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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Aus einer Antwort auf den Text "Prioritäten.

Nachbetrachtungen zur Liebknecht-Luxemburg-Ehrung 2008"

 

In der Erwiderung des Berliner Landesvorsitzenden Dr. Klaus Lederer an Sahra Wagenknecht, Ellen Brombacher, Thomas Hecker, Jürgen Herold und Friedrich Rabe vom 21. Januar 2008 heißt es unter anderem:

Wenn wir uns darin einig sind, daß uns – wie Ihr schreibt – all diejenigen Sozialistinnen und Sozialisten, Kommunistinnen und Kommunisten schmerzen, "die in der Stalinära Willkür und Verbrechen zum Opfer fielen", die "unter Stalin unschuldig Umgekommenen und Repressierten", dann müssen wir auch die Frage beantworten, wen wir meinen, wenn wir von "schuldig Umgekommenen" sprechen. Was ist mit denen, die der "Orgie der Gewalt"(1) im Bürgerkrieg zum Opfer gefallen sind? Was ist mit denen, die von den Bolschewiki geopfert wurden, weil diese zwar Menschen von hohem Idealismus waren, aber eben auch "intolerant", "nicht willig und nicht fähig, eine Bündnispolitik zu betreiben"? Was ist mit den Millionen Hungertoten im Ergebnis der Zwangskollektivierung, deren "Zielsetzung eine ganz andere war, nämlich die absolute Ausweitung des Machtmonopols der Partei, das hieß jetzt der Parteiführung und das hieß Stalins in Hinblick auf Eigentum, auf Ideologie, auf Politik usw."? "Schritt für Schritt verkam ihre Partei zu einer hierarchischen Befehlsmaschine; der von ihnen geschaffene Sowjetstaat entartete zu einem gewaltigen Terrorinstrument. Der mit roten Fahnen geschmückte Moloch des Stalinismus vernichtete millionenfach unschuldiges Leben. Nach jahrzehntelanger Verfolgung des menschlichen Denkens ging die Gesellschaft schließlich ihres wichtigsten Selbstbehauptungsmittels verlustig: ihrer Reformfähigkeit."(2) Dazu müssen wir uns verhalten.

Und das hörte ja mit Stalins Tod nicht auf. Was ist mit denen, die auch in der DDR und anderen realsozialistischen Ländern unter der allwissenden und alles entscheidenden Diktatur der führenden Partei zu leiden hatten? Um es erneut mit Wolfgang Ruge zu sagen: "Parteiabweichende Produkte menschlichen Denkens wurden (...) unter Kuratel gestellt. Schon Kindergarten und Schule brachten den Heranwachsenden bei, daß nicht aus der Reihe getanzt und gedacht werden durfte. Eine der Aufgaben des höheren Bildungswesens bestand darin, den Wissensdurstigen einen Großteil der von Generationen erarbeiteten Ideen vorzuenthalten. Wer sich trotzdem den Funken ungezügelter Inspiration zu bewahren vermochte, wurde mundtot gemacht oder (faktisch zum Nutzen des alternativen Systems) des Landes verwiesen."(3) Wer hat das Monopol darauf zu entscheiden – und was sind die Kriterien hierfür? –, wen die Maschinerie der Parteibürokratie "zu Recht" zermahlen hat? Es bleibt unsere Pflicht, so schmerzlich es ist, uns mit diesem dunklen Teil unserer Geschichte offen auseinanderzusetzen.

Um es an dieser Stelle klar zu sagen: ich halte es für abenteuerlich, die Schergen Hitlers, die von der Anti-Hitler-Koalition unter Beteiligung der SU, deren Menschen den höchsten Blutzoll zu tragen hatten, an ihrem mörderischen Tun gehindert wurden, der Kategorie "Opfer des Stalinismus" zuzuordnen. Auf diese Idee kann eigentlich nur kommen, wer sich nun überhaupt nicht mit dem befaßt hat, was "Stalinismus" eigentlich gewesen ist. Und ich wundere mich, daß die Tatsache, daß es in unserer Gesellschaft durch Reaktionäre und Rechtsaußen geschieht, uns permanent als Maßstab für unser eigenes Handeln und unser eigenes Geschichtsbild vorgehalten und uns von Euch permanent als Richtlinie für unseren eigenen Umgang mit der Geschichte abverlangt wird. Das ist auch politisch unklug, weil damit nämlich von vornherein jeder Versuch aufgegeben wird, durch Eingreifen in die Hegemonieauseinandersetzung um die zwiespältige Geschichte der Systemauseinandersetzung und des Kalten Krieges eine kluge, aufgeklärte und aus der Geschichte lernende junge Generation mitzubefördern. Statt dessen kultivieren wir den Status der "Verfemten" und verlangen einzig und allein die Unterwerfung unter unsere, angeblich allein richtige, historische Sicht und Bewertung. Das ist ein großer politischer Fehler.

 

Anmerkungen:

(1) Dieses und die folgenden Zitate dieses Abschnitts stammen aus Wolfgang Ruge, in: „Der Stalinismus in der KPD und SED – Wurzeln, Wirkungen, Folgen“, in: Materialien der Konferenz der Historischen Kommission beim Parteivorstand der PDS am 17./18. November 1990, Berlin 1991, S. 78-86
(2) Wolfgang Ruge, Durchbruchsversuch oder Vergewaltigung der Geschichte?, in Berliner Linke 1991, Nr. 45, S. 8.
(3) Wolfgang Ruge, Das Versagen des Systems, in: Weltbühne, Nr. 22 vom 21. 5. 1991, S. 643 ff.

Die komplette Antwort Klaus Lederers findet man seit ihrer Veröffentlichung gemeinsam mit der Erklärung "Prioritäten. Nachbetrachtungen zur Liebknecht-Luxemburg-Ehrung 2008" im Internet auf der KPF-Seite unter www.die-linke.de/partei/zusammenschluesse/kommunistische_plattform_der_partei_die_linke/dokumente.