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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Auschwitz

Erich Fried

Vor 70 Jahren, am 27. Januar 1945, befreite die Rote Armee das KZ Auschwitz. In Erinnerung an die grauenhaften Schrecken des Massenvernichtungslagers Auszüge aus Essays von Erich Fried:

Von denen, die nicht erst in die Gaskammern geführt wurden, sollen eines Tages einige zuletzt noch gerufen haben: »Paßt auf, wir brennen nicht gut! Von uns wird mehr übrigbleiben, als euch lieb ist! An unserem Rauch werdet ihr ersticken!«

Das waren ihre letzten Worte, bevor sie verbrannten. Ihre Vorhersagen haben sich aber nicht bewahrheitet. Sie brannten gut, sogar sehr gut, dafür war Sorge getragen. Obwohl es damals schon Mangelware war, hatte man mit Benzin nicht gespart und die meisten noch knapp zuvor damit übergossen oder bespritzt. »Nottaufe« nannten das die anderen, die sie ins Feuer trieben, das letzte Stück mit langen Stangen, um nicht selbst den Flammen zu nahe zu kommen.

Nicht einer von diesen Treibern und Befehlshabern der Treiber erstickte damals am Rauch der Verbrennenden. Sie wußten aus Erfahrung sehr genau, wie weit sie zurücktreten mußten und daß sie auch auf den Wind Rücksicht zu nehmen hatten. Und da diese Verbrennungen, die sie damals »Kleine Umsiedelung ohne besondere Anlagen« nannten, im Grunde eine geringfügige, wenig beachtete Episode waren, die der gleichzeitigen sogenannten »Großen Umsiedelungsaktion« mit den Zyklon-B-Kristallen der Degesch, der Deutschen Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung, nicht zu vergleichen war, erregten sie auch nur wenig Aufsehen, und einige der Verbrenner, die später in ihr Heimatland zurückkehrten, leben heute noch als angesehene ältere Herren in ihren Nachkriegsberufen oder als Rentner, geliebt von ihren Enkelkindern. Die Verbrannten haben sich also mit ihren letzten Worten bestenfalls geirrt!

(»Was der Fall war«, S. 197/198)

In Frankfurt am Main, auf der Rückfahrt von Auschwitz, traf ich Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, [...] Fritz Bauer war 64 Jahre alt. Er hatte als Staatsanwalt den Auschwitzprozeß zu führen, und nun fragte er sich und mich und viele, die mit ihm sprachen, ob die Bundesrepublik überhaupt noch zu retten sei. Er sagte, er sei froh, daß er alt sei und das, was er befürchte, nicht mehr erleben werde. Wenig mehr als ein Jahr später starb er. Die Erschießung Benno Ohnesorgs hat er noch erlebt und als »Verbrechen einer herrschenden Ordnung« bezeichnet.

Damals, in Frankfurt, erwähnte er eine alte Nazilosung aus den letzten Kriegstagen. »Im Vierten Reich«, hatte der unbekannte Nazipropagandist erklärt, »muß man sich so benehmen, daß man im Fünften Reich dafür nicht gehenkt wird.«

Fritz Bauer meinte, es gäbe an verantwortlichen Stellen in Polizei und Justiz, überhaupt in Staatsdiensten und auch in der Politik, schon manche, die das Fünfte Reich, falls es anbräche, nicht mit einem Strick um den Hals, sondern mit einer Ehrenkette und einem Orden übernehmen könne. Ich hielt das damals für zu pessimistisch.

Hier einige Sätze, die Fritz Bauer in seiner letzten Lebenszeit geschrieben hat: »Die vielen Bände des Auschwitzprozesses beginnen mit einem gedruckten Formular des Vernichtungslagers, das der hessischen Staatsanwaltschaft zufällig in die Hände geriet. Auf der ersten Seite des Formulars war vermerkt, daß der SS-Mann ... (Name war auszufüllen) den Häftling ... (Name und Nummer waren auszufüllen) auf der Flucht erschossen habe. Auf der zweiten Seite war die Weiterleitung des Papiers an das SS- und Polizeigericht in Breslau vermerkt, und auf der dritten Seite wurde das Verfahren von der Anklagebehörde eingestellt - alles vorgedruckt. So ›rechtsstaatlich‹ ging es damals zu. Aber das Wort ›auf der Flucht erschossen‹ gellte nicht nur in den Lagern, sondern seit 1933 auch in den Ohren der breiten Öffentlichkeit, es stand in der Presse und war ein beliebtes Mittel des unrechtsstaatlichen Terrors. ...«

(»Meine Puppe in Auschwitz«, S. 193/194)
Aus: Erich Fried, Die Umrisse meiner Liebe. Lyrik Erzählung Essay. Herausgegeben von Ingeborg Quaas, Verlag Volk und Welt Berlin, 1. Auflage 1986.