Aus Gründen des Staatswohls: Keine weiteren Auskünfte
Antwort der Bundesregierung
Mit einem Schreiben vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, 11019 Berlin, erhielt die LINKE-Abgeordnete des Bundestages Żaklin Nastić auf ihre Frage an die Bundesregierung die nachfolgend im Wortlaut dokumentierte Antwort:
Schriftliche Frage an die Bundesregierung im Monat September 2022
Frage Nr. 489
Berlin, 07.10.2022
Sehr geehrte Frau Abgeordnete,
seitens der Bundesregierung beantworte ich die Frage wie folgt:
Frage: Welche Erkenntnisse (auch geheimdienstliche) liegen der Bundesregierung bisher zu den Ursachen und möglichen Urhebern der Anschläge auf die Unterwasserpipelines Nord-Stream 2 am Montag, dem 26. September um 2:04, und Nord-Stream 1 am Abend desselben Tages um 19:04, vor und welche möglichen Erklärungen zieht die Bundesregierung für den zeitlichen Abstand von exakt 17 Stunden zwischen beiden Explosionen in Betracht?
Antwort: Die Bundesregierung geht von einer gezielten Sabotage der Pipelines Nord Stream 1 und 2 aus. Darüberhinausgehend liegen der Bundesregierung keine konkretisierenden Erkenntnisse zu dem Sachverhalt, insbesondere zu der möglichen Urheberschaft, vor. Wenngleich derzeit keine Erkenntnisse zur Urheberschaft der Sabotage vorliegt, erscheint insbesondere vor dem Hintergrund der hohen Komplexität der Tatausführung sowie einer entsprechenden Vorbereitung das Agieren staatlicher Akteure wahrscheinlich. Dänemark und Schweden gehen in ihrem gemeinsamen Brief vom 29. September 2022 an den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen von »vermutlich einer Sprengladung von mehreren Hundert Kilogramm« aus.
Dem Militärischen Nachrichtenwesen der Bundeswehr liegen keine gesicherten Erkenntnisse hinsichtlich der Urheberschaft der erkannten Leckagen an den Pipelines Nord Stream 1 und 2 vom 26. September 2022 und dem von der schwedischen Seite berichteten möglichen vierten Leck vom 29. September 2022 vor.
Die technische Komplexität forensischer Untersuchung der Schadensstellen und die damit verbundenen Vorbereitungen werden nach Bewertung des Militärischen Nachrichtenwesens der Bundeswehr nahezu sicher keine kurzfristigen, belastbaren Aussagen zur Urheberschaft zulassen.
Anhand des zeitlichen Abstands zwischen den ersten drei Leckagen vom 26. September 2022, kommt das Militärische Nachrichtenwesen der Bundeswehr zu der Bewertung, dass eine zeitgleiche technische Fehlfunktion nahezu ausgeschlossen ist.
Darüber hinaus ist die Bundesregierung nach sorgfältiger Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass weitere Auskünfte aus Gründen des Staatswohls nicht – auch nicht in eingestufter Form – erteilt werden können. Die erbetenen Auskünfte unterliegen den Restriktionen der »Third-Party-Rule«, die den internationalen Austausch von Informationen der Nachrichtendienste betrifft. Die Bedeutung der »Third Party Rule« für die internationale nachrichtendienstliche Zusammenarbeit hat das BVerfG in seinem Beschluss 2 BvE 2/15 vom 13. Oktober 2016 (Rz. 162-166) gewürdigt.
Lägen solche Informationen vor, wären diese evident geheimhaltungsbedürftig, weil sie sicherheitsrelevante Erkenntnisse beinhalten, die unter der Maßgabe der vertraulichen Behandlung von ausländischen Nachrichtendiensten an die deutschen Nachrichtendienste weitergleitet wurden. Ein Bekanntwerden von Informationen, die nach den Regeln der »Third-Party-Rule« erlangt wurden, würde als Störung der wechselseitigen Vertrauensgrundlage gewertet werden und hätte eine schwere Beeinträchtigung der Teilhabe der Nachrichtendienste des Bundes am internationalen Erkenntnisaustausch zur Folge. Eine mögliche Kenntnisnahme durch Unbefugte würde erhebliche nachteilige Auswirkungen auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit der Nachrichtendienste des Bundes mit ausländischen Nachrichtendiensten haben. Würden in der Konsequenz eines Vertrauensverlustes Informationen von ausländischen Stellen entfallen oder wesentlich zurückgehen, entstünden signifikante Informationslücken mit negativen Folgewirkungen für die Genauigkeit der Abbildung der Sicherheitslage in der Bundesrepublik Deutschland sowie im Hinblick auf den Schutz deutscher Interessen im Ausland. Ein Bekanntwerden der Informationen würde zudem die weitere Aufklärung geheimdienstlicher Aktivitäten in und gegen die Bundesrepublik Deutschland erheblich erschweren. Die erbetenen Informationen berühren somit derart schutzbedürftige Geheimhaltungsinteressen, dass das Staatswohl gegenüber dem parlamentarischen Informationsrecht überwiegt und das Fragerecht der Abgeordneten ausnahmsweise gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse der Bundesregierung zurückstehen muss.
Selbst eine VS-Einstufung und Hinterlegung der angefragten Informationen bei der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages würde im vorliegenden Fall nicht ausreichen, um der besonderenSensibilität der angeforderten Informationen für die Aufgabenerfüllung der Nachrichtendienste des Bundes ausreichend Rechnung zu tragen.
Mit freundlichen Grüßen Dr. Patrick Graichen