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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Bleiberecht mit Hindernissen

Ulla Jelpke, MdB, Berlin

 

Im Vorfeld der Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (Innenministerkonferenz, IMK) im Herbst 2006 war die öffentliche Darbietung der Innenminister von zwei Argumentationen geprägt. Die eine, repräsentiert von Schleswig-Holsteins Innenminister Stegner (SPD) oder dem NRW-Innenminister Ingo Wolf (FDP), forderte eine "Chance" für diejenigen Geduldeten, die sich in die Verhältnisse im Land "integriert" hätten. In der klassischen Verengung von "Integration" in Deutschland meinte das vor allem diejenigen, die sich allen Widrigkeiten zum Trotz Sprachkenntnisse angeeignet und einen Job gefunden hatten. Selbst Bayerns damaliger Innenminister Beckstein konnte sich in Großzügigkeit ergehen und sprach von 60.000 Geduldeten, die angeblich ein Aufenthaltsrecht erhalten konnten.

Die zweite Argumentation bediente klassische rassistische Muster, die spätestens seit Beginn der 90er Jahre zum Einwanderungsdiskurs gehören. Auf keinen Fall sollte profitieren, wer sich seinen Aufenthalt in Deutschland "erschlichen" hat und nur wegen verweigerter Kooperation mit den Ausländerbehörden (bei Paßbeschaffung oder Abschiebung) einen so langen Aufenthalt "erzwungen" habe. Es dürfe keine "Zuwanderung in die sozialen Sicherungssysteme" geben – dabei sind die Betroffenen schon seit Jahren, einige seit Jahrzehnten in Deutschland. Viele von ihnen warten schon seit Jahren darauf, endlich die erzwungene Arbeitslosigkeit beenden zu können und nicht mehr auf Sozialhilfe und die damit verbundenen Gängeleien durch Ausländer- und Sozialbehörden angewiesen zu sein.

Ausgeschlossen sein sollten nach Ansicht der Unionshardliner – neben Beckstein vor allem der niedersächsische Innenminister und Rechtsaußen Schünemann (CDU) – außerdem alle "Kriminellen" (Verurteilungen zu mehr als 50 Tagessätzen – also dreimal Schwarzfahren) und "Extremisten". Und nicht nur sie, auch ihre Familien gleich mit dazu. Nur ein Mitglied der Familie abzuschieben, könnte nämlich einen Konflikt mit dem grundgesetzlichen Schutz der Familie mit sich bringen – und da schieben die Innenminister doch lieber gleich die ganze Familie ab. In diesem Fall zeigte sich wieder einmal, wie die angebliche "Prüfung im Einzelfall" wegen Extremismusverdachts schnell zum Generalverdacht wird. Der Freistaat Bayern wollte nämlich die irakischen Geduldeten gleich ganz vom Zugang zum Bleiberecht ausschließen. Diese Möglichkeit haben sich die Bayern für die nun in Kraft getretene gesetzliche Bleiberechtsregelung vorbehalten – dazu später mehr.

Ausländer, die uns nützen

Den unter den Innenministern dominierenden politischen Ansatz formulierte vor der IMK im November 2006 der NRW-Innenminister Wolf. Es sollten vor allem die Leistungsfähigen unter den Geduldeten sein, die vom Bleiberecht profitieren sollten. "Wer seit vielen Jahren hier lebt, seinen Lebensunterhalt mit legaler Arbeit verdient (…), soll eine verläßliche Lebensperspektive bekommen." So der Innenminister in einer Presseerklärung kurz vor der Innenministerkonferenz, nachdem sich Bundesinnenministerium und Bundesarbeitsministerium auf einen erleichterten Arbeitsmarktzugang geeinigt hatten. Ein Beschäftigungsverhältnis und den "selbständigen Lebensunterhalt" nachzuweisen, wurde eine der wesentlichen Voraussetzungen zum Erhalt des Bleiberechts.

Bis zum 30. Juni 2007 stellten insgesamt 71.219 Geduldete Anträge auf einen Aufenthaltstitel. Entscheidungen wurden in etwa 47.000 Fällen getroffen. Davon erhielten 14.757 Menschen eine Aufenthaltserlaubnis und 28.098 eine Duldung, um sich bis zum 30. September 2007 eine Arbeit suchen zu können. Abgelehnt wurden ca. 4.500 Anträge. Die meisten davon im übrigen nach bisheriger Einschätzung hauptsächlich wegen verletzter Mitwirkungspflichten – also, weil sie an der Beschaffung eines Passes oder Paßersatzes nicht ausreichend mitgewirkt haben, ihre zweifelsfreie Identifizierung oder gar ihre Abschiebung "behindert" haben.

Nur wenige – nach den letzten Zahlen gerade einmal 44 – Antragsteller erhielten keine Aufenthaltserlaubnis, weil sie nicht über die geforderten "einfachen Deutschkenntnisse" verfügten. Gerade Beckstein und Konsorten hatten das aber zu einer wichtigen Anforderung gemacht und sich damit mal wieder als rechte Populisten geoutet, indem sie so taten, als seien unter den Geduldeten Horden von "integrationsunwilligen" Sozialschmarotzern, die noch nicht mal deutsch können.

"Selbständiger Lebensunterhalt" ist größte Hürde

Darüber, wie viele der bisher nur Geduldeten am Ende tatsächlich eine Aufenthaltserlaubnis erhalten werden, kann nur spekuliert werden. Denn zu denen, die bereits eine Aufenthaltserlaubnis erhalten haben, kommen auch noch diejenigen, die zunächst nur eine "Duldung zur Arbeitsaufnahme", befristet zum 30. September, erhalten haben. Können sie am 30. September einen eigenständigen Lebensunterhalt nachweisen, erhalten auch sie eine Aufenthaltserlaubnis. Die große Mehrheit wird also voraussichtlich weiterhin im Duldungsstatus verbleiben; denn die Gründe der Duldung – meistens die Unmöglichkeit der Abschiebung ins Herkunftsland – bestehen in den meisten Fällen weiter. Zudem bestehen zwischen den Ländern und noch einmal zwischen den Kommunen offensichtlich große Unterschiede in der Bearbeitung der Bleiberechtsanträge.

Denn die Landes-Innenminister haben es den Kommunen überlassen, wie sie das Kriterium "selbständiger Lebensunterhalt" auslegen. Dabei haben sich ganz unterschiedliche Maßstäbe ergeben: zum Teil wird gefordert, daß das Haushaltseinkommen (Lohn + Kindergeld + Wohngeld) der Höhe nach dem Bezug von Leistungen nach SGB II (ALG II) plus Miete entsprechen soll, oder dem ALG II plus 10%, oder der Pfändungsfreigrenze (ca. 970 € pro erwachsenem Haushaltsmitglied). Eine klare Erlaßlage sieht anders aus.

Klarere Regelungen hätten hier auch zum Erfordernis der Erfüllung der Paßpflicht getroffen werden müssen. Der Flüchtlingsrat NRW hat in einer Stellungnahme darauf hingewiesen, daß auch hier die Umsetzung in den Kommunen sehr unterschiedlich war. Eindeutige Regelungen durch das Innenministerium hätten das Ermessen der Ausländerbehörden im Sinne der Betroffenen einschränken können. Erst im März, drei Monate nach dem ersten Erlaß, hat das Landesinnenministerium hierzu überhaupt einen Erlaß herausgegeben, der aber weiterhin die "Abwägung des Einzelfalls" unter "Gesamtbetrachtung aller Umstände" im wesentlichen den Sachbearbeitern in den Behörden überläßt. So blieb es Behördenmitarbeitern überlassen, das "Auftauchen" eines Paßpapiers im Sinne der Betroffenen als "tätige Reue" oder als endgültiges "Schuldeingeständnis" zu interpretieren. Selbst dann, wenn die Täuschung über die Identität oder den Besitz von Paßpapieren länger zurückliegt und inzwischen korrigiert wurde, können Sachbearbeiter dies gegen die Betroffenen auslegen. Ad absurdum wird die Bleiberechtsregelung da geführt, wo das frühere Nicht-Unterzeichnen einer "Freiwilligkeitserklärung zur Ausreise" zur Ablehnung des Bleiberechts führt – schließlich sollen damit regelmäßig Flüchtlinge zur Ausreise gebracht werden, die faktisch nicht in ihr Herkunftsland abgeschoben werden können, beispielsweise Flüchtlinge aus dem Kosovo (die UN-Verwaltungsbehörde UNMIK verweigert die "Rücknahme" der Flüchtlinge).

Gesetzliche "Bleiberechtsregelung": Zweite Chance?

Wie die IMK-Regelung ist auch die gesetzliche Bleiberechtsregelung nach § 104 a und b Aufenthaltsgesetz (AufenthG) lediglich eine "Altfallregelung". Profitieren können auch hier nur Personen, die zum Stichtag 1. Juli 2007 mit ihrer Familie seit sechs Jahren oder als Alleinstehende seit acht Jahren ununterbrochen geduldet in der Bundesrepublik sind. Ausgebaut wurde die Regelung, nach der Kinder, die kurz vor einem Schulabschluß stehen und "gute Integrationsperspektiven" haben, ein eigenständiges Aufenthaltsrecht erhalten können – wenn die nicht zugangsberechtigten Eltern ausreisen. Das wird manche Familien vor harte Zerreißproben stellen und eine lebenslange Belastung für sie darstellen – egal, wie sie sich am Ende entscheiden.

Positiv an der gesetzlichen "Bleiberechtsregelung" ist sicherlich, daß die Antragsteller nicht schon bei der Beantragung einen Job haben müssen. Sie erhalten zunächst eine Aufenthaltserlaubnis "auf Probe", verbunden mit einer Erlaubnis zur Arbeitssuche im gesamten Bundesgebiet. Am Ende der "Probezeit" Ende 2009 müssen sie den überwiegenden Teil der Zeit genug selbst verdient haben, um nicht von öffentlichen Leistungen abhängig gewesen zu sein. Die Lohngrenze, ab der von einem "eigenständigen Lebensunterhalt" ausgegangen wird, ist aber noch mal gestiegen – galten bei der IMK-Regelung Wohngeld und Kindergeld als anrechenbares Haushaltseinkommen, müssen die Betroffenen nun auch ohne diese Sozialleistungen ein ausreichendes Einkommen nachweisen. Auch hier dürfte die Faustformel "ALG II + Miete" gelten – bei Familien landet man da schnell bei Einkommenshöhen, die für unqualifizierte Arbeitskräfte heutzutage kaum zu erreichen sind. Auch von dieser Regelung werden wieder vor allem leistungsstarke Alleinstehende profitieren, die aufgrund ihres Alters zudem noch recht flexibel sind – und auch denen werden bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz oder Studium jede Menge Steine in den Weg gelegt.

"Lex Beckstein"

Günther Beckstein, bei der Verhandlung des Gesetzes noch Innenminister Bayerns, hat sich für sein Bundesland und vor allem für die rechte und rassistische CSU-Klientel Sonderbedingungen ausgehandelt. Schon bei der Aushandlung des IMK-Kompromisses war es ihm ein besonderes Anliegen, irakische Staatsangehörige erst gar nicht zuzulassen. Damals war er gescheitert – was noch nichts über die tatsächliche Praxis in bayerischen Ausländerbehörden sagt – doch nun konnte er sich durchsetzen: eine Regelung im §104 AufenthG besagt, daß einzelne Bundesländer mit Einverständnis des Bundesinnenministers Staatsangehörige aus bestimmten Herkunftsländern vom Bleiberecht ausschließen dürfen. Es kann kein Zweifel daran bestehen, wen Beckstein dabei im Blick hatte: irakische Flüchtlinge, die zum Teil ihren humanitären Aufenthaltstitel erst in den letzten Jahren verloren haben. Denn in der Lesart der bayerischen Staatsregierung gibt es keinen Grund mehr für die irakischen Flüchtlinge, weiter in der Bundesrepublik zu bleiben – sie sollen besser beim Wiederaufbau des Irak helfen. Wenn man ihnen nun ein Bleiberecht erteile, so die perfide Argumentation (die vor einigen Jahren schon mal bei Kosovo-Flüchtlingen angewandt wurde), dann demotiviere man damit diejenigen, die freiwillig in den Irak zurückgekehrt sind und sich damit "legal" verhalten haben. Zudem vermutet man unter den irakischen Flüchtlingen sowieso eine ganze Reihe von extremistischen "Gefährdern", die nur auf ihren Marschbefehl warten – entweder, um im Irak zu kämpfen oder in Deutschland Anschläge zu begehen.

Der zweite Teil der "Lex Beckstein" geht in seiner Wirkung auf die Betroffenen noch weiter. Während in anderen Bundesländern nämlich Asylbewerber und Geduldete nach drei Jahren (in der Regel) die normalen Sozialhilfe-Bezüge erhalten und damit meist eine eigene Wohnung, geht Bayern einen Sonderweg: ausreisepflichtige, aber geduldete Personen müssen weiter in Sammelunterkünften leben und erhalten die um 40% gekürzten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Damit soll der "Druck" zur Ausreise aufrechterhalten werden. Das kommt die Bayern übrigens teuer zu stehen: die Wohnheimunterbringung kostet gerade in Ballungsgebieten einiges mehr als die Unterbringung in Wohnungen. Und die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz müssen die Kommunen tragen – während das ALG II vom Bund bezahlt wird. Während gerade Beckstein immer von den Integrationsleistungen tönt, die von den "Ausländern" erbracht werden müßten, arbeitet er mit Hochdruck an ihrer Des-Integration. Besser kann man nicht erklären, warum die NPD in Bayern gegen die CSU keine Chance hat – es fehlt einfach an Themen, wo man die bayerische Regierungspartei rechts überholen kann.

Weiterhin keine echte Lösung in Sicht

Von der nun geltenden gesetzlichen Altfallregelung werden wieder einige Betroffene profitieren und sich hoffentlich endlich eine langfristige Perspektive in Deutschland aufbauen können. Doch neben denjenigen, die das Kriterium "eigenständiger Lebensunterhalt" nicht erfüllen, gibt es eine weitere große Gruppe Ausgeschlossener: diejenigen, die sich noch nicht lange genug mit einer Duldung in Deutschland aufhalten. Das heißt übrigens nicht, daß sie nicht dennoch schon seit vielen Jahren in Deutschland leben: ausgeschlossen sind nämlich auch die, die zwischenzeitlich schon mal einen humanitären Aufenthaltstitel hatten, den aber wieder verloren haben. Zum Beispiel, wie es bei vielen irakischen und afghanischen Flüchtlingen der Fall ist, weil ihr Flüchtlingsstatus widerrufen wurde. Sie werden auch weiterhin im Status der "Kettenduldung" gefangen bleiben – das heißt, sie müssen wöchentlich oder monatlich zur Ausländerbehörde und die Verlängerung ihrer Duldung beantragen.

Ihnen würde nur eine echte Bleiberechtsregelung helfen, die einen Aufenthaltstitel allein von der Aufenthaltsdauer abhängig macht, die Kettenduldungen beendet und eine dauerhafte Lebensperspektive schafft. Mit ihrer Forderung nach einer solchen Lösung steht die Linksfraktion im Bundestag inzwischen allein – auch die Grünen haben zuletzt lediglich eine etwas humanitärere Altfallregelung gefordert. Es ist zu hoffen, daß der Druck außerparlamentarischer Initiativen für ein dauerhaftes Bleiberecht aufrechterhalten wird. Nur dann wird es eine Wende in der inhumanen Ausländerpolitik geben können.

Ulla Jelpke ist innenpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE. im Bundestag.

 

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