Aus »Alle Macht dem Volke« wird »Alle Macht dem Markt«!
Sabine Wils, Hamburg
Angela Merkel meinte im Februar 2013: »Nichts wünschen wir uns mehr als ein Freihandelsabkommen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten«.
Mit TTIP, CETA und TiSA [1] werden völkerrechtlich bindende Verträge geschaffen, die diese Staaten vollständig dem Markt ausliefern und die bürgerliche Demokratie amputieren. Verharmlosend werden sie als Freihandelsverträge der nächsten Generation bezeichnet. Die Vertragstexte zu CETA liegen vor, TTIP soll analog gestaltet sein, diese Vertragstexte sind jedoch für die Öffentlichkeit noch nicht zugänglich.
CETA und TTIP – das droht uns
Den Konzernen der jeweils anderen Staaten soll »gerecht und billig« ohne »Diskriminierung« der Marktzugang gewährt werden, ihre Investitionen sollen geschützt sein. Als Bereiche des »allgemeinen wirtschaftlichen Interesses« sollen dem Markt die öffentlichen Dienstleistungen wie Wasserversorgung, Abwasserentsorgung und die Daseinsvorsorge wie Energie, ÖPNV, Häfen geöffnet werden.
Die Vergabe öffentlicher Aufträge, der Verkauf öffentlichen Eigentums, z.B. Grundstücke an öffentliche Bauträger, Auflagen zum Bau von Sozialwohnungen sowie die Beschaffung werden auf die Kostenbetrachtung reduziert. Besondere Anforderungen wie Ökostrom, Nutzung umweltfreundlicher Reinigungsmittel, die Förderung lokaler Betriebe und karitativer Organisationen werden als Protektionismus angesehen.
Die Förderung nach sozialen, ökologischen oder gemeinnützigen Kriterien, wie die Förderung von Sportvereinen, lokalen Kultureinrichtungen, Nachbarschaftstreffs, kann als Subvention und damit Benachteiligung der privaten Marktteilnehmer, z.B. von Fitnessstudios und Musicaltheatern, interpretiert werden.
Auflagen und Beschränkungen im öffentlichen Interesse werden aufgehoben oder auf das Mindestmaß zwischen den beteiligten Staaten reduziert. Hierunter würden der Daten-, Verbraucher-, Umwelt- sowie der Arbeitsschutz fallen. Dem Dumping in allen Bereichen zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit zwischen den Staaten bietet sich ein breites Feld.
Jegliches staatliche Handeln bis hinunter in die kleinste Gemeinde fällt unter die Regelungshoheit der Abkommen, wenn es nicht ausdrücklich in einer Negativliste ausgenommen ist. Eine Stillstandsklausel fordert, dass das, was einmal privat ist, für die Zukunft auch privat erbracht werden muss. Die Nachwirkungsfristen von 20 Jahren machen einen Ausstieg fast unmöglich.
Mit diesen Inhalten geht TTIP weit über das hinaus, was die Öffentlichkeit mit dem Begriff Freihandelsabkommen verbindet.
Parallel zu CETA und TTIP wird TiSA seit 2012 zwischen den Really Good Friends of Services (Die echten Freunde der Dienstleistungen), u.a. auch den USA und der EU, verhandelt, die zusammen 2/3 der weltweiten Dienstleistungen vertreten. TiSA soll eingeschränkt auf Dienstleistungen die gleichen Ziele wie CETA und TTIP beinhalten.
»Investitionen sind das Grundnahrungsmittel unserer Weltwirtschaft, und die müssen geschützt werden«, so beschrieb Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, am 6. Mai 2014 im Deutschlandfunk das Ziel des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP.
CETA und TTIP – so regieren sie durch
Zur Durchsetzung dieser Vorgaben von CETA und TTIP überprüft ein Regulationsrat jegliches Verwaltungshandeln sowie alle bestehenden und zukünftigen Gesetze und Verordnungen auf die Einhaltung der Verträge.
Wird der gewünschte unbeschränkte Marktzugang verweigert, wird durch öffentliche Auflagen die Realisierung von Gewinnerwartungen in Frage gestellt, glaubt ein Investor nicht »recht und billig« behandelt zu werden, ist der Weg zum Schiedsgericht offen. Unter dem Titel Investitionsschutz (ISDS – Investor-State Dispute Settlement) kann sich in Streitfällen jeder ausländische Konzern an ein internationales Schiedsgericht wenden. Die Schiedsgerichte entscheiden in geheimer Sitzung allein auf Grundlage der Freihandelsabkommen CETA und TTIP. Diese Schiedsgerichte stehen außerhalb des Rechtsstaats, der an die Verfassung gebunden ist und eine Abwägung der verschiedenen Rechtsgüter wie den Grundrechten vornimmt.
Eine Entscheidung des Schiedsgerichts ist endgültig. Vor den Sondertribunalen streiten spezialisierte Wirtschaftskanzleien mit öffentlichen Verwaltungen, welch ungleicher Kampf! Drakonische Entschädigungen für »entgangene Gewinne« nötigen die gewählten Volksvertretungen, sich dem Willen der Investoren zu beugen.
Für die internationalen Konzerne wird eine Rechtsordnung jenseits von Verfassung, Menschenrechten und Demokratie eröffnet. Mit CETA/TTIP wird in Deutschland die »marktgerechte Demokratie« nach den Vorstellungen von Angela Merkel Wirklichkeit werden.
CETA und TTIP – Neoliberalismus wird zum Völkerrecht
Das Kapitalismusmodell des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus, meist als Neoliberalismus bezeichnet, hat sich seit den Regierungen von Thatcher und Reagan durchgesetzt. Der Neoliberalismus setzt darauf, die Verteilung des Mehrwerts zugunsten des Profits zu ändern:
- die Öffnung neuer Märkte durch Privatisierung und Deregulierung,
- die Umgestaltung des Staates zur Durchsetzung dieser Ziele
CETA und TTIP führen diese Strategie über die Nationalstaaten und die Europäische Union hinaus auf die Ebene des Völkerrechts. Zur Durchsetzung von Konzernansprüchen gegen einzelne Staaten können damit die anderen Vertragsstaaten als Hilfsgerichtsvollzieher herangezogen werden.
- Mit dem Abbau der nicht-tarifären Handelshemmnisse sollen alle Bereiche den Marktgesetzen unterworfen werden. Sozialregelungen, Arbeitsrecht, Umwelt-, Verbraucher-, Mieter- und Datenschutz und andere Gesetze stellen alle nicht-tarifären Handelshemmnisse dar. In einer Welt der kapitalistischen Konkurrenz sind dem Dumping damit keine Grenzen gesetzt.
- Zu den nicht-tarifären Handelshemmnissen zählt auch die »Diskriminierung der Privatwirtschaft« von der Erbringung vieler Leistungen, die heute öffentlich gestaltet sind. Diese Bereiche sind privaten Anbietern zu öffnen und den Marktregeln zu unterwerfen. Viele im EU-Binnenmarkt noch nicht umgesetzte Liberalisierungen, die bisher politisch nicht durchsetzbar waren, werden über CETA und TTIP möglich.
- Die Fesseln der bürgerlichen Demokratie für das Kapital werden gelöst und eine über der Verfassung stehende Rechtsordnung über völkerrechtliche Verträge aufgebaut. Die »marktkonforme Demokratie« von Angela Merkel nimmt Gestalt an:
- Der Regulationsrat setzt als Expertenrunde die Regeln von TTIP um. Die Mitglieder stellen sich keiner Wahl, sind keiner Verfassung oder Grundrechten unterworfen. Der Rat wirkt auf bestehende und alle kommenden Entscheidungen der demokratischen Organe ein.
- Die Schiedsgerichtsverfahren setzen auf Betreiben einzelner Konzerne deren Profitinteressen gegen die demokratischen Organe durch. Verhandelt wird vor Sondergerichten, deren Mitglieder Teil und Profiteure des Systems sind. Die Konzerne werden auf die Ebene von Nationalstaaten gehoben. Entschieden wird auf Grundlage des neuen globalen Rechtsanspruchs auf maximalen Profit. Die Abwägung des Rechts auf Eigentum gegenüber anderen Grundrechten, bzw. der Einschränkung im Art. 14 GG (2) »Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.« entfällt.
- Die Nationalstaaten mit ihren Verfassungsorganen werden durch die Androhung immenser Schadenersatzzahlungen zu einem konzernfreundlichen Verhalten genötigt werden.
30. Juli 2014: »Drohender Staatsbankrott in Argentinien«, Süddeutsche Zeitung
TTIP – Globalstrategie der USA/EU
Die Weltwirtschaftskrise seit 2008 hat es offensichtlich gemacht: Die Dominanz der alten imperialistischen Zentren USA und EU ist langfristig in Frage gestellt.
Dagegen setzen EU und USA auf TTIP als ökonomische NATO (Hillary Clinton). TTIP ist die gezielte Umsetzung einer geopolitischen Strategie, die auf privilegierten Zugang zu den europäischen und amerikanischen Exportmärkten nur für die Drittstaaten setzt, die sich dem neoliberalen Wirtschaftsregime unterwerfen.
- TTIP ist auch als ein geopolitischer Feldzug der USA und der EU zu verstehen, um ihre Hegemonie über den Welthandel zu sichern. Anderen Staaten und Staatengruppen wird es schwer fallen bzw. fast unmöglich sein, an den dort geltenden Regelungen über Investitionen, Dienstleistungen sowie Rechten am geistigen Eigentum vorbeizukommen. Mit TTIP entsteht ein neuer Wirtschaftsblock, dessen Anteil am Welthandel sich auf 40 Prozent belaufen würde und der die Spielregeln der Weltwirtschaft im Alleingang neu bestimmen könnte. Das Ergebnis wäre damit eine gigantische transatlantische Freihandelszone mit neuen Regeln der globalen Wirtschaft und eine noch größere Dominanz des Westens. Wenn Schwellen- und Entwicklungsländer dem beitreten wollten, dann wären sie nicht Regelsetzer, sondern Regelnehmer. Die neuen Regeln der globalen Wirtschaft stünden bereits vor ihrem Beitritt fest.
- Angesichts der aktuellen Entwicklungen gegenüber Russland und um China herum ist schon der Versuch zur Bildung eines globalen Wirtschaftsblocks zu erkennen, der gegen die BRICS-Staaten, die Staaten von MERCOSUR und ALBA in Stellung gebracht wird.
- Die Überakkumulationskrise mit der weiter steigenden Nachfrageschwäche zwingt die Kapitalanleger in die Spekulation z.B. mit Aktien und Immobilien. Die Öffnung der ihnen bisher nicht zugänglichen öffentlich erbrachten Dienstleistungen soll neue profitable Anlagefelder jenseits der Spekulation schaffen.
CETA, TTIP und TiSA – Staatsstreich der Konzerne durch die Hintertür
Die Vertragsinhalte werden hinter verschlossenen Türen verhandelt, nur ausgewählte Parlamentarier mit Schweigegelübde erhalten Einblick, aber Wirtschaftslobbyisten wirken bei den Verhandlungen mit. Erst die fertigen Abkommen werden der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Entscheidung für die Parlamente zu den Abkommen lautet dann: Friss oder stirb.
Den Verhandlungsauftrag haben die Regierungen der beteiligten Staaten und die EU-Kommission erteilt. Mit der Geheimhaltung werden störende Einflüsse aus den Verhandlungen ferngehalten und der Widerstand erschwert werden.
Wie die Verfassungen anderer Länder gibt das Grundgesetz nur einen Rahmen für die gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland vor. Von Sozialismus über den rheinischen Kapitalismus bis zum heutigen Deutschland unter Merkel und Gabriel ist mit diesem Grundgesetz vieles möglich. Mit den Verträgen wird über die Hintertür als Verfassungswirklichkeit das neoliberale Staatsverständnis eines Staates festgeschrieben werden, der sich aus dem Markt heraushält und gleichzeitig optimale Marktbedingungen schafft.
Die Ansätze für Politik im Interesse der Arbeiterklasse und der Mehrheit der Bevölkerung gegen das Kapitalinteresse sind nach Abschluss von CETA/TTIP in Frage gestellt. Welche »Umfairteilung«, welcher sozial-ökologische Umbau, welche alternative Wirtschaftspolitik, welche wirksame Finanzmarktregulierung schadet den Profiten der Konzerne nicht?
Mit der Etablierung von ISDS kann jede politische Entscheidung mit Strafen (Entschädigungen für Investoren) belegt werden, sofern sie die Gewinne zu schmälern droht. Mit den Abkommen wird Deutschland nur noch im Einvernehmen mit allen beteiligten Staaten gegen Konzerne handeln können. Mit den Abkommen wird in Deutschland der totale Markt in Beton gegossen.
Die Regierungen der beteiligten Staaten und die EU-Kommission hebeln mit diesen Verträgen die Verfassung der beteiligten Länder im Interesse der Konzerne aus. Kommenden politischen Mehrheiten wird die Freiheit der Entscheidung genommen. Dies steht im Widerspruch zum Grundgesetz.
Aber Rechtsfragen sind immer auch Macht- und Klassenfragen. Deshalb reicht der Verweis auf die Verfassungsfeindlichkeit der Abkommen nicht aus, diese zu kippen. Dafür braucht es einen breiten Widerstand.
CETA klopft an die Tür
Als erstes liegt derzeit CETA als Abkommen zwischen der EU und Kanada vor. TTIP mit den USA soll folgen. Die Unterzeichnung und der Abschluss von CETA soll voraussichtlich im 2./3. Quartal 2015 erfolgen. Voraussetzung ist ein Beschluss des Ministerrats der EU. Neben dem EU-Parlament werden wegen der verfassungsändernden Wirkung voraussichtlich auch die nationalen Parlamente – in Deutschland sind das Bundesrat und Bundestag – zustimmen müssen. Wird CETA abgeschlossen, wird TTIP wegen der engen Bindungen zu den USA (NAFTA) kaum noch zu verhindern sein.
Angela Merkel wirbt für die Freihandelsabkommen. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition werden die Freihandelsabkommen als politisches Ziel hervorgehoben.
Im EU-Wahlkampf haben sich dagegen die Kandidaten der SPD bezogen auf die Freihandelsabkommen gegen Investorenschutz, gegen eine Absenkung bei Arbeitnehmerrechten, Verbraucherschutz-, Sozial- und Umweltstandards, Ausverkauf öffentlichen Eigentums und Privatisierung öffentlicher Aufgaben ausgesprochen.
Nach den EU-Wahlen meldet die Tagesschau am 10. September 2014: »Gabriel knickt bei CETA-Abkommen ein. … Auch der Punkt Investitionsschutz taucht dort auf – doch kritisiert werden die Sonderrechte für Investoren dort nicht. Kein Wort der grundsätzlichen Kritik an diesem Punkt.« Auf dem SPD-Parteikonvent am 20. September wurden Forderungen an TTIP beschlossen. Ein Nein bei Nichterfüllung und jegliche Aussage für CETA fehlen.
Der Hamburger Senat unterstützt TTIP, gegen CETA hat der Senat keine fachlichen Einwände bei der Bundesregierung vorgetragen (Antwort auf zwei Anfragen von Kersten Artus (LINKE) in der Hamburgischen Bürgerschaft).
CETA, TTIP und TISA verhindern
EU-weit sollte eine Europäische Bürgerinitiative den Widerstand gegen CETA, TTIP und TISA sammeln und Druck auf die EU-Kommission ausüben. Die EU-Kommission hat diese Initiative nicht zugelassen!
Das aus über 240 Organisationen bestehende Bündnis »Stopp TTIP« hat entschieden, Rechtsmittel gegen die Ablehnung der Europäischen Bürgerinitiative zu TTIP und CETA durch die Europäische Kommission einzulegen. Die Europäische Bürgerinitiative soll wie geplant auch ohne Anerkennung durch die EU-Kommission durchgeführt werden.
In einigen Städten und Gemeinden haben sich Bürgermeister und Kommunalvertretungen gegen die Abkommen ausgesprochen, da diese die kommunale Selbstverwaltung und Verfassung in Frage stellen. Auch regional haben sich schon Bündnisse gebildet, die vor Ort eine CETA-, TTIP- und TISA-freie Zone schaffen wollen.
Doch Widerstand regt sich nur dort, wo die Inhalte und Folgen der Abkommen bekannt sind. Vom Infostand auf der Straße kann ich feststellen: Viel zu wenig Menschen haben schon von CETA und TTIP gehört.
Notwendig wird ein breiter Widerstand sein. Wie bei der Friedensbewegung in der alten Bundesrepublik gegen den NATO-Doppelbeschluss brauchen wir einen breiten Widerstand in allen Bevölkerungsgruppen und in der Fläche. Solch ein Widerstand braucht gesellschaftliche Kräfte, die sich diesem politischen Ziel verschworen haben. Bei der Friedensbewegung in den 80er Jahren war dies die DKP. Heute ist jedoch keine solche organisierte Kraft zu erkennen.
Die LINKE hat in ihrer Breite die zentrale Bedeutung der Abkommen noch nicht erkannt und behandelt sie als ein Thema unter vielen. Als Partei des demokratischen Sozialismus wollen wir eine bessere Gesellschaft. CETA/TTIP und TiSA sollen jede Veränderung verhindern. Deshalb stellt sich uns die gesellschaftliche Aufgabe, den Widerstand gegen CETA/TTIP und TiSA mit all unserer organisatorischen Kraft voranzutreiben. Daran wird sich die LINKE messen lassen müssen. Die gesellschaftliche Praxis und nicht das Parteiprogramm bestimmt den Charakter einer Partei.
CETA/TTIP und TiSA müssen verhindert werden. Die Demokratie und das Grundgesetz sind in Gefahr!
Anmerkung:
[1] TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) – EU/USA; CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) – EU/Kanada; TiSA (Trades in Services Agreement) – multilaterales Dienstleistungsabkommen.
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2014-01: Als Steigbügelhalter stehen wir als LINKE nicht zur Verfügung