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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

August Bebel starb vor 100 Jahren

Auszug aus "Die Frau und der Sozialismus"

Am 13. August 1913 verstarb August Bebel, Arbeiterführer und Kampfgefährte Wilhelm Liebknechts, Mitbegründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei, beteiligt an der Bildung der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands und einer der beiden Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Auch die Gegner seiner marxistischen Positionen sehen ihn als hervorragenden Parlamentarier des 19. Jahrhunderts. Es folgt ein Auszug aus seinem 1879 erschienenen Werk "Die Frau und der Sozialismus" in der Ausgabe des Dietz-Verlages von 1979, S. 528-530.

Dreißigstes Kapitel, Bevölkerungsfrage und Sozialismus

1. Furcht vor Übervölkerung

Es gibt Leute, welche die Bevölkerungsfrage als die wichtigste und brennendste aller Fragen ansehen, weil eine "Übervölkerung" drohe, ja, tatsächlich schon vorhanden sei. Diese Frage muß ganz speziell vom internationalen Standpunkt aus behandelt werden, denn Volksernährung und Volksverteilung sind immer mehr eine internationale Angelegenheit geworden. Über das Bevölkerungsgesetz ist seit Malthus viel gestritten worden. In seiner berühmt und berüchtigt gewordenen Schrift "Versuch über das Bevölkerungsprinzip", die Karl Marx "als ein schülerhaft oberflächliches und pfäffisch vordeklamiertes Plagiat aus Sir James Stewart, Townsend, Franklin, Wallace usw." bezeichnet, das "nicht einen einzigen selbstgedachten Satz enthält", stellt Malthus die Ansicht auf, daß die Menschheit das Bestreben habe, sich in geometrischer Progression zu vermehren (1, 2, 4, 8, 16, 32 usw.), wohingegen die Nahrung nur in arithmetischer Progression (1, 2, 3, 4, 5 usw.) vermehrt werden könne. Die notwendige Folge sei, daß zwischen der Menschenzahl und dem Nahrungsvorrat rasch ein Mißverhältnis entstehe, das zu Massennot und schließlich zu Massentod führen müsse. Es sei darum geboten, sich in der Kinderzeugung "Enthaltsamkeit" aufzuerlegen. Derjenige dürfe nicht heiraten, der nicht genügend Mittel zur Ernährung einer Familie besitze, weil sonst am "Tische der Natur" kein Platz für die Nachkommen vorhanden sei.

Die Furcht vor Übervölkerung ist sehr alt. Sie war bereits, wie die Erörterungen in der vorliegenden Schrift zeigten, bei Griechen und Römern und wieder am Ausgang des Mittelalters vorhanden. Plato und Aristoteles, die Römer, der Kleinbürger des Mittelalters wurden von ihr beherrscht, und sie beherrschte Voltaire, der darüber im ersten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts eine Abhandlung veröffentlichte. Andere Schriftsteller folgten ihm, bis endlich in Malthus derjenige erstand‚ der diese Befürchtungen am prägnantesten zum Ausdruck brachte.

Die Furcht vor Übervölkerung tritt stets in Perioden auf, in denen der bestehende Sozialzustand im Zerfall begriffen ist. Die allgemeine Unzufriedenheit, die dann entsteht, glaubt man in erster Linie dem Überfluß an Menschen und dem Mangel an Lebensmitteln und nicht der Art, wie sie gewonnen und verteilt werden, zuschreiben zu müssen.

Alle Ausbeutung des Menschen durch den Menschen beruht auf Klassenherrschaft. Das erste und vornehmste Mittel der Klassenherrschaft aber ist die Besitznahme von Grund und Boden. Aus dem Gemeinbesitz gelangt derselbe allmählich in Privatbesitz. Die Masse wird eigentumslos und ist genötigt, sich im Dienste der Besitzenden ihre Portion an Lebensmitteln zu erwerben. Unter solchen Umständen wird jeder Zuwachs zur Familie oder ein neuer Konkurrent als eine Last empfunden. Das Gespenst der Übervölkerung erscheint‚ das in dem Maße Schrecken verbreitet, wie der Grund und Boden immer mehr Monopolbesitz wird und an Produktivität verliert, sei es, weil er nicht genügend bewirtschaftet wird, oder weil man den besten Boden in Schafweiden verwandelt, oder ihn dem Vergnügen seiner Herren als Jagdgründe reserviert und ihn so dem Anbau für menschliche Nahrung entzieht. Rom und Italien hatten am meisten Mangel an Nahrungsmitteln, als der Grund und Boden sich in den Händen von ungefähr dreitausend Latifundienbesitzern befand. [...]

Eine ähnliche Erscheinung trat gegen Ende des Mittelalters ein, nachdem während Jahrhunderten Adel und Geistlichkeit durch alle Mittel der List und Gewalt zahlreiche Bauern ihres Eigentums beraubt und das Gemeindeland an sich gerissen hatten. Als dann infolge all der erlittenen Mißhandlungen die Bauern sich empörten, aber niedergeschlagen wurden und nun erst recht das Raubhandwerk des Adels nur auf höherer Stufenleiter fortgesetzt und von den reformierten Fürsten auch am Kirchengut praktiziert wurde, wuchs die Zahl der Räuber, Bettler und Vagabunden wie nie zuvor. Ihre Zahl war am größten nach der Reformation. [...]

Das Auftreten von Malthus fällt nun in jene Periode der englischen Industrie, wo infolge der neuen Erfindungen von Hargreaves, Arkwright und Watt gewaltige Umgestaltungen in der Mechanik und Technik eintraten, die hauptsächlich in der Baumwollen- und Leinenindustrie zur Geltung gelangten und die Arbeiter in den betroffenen Hausindustrien zu Zehntausenden brotlos machten. [...]