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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Bleibendes Gedenken in unserer Gesellschaft bewahren

Dr. Andrej Reder, Berlin, im Interview mit den "Mitteilungen"

 

Genosse Andrej Reder gab den "Mitteilungen" aus aktuellem Anlass das folgende Interview. Die Fragen stellte Ellen Brombacher.

1. Bitte erzähl uns etwas darüber, was Deinem Vater und somit auch Deiner Mutter und Dir in der Stalinzeit in der Sowjetunion widerfuhr.

Andrej Reder: Unserer Familie geschah etwas, was vielen sowjetischen und deutschen, sowie Familien aus anderen Ländern zum Teil in der Konsequenz noch viel schlimmer widerfahren ist. Unvorstellbar, denn das Verbrechen geschah im ersten sozialistischen Land an unschuldigen Menschen. Unwirklich und tragisch, denn es wurde an "eigenen Leuten" brutal exekutiert. Unglaublich auch, welche Ausmaße es annehmen konnte, schmerzlich und unentschuldbar - und deshalb muss es ehrlich aufgearbeitet werden.

Es ist unmöglich, die Tragik und die Dramatik dessen, was zwischen 1935 und 1955 in mehr als siebzehn Jahren mit meinen Eltern geschehen ist, in Kürze zu skizzieren. In einem umfassenden Aufsatz für meine Familie und für gute Freunde der Eltern habe ich versucht, nachzuzeichnen, wie aus meinem Vater, einem Kommunisten und Antifaschisten, über Nacht ein "Gestapoagent" und damit ein "Feind" des Sowjetvolkes wurde, und aus meiner Mutter, ebenfalls Kommunistin und Antifaschistin, die Ehefrau eines "Volksfeindes", und was diese zwangsweise Verwandlung für unsere Familie bedeutet hat. Erst im April 1955 sahen wir drei uns in Berlin wieder.

2. Warum gehörtest Du zu jenen, die eine Gedenktafel für die zwischen den 1930er und 1950er Jahren in der Sowjetunion willkürlich verfolgten, entrechteten und in Straflager deportierten deutschen Kommunisten und Antifaschisten, von denen viele ermordet wurden, auf dem Friedhof der Sozialisten befürworten, nicht aber am Karl-Liebknecht-Haus?

Andrej Reder: Bereits 2006/2007 habe ich im Zusammenhang mit der Geschichtsdebatte in der PDS und dem "Stalinismus-Stein" in Friedrichsfelde mehrfach für eine Ehrung der in der Sowjetunion repressierten Opfer auf dem Friedhof der Sozialisten plädiert. Den "Stalinismus-Stein", der dort installiert wurde, lehne ich aus unterschiedlichen Gründen ab.

Im Arbeitskreis bei der Berliner VVN-BdA, in dem ich seit Dezember 2008 bis zum Spätherbst 2010 mitarbeitete, haben sich die Teilnehmer damals zunächst dem Thema genähert. Sie erzählten einander die jeweiligen Schicksale ihrer unmittelbar betroffenen Angehörigen sowie ihre eigenen Schicksale. Diese hatten sie in unterschiedlichem Maße erlebt und verarbeitet. Im November 2009 wurde festgelegt, sich über solche Lebensläufe regelmäßig auszutauschen. Diese ehrlichen, sehr emotionalen, uns alle bewegenden Gespräche haben uns nicht nur darin bestärkt, dass das Miterlebte ein Verbrechen gewesen ist, sondern auch darin, dass all derer gedacht werden muss, die ermordet wurden, und ebenso all derer, die die Willkür nach langen, manchmal mehrmaligen Verbannungsstrafen überlebt hatten, so wie mein Vater. Es ging uns stets um ein würdiges Gedenken, bei dem eben die Würde unserer Angehörigen und all der anderen Unschuldigen posthum und dauerhaft wiederhergestellt wird. Bei der Suche nach Wegen, wie dies geschehen könne und mit wessen Unterstützung zu rechnen sei, unterbreitete ich den Vorschlag, sich an die Linkspartei zu wenden. Und in diesem Zusammenhang entstand der Vorschlag einer Gedenktafel, den ich teilte und dazu den ersten Textentwurf unterbreitete. Dieser Entwurf erfuhr in der Folgezeit verschiedene Modifizierungen, sodass sich im endgültigen Text der Gedenktafel und in der Begründung so erhebliche Änderungen abzeichneten, dass ich zu zweifeln begann, ob das Karl-Liebknecht-Haus der richtige Ort sei. Um das zu verdeutlichen, möchte ich auf meinen ersten Vorschlag verweisen, der da lautete:

"Ehrendes Gedenken an deutsche Kommunisten und Antifaschisten, die in der Sowjetunion zwischen den 1930 und 1950er Jahren willkürlich entrechtet, jahrelang repressiert bzw. ermordet wurden"

Aus der von mir vorgeschlagenen Begründung für diesen Textentwurf wurde bezeichnenderweise u. a. folgende Formulierung, die dem Referat des Genossen Schumann auf dem Sonderparteitag von 1989 entnommen war, gänzlich gestrichen:

"Die Mehrzahl dieser Menschen ist, obwohl sie schlimmsten Drangsalen ausgesetzt waren, ihren sozialistischen und humanistischen Idealen treu geblieben. Soweit es sich um Genossen unserer Partei handelt, haben sich die meisten nach wiedererlangter Freiheit ohne zu zögern weiter in unseren Reihen für eine sozialistische Zukunft eingesetzt, obwohl ihre Rehabilitierung oft nur halbherzig, verklausuliert oder gar nicht erfolgt ist. Vielen können wir nur noch posthum ihre Ehre zurückgeben ... Wir setzen uns dafür ein, dass den Opfern stalinistischer Verbrechen ein bleibendes Gedenken in unserer Gesellschaft bewahrt wird."

Diese Aussage ist heute nicht nur ebenso gültig wie damals, sondern sie erfasst treffend die Verpflichtung der Linkspartei, diesen Opfern ein bleibendes Gedenken in unserer Gesellschaft zu bewahren. Und dies nicht an einer Hauswand, sondern viel wirkungsvoller an der Seite führender und verdienstvoller sozialistischer, kommunistischer, sozialdemokratischer und anderer Kampfgefährten mehrerer Generationen auf dem Friedhof der Sozialisten.

Ob das auf diesem Friedhof rechtlich möglich ist oder nicht, kann ich nicht beurteilen. Was ich aber feststellen muss, ist, dass die Parteivorstände von SED/PDS, PDS und der Partei DIE LINKE seit fast einem Vierteljahrhundert zu keinem Zeitpunkt überhaupt versucht haben, einen solchen Gedenkstein in Friedrichsfelde zu errichten. Dafür findet man sich seit 2007 mit dem "Stalinismus-Stein" dort brav ab.

3. Der Parteivorstand der LINKEN hat auf seiner Sitzung am 18. Oktober 2013 mit etwa Zweidrittel-Mehrheit die Anbringung der Tafel am Karl-Liebknecht-Haus beschlossen. Ist das das Ende der Debatte oder der Anfang einer neuen?

Andrej Reder: Welcher Debatte? Der Parteivorstand hat jetzt in der Tat mit großer Mehrheit entschieden. Aber seit der Initiative des Arbeitskreises bei der Berliner VVN-BdA gegenüber der Linkspartei mussten fast geschlagene drei Jahre vergehen, in denen weder in der Linkspartei noch in der VVN-BdA eine wirklich inhaltliche Debatte stattgefunden hat. Eine solche Debatte hätte die Grundlage für den getroffenen Beschluss sein müssen. Insofern wird die Verständigungsdebatte in der Partei über die Gedenktafel noch folgen müssen. So habe ich den Bundesgeschäftsführer verstanden, als er die Vorstandsmitglieder schlussendlich dazu aufrief, diesen Beschluss der Parteibasis nahezubringen. Wie dies allerdings inhaltlich konkret geschehen soll, ist unbeantwortet geblieben, wie mit den zweifelsfrei auch weiterhin existierenden inhaltlichen Differenzen? Somit ist jedem Vorstandsmitglied die Interpretation allein überlassen, wenngleich es sich um ein äußerst sensibles und kompliziertes Problem handelt. Bei aller Pluralität und Kreativität der Vorstandsmitglieder scheint mir ein solches Herangehen nicht sehr hilfreich zu sein, zumal es sich hierbei letztendlich um mehr handelt, als "nur" um eine Gedenktafel.

Übrigens, ich weiß nicht, ob im Geschäftsführenden Parteivorstand im März eine wirkliche Debatte stattfand, bei der das Für und Wider einer Gedenktafel am Karl-Liebknecht-Haus angemessen erörtert wurde. Wenn ja, dann bleibt unverständlich, warum Betroffene dazu nicht eingeladen wurden. Am 18. Oktober jedenfalls reduzierte sich die Debatte im Wesentlichen auf das Vortragen der jeweiligen Standpunkte.

Eine letzte Anmerkung sei mir noch gestattet: Sicherlich widerspiegelt die Gedenktafel an diesem Ort die derzeitigen Befindlichkeiten von Angehörigen der Betroffenen, von Mitgliedern des Arbeitskreises und nicht zuletzt der Mehrheit der anwesenden Vorstandsmitglieder. Ich wage jedoch zu bezweifeln, ob sich die Befindlichkeiten auch derer darin reflektieren, um die es vor allem dabei ging.

 

Mehr von Andrej Reder in den »Mitteilungen«: 

2013-11: Worin wir uns einig sind

2013-03: Einige Erfahrungen der PDS und der Partei DIE LINKE

2009-02: Voll in die Falle getappt – »Unerträgliche« Zumutung