Bericht des Bundessprecherrates an die 3. Tagung der 14. Bundeskonferenz
Berichterstatter: Thomas Hecker, Berlin
Liebe Genossinnen und Genossen,
am 20. und 21. Juni 2009 treffen sich in Berlin die Delegierten zum Bundestagswahlparteitag der LINKEN, und in gut fünf Monaten finden die Wahlen zum Deutschen Bundestag statt. Noch sieben Wochen sind es bis zu den Wahlen zum Europäischen Parlament. Zugleich fallen in diesen Zeitraum 15 Landtagswahlen bzw. Kommunalwahlen. Sahra wird heute zu unseren aktuellen Aufgaben im Wahlkampf unter den Bedingungen der Wirtschafts- und Finanzkrise sprechen. Am 28. Februar und 1. März trafen sich in Essen die Delegierten des Bundesparteitages bzw. die WählervertreterInnen zur Vorbereitung der am 7. Juni stattfindenden Wahlen zum Europäischen Parlament. Vor dem Europaparteitag der LINKEN hatte sich der Bundesausschuss auf eine Liste geeinigt. Drei bisherige EP-Abgeordnete fehlten auf der Liste, die den Delegierten in Essen empfohlen werden sollte: Tobias Pflüger, favorisiert von der Friedensbewegung, sowie Sylvia-Yvonne Kaufmann und André Brie. Alle drei traten dennoch an. Tobias Pflüger, leidenschaftlich unterstützt von Sahra, schaffte es auf Listenplatz zehn. Nachdem Sylvia-Yvonne Kaufmann mit ihrer Kandidatur gegen die auf Platz sieben gesetzte Linke Sabine Lösing chancenlos geblieben war und auch im nächsten Wahlgang um Platz neun gegen Martina Michels unterlag, erhob sich die Frage, ob André Brie überhaupt noch kandidieren würde. Er musste mit einer Niederlage rechnen. Bei der Wahl um Listenplatz 12 trat er gegen Sascha Wagener, den Kandidaten der Linksjugend ['solid], an und scheiterte in der Stichwahl ebenfalls deutlich am Votum der Delegierten. Inzwischen hatte sich Sylvia-Yvonne Kaufmann noch einmal für Platz 13 beworben. Doch Ruth Firmenich, Mitarbeiterin von Sahra in Brüssel, entschied die Wahl klar für sich. Dass dann noch der auf den Platz 14 gesetzte René Heilig, von Petra Pau und Halina Wawzyniak empfohlen, gegen den Linken Wilfried Telkämper unterlag, war nur noch bedingt eine Überraschung.Mehr als nur linke AkzenteDie Ergebnisse bei der Aufstellung der Kandidatenliste für die Wahlen zum Europäischen Parlament entsprachen in der Sache den Resultaten der Abstimmung über das Europawahlprogramm. Schon dessen Entwurf war von guter Qualität. Nicht wenige der über 60 Änderungsanträge waren darauf gerichtet, den ohnehin bereits linken Charakter des Wahlprogramms weiter auszuprägen. Von diesen, auf die Vertiefung des linken Profils gerichteten Anträgen wiederum wurden viele angenommen bzw. unterlagen nur knapp. So wurde der an die Feststellung im Entwurf »Es gibt keine ›humanen Militärinterventionen‹« anknüpfende Antrag des Geraer Dialogs angenommen: »Die LINKE lehnt daher alle Kriegseinsätze, auch mit UN-Mandat ab.« Ebenso kamen Anträge von Prof. Gregor Schirmer durch. Zum einen der Antrag: »Die LINKE will eine friedliche Europäische Union, die das Völkerrecht und die Charta der Vereinten Nationen, insbesondere das Gewaltverbot, konsequent ächtet und verteidigt.« Zum anderen der Antrag: »Jede Stimme für DIE LINKE in Deutschland stärkt die gesellschaftspolitischen Alternativen, die über den Kapitalismus hinaus zu einem demokratischen Sozialismus weisen und unterstützt die europäischen Kämpfe gegen die herrschende Politik.« Aus der Formulierung im Entwurf »Der Kapitalismus, für den Arbeitsplätze zur bloßen Manövriermasse in einem globalen Finanzcasino geworden sind, muss überwunden werden.« wurde: »Der Kapitalismus muss überwunden werden.«Die von der Kommunistischen Plattform initiierten Anträge zum Antifaschismus waren bereits durchweg im Vorfeld des Parteitages vom Bundesvorstand übernommen worden. Soweit einige konkrete Beispiele. Der Essener Parteitag hat mehr als nur linke Akzente gesetzt. Er steht wohl mit denen in Münster (2000) und Gera (2002) in einer Reihe. Der Parteitag hat die politische Linie von Oskar Lafontaine bestätigt, die dieser in seiner mit viel Beifall bedachten Essener Rede erneut bekräftigte. Die, denen diese Linie nicht passt, sind nicht mehr in der Lage, die Partei mit Rücktrittsdrohungen zu erpressen. Das unterscheidet Essen von Münster und Gera. Bestimmte Dinge sind eben mit Oskar Lafontaine etwas schwerer zu machen als seinerzeit mit Gabi Zimmer.Eine prinzipielle Programmdebatte steht bevorDie politischen Gegner, darunter die bürgerlichen Medien – wo auch immer angesiedelt – hatten sich infolge der Fusionsprozesse von 2005 bis 2007 einen Rechtsruck erhofft, den übrigens ja auch wir zunächst befürchteten. Nun fühlen sich die Rechten aller Schattierungen ausgesprochen betrogen. Und sie sind stark. Der Druck auf die LINKE wird in Vorbereitung der Europa- und Bundestagswahlen, der Landtags- und Kommunalwahlen im Jahr 2009 in womöglich bisher ungekannter Heftigkeit zunehmen. Im »Superjubiläumsjahr« werden dabei die antikommunistischen Angriffe im Kontext mit unserer Geschichte eine besondere Rolle spielen, vielleicht die entscheidende. Und an Beihilfe wird es nicht fehlen, wie ein Thesenpapier einer Arbeitsgruppe »Herbst ’89« der sächsischen Linkspartei demonstriert. Der Bundeskoordinierungsrat der KPF hat sich auf seiner Sitzung am 7. März 2009 mit den Thesen befasst und die Autoren in einem offenen Brief aufgefordert, darauf zu verzichten, ihre Thesen zum Diskussionsgegenstand in der LINKEN zu machen. »Geschieht dies nicht«, so formulierten wir vor anderthalb Monaten, »so tragen sie [die Autoren] die Verantwortung für eine dann unvermeidbare Debatte.« Am 9. März wurde unser Offener Brief in der jungen Welt dokumentiert, wofür wir uns herzlich bedanken. Am 15. März tagte die sächsische KPF und unterstützte die Position des Bundeskoordinierungsrates. Am 25. März 2009 fand eine von der AG »Herbst ’89« konzipierte Konferenz statt, auf der die 20 Thesen zur Debatte standen. Der Konferenzverlauf zeugte davon, dass zurzeit eine öffentliche Diskussion zur Geschichte nicht erwünscht scheint. Ein ähnliches Resultat hatte auch die Gründungsversammlung des FdS Brandenburg. Auch hier war ein Papier zur Geschichte vorgelegt, aber nicht verabschiedet worden. Vieles deutet darauf hin, dass nach den Wahlen eine – zumindest in Geschichtsfragen – äußerst harte Programmdebatte bevorsteht. Die momentane Situation erlegt uns eine große Verantwortung auf. So sollte die Parteilinke tunlichst breit angreifbare politische Statements vermeiden. Dass prinzipielle Positionen, z.B. zum Thema Geschichte, keine Steilvorlagen für politische Gegner bieten müssen, ist zigfach bewiesen. Wir kommen auf die Geschichtsproblematik in diesem Referat noch einmal zurück. Fest steht: Die antikapitalistischen Kräfte in der LINKEN, die KPF eingeschlossen, haben es wesentlich in der Hand, ob der Kurs von Essen beibehalten werden kann. Der vorliegende Entwurf des Bundestagswahlprogramms1 und auch so manche Kandidatur zeugen davon, dass einflussreiche Kräfte in der Partei einen anderen Weg einschlagen wollen: Den der Signalisierung von Koalitionsbereitschaft. Keine neue Tendenz, und natürlich goutiert von den bürgerlichen Medien.Ende Januar 2009 äußerte der LINKEN-Landeschef von Sachsen Anhalt, Matthias Höhn, im ND, er warne vor einer »zunehmenden Radikalisierung unserer Forderungen«. Nicht zuletzt die Wahlergebnisse in Hessen zeigten, dass »den Leuten derzeit nicht nach einer Zuspitzung der Kapitalismuskritik zumute ist«. Vielmehr solle die Partei ihren »Gebrauchswert« mit Konzepten dafür unter Beweis stellen, wie sich auch in Krisenzeiten ein gerechter sozialer Ausgleich in der Gesellschaft erreichen lasse. Sehen wir einmal von zwei Dingen ab: Erstens davon, dass es an Irrwitz grenzt, wenn Matthias Höhn – in Anbetracht der mit Steuergeldern finanzierten zig Milliarden schweren Subventionen für Banken und Kapital einerseits und sprunghaft steigender Arbeitslosigkeit mit all ihren verheerenden sozialen Folgen andererseits – von einem gerechten sozialen Ausgleich spricht. Bestenfalls wird Schadensbegrenzung möglich sein. Sehen wir zweitens davon ab, dass wir natürlich sozialpolitische Vorschläge machen müssen, die den Charakter von Schadensbegrenzung haben. Sieht man also von dieser Mischung von Irrwitz und Selbstverständlichkeit einmal ab, so bleibt, dass Matthias Höhn Sorge vor einer Zuspitzung von Kapitalismuskritik zu einem Zeitpunkt äußert, da der Kapitalismus in all seiner Destruktivität bloß liegt. Hessen, so Höhn, habe das Desinteresse an Kapitalismuskritik gezeigt. Wir sehen das anders. Hessen hat primär signalisiert, dass Koch im Amt geblieben ist, weil zumindest der SPD-Führung die antikommunistische Zuverlässigkeit ihrer Partei wichtiger ist, als die Einlösung des Versprechens, einen Regierungs- und Politikwechsel herbeizuführen. Und Hessen hat ebenso demonstriert, dass das Wirken des antikommunistischen Giftes in der Bevölkerung im Westen etwa fünf Prozent Wählerstimmen für die LINKE zulässt und eben – zumindest zurzeit – nicht wesentlich mehr. Anzunehmen – tatsächlich oder demagogisch – die LINKE könne im Westen mal eben die Stimmen »einkassieren«, welche die SPD verliert, ist gleichbedeutend damit, zu ignorieren, dass im Westen Deutschlands seit 1918 ungebrochen der Antikommunismus Staatsräson ist. Und der Antikommunismus heutzutage speist sich primär aus dem völlig verzerrten Bild, welches die kapitalhörigen Medien von der DDR schon immer vermittelten und heute mehr denn je vermitteln. Dieses Bild wird für die Realität genommen, und eine solche Realität wünscht man sich nicht als gesellschaftliche Alternative, nicht einmal partiell. Dieser Reflex funktioniert, zumindest im Westen, noch zig millionenfach. Was viele Wähler von dem System halten, in dem sie leben, steht auf einem anderen Blatt. Der Kapitalismus wird immer unattraktiver – so die soziale Erfahrung vieler. Doch die bisher mit dem Sozialismus gemachten Erfahrungen, so meinen vor allem jene, die diese Erfahrungen nicht machten, böten keinerlei Alternative. Das ist der durch den Untergang des europäischen Sozialismus beförderte, nachhaltig eingetrichterte Reflex. Damit letzterer erhalten bleibt, läuft die antikommunistische Maschinerie auf Hochtouren. Und gerade deshalb ist es umso wichtiger, dass die Linke über die Funktionsmechanismen des Kapitalismus aufklärt. Nicht der gegenwärtige Kapitalismus ist entartet, sondern jener vergangene war gebändigt, der sich in Konkurrenz zu einer, zweifellos unfertigen, aber doch gesellschaftlichen Alternative befand. In diesem Sinne ist über den gewesenen Sozialismus zu reden. Wir müssen nicht verschämt so tun, als sei Sozialismus nur eine zukünftige Alternative. Auch der vergangene war mehr als das schlechte Beispiel, das bekanntlich lehrt, wie man es nicht machen darf. Es wird eine der wesentlichsten Aufgaben der KPF in den bevorstehenden Monaten sein, dazu beizutragen, dass der von links geführte Wahlkampf prinzipielle antikapitalistische Züge trägt und Antikommunismus nicht stillschweigend hinnimmt.Nicht vor der antikommunistischen Flut zurückschreckenNoch einmal zurück zum Thema Geschichte: Wir müssen uns der antikommunistischen Flut widersetzen, die im Zusammenhang mit den bevorstehenden Jahrestagen jedes eigenständige Denken hinweg zu schwemmen droht. Wir hatten uns auf der Bundeskonferenz am 22. November 2008 ausführlich mit dem Leitantrag an den CDU-Parteitag befasst. Die Auswirkungen dieser ideologischen Richtlinie, die ebenso von den anderen bürgerlichen Parteien getragen wird, erleben wir jeden Tag. Wir sind nicht in der Lage, dieser wütenden Hetze quantitativ etwas entgegen zu setzen. 53 Fernsehsender (davon 42 private), 245 Rundfunkstationen (davon 187 private), 9.412 Zeitungen und Zeitschriften, darunter BILD mit einer Auflage von 3,3 Millionen und einer Reichweite von 11,5 Millionen Lesern bedienen den Zeitgeist und verfestigen ihn bei nicht gerade Wenigen. Hinzu kommen Filme, Bücher, Veröffentlichungen und zahllose Veranstaltungen und – last but not least – Institutionen wie die parteinahen Stiftungen der staatstragenden Parteien, die Bertelsmann-Stiftung, die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, das Institut der deutschen Wirtschaft, die Stiftung Wissenschaft und Politik oder der weniger bekannte, aber umso einflussreichere Konvent für Deutschland. Nichts überlassen unsere politischen Gegner hier dem Zufall.Am 3. November 2008 fand eine vom Beauftragten der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Minister Wolfgang Tiefensee, und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur organisierte Konferenz statt. Sie diente dem Ziel, Rechenschaft darüber abzulegen, wie es um die seit 2007 initiierten Projekte und Initiativen anlässlich des 20. Jahrestages des Herbstes ’89 und der nachfolgenden Deutschen Einheit bestellt ist.Diese Veranstaltung war in zwei Komplexe untergliedert:Zum Thema »Was-Wie-Wozu Erinnern? Die DDR als Teil der öffentlichen Erinnerungskultur in der Bundesrepublik und ihren Kommunen.« diskutierten u.a. Ulrike Poppe, ehemals Bürgerrechtlerin, Studienleiterin an der Evangelischen Akademie zu Berlin und Dr. h.c. Joachim Gauck, Mitbegründer des neuen Forums und Vorsitzender des Vereins Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V.Unter der Überschrift »Kommunen schreiben Geschichte – Initiativen, Beispiele, Projekte« stellten sich zum anderen unter Regie der »Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur« verschiedene Vereine und Zeitzeugenprojekte vor.Die Konferenz erhob den Anspruch, pluralistisch mit der DDR-Geschichte umzugehen. Eine Farce, da zugleich die Forderung erhoben wurde, die Forschungen dürften nicht ergebnisoffen sein. Für letzteres stehen im Übrigen die beteiligten Verbände. So die Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft e.V., die Gedenkstätte Berliner Mauer, die Konrad Adenauer Stiftung, die Stiftung Demokratische Jugend Berlin und die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.Hinter diesen knappen Informationen über die o.g. Konferenz verbergen sich eine Unzahl von tendenziösen Projekten, Veranstaltungen etc. und, besonders wichtig, die dafür erforderlichen Gelder. Liebe Genossinnen und Genossen, vor der Wucht der antikommunistischen Flut weichen viele Linke zurück. Das ist bei weitem nicht nur ein Problem in unserer Partei. In einem Interview mit dem Leitungsmitglied der italienischen Rifondazione Comunista, Professor Alberto Burgio, in der jungen Welt vom 19. Januar 2009 wurde vom Interviewer darauf verwiesen, dass in letzter Zeit parteiintern viel vom Stalinismus und der Berliner Mauer die Rede gewesen sei. Die Abbildung einer Szene des Mauerfalls auf den Mitgliedsausweisen der Jugendorganisation der Rifondazione Comunista, Giovani Comunisti habe heftige Polemiken ausgelöst. Professor Burgio antwortete der jungen Welt: »Man hat über den Mauerfall und seine Bedeutung diskutiert. Der Abriss der Mauer ist eine historische Tatsache, die auch durch den massenhaften Druck der Ostdeutschen zustande kam, die auf der Suche nach Befreiung waren. Dieses Bild, dieser symbolische Mauerfall, ist allerdings mittlerweile zum Logo des neoliberalen Einheitsdenkens geworden.« Soweit Alberto Burgio. »Allerdings«, sagt er. Welches »Allerdings« ist gemeint? Meint er: jedoch, aber, indessen oder hingegen? Ist es also für ihn so etwas wie ein logischer Widerspruch, dass die Neoliberalen den Mauerfall als emanzipatorischen Akt begrüßen, wenngleich sie von Emanzipation im Allgemeinen soviel nicht halten? Dieser Widerspruch müsste dann aufgelöst werden. Oder gebraucht Burgio den Begriff »Allerdings« im Sinne von: aber gewiss, natürlich, selbstverständlich, ohne Frage, zweifellos, oder selbstredend? Beide Synonymisierungen sind ja möglich. Wenn es – wie im zweiten Fall – eine Selbstverständlichkeit wäre, dass die Neoliberalen den Mauerfall zu ihrem Logo gemacht haben, wäre dann nicht ein prinzipiell anderes Erklärungsmuster vonnöten als der Verweis auf die nach Befreiung strebenden Ostdeutschen? Ist die Rückkehr der Allmacht des Kapitals in den Osten Deutschlands Befreiung oder Unterdrückung? Wir behaupten nicht, dass die Errichtung der Mauer von der Stärke des Sozialismus zeugte. Auf tragische Weise hat die DDR mit ihr vor allem ihren ökonomischen Schwächen Rechnung getragen. Dass viele Menschen die nicht zuletzt daraus resultierenden Reisebeschränkungen und das diesen Beschränkungen adäquate Grenzregime als Misstrauensbeweis empfinden mussten, liegt in der Natur der Sache. Wir haben uns zu dieser Problematik in der Erklärung des Sprecherrates2 vom Juli 2001 geäußert, zu der wir bis heute uneingeschränkt stehen. Wenn Linke – weil sie die neoliberalen Angriffe mehr fürchten als den Opportunismus – darauf verzichten, Geschichte zu analysieren, dann werden sie zum doppelten Opfer des Antikommunismus. Er trifft sie und sie bedienen zugleich seine Voraussetzungen. Es ist zumindest naiv, den Beginn des staatlichen Untergangs der DDR als Befreiung zu klassifizieren und sich zugleich darüber zu wundern, dass die Todfeinde des Sozialismus dies als Symbol ihres Sieges feiern. Die Gegner einer gesellschaftlichen Alternative haben wohl die Gefahr, die sie durch den frühen Sozialismus heraufziehen sahen, stets ernster genommen als manche Linken die diesem Sozialismus innewohnenden antikapitalistischen Potenzen. Kaum vorstellbar, die gegenwärtige Krise des Kapitalismus fände in einer Welt statt, in der die staatliche Macht des Sozialismus erheblich stärker wäre als dies heute der Fall ist. Allerdings: Womöglich würde der Kapitalismus dann auch nicht so entfesselt gewütet haben. Doch es ist, wie es ist. Und es bleibt: Auf ein Ideal zu verzichten, ist für Sozialisten ein Unding. Die Frühphase einer sozialistischen Gesellschaft primär an deren Endziel zu messen, macht unsensibel für Erreichtes. Letzteres hat sich als gefährlich erwiesen. Wir bekräftigen die langjährige Position der KPF: Wir werden uns weder nötigen lassen, den Zeitgeist zu bedienen, noch werden wir darauf verzichten, die nichtsozialistischen Züge des gewesenen Sozialismus als solche zu benennen. Davon wird auch eine Publikation zeugen, die wir im Oktober dieses Jahres der Öffentlichkeit vorstellen werden. Werner Wüste, der seinerzeit »Das Vermächtnis. Zeugnisse eines Sozialisten« herausgab, hat aus seit 1993 erschienenen »Mitteilungen« Erklärungen und Artikel von Kommunisten und Marxisten zum Thema Geschichte ausgewählt. Daraus stellt er eine Publikation zusammen, welche die Positionen der KPF im Streit um die Geschichte über gut anderthalb Jahrzehnte reflektieren wird.Um auf den Ausgangspunkt zurückzukommen. Wir können der Flut wütender Hetze quantitativ nichts entgegensetzen. Qualitativ orientieren wir uns auf folgende Aspekte:
- Wir müssen analysieren, welche Auswirkungen die von Menschen im heute real existierenden Kapitalismus gemachten sozialen Erfahrungen auf die Wirksamkeit des Antikommunismus haben. Wo die bürgerliche Ideologie an Wirksamkeit verliert, sind die Inhalte in den Mittelpunkt zu rücken, die am ehesten Ansatzpunkte bieten, antikommunistische Vorurteile infrage zu stellen.
- In diesem Sinne müssen wir die Schwerpunkte unseres ideologischen Wirkens selbst bestimmen und ein hohes Niveau der diesbezüglichen Arbeit gewährleisten. Mittelmaß ist gleichbedeutend damit, keine jungen Menschen anzusprechen. Und mangelndes Niveau erleichtert Antikommunisten ihr Geschäft. Um es mit Kurt Tucholsky zu sagen: »Man fällt nicht über seine Fehler. Man fällt immer über seine Feinde, die diese Fehler ausnutzen.« Ergänzt sei: Da Kommunisten in dieser Gesellschaft nicht gerade wenig Feinde haben, ist es nicht unzweckmäßig, wenn sich die Anzahl ihrer Fehler in Grenzen hält.
- Wir müssen und werden ein Garant dafür sein, unsere Wurzeln nicht zu verraten.
Unsere Strategie, im Rahmen unserer begrenzten Möglichkeiten ein ansprechendes Niveau zu gewährleisten, bewährt sich. Da hilft natürlich ganz besonders die Rolle, die Sahra in den Medien spielt: 3,2 Millionen Zuschauer bei Anne Will am 18. Januar, 2,9 Millionen bei Maybrit Illner am 12. Februar, dazu Interviews in der Zeit, im Spiegel, in der TAZ, bei Deutschland Radio Kultur, beim WDR, N24, N-TV und nicht zu vergessen: 25 öffentliche Veranstaltungen mit insgesamt mehr als 4.000 Teilnehmern allein im 1. Quartal 2009 – und dabei ist der Parteitag in Essen noch nicht mitgerechnet. An dieser Stelle sei Sahra ganz herzlich für dieses Engagement gedankt.
Geschichte in Geschichten – 4. Oktober 2009
Die Gewährleistung des Niveaus unserer politischen Arbeit erfordert eine hohe Qualität unserer »Mitteilungen« und unserer Veranstaltungen in den Ländern. Dabei müssen wir vor allem bestrebt sein, junge Menschen mit unseren Standpunkten anzusprechen. Besonders wichtig ist es, gerade ihnen zu vermitteln, warum Menschen allen Widrigkeiten der Vergangenheit zum Trotz und trotz der gewaltigen historischen Niederlage zum Ende des zwanzigsten Jahrhunderts bei ihren sozialistischen Überzeugungen geblieben sind oder zu solchen gefunden haben.
In Bertolt Brechts »Die Verurteilung des Lukullus« ist zu lesen:
Immer doch
Schrieb der Sieger die Geschichte des Besiegten.
Dem Erschlagenen entstellt
Der Schläger die Züge. Aus der Welt
Geht der Schwächere, und zurückbleibt
Die Lüge.
Prägnanter lässt sich nicht ausdrücken, was wir stetig in diesem Jahr 2009 erleben – anlässlich des 60. Jahrestages der Gründung von BRD und DDR und zwei Jahrzehnte nach der Grenzöffnung zwischen den beiden deutschen Staaten; zugleich Fall der Mauer zwischen NATO und Warschauer Vertrag.
Aus verschiedensten Gründen haben seither nicht wenige über Bord gehen lassen, was ihnen bis dahin eherne Überzeugung zu sein schien. Hier Opportunismus, dort Enttäuschung und Resignation. Müdigkeit und Hoffnungslosigkeit haben sozialistische Positionen verschüttet, nicht selten auch zerstört. Andere sind bei ihrer Überzeugung geblieben, dass der Kapitalismus nicht die letzte Antwort der Geschichte sein kann und darf. Sie blieben und bleiben – allem Antikommunismus zum Trotz – Sozialistinnen und Sozialisten, Kommunistinnen und Kommunisten.
Woher die Festigkeit? Welches war ihr ganz persönlicher Weg zu sozialistischen Überzeugungen – hüben wie drüben? Was hat sie elementare Brüche überstehen lassen, vor allem jene, die sich Ende der achtziger und Anfang der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts auftaten? Wie fanden und finden junge Menschen, die schon der Nachwendegeneration angehören, trotz alledem diesen Weg? Welche Erlebnisse, welche Begegnungen, welche Erkenntnisse waren prägend?
Die Kommunistische Plattform, das Marxistische Forum und das Antieiszeitkomitee führen am 4. Oktober 2009 in Berlin eine Veranstaltung durch, auf der Linke aus Ost und West, Junge und Alte, über ihr Verhältnis zur Geschichte und Gegenwart auf sehr persönliche Art berichten werden. »Geschichte in Geschichten« ist ihr Motto. Gut zwanzig Menschen sollen zu Wort kommen. Begleitet werden die Berichte von künstlerischen Beiträgen.
Die Kunst der Berichte wird nicht darin bestehen, Lektionen zu halten. In zehn Minuten – und länger wird niemand das Wort nehmen – hält man keine Vorlesung. Die Kunst wird auch nicht darin bestehen, die eigene Biografie im Telegrammstil zu verlesen. Die Kunst muss darin bestehen, so etwas wie Grunderlebnisse zu schildern, welche die eigenen politischen Überzeugungen maßgeblich prägten. Der Anspruch sei klar formuliert: Es geht eher um Literarisches als um Agitatorisches, was nicht bedeutet, dass vor allem Literaten zu Wort kommen sollen. Und noch etwas: Schon jetzt deutet sich an, dass es mehr Interessenten geben wird, als uns Redezeit zur Verfügung steht. Doch wir werden Proportionen zu wahren haben. Niemand, der sich zu Wort meldet und nicht die Gelegenheit bekommt zu reden, möge sich gekränkt fühlen. Niemand möge sich kontrolliert fühlen, wenn wir vor der Veranstaltung um die Beiträge bitten, um Politisches und Kulturelles miteinander in Abstimmung bringen zu können und auch, um schon im November 2009 ein Sonderheft über die Veranstaltung vorzulegen. Es wird dies die Veranstaltung der Kommunistischen Plattform, des Marxistischen Forums und des Antieiszeitkomitees im so genannten Superjubiläumsjahr werden, und sie soll weder ein Seminar noch ein Streitgespräch werden, sondern in ihrem Verlauf sollen Lebensgeschichten vorgestellt werden. Lebensgeschichten derer, die – wie auch immer sie zu dieser Überzeugung gelangten – nicht bereit sind, den Kapitalismus als letzte Antwort der Geschichte zu akzeptieren. Sie befinden sich damit nicht zuletzt in der Tradition von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht.
Nachbetrachtungen zur Luxemburg-Liebknecht-Demonstration 2009
Einen Tag nach der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung, am 12. Januar 2009, berichtete das ND:
»Der Strom der Menschen, die heute an Karl und Rosa erinnern wollen, reißt nicht ab. Tausende trotzen so dem beißenden Frost, und am Grab der beiden Sozialistenführer türmen sich die roten Nelken. Doch auch auf den benachbarten Grabsteinen Ernst Thälmanns, Walter Ulbrichts und Wilhelm Piecks liegen zahlreiche Blumen. Währenddessen bot die ebenfalls alljährlich organisierte Demonstration ... ein lauteres und jugendlicheres Bild. ›Ich bin zum ersten Mal dabei‹, schreit etwa die zwanzigjährige Studentin Anna aus Friedrichshain ... Dagegen bekennt ein rüstiger Lichtenberger Rentner: ›Bei dem Gedenken war ich schon mindestens zwanzig mal. Heute wollte meine Frau aber mal ein bisschen laufen. Darum sind wir dieses Mal auf der Demo.‹ ... In dem Moment zischen mit Mörsergepfeife Feuerwerksraketen über die Köpfe hinweg, denn an einer Ecke stehen junge Menschen von der Antifa auf dem Dach, schwenken die schwarz-rote Fahne und schießen ihre Böller ab. Dies ist der einzige Moment, indem sich etwas Spannung unter den zahlreichen, Spalier laufenden Polizeibeamten breit macht. Die entscheiden sich dann aber doch, achselzuckend darüber hinwegzusehen. ›Es gab keinen einzigen nennenswerten Vorfall während der Demonstration‹ vermeldet die Polizei anschließend. Friedlich also zogen unzählige Gruppen von der IG-Metall über die VVN-BdA bis hin zu baskischen Separatisten unter ihren jeweiligen Fahnen durch Berlin-Friedrichshain bis hin zur Gedenkstätte – laut Polizei etwa 8.000 Teilnehmer. Die Antifaschistische Linke, die den Zug mitorganisiert hatte, sprach von 12.000 Menschen. ›Wir waren mehr als letztes Jahr‹, so Sprecher Sebastian Lorenz. Auf den zahllosen Plakaten zitierte etwa die sozialistische Delegation aus Stockholm Luxemburgs Aussage über die Revolution ›Ich war, ich bin, ich werde sein‹, während Mitglieder des Motorradclubs ›Kuhle Wampe‹ einfach nur mitmarschierten. Ein Palästinenserblock wiederum fragte gemeinsam mit Israelis: ›Wo ist die internationale Solidarität?‹. Bei Ankunft an der Gedenkstätte wichen die lauten Töne dann aber respektvoller Einkehr.«
Solch sachlich freundliche Einschätzung im Zusammenhang mit der im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung stattfindenden Demonstration haben wir in den siebzehn Jahren, seit es die Demo wieder gibt, im ND noch nie gelesen. Wir erinnern uns ganz anderer Töne. Doch zunächst ein kurzer Rückblick auf die Geschichte der Ehrung und ihrer Demonstration. Die Ehrung für Karl und Rosa findet seit 87 Jahren statt. Nur während der Nazizeit war diese Tradition unterbrochen. 1990 gab es die in der DDR übliche Demonstration nicht mehr. Aber nicht weniger Menschen zogen schweigend an den Gräbern der Sozialisten vorbei. 1992 kam es erneut zu einer längeren Demonstration. Das Lenindenkmal sollte geschleift werden und die gegen diese Absicht mobilisierende Leninplatzinitiative rief anlässlich der LL-Ehrung zum Marsch vom Leninplatz bis nach Friedrichsfelde auf. Lenin wurde geschleift, die Demonstration aber entwickelte sich zu einer erneuerten Tradition. Und jährlich kamen mehr Menschen, an ihr teilzunehmen. Das wurde den Herrschenden ein Dorn im Auge. Im Januar 1996 kam es zu schlimmen Polizeiprovokationen. Die wären absolut zu vermeiden gewesen. Der Zug hatte in den Jahren zuvor ohne Polizeibegleitung stets sehr friedlich seinen Weg gefunden und hätte das zweifelsfrei auch 1996. Nach der Prügelorgie der Polizei auf dem Friedhofsvorplatz bekamen einige kalte Füße. Ein Teil der ursprünglichen Leninplatzinitiative zog sich zurück. Die Demonstration wurde als Chaotenveranstaltung denunziert. Da bildete sich ein Bündnis und übernahm die Verantwortung. Der Kern dieses Bündnisses arbeitet bis heute. Es stieß in den ersten Jahren seines Wirkens auf massive Ablehnung bei nicht wenigen führenden Persönlichkeiten der PDS. Am 8. Januar 1997 – dem ersten Jahr der Bündnisdemo – kommentierte der Chefredakteur des ND wenige Tage vor der Demonstration unter der Überschrift »Nötigung«:
»Selbst harte Kälte bietet keinen ausreichenden Schutz gegen ins Kraut schießende Profilneurosen. Opfer der Krankheit diesmal – Luxemburg und Liebknecht. Sie hätten Besseres verdient, als einen sich selbst erschöpfenden Streit über die Frage, wie die Sozialisten nächsten Sonntag zu Ehren sind. Wenn das Kurzzeitgedächtnis nicht völlig trügt, lagen Reiz und politischer Stachel nach der Wende gerade darin, dass jeweils so viele Menschen nach Berlin Friedrichsfelde gingen. Ohne dass vorher an sie ›appelliert‹, ohne das daraus ein Vorbeimarsch an wem auch immer gemacht worden wäre. Das Ganze hatte viel von weichem Wasser und nichts von harter Hand, viel von Gandhi und nichts von Honi. Das verlieh dem Sonntag im Januar eine warme, fast liebenswürdig menschliche Note. Man ging oder fuhr nach Friedrichsfelde, und vielen gefiel’s. Nun kann, wer will, dort hin auch ›ziehen‹, ›marschieren‹ oder ›demonstrieren‹. Die Wahl ist frei. Und sollte es bleiben. Ganz unerfreulich aber ist es, wenn wer fordert, Ehrung sei eigentlich nur per Demonstrrration!, massenhaft!, im Schulterschlussssssss! und mit stetig wachsenden Teilnehmerzahlen zulässig. Notfalls aufgehübschten. Das ist Nötigung und nicht wünschenswert. Im Geist von Rosa eh’ nicht.«
Den damaligen Chefredakteur interessierte nicht, dass die von ihm zynisch beschriebenen Positionen niemals vom Bündnis vertreten wurden. Wer kannte schon den Bündnisaufruf? Und zu Wort im ND kamen nicht die Organisatoren der Demonstration. Dafür aber etliche Leserbriefschreiber mit endlosen Kassandrarufen, die Chaoten würden die ganze Ehrung zunichte machen. Das Bündnis ließ sich nicht provozieren. Der Versuch, die Demonstrationsorganisatoren in eine Anti-PDS-Stellung hineinzumanövrieren, und es so von der Parteibasis zu isolieren scheiterte, trotz starken Drucks von allen möglichen Seiten.
Eine extrem schwierige Situation entstand im Januar 2000. Ein gewisser Herr Staps hatte – weniger als 48 Stunden vor Beginn der Ehrung – gedroht, unter den Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht Ehrenden ein Blutbad anzurichten. Einerseits war dem Bündnis, wie vielen anderen ebenso, bewusst, dass die entstandene Lage ein gefundenes Fressen für jene war, denen die Ehrung noch nie gepasst hat, und andererseits akzeptierte das Bündnis, dass eine solche Drohung nicht einfach ignoriert werden konnte. Und noch etwas war uns – den PDS-Mitgliedern im Bündnis – bewusst: Würden wir in dieser heiklen Situation, die für Spekulationen, ob Herr Staps ernst zu nehmen sei, oder eher nicht, absolut nicht taugte, unsere eigene Suppe kochen, so würden wir jenen in der PDS, die nur auf einen Anlass warteten, die Demonstration von der Ehrung zu separieren, eine sichere Steilvorlage bieten. Wir kochten keine eigene Suppe und ließen uns dennoch nicht vereinnahmen. Das brachte uns wütende Angriffe sowohl von Seiten führender PDS-Leute als auch von denen ein, die meinten, uns links überholen zu können.
Wenige Tage nach den Ereignissen, die zunächst zum Verbot der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung durch die Berliner Polizei führten, schrieb Petra Pau, es ginge nicht um den bemüht-bekannten Schwur, wir sollten doch alle zusammenhalten, solidarisch sein. Was sei mit den Fragen, die vom Frust verdeckt oder aufgedeckt worden seien und einer programmatischen Antwort harrten. Und dann wörtlich: »Etwa die nach dem grundsätzlichen Verhältnis der PDS zum Gewaltmonopol des Staates? Oder, wann und unter welchen Bedingungen ist es legitim oder sogar geboten, ›der Sache wegen‹ Menschenleben zu riskieren. Schließlich auch die unentschiedene Frage, welche Form der Ehrung Karl und Rosa gemäß ist: Ehrendes Gedenken, das inzwischen bis zu 100.000 Teilnehmer für sich annehmen? Oder die ›machtvolle‹ Demonstration, die sich im duldenden Bündnis mit Stalinverehrern und PDS-Gegnern besonders engagiert wähnt.« Ende des Zitats. Ähnlich äußerten sich seinerzeit weitere führende Persönlichkeiten der PDS. So hieß es z.B., eine kleine gewalttätige Demo löse bei der Mehrheit der Bevölkerung nur Unverständnis aus; das Zusammengehen mit der dogmatischen Linken habe katastrophale Folgen. Es sei Tatsache, dass neben den Rechten die dogmatische Linke den größten Anteil daran habe, dass der Sozialismus im Bewusstsein so vieler so stark diskreditiert sei. Soweit nur zwei exemplarische Beispiele für die Angriffe aus der PDS-Führung.
Trotz alledem: Eine erstaunliche bündnispolitische Breite
Von der scheinbar entgegengesetzten Seite blieb uns auch nichts erspart. Ein gewisser Frank Grabow schrieb in »Junius« 2000/Nr.1, dem Blättchen einer der verschiedenen K-Gruppen: »Wie schon in der Programmdebatte innerhalb der PDS, zeigt sich im Zusammenhang mit den Ereignissen vom 9./10.01.2000 auch in der politischen Praxis die Kommunistische Plattform in der Defensive. Sie hat sich unfähig gezeigt, gegen die Gysi, Bisky, Pau und Co. eine eigenständige politische Position zu beziehen, hat faktisch kapituliert. Die Kapitulation der KPF, als der politisch-moralischen Führungsgruppe des Bündnisses der radikalen Linken [ein Anspruch, den wir nie erhoben haben], wirft die Frage auf, ob die radikale Linke in Deutschland überhaupt in der Lage ist, gegen die PDS eine eigene politische Demonstration im Januar 2001 durchzuführen? Am 15.01.2000 war sie es jedenfalls nicht.«
Was Frank Grabow offensichtlich nicht begriffen hatte: Es war nie das Ziel der KPF, gegen die PDS eine eigene politische Demonstration durchzuführen. Unser Verhältnis – sagen wir, aus symbolischen Gründen, zu einem André Brie – war nie unser Verhältnis zur Partei. Um das Spektrum der Angriffe auf das Bündnis anzudeuten sei hier – aus einem späteren Jahr – noch eine liebenswürdige Kritik aus jungle World zitiert: »Aus ›Liebe zum Kommunismus‹ frieren verirrte Autonome wie jedes Jahr gemeinsam mit Stasi-Spitzeln von gestern, den GULag-Wärtern von morgen, mit Antiimperialisten und Antizionisten, Nationalbolschewisten und Sozialdemokraten gegen die herrschende Klasse.« Soweit jungle World am 10.01.2008.
Das Bündnis, und in diesem Kontext ganz besonders die KPF, hatte es wirklich nicht nur mit den harten Attacken der Polizei in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts zu tun. Die verbalen Angriffe waren oft schmerzhafter, zumal sie von denen kamen, die man häufig als die eigenen Leute bezeichnet. Wir hätten uns ununterbrochen damit befassen können, uns der Angriffe von rechts und links zu erwehren. Doch wir bestimmten selbst, worauf wir reagierten und was wir ignorierten. Wir zogen es vor, unsere Kraft auf die solide Vorbereitung der Demonstrationen zu konzentrieren, gerade im Gefolge der Ereignisse vom Januar 2000. Die beharrliche politische und organisatorische Arbeit des Bündnisses zur Vorbereitung der Demonstration zahlte sich aus. Die Kommunisten in der PDS kämpften Jahr für Jahr um die Anerkennung der Demonstration als Bestandteil der Ehrung im Berliner Landesverband und andernorts. An der Parteibasis war das kein Problem. Auf Landesparteitagen schon eher. Die Demonstration war eben nicht gewollt. Zugleich gab es im Bündnis über die Jahre hinweg immer wieder Debatten, sich doch lieber zu separieren, statt stets aufs Neue Anerkennung einzufordern.
Durchgesetzt hat sich die politische Vernunft. Das war und ist die Basis für die erstaunliche bündnispolitische Breite der Ehrung und in ihrem Rahmen eben besonders der Demonstration. Die Solidarität im Bündnis – zumindest die Toleranz – ist groß und zugleich haben sich einige Prinzipien durchgesetzt: Zu diesen gehört, dass eine friedliche Demonstration politisch wirkungsvoller ist als eine von Zwischenfällen geprägte. Natürlich findet die Polizei, wenn sie es denn darauf anlegt, immer einen Anlass zum Eingreifen. Das kann schon bei den Vorkontrollen beginnen, auf die in diesem Jahr verzichtet wurde. Die Demonstration mit den im Vorfeld wenigsten Auflagen wurde zu einer ohne Zwischenfälle – ein Ergebnis, aus dem nicht nur das Bündnis sondern ebenso die Polizei Schlussfolgerungen ziehen sollte. Der Korrektheit halber sei ergänzt: Die unter Innensenator Körting durchgeführten Polizeieinsätze waren von anderer Art als jene, für die z.B. seinerzeit Schönbohm oder Werthebach die Verantwortung hatten. Und, weil schon von Senator Körting die Rede ist: Wir teilen seine Haltung zum NPD-Verbot.
Liebe Genossinnen und Genossen, am 19. Januar 2009 fand im Bündnis die Auswertungsrunde statt und im Sommer beginnt dann wieder die Vorbereitung der Demonstration am 10. Januar 2010.
Noch eine Bemerkung zum Thema Luxemburg-Liebknecht-Ehrung. Am »Stein des Anstoßes« gab es keinerlei Zwischenfälle. Auch dort waren Blumen niedergelegt worden. Niemand beschädigte diese. Der Stein blieb im Wesentlichen unbeachtet. Ein Zufall? Wir meinen nein. Im Vorfeld des 11. Januar gab es keine die Atmosphäre anheizenden Debatten im ND oder anderen linken Medien, durch die sich Genossinnen und Genossen provoziert fühlten. Daraus sollten wir für die Zukunft eine Schlussfolgerung ziehen: Gerade wenn provoziert wird, sollten wir uns so verhalten, als fände die Provokation nicht statt. Nichts provoziert Provokateure so, wie ins Leere laufende Provokationen.
Noch einmal zum Antisemitismusstreit
Seit unserer letzten Bundeskonferenz sind fünf Monate vergangen. In diese Zeit fielen die Proteste gegen den NATO-Gipfel in Kehl und Strasbourg, die Ostermärsche und die Sozialdemonstrationen »Wir zahlen nicht für Eure Krise«. An diesen Aktionen nahmen überall auch Genossinnen und Genossen der Kommunistischen Plattform teil. Die Ostermärsche waren begleitet von Diskussionen über die Vorschläge Obama’s, eine atomwaffenfreie Welt anzustreben. Manche sind von den Vorschlägen begeistert. Andere sind skeptisch. Das Leben wird zeigen, ob der Vorstoß Obama’s den Völkern mehr Sicherheit bringen wird oder ob große Kriege wieder führbar gemacht werden sollen. Eine starke Friedensbewegung ist in jedem Fall vonnöten.
In die Zeit seit unserer letzten Bundeskonferenz fiel auch die Menschenrechte verachtende Aggression Israels gegen die Bevölkerung in Gaza. Eine zunehmend wichtige Frage in den laufenden ideologischen Auseinandersetzungen innerhalb der LINKEN war und ist der Streit um den möglichen Antisemitismusgehalt der Kritik an der israelischen Regierungspolitik, der mit der Debatte einhergeht, ob die Linke in ihrem Verhältnis zu Israel der Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland folgen solle. In diesem Kontext spielt BAK Shalom eine exponierte Rolle. Nicht nur, dass dessen Vertreter jede Kritik an Israel als Antisemitismus ablehnen; schon Kritik an der imperialistischen US-Kriegspolitik wird, da diese eng mit der israelischen verknüpft ist, als potentiell antisemitisch angeprangert und es wird behauptet – logischerweise ohne jeden Beweis – vom Imperialismus zu reden sei obsolet. Es ist nicht verwunderlich, dass auch antikapitalistische Positionen angegriffen werden. Mit anderen Worten: Das Wirken von BAK Shalom stellt essentielle Grundsätze der LINKEN in Frage, so deren friedenspolitische Prinzipien. Es geht BAK-Shalom und deren Unterstützern um mindestens drei Dinge:
1. Linke sollen im Einzelfall Krieg als Mittel der Politik akzeptieren. Tun sie dies, vor allem im Falle Israels, nicht, setzen sie sich dem Antisemitismusverdacht aus.
2. Linke sollen sich an der Frage scheiden, ob sie – nach BAK Shalom’scher Definition – frei oder nichtfrei von Antisemitismus sind. Um eines klar zu stellen: Antisemitismus und Linkssein sind miteinander nicht vereinbar. Nur ist es eben eine Unterstellung, dass jegliche Kritik an Israel und schon an deren Unterstützern a priori antisemitisch geprägt sei. Allerdings ist Israelkritik nicht selten mit antijüdischen Ressentiments verknüpft. Wir sollten dies in keiner Situation als Kavaliersdelikt betrachten. Wenn Nazis ausgerechnet zum 27. Januar 2009 eine Demonstration unter dem Motto »Schluss mit dem israelischen Holocaust in Gaza« anmelden, dann ist das nicht nur eine Dreistigkeit sondergleichen, sondern es muss auch dafür sensibilisieren, dass ähnliche Losungen auf Antikriegsdemonstrationen nichts, aber auch gar nichts zu suchen haben. Und wenn ein deutscher Papst, reaktionär bis ins Mark, erzogen in der Hitlerjugend, just zu einem Zeitpunkt sowohl härtester Israelkritik wie auch zunehmenden Antisemitismus’ kirchliche Würdenträger zunächst wieder in den Schoß der Katholischen Kirche zurückkehren ließ, die als Antisemiten gelten und von denen einer ein offener Holocaustleugner ist, so wirft dies ein grelles Licht auf die ganze Ambivalenz, der auch Linke im Umgang mit dieser Problematik ausgesetzt sind. Dieser Situation stellen wir uns entweder mit Verstand und emotionaler Intelligenz, letzteres ist keine verbotene Kategorie im politischen Kampf, oder wir werden in eine uns nicht gemäße Ecke gedrängt, unabhängig davon wie wir selber uns sehen.
3. Im Zusammenhang mit der Ablehnung der friedenspolitischen Prinzipien unserer Partei durch BAK Shalom, zumindest wenn es um die USA und Israel geht, soll die LINKE den Kapitalismus bestenfalls partiell kritisieren dürfen, und sowohl auf den Imperialismusbegriff wie auch auf Solidarität mit antiimperialistischen Kräften verzichten. In diesem Kontext werden auch Venezuela und Kuba und weitere lateinamerikanische Staaten denunziert. Uns ist dies eine besondere Verpflichtung, die Solidarität mit Kuba und den Staaten Lateinamerikas zu vertiefen, die einen antiimperialistischen, teils antikapitalistischen Kurs eingeschlagen haben. Wir sind froh über das »Ja zur Revolution«, das beim Referendum über die Verfassungsänderung untrennbar mit dem Ja für Hugo Chávez verbunden war.
Zurück zum Antisemitismusstreit. Der wird benutzt. Eine unerträgliche Situation. Die Kommunistische Plattform stellte sich dieser Lage, nachdem Gregor Gysi – mit dessen Rede während der israelischen Aggression am 14. Januar 2009 im Bundestag wir übrigens einverstanden waren – anlässlich des sechzigsten Jahrestages der Gründung des Staates Israel einen höchst problematischen Vortrag vor der Rosa Luxemburg Stiftung gehalten hatte. Wir entschlossen uns, noch vor dem Bundesparteitag der LINKEN im Mai 2008 in Cottbus, die Initiative zu ergreifen und trugen wesentlich dazu bei, dass ein Papier »Staatsräson und Regierungsbeteiligung3« zustande kam, welches sich prinzipiell sowohl mit der Gysi-Rede als auch mit dem Wirken der BAK Shalom Leute auseinander setzte. Wenngleich dieses Papier in der LINKEN bis heute tot geschwiegen wird, hat es wohl doch signalisiert, dass Kommunistinnen und Kommunisten, Marxistinnen und Marxisten für BAK Shalom und andere keine leichte Beute sind, die in aufgestellte Fallen laufen. Statt dessen reichte Protagonisten von BAK Shalom und deren namhaften Unterstützern aus Führungsetagen der Partei nicht der Mut, sich am 13. Oktober 2008 auf einer von ['solid] Vertretern initiierten und organisierten Veranstaltung mit Norman Paech, Max Steiniger und Ellen Brombacher auseinander zu setzen. Auf einer Veranstaltung mit Victor Grosmann und Sebastian Voigt am 19. November 2008 zeigte sich die intellektuelle Dürftigkeit der BAK-Shalom Positionen.
Wir haben in den »Mitteilungen« vom Januar 2009 ausführlich über beide Veranstaltungen informiert. Niemand außer uns hat das getan, obwohl zu beiden Terminen die Presse eingeladen war, vornehmlich die linke. Unmittelbar nach Beginn der Aggression gegen die palästinensische Bevölkerung im Gaza-Streifen positionierte sich der Sprecherrat der Kommunistischen Plattform mit einer in den Februar-»Mitteilungen« dokumentierten Erklärung4. Beteiligt waren wir auch am Zustandekommen des offenen Briefes an Klaus Lederer im Zusammenhang mit seinem Auftritt auf einer die israelische Aggression gutheißenden Kundgebung am 11. Januar 2009. Mit ihrem Artikel im ND vom 31. Januar 2009 griff Ellen Brombacher in ebenfalls prinzipieller Weise in die laufende Debatte ein. Unsere differenzierten und doch klaren Stellungnahmen trugen dazu bei, BAK Shalom und ihren Unterstützern innerhalb der Partei Grenzen aufzuzeigen. Wichtig war und ist dabei, niemandem die Möglichkeit zu geben, einzelne Formulierungen in unseren Stellungnahmen als antisemitisch zu denunzieren. Dies ist im Übrigen keine taktische Frage. Kommunisten war und ist Antisemitismus zutiefst zuwider. Das bewiesen sie schon unter Einsatz ihres Lebens, als die illegal erscheinende »Rote Fahne« nach der sogenannten Reichspogromnacht am 9. November 1938 Partei für die geschundenen deutschen Juden ergriff. Es sei noch einmal wiederholt: Kommunistinnen und Kommunisten hätten die Antisemitismusdebatte in der Partei nicht gebraucht. Als Internationalisten und Antifaschisten sind unsere Positionen in alle notwendigen Richtungen klar abgesteckt. Die Debatte wurde der Partei und damit auch uns aufgezwungen. Wir haben sie angenommen und werden sie führen, solange es notwendig ist.
Antifaschismus nimmt an Bedeutung zu
Von außerordentlicher Bedeutung ist und bleibt das Wirken von Kommunistinnen und Kommunisten in antifaschistischen Bewegungen, Bündnissen und Diskussionszusammenhängen. Die Zahl der rechtsextremen Straftaten ist im Jahr 2008 deutlich gestiegen – um knapp 30%. Nach vorläufigen Angaben des Bundesinnenministeriums gab es demnach fast 14.000 dieser Delikte. Darunter 735 Gewalttaten. Im Jahr 2007 lagen die vorläufigen Zahlen mit 10.935 deutlich unter den aktuellen Werten, die das Ministerium auf monatliche Anfragen der Linksfraktion übermittelte. Die Zahl der bei Gewalttaten verletzten Menschen stieg von knapp 600 auf 773. Damit liegen die Werte auf Rekordniveau. Auch gab es im Jahr 2008 mindestens ein Tötungsdelikt, das in der Statistik noch nicht enthalten ist. Die Ermittler zählten bislang 7.118 Tatverdächtige sowie 241 vorläufige Festnahmen. Gegen 17 von ihnen wurde Haftbefehl erlassen. Außerdem gab es 1.089 antisemitische Straftaten mit 36 Verletzten. Auch diese Zahlen stiegen. In diesen Daten sind die Straftaten, die Nazis am 14. Februar nach den antifaschistischen Demonstrationen in Dresden begangen, noch nicht einberechnet. Rechte überfielen heimfahrende Nazigegner auf Rastplätzen und in Zügen. Antifaschisten wurden angepöbelt und geschlagen, fünf wurden verletzt, einer davon schwer. Die drei aus Schweden stammenden Neofaschisten, die an dem Überfall beteiligt waren, konnten unbehelligt in ihr Heimatland ausreisen. Verspätete Fahndungen nach Fascho-Schlägern sind nichts Besonderes mehr im Europa unserer Tage. Über faschistische Gewalttaten physischer Natur wird zumindest noch berichtet. Beinahe unbemerkt breitet sich verbale faschistische Gewalt aus. In der Nacht vom 11. auf den 12. Februar wurde die Außenmauer der Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Mauthausen in Österreich mit Naziparolen beschmiert. In siebzig Zentimeter großen Buchstaben stand an der Mauer neben dem Eingang in die Gedenkstätte: »Was unsern Vätern der Jud / Ist für uns die Moslembrut / Seid auf der Hut! / 3. Weltkrieg – 8. Kreuzzug«. In Mauthausen kamen mehr als 100.000 Häftlinge aus beinahe allen europäischen Ländern auf bestialische Weise zu Tode. Darunter Ungarn, Balten, Italiener, Tschechen und Slowaken – in all diesen Ländern – und nicht nur dort – heben Faschisten wieder ihr Haupt, organisieren sie sich, marschieren sie durch die Straßen und üben zunehmend Gewalt aus.
Es ist auch hierzulande normal geworden, dass Nazis ihre Publikationen in Briefkästen werfen – häufig flächendeckend, was bestimmter logistischer Voraussetzungen bedarf. Nehmen wir ein Beispiel von vielen. Das Faschistenblatt für die Magdeburger Börde heißt »Börde-Beobachter«. Wer denkt da nicht an den »Völkischen Beobachter«? In der Ausgabe 1. Jg. / Nr. 3 des von Herrn Jens Bauer aus Klein-Wanzleben herausgegebenen Schmutzblattes findet sich ein Pamphlet eines Herrn Kohlhase über den Umgang mit Roma und Sinti in Italien. Hier ein Auszug:
»Wenn die BRD ein Türkenproblem hat ... so hat Italien zweifellos ein Romaproblem. ... nach offiziellen Zahlen leben in Italien 342.000 dieser ungebetenen Gäste, die man fälschlicherweise als Rumänen bezeichnet. Eine Beleidigung für jeden echten Rumänen, wie manch einer meint. ... In seiner Regierungserklärung am 13. Wonnemond (Mai) 2008 hatte Berlusconi gesagt, er werde keine ›wilde Einwanderung‹ dulden. ... Dies wäre für die bundesdeutsche veröffentlichte Meinung sicher nicht der Rede wert gewesen, wenn es neben diesen Worten des Regierungschefs nicht zwischenzeitlich in Neapel zum aktiven Widerstand der einheimischen Bevölkerung gegen kriminelle Roma (Anm. Redaktion [der Nazi-Postille]: im Volksmund noch als Zigeuner geläufig, doch aufgrund der ›Political Correctness‹ darf man nur noch von Sinti und Roma sprechen) gekommen wäre, in dessen Verlauf unter dem Jubel der Anwohner ein Romalager in Flammen aufging. ... Wütende Italiener warfen ... am 14. und 15. Wonnemond (Mai) 2008 Steine und Molotow-Cocktails auf die Romalager am Rande Neapels, verbrannten diese und jagten Hunderte Romas in die Flucht. Wie man weiß, sind das genau die Anlässe für die in- und ausländischen Pseudo-Gutmenschen, Partei zu ergreifen. Und zwar nicht für die Opfer die sich nach langer Leidenszeit wehren, sondern für die zu einem erheblichen Teil kriminellen Romas. Auch in Italien gibt es dieselbe Sorte unverbesserlicher wie in der BRD, die gegen das eigene Volk kämpfen, aber offenbar nicht so viele und so einflussreiche.«
Soweit der Auszug aus dem völkischen Börde-Beobachter. Ein unerhörter Vorgang, den allerdings kaum jemand zur Kenntnis nimmt. »Es gibt ja so viele dieser Blätter«, meinen manche. »Aber – die NPD zerlegt sich ja gerade selbst. Die bringen doch nichts zustande. So ein bisschen Nazi-Kram wird die Demokratie doch wohl aushalten.« So und ähnlich wird damit umgegangen, dass Nazidreck in Deutschland wieder ungestraft verbreitet werden darf. Wer weiß, wozu es gut ist, werden manche denken, die keine Konzepte dafür haben, wie man mit einer Krise fertig werden soll, die gerade erst richtig beginnt und von der niemand sagen kann, wie sie und wann sie endet. Die Weltbank schätzte kürzlich in einem internen Report5, dass von 2009 bis 2015 in der sogenannten Dritten Welt jährlich 200.000 bis 400.000 Kinder zusätzlich verhungern werden – schon ohne Krise sind es täglich über 18.0006. Die Zahl von einer Milliarde Hungernder in der Welt, die bis zum Ende des Jahres vorausgesagt wurde, ist bereits heute erreicht. Fritz Haug verweist darauf, was passierte, würden die sozialen Sicherungssysteme völlig zusammenbrechen. Dann bräche ein knallharter Existenzkampf, jeder gegen jeden, los. Das wäre, so Haug das Ende der Zivilisation, nicht nur das Ende des Staates. Dem sei eine Überlegung hinzugefügt: Dem Ende der Zivilisation muss nicht das Ende des Staates vorausgehen. Der Faschismus kann die Brücke zwischen beiden sein. Und wir erleben doch, wie dieser wieder sein Haupt erhebt. Es ist leider eine trügerische Hoffnung, dass Auschwitz die Menschheit vor Wiederholungen unfassbarer Verbrechen schützt. Nach wie vor gilt: »Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit, oder sehr kleinem Profit, wie die Natur vor der Leere. Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. Zehn Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß, 300 Prozent, und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf Gefahr des Galgens.«
Und noch etwas: Wieweit entfernt ist der Zynismus eines Philipp Mißfelder und jener, die seine Äußerungen über Hartz IV-Empfänger als »richtig, lebens- und bürgernah« bezeichnen, von Naziideologie? Welche Ideologie wird die Ausstellung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« produzieren, und für welche Positionen steht eine Frau Steinbach? Für antifaschistische? Kommunistinnen und Kommunisten nehmen faschistoide Tendenzen im Bürgertum und bekennende Faschisten nicht erst ernst, wenn Konzentrationslager schon errichtet sind. Und es gilt heutzutage nicht erst den Anfängen zu wehren. Die Zeit des Beginns ist längst überschritten. Weil wir dies so sehen ging auch von uns die Initiative aus, der Problematik des Antifaschismus im Wahlprogramm zu den Europawahlen größere Aufmerksamkeit zu widmen. Und noch etwas: Wir sind verpflichtet, in unserer politischen Arbeit gerade heute das ehrende Angedenken an die Antifaschisten zu bewahren und sich ihrer würdig zu erweisen. Dazu gehört unser Kampf gegen alle Spielarten der Totalitarismusdoktrin – auch, wenn Doktrinäre sich links wähnen. Der italienische Historiker Enzo Traverso wendet sich in seinem Buch »Im Bann der Gewalt. Der europäische Bürgerkrieg 1914-1945« engagiert gegen diese Doktrin. »In Deutschland, so Traverso, hat der Antifaschismus nach der Wiedervereinigung sein Bürgerrecht verloren«. Der Antifaschismus erweise sich »angeblich als einfache demokratische Verkleidung des Kommunismus«, so schreibt er. Traverso setzt dem entgegen, dass es zu einem gewissen Zeitpunkt im Europäischen Bürgerkrieg, zunächst in Spanien, nur die Wahl zwischen Antifaschismus und Faschismus gab. Wer dies heute negiere, tue dies mit dem Ziel, jegliches positives Engagement zu diskreditieren. Es seien die »Verteidiger der Grauzone«, die wie z.B. der Fabrikant Oskar Schindler unschuldige Opfer vermeiden oder retten wollten, deren heute positiv gedacht würde. Das habe das Gedenken an die Kämpfer für eine bessere Welt abgelöst. Dem ist nichts hinzuzufügen. Erinnern wir besonders an jene, die schon vor 1933 warnten: »Wer Hitler wählt, wählt den Krieg« und die in den Folterkellern der SA zu Tode gemartert wurden, als die Stauffenbergs ihre Hoffnungen noch in Hitler setzten und dessen Krieg, den des Kapitals also, führten – bis die Niederlage für jeden denkenden Menschen nicht mehr aufzuhalten war.
KPF stärken und weitere Leser der »Mitteilungen« gewinnen
Vor uns stehen anstrengende Monate. Vor allem Sahra wünschen wir einen erfolgreichen Wahlkampf. Im Zusammenhang mit den zu bewältigenden Aufgaben ist es notwendig, kontinuierlich an der politisch-organisatorischen Festigung der Plattform zu arbeiten und die Wirksamkeit der »Mitteilungen« durch die stete Gewinnung neuer Leser zu erhöhen. Gegenwärtig sind in der Kommunistischen Plattform mehr als 1.000 Genossinnen und Genossen der Partei DIE LINKE organisiert. Innerhalb der letzten 12 Monate sind somit mehr als 100 Genossinnen und Genossen neu zu uns gestoßen. Wir haben zugleich wunderbare Menschen verloren: so Margot Goldstein aus Berlin und Joe Zweng aus Schwäbisch Gmünd. Wir handeln sicher im Sinne derer, die nicht mehr unter uns weilen, wenn wir neue Genossinnen und Genossen für uns gewinnen.
Zugleich müssen wir in den Ländern systematisch mit dem Plattformaktiv arbeiten. Im vergangenen halben Jahr fanden in 9 Bundesländern (zum Teil mehrere) Landeskonferenzen der KPF statt. In einem Teil dieser Landesorganisationen und in 4 weiteren stehen solche Konferenzen noch vor den Europawahlen bevor, sodass bis dahin in allen Landesorganisationen der KPF die Aktiven der KPF zusammengekommen sind (in Baden-Württemberg, Bremen und im Saarland steht die Konstituierung noch aus). In den Landesorganisationen tagen die Landessprecherräte regelmäßig, um die konkreten Aufgaben, wie z.B. die Vorbereitung von Landesparteitagen zu beraten. Untrennbar damit verbunden müssen unsere Anstrengungen sein, neue Leser für die »Mitteilungen« zu gewinnen und das Spendenaufkommen zu erhöhen.
Wie ist der aktuelle Stand? Per 31. März 2009 wurden Spenden in Höhe von 4.974,40 Euro auf das Konto der »Mitteilungen« eingezahlt. Zum Vergleich: Ende März 2008 waren es 3.868,37 Euro. Es ist erst einmal gut, dass wir im Vergleich zum vorigen Jahr über 1.100 Euro Spenden mehr zu verzeichnen haben. Dafür allen Spendern ein herzliches Dankeschön. Ein Grund zur Selbstzufriedenheit ist dies nicht. Eine Zwischenanalyse des Berliner Landessprecherrates ergab, dass im besagten Zeitraum etwa 20% der ständigen Mitteilungsbezieher in Berlin eine Spende entrichtet haben. Es spricht einiges dafür, dass die Lage in den anderen Bundesländern ähnlich ist. Die Reserven sind also groß. Am 13. Juni 2009 wird sich der Bundeskoordinierungsrat mit dem Stand der Arbeit mit den »Mitteilungen« befassen. Unsere Genossen der Redaktion bereiten zu diesem Tagesordnungspunkt entsprechende Materialien vor, die Auskunft über die aktuellen Bezieherlisten und zu den Spendenaktivitäten geben, damit wir die Probleme so konkret wie möglich und kritisch wie nötig diskutieren können.
Liebe Genossinnen und Genossen, soweit zu unseren Erfahrungen aus den vergangenen Monaten. Schlussfolgerungen daraus sind in den Euch vorliegenden Beschlussentwurf des Bundeskoordinierungsrates für die Arbeit der KPF in den bevorstehenden Wahlkampfmonaten eingeflossen. Wir bitten hierfür um eure Zustimmung.
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2008-06: Daß Nazis heute wieder frei herumlaufen, ist unfaßbar