Ausbeutung und Krieg
Prof. Dr. Anton Latzo, Langerwisch
Sieht man sich die Eckpunkte und die Erklärungen der Bundestagsfraktion zu Fragen von Krieg und Frieden in der Gegenwart an, so gerät man in eine Zwickmühle.
Einerseits werden Vorschläge zu Kernfragen des Friedenskampfes gemacht, die nicht nur unterstützt werden können, sondern unbedingt unterstützt werden müssen. Und dadurch unterscheidet sich die Behandlung der Fragen der Außenpolitik von der der Analyse und Politik auf anderen Gebieten.
Andererseits stehen diese Vorschläge und Forderungen aber zumeist als Einzelforderung (oder als Katalog von Einzelforderungen) da, wird die Politik, die verurteilt oder zurückgewiesen wird, nicht auf ihre sozial-ökonomischen Wurzeln zurückgeführt.
Die Kritik der Außenpolitik des kapitalistischen Staates, losgelöst von der Berücksichtigung seiner klassenmäßigen Grundlagen, stumpft aber nicht nur die außenpolitische Wirkung der eigenen Vorschläge und Forderungen ab. Sie hat auch eine reduzierte Mobilisierungskraft gegenüber den breiten Schichten der Bevölkerung. Sie trägt nicht wenig zur Irreführung der Menschen bei.
Die Fragen des Kampfes für den Frieden, des Kampfes gegen den Krieg werden in der Betrachtungsweise der Politiker und in der auf dieser Grundlage verfolgten Politik aus dem gesellschaftlichen Zusammenhang herausgelöst und erscheinen als "politische Einzelfrage", als "außenpolitische Sachfrage", womit wir leicht bei den oft als Schutzschild zitierten "Sachzwängen" landen.
Der Krieg ist aber keine zufällige, lediglich aus der Politik hervorgehende Erscheinung, sondern das objektive Ergebnis der Existenz und der Entwicklung des Kapitalismus.
Ich finde, diesem Aspekt, dem wissenschaftlichen, konstruktiven Streit zu diesem Aspekt, dem Verhältnis von objektiven materiellen Grundlagen und Politik des Krieges wird nicht nur in der Politik, sondern auch in den verschiedensten Studien linker, marxistischer Autoren viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt!! Oft wird es einseitig auf die Frage der Rohstoffe (Öl) reduziert!
Es gilt auch für den "modernen" Kapitalismus: "Die Kapitalisten teilen die Welt nicht etwa aus besonderer Bosheit unter sich auf, sondern weil die erreichte Stufe der Konzentration sie zwingt, diesen Weg zu beschreiten, um Profite zu erzielen; dabei wird die Teilung ‚nach dem Kapital’, ‚nach der Macht’ vorgenommen – eine andere Teilung kann es im System … des Kapitalismus nicht geben" (W. I. Lenin, Der Imperialismus …, Werke, Bd. 22 S. 257)
Davon ausgehend, will ich versuchen, unser heutiges Thema in folgendes Bild zu fassen. Ausbeutung und Krieg sind zwei Grundeigenschaften des Imperialismus, sozusagen ein Zwillingspaar des Kapitals (Kapitalismus). Sie beruhen auf dem Privateigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln und auf der Jagd nach Profit. Der Profit ist der Vater und Mutter ist die Macht, die Herrschaft und Expansion impliziert.
Die Ehe zwischen Profit und Macht führen zu Ausbeutung im eigenen Land, zur Eroberung, Ausbeutung und Unterdrückung fremder Völker und Länder und zur Ausbeutung der Natur. Diese Ziele werden außenpolitisch durch die Herstellung politisch-territorialer Herrschaftszonen und -verhältnisse abgesichert.
Natürlich haben sich die Existenzbedingungen, die Erscheinungsformen des Kapitalismus im Vergleich zu den Bedingungen Anfang des vergangenen Jahrhunderts verändert. Das heißt jedoch nicht, daß sich an seinem ökonomischen und politischen Wesen Grundsätzliches geändert haben muß. Die auf der Grundlage der Erkenntnisse von Marx, Engels, Lenin und den Erfahrungen der internationalen Arbeiterbewegung erarbeiteten Wesenszüge und objektiven Gesetze des Imperialismus sind auch heute noch gültig! Auch im 21. Jahrhundert.
Der Krieg und die Ausbeutung sind Produkt der Klassengesellschaft. (Irak, Afghanistan, Jugoslawien u.a.)
Die Ausbeuterklassen, die als Eigentümer der Produktionsmittel die Quellen des Reichtums und der gesellschaftlichen Macht in den Händen haben, streben ständig danach, diesen Besitz, ihre Macht, ihren Einfluss zu vergrößern. Sie tun das am "erfolgreichsten" dadurch, daß sie sich gewaltsam fremdes Eigentum, fremde (Macht) Länder und deren Potential, fremde Einflußsphären (Territorien und deren Reichtümer) aneignen. Konkurrenz und nicht Kooperation bestimmen die Regeln des Vorgehens.
Die intensiven Bestrebungen in den Reihen der Linken, die Transformationsfähigkeit des Kapitalismus nachzuweisen, haben oft zur Folge, daß "vergessen" wird, sich Gedanken über den Klassencharakter des Krieges zu machen.
Dieselbe Politik, die eine bestimmte Großmacht, eine bestimmte Klasse innerhalb dieser Großmacht lange Zeit hindurch vor dem Krieg verfolgte, setzt dieselbe Klasse unvermeidlich und unausbleiblich während des Krieges fort (vergleiche auch Clausewitz).
Die Form des Handelns kann sich durchaus ändern. Beispiele dafür liefern sowohl das Verhalten der kapitalistischen Großmächte Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre als auch die dann folgende Aggression gegen Jugoslawien und die nachfolgenden Kriege, bis Kosovo heute.
Es ist keinesfalls so, daß die imperialistischen Staaten den Krieg um seiner selbst willen wollen. Sie sind auch bereit, auf ihre Weise Frieden zu machen. Dadurch ändern sich aber die Klassenziele, der Klassencharakter der Politik oder des Krieges nicht. Jüngstes Beispiel in dieser Hinsicht ist die Osterweiterung der Europäischen Union, die Eingliederung der Staaten Ost und Mitteleuropas in den Herrschaftsbereich der westeuropäischen Großmächte, darunter Deutschlands.
Um bei der Region Osteuropa zu bleiben. Hier zeigt sich sehr anschaulich, daß schon wieder der Kampf um die Neuaufteilung der Märkte und vor allem der Einflußsphären eingesetzt hat.
Es zeigt sich, daß nicht nur die EU und ihre Großmächte ihre "Rechte" in Bezug auf Osteuropa und in den Staaten Osteuropas geltend machen. Vor allem unter geostrategischen Gesichtspunkten verstärken die USA ihre Anstrengungen, die Staaten der GUS und die angrenzenden EU-Staaten von der Ostsee bis ins Schwarze Meer unter ihren Einfluß zu bringen.
Die zunehmende Unterschiedlichkeit der Interessen der USA und der EU-Großmächte in der Region wird offensichtlich. Sie enthält die eindeutige Tendenz, sich zur politischen Gegensätzlichkeit zu entwickeln!
Die neuen Machtverhältnisse zwischen den Großmächten haben sich in den letzten Jahren nicht nur außerordentlich rasch, sondern auch – was besonders wichtig ist – außerordentlich ungleichmäßig entwickelt. Damit wird auch die Frage der Ungleichmäßigkeit der Entwicklung und die Frage der Widersprüche und auch der Konkurrenz erneut aktuell.
Dies kann der Beginn einer neuen Runde im Kampf um die Neuaufteilung der politischen und territorialen Einflußsphären auch in Europa sein, in dem Deutschland erneut eine bestimmende Rolle zu spielen gedenkt.
Alle wollen sie den riesenhaften Kuchen handgerecht zerlegen, damit sie ihn erstens beherrschen, zweitens verwalten und drittens ausbeuten können.
So kommt es, daß die kapitalistischen Großmächte der Gegenwart zwar ein Bündnis bilden, aber keine Einheit sind - und nicht sein können. Ein Bündnis könnten sie höchstens noch bei der handgerechten Zerlegung des riesenhaften Kuchens sein. Anders sieht es schon bei der Beherrschung und Ausbeutung dieser Völker und Staaten aus. Da will jeder Teilnehmer den besten und größten Teil des Kuchens für sich allein.
Marxistisch begründete Antworten auf die Frage, was sich aus dieser Situation heraus entwickeln kann, fehlen leider sowohl in der wissenschaftlichen marxistischen Literatur als auch bei den politischen Parteien der Linken.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts sind wir mit der Restauration des Kapitalismus konfrontiert und der Krieg ist schon wieder zu einem erschreckend gewohnten Begleiter der menschlichen Gesellschaft geworden. Es wird sogar suggeriert, ihn erneut als unveränderliches, immanentes Gesetz der Entwicklung der Gesellschaft zu betrachten.
Die Klassenursachen des Krieges erkennend, stehen die Marxisten vor der Aufgabe, wissenschaftlich begründete Kenntnisse von den gegenwärtigen Bedingungen, Zusammenhängen und Gesetzen der gesellschaftlichen Entwicklung zu erarbeiten und Auswege zu verdeutlichen.
Die Frage nach den Auswegen ist aber nur dann richtig zu beantworten, wenn von dem inneren Zusammenhang zwischen Kriegen mit dem Bestehen der Ausbeutung, der Herrschaft der Ausbeuterklassen, d.h. von der Existenz des Imperialismus ausgegangen wird.
Es gilt nach wie vor: "In dem Maße, wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben.
Mit dem Gegensatz der Klassen im Innern der Nation fällt die feindliche Stellung der Nationen gegeneinander". (Marx/Engels, Werke, Bd. 4, S. 479)
Beitrag auf der Marxismus-Konferenz 2007 in Berlin, am 20. bis 22. April 2007.