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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Auskünfte über ein geliebtes Land

Armin Stolper, Berlin

Als der Pfarrer Heinrich Albertz – wir stammen beide aus Breslau –, 1990 gefragt wurde, was ihm, dem Westdeutschen, die DDR gewesen sei, antwortete er dem "Sonntag": "Ein geliebtes Land". Ostdeutsche Pfarrer wie der Christian Führer in Leipzig oder der Friedrich Schorlemmer in Wittenberg oder der Herr Eppelmann in Berlin-Friedrichshagen oder der Herr Eggert in Oybin hätten dieses Bekenntnis wohl nicht über die Lippen gebracht, denn für sie war die DDR so etwas wie eine Unterabteilung der Hölle. Es gab freilich auch ein, zwei Pfarrer, die dem westdeutschen Pfarrer nicht nur beigepflichtet hätten, sondern die sogar bekannten, sie schämten sich, für den Sozialismus in der DDR nicht mehr getan zu haben, wie den Pfarrer Dieter Frielinghaus in Brüssow oder die Pfarrerin Renate Schönfeld in Groß-Ziethen, aber das waren die weißen Raben unter den schwarzen Kuttenträgern, nein – die roten. Rote Raben; also was der liebe Gott alles für Geschöpfe in die Welt gesetzt hat!

Jeder Mensch weiß, daß in der stalinistisch verfaßten DDR ein Stück wie "Die Sorgen und die Macht" von dem aus Breslau stammenden, später von München nach Ostberlin übergelaufenen Dichter und sehr aktiven Liebhaber von Frauen – ich beziehe mich auf die vier Seiten, die Heidi Urbahn de Jauregui unlängst in der "jungen Welt" veröffentlichte – von der SED-Diktatur mit General Mielke an der Spitze verboten worden ist. Der Dichter landete, wie bekannt, im Stasiknast in Berlin-Hohenschönhausen, wo er geduldig auf das Ende der Diskussionen wartete, die um sein Stück im ND und im Deutschen Theater geführt wurden, und da die sich so entsetzlich in die Länge zogen, wurden "Die Sorgen und die Macht" zweiundzwanzig Mal aufgeführt, bevor man sie absetzte. Das muß man sich mal vorstellen: Die Stasi hatte den Peter in Hohenschönhausen eingelocht – wieviel Wassergüsse er über sein stolzes Dichterhaupt hat ergehen lassen müssen, wissen wir nicht –, und inzwischen diskutierten die blöden Leute im DT, ob man das übelbeleumdete Stück deshalb absetzen sollte, weil es künstlerisch und politisch nicht akzeptabel sei – was beides falsch war – und eigentlich hätten die für die Absetzung eintretenden Diskutierer in den Stasi-Knast gehört, vor allem deshalb, weil es doch tatsächlich unter ihnen auch solche wie den Hiemer oder den Esche gab, die gegen die Absetzung stimmten oder wie Kupke und Stolper sich der Stimme enthielten. Wie so etwas im SED-Regime überhaupt möglich war, ist bis heute ungeklärt, aber Koryphäen wie Birthler, Knabe und Co. werden das schon noch herausfinden.

In der DDR hatten wir in jedem Monat ein Parteilehrjahr, das eineinhalb Stunden dauerte. Meist war es langweilig, aber es gab auch solche wie die am Deutschen Theater, wo uns der Philosoph Wolfgang Heise nachwies, daß die DDR genau an dem zugrunde gehen könnte, was sie bestritt, daß es das in ihr gäbe: nämlich an der Entfremdung der Arbeiter und Bauern von ihrem Staat. Daran mochten beide nicht unschuldig gewesen sein und ob die Partei, wie Kant in seinem Roman "Das Impressum" noch meinte, so etwas wie "zusammengelegte Schlauheit" sei, konnte wohl als Credo der Ehrlichen und Kühnen gelten, sollte sich aber zunehmend als einer der Wunschträume herausstellen, die bekanntlich selten oder nie in Erfüllung gehen. Jetzt sind wir in einer Gesellschaft gelandet, in dem das Parteilehrjahr rund um die Uhr stattfindet. Glaubt ihr nicht? Ihr müßt nur mal in die Gazetten gucken, das Fernsehen anstellen, euch mit den Nachbarn im Fahrstuhl unterhalten oder die Großflächen der Werbung studieren. Das Parteilehrjahr in der DDR war doch ein Ringelspiel gegen das, was die Maffia heute mit uns veranstaltet. Warum, ihr doofen Genossen und parteilosen Bolschewiken, habt ihr da nicht genauer hingehört? Und warum hört ihr heute wieder nicht hin, sondern quacksalbert darüber, warum die Merkel bei Lidl einkaufen geht, wo sie doch im KDW alles umsonst kriegt? Oder lest im ND, das ihr von einer "idiotischen Partei" – damit war die SED gemeint – regiert worden seid, wie der Wittenberger Apostel der Neuzeit verlautet. Die Möglichkeiten der Verblödung sind unbegrenzt, die der Aufklärung vielleicht noch einigen Passagen der päpstlichen Enzykliken überlassen; das, was die sich nicht zu schreiben getrauen, wenn’s um die Besitzverhältnisse geht, könnt Ihr ja in solchen volkstümlichen Traktaten wie dem Kommunistischen Manifest nachlesen.

Ich habe vor kurzem ein Loblied auf meine "geliebte stolze Republik" gesungen, die ja immer noch das Beste war, was wir je hatten. Stefan Heym wollte sie zur Fußnote der Geschichte herabstufen, Gerhard Branstner meinte, sie sei so etwas wie das markanteste Ausrufungszeichen in ihr, also in der deutschen Geschichte, gewesen. Beide, die wie ihre Kollegen Kant, Hacks, die Morgner, beide Strittmatters, beide Wanders, Bobrowski, das Deutsche in Sprache und Geschichte nicht eben schlecht beherrschten, mögen recht behalten, und ich möge es auch.

Andre Müller sen. hat gleich nach 1989 behauptet, und wie ich meine, zu Recht, daß die DDR unsterblich sei. Ein anderer witziger Kopf hat 2008 an einen Mauerrest vom Palast der Republik geschrieben, die DDR habe es nie gegeben. Darauf könnten wir uns zur Not auch einigen. Neulich fragte einer, wenn die DDR weder ein Unrechtsstaat noch ein Rechtsstaat gewesen sein soll – was, um Himmels willen, war sie denn? Was die Leute auch immer in dieser Hinsicht herausfinden werden, eine der lustigsten Behauptungen fand ich in dem Gespräch, das Wojciech Jaruzelski mit Adam Michnik 1993 führte, in welchem der berühmte polnische Konterrevolutionär behauptete: "…aber wenn Sie eine richtige ‚polnische Wirtschaft’ sehen wollen, dann gehen Sie nach Ostdeutschland." Phänomenal. Fragt sich bloß, was meinte der Solidarnosz-Apostel: die DDR oder die neuen blühenden Länder?

1958 schrieb der bekannte Schweizer Theologe Karl Barth einen "Brief an einen Pfarrer in der Deutschen Demokratischen Republik". Nachdem er im ersten Teil der Schrift die Sache, um die es geht, allgemein behandelt, nimmt er dann zu 8 vorgebrachten Fragen des Pfarrers Stellung und gelangt am Ende seiner Beratung zu der Ansicht, daß es in den östlichen Bruderschaften … Aber warum erzähle ich hier alle diese Schnoken? Ich habe sie doch alle aufgeschrieben in dem Heft "Gottes liebe Ostzone", welches die kommunistischen Brüder und Schwestern von der DKP Berlin herausgebracht haben, in dem zehn Texte stehen, die auf unterschiedliche Art der DDR zu ihrem 60. Geburtstag gratulieren, und, wie es in einem ehrlich gemeinten Glückwunsch die Regel sein soll, auch die Schwächen nicht unterschlägt, die man dem Jubilar anlasten muß. Kritik zu vertragen ist mit das Schwerste, was dem Menschen zugemutet wird. Gott wollte keine, er wollte immer nur, daß man ihm zustimmte, wenn er befand, daß alles gut war, wie er es gemacht hatte. Das will ich auch, obwohl ich nicht Gott bin. Eigentlich müssen wir uns immerfort sagen lassen, was bei allem guten Wollen nicht so recht gut war, wie wir es gedacht haben. Aber man sollte uns den guten Willen nicht absprechen und auch nicht, daß wir bei allem nicht so guten Können das Bessere versuchten. Und das zählt mehr, als wenn man das Alte immer wieder neu aufmöbelt und dabei doch nur einen Schritt näher zum Chaos voranschreitet. Mit allen Raffinessen, die der Imperialismus bereithält.

Liebe Genossen, die DDR war ein Versuch, ein Provisorium, das Dauer beanspruchte und das mit Recht. Sie war das Beste, was wir je hatten, nämlich "Gottes geliebte Ostzone".

Aber richtig wäre es auch gewesen, ihre zwangsläufig auftretenden Schönheitsfehler und körperlichen Schwächen als solche erkannt und nicht zusätzlich noch als Gesetzmäßigkeiten überirdischer Art deklariert zu haben; jedenfalls jetzt könnten wir sie in ihrer möglichen und unmöglichen Art illusionsloser betrachten, ohne die Vorzüge geringzuschätzen, die selbst der schlechteste Sozialismus gegenüber dem besten Kapitalismus hat. In meinem Stück "War der gestiefelte Kater wirklich ein Roter?" sagt die Titelgestalt:

Sie können keinen Fortschritt, König, ohne
Opfer kriegen. Was immer fortzeugt ohne
Neues zu gebären, das ist das Alte.
Das bleibt sich ewig gleich und pflanzt
Sich fort in Geilheit und in Schande und
Verhindert alles Neue. Das Neue aber
Tritt blutig in die Welt wie kleine Kinder,
So unbeholfen auch gleich jenen, voller
Unvernunft, voll Tücken, blöder Wünsche,
Unguter Taten auch, es kann auch
Auf die Fresse fallen, einmal, mehrmal,
Allein – es lernt aus seinem Fall.