürften:
- eine rigorose Umverteilung der Erwerbstätigkeit, die dank dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt möglich und notwendig ist; damit eine Verkürzung der Arbeitszeit bei gleichzeitiger Schaffung neuer Arbeitsplätze, darunter in nicht profitorientierten Bereichen. Beides kann zum Abbau der Massenarbeitslosigkeit beitragen;
- Veränderung des Steuersystems, gesetzliche Festlegung eines minimalen und eines maximalen Realeinkommen sowie effektive Maßnahmen zur gerechteren Verteilung und Nutzung des gesellschaftlich erzeugten Reichtums;
- weitere Reformen zur Eindämmung des wachsenden Widerspruchs zwischen Armut und Reichtum und der schlimmsten Folgen des neuen Kolonialismus, dieser Daseinsform der kapitalistischen Globalisierung und des Neoliberalismus;
Hinzu kommen weitere Erfordernisse, die sich gerade auch in der Bundesrepublik Deutschland aus nicht gelösten Problemen ergeben. Sie entstehen aus wachsenden ökologischen Bedrohungen und Hemmnissen einer zivilisationssichernden Entwicklung von Bildung, Forschung und Kultur. Besonders dringend notwendig ist eine effektive Bekämpfung des Neonazismus, rassistischer und ausländerfeindlicher Umtriebe, sowie der zunehmenden Neubelebung militaristischer Traditionen.
Es geht also vorrangig darum, den Kapitalismus, wie er sich real herausgebildet hat, zunächst einmal zu bändigen, ihn daran zu hindern, neue Katastrophen im Interesse einer ungezügelten Profitgier heraufzubeschwören. Sie drohen nicht zuletzt durch das Anwachsen der Massenarbeitslosigkeit, noch mehr durch die Gefahr neuer Präventivkriege zur Sicherung des Profitsystems und weitere unabsehbare Folgen eines verstärkten Ausbaus des militärischen Faktors in der Außen- wie Innenpolitik.
Die Mitglieder und Sympathisanten unserer Partei, nicht zuletzt die potentiellen Wähler erwarten aber auch eine kurze und überzeugende Definition der Wesenszüge und Grundwerte jener gesellschaftlichen Alternative zum heutigen kapitalistischen System, die von der Partei DIE LINKE angestrebt wird. Dazu gehört auch eine Aussage darüber, was man grundsätzlich unter einem demokratischen Sozialismus verstehen soll. Deshalb dürfen wir nicht verschweigen, daß eine Entwicklung, die über den Kapitalismus hinausführen soll, weitgehende Veränderungen der gegenwärtig vom Großkapital dominierten Macht- und Eigentumsverhältnisse, der Außen-, Innen-, Wirtschafts- und Kulturpolitik erfordert.
DIE LINKE wird ihre Kraft auch daraus schöpfen, daß sie sich als einzige deutsche Partei kritisch zur eigenen Geschichte wie zu der ihrer Vorgänger verhält. Das gibt ihr das Recht, die Pflicht und die Möglichkeit, sich um so überzeugender auf die positiven Erfahrungen linker Kräfte in der Vergangenheit zu berufen. Wir können uns durchaus nicht als Neuerfinder einer emanzipatorischen Politik, ob in Deutschland oder weltweit betrachten. Behutsame und wo notwendig kritische Traditionspflege wie klare Zurückweisung des Geschichtsrevisionismus und seiner so verderblichen Folgen sollten in der Aufklärungstätigkeit der neuen Partei einen festen Platz haben.
Das Verhältnis zur Geschichte widerspiegelt immer auch die Einstellung zur Zukunft. Eben deshalb sollten wir uns ohne falschen Scham zur Legitimität eines sozialistischen Aufbruchs im 20. Jahrhundert bekennen, darunter in vier Jahrzehnten auf deutschem Boden, so unvollkommen und durchaus nicht fehlerfrei dieser schließlich mit seinem auch selbstverschuldeten Scheitern war.
12. Juni 2007
Stefan Doernberg, Edith Graw, Harald Neubert, Friedrich Wolff
Sprecher des Ältestenrats, Berlin