Aus: "Die Kommunisten und das Grundgesetz"
Prof. Dr. Michael Benjamin
Am 7. August 2000 starb unser Genosse Michael Benjamin. Eine Herzoperation überlebte er nicht. Bis zu jenem Tag, an dem er in die Klinik mußte, hatte Mischa aktiv als Kommunist in der PDS gekämpft. Kaum jemand hatte die KPF in den ersten 10 Jahren ihrer Existenz so geprägt wie er. Mischa fehlt uns bis heute, und wir gedenken seiner in Liebe und voller Respekt vor seiner moralischen Integrität und seiner politischen und theoretischen Leistung.
In diesen Tagen, da durch ein Urteil des BVerfG Kommunistinnen und Kommunisten in der Linken unverändert zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz freigegeben sind, wirken Mischas Überlegungen vom 6. Januar 1999 "Die Kommunisten und das Grundgesetz" vom Januar 1999, als habe er sie gerade niedergeschrieben.
Die Gleichsetzung kommunistischer Ideen mit Verfassungsfeindlichkeit ist übrigens sehr weit von der in letzter Zeit so oft beschworenen westeuropäischen Normalität entfernt. […] Als ob die Untergräber des Grundgesetzes nicht ganz woanders säßen und mancher jedenfalls bis vor kurzem noch in Ministeriumssesseln. Damit stellt sich für die Linke durchaus aktuell die Aufgabe, das Grundgesetz gegen seine wirkliche Bedroher zu verteidigen. Auch das Widerstandsrecht von Art. 20 Abs. 4 gehört zur Akzeptanz des Grundgesetzes. […] Das Grundgesetz ist zwar nicht das schlechteste, keineswegs aber die beste (oder demokratischste) deutsche Verfassung, obgleich solche Würdigungen manchmal auch in PDS-nahen Kreisen zu hören sind. Es entstand unter dem Eindruck der faschistischen Gewaltherrschaft. Seine Verfasser waren teilweise Opfer der Nazis. Sie mußten die sozialitischen Stimmungen und Bestrebungen vieler Menschen in Westdeutschland berücksichtigen – die SPD war noch nicht in Godesberg angekommen und die CDU stand noch bei Ahlen. Detlef Joseph hat die demokratischen Potenzen des Grundgesetzes ausführlich dargestellt. Das Grundgesetz schreibt die Unantastbarkeit der Würde und Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz fest, es verankerte 1949 das uneingeschränkte Asylrecht politisch Verfolgter. Mit Sozialstaatsprinzip, Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Vergesellschaftungsklausel stellt es nicht nur den Handlungsrahmen für den politischen Kampf dar, sondern kann auch Grundlage des Strebens der deutschen Sozialistinnen und Sozialisten nach Überwindung der Kapitalherrschaft sein.
Diese Position zum Grundgesetz zu beziehen erfordert, sich mit der Verfassungsordnung der DDR auseinanderzusetzen. Heuer, Riege, Lieberam und andere hatten Recht, wenn sie erklärten, die DDR sei kein Rechtsstaat im Sinne der bürgerlich-parlamentarischen Kriterien wie Gewaltenteilung, Gesetzesbindung der Verwaltung, gerichtliche Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen, Parlamentarismus und umfassender bürgerlicher, vor allem politischer Freiheiten gewesen. Sie wollte keiner sein.
Die deutsche Linke hatte Gründe dafür – nicht nur die Erfahrung mit der Justiz und Verwaltung des deutschen Faschismus, sondern auch mit jenen in der Weimarer Republik, worüber Kurt Tucholsky 1921 geschrieben hatte: "Das Mädchen Justitia spielt munter auf dem Klavier. Piano und forte, wie es sich trifft. Es ist ein feines Mädchen. Mild ist sie gegen Adel, Studenten, Nationale. Da wird nicht zugeschlagen. Aber gegen die Arbeiter? Allemal!" Diese Verwaltung und diese Justiz vollzogen 1933 mit ganz wenigen Ausnahmen den nahtlosen Übergang in das Lager des Nazifaschismus und Jahre später nicht minder nahtlos in die BRD. Die Haltung der DDR wie auch anderer sozialistischer Länder zum Rechtsstaat kann nicht mit Pauschalurteilen belegt, schon gar nicht mit moralisierenden Begriffen wie "Unrechtsstaat" abgetan werden. Sie muß erklärt und ihre Ergebnisse müssen an ihren eigenen Maßstäben gemessen werden. Da allerdings ist zu sagen, daß die Verfassungs-, Staats- und Rechtskonzeption der DDR mit Prinzipien wie der Gewalteneinheit, verfassungsmäßigen Verankerung der führenden Rolle der SED, Ablehnung der Verfassungsgerichtsbarkeit und der gerichtlichen Kontrolle von Verwaltungsentscheidungen letztlich das Kriterium der historischen Praxis nicht bestanden hat. Die These von der Einheit gesellschaftlicher und Individualinteressen führte zur Unterordnung der letzteren unter die ersteren. Grundsätze wie die unmittelbare Mitgestaltung der Bürger und ihre gesellschaftliche Initiative wurden ausgehöhlt und einer immer problematischer werdenden Wirtschaftspolitik untergeordnet. Diese Kritik schließt nicht aus, daß bestimmte Ansätze weiter zu diskutieren und auf ihre Brauchbarkeit unter veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen zu prüfen sind.
Dabei ist jedoch an der in bitteren Erfahrungen historisch erwiesenen Tatsache festzuhalten, daß rechtsstaatliche Strukturen eine wichtige demokratische Errungenschaft darstellen, die eine sozialistische Partei nicht ungestraft ignorieren kann und hinter die kein Sozialismusansatz zurückgehen darf.
Diskussionsbeitrag von Michael Benjamin, gehalten auf der Konferenz der AG JuristInnen der PDS am 6. Januar 1999.