Zum Hauptinhalt springen
Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Auf Weisung des Kraken

Dr. Ronald Friedmann, Berlin

 

Vor 70 Jahren putschte die CIA auf Weisung der United Fruit Company gegen Guatemalas demokratischen Präsidenten

 

Etwa 52.000 Hektar brachliegenden Bodens hatte die Regierung von Guatemalas Präsi­dent Jacobo Árbenz im Juni 1952 enteignet und an landlose Bauern verteilt. Die Ent­schädigung, die sie dafür zahlte, war ohne Frage viel zu niedrig. Doch deren Höhe war auf der Grundlage des Bodenwertes berechnet worden, den die vormalige Eigentü­merin, die United Fruit Company, selbst angegeben hatte – um Steuern zu sparen.

Mit seiner Agrarreform hatte Árbenz eine Grenze überschritten. Ein Vorgang, den die United Fruit Company, in ganz Mittelamerika als »el pulpo«, der »Krake«, bekannt, nicht zu tolerieren bereit war. Die in den USA ansässige Firma nutzte ihre ausgezeichneten Kontakte zur Regierung in Washington, um Hilfe gegen den »Kommunisten« Árbenz ein­zufordern.

Denn in Guatemala hatte es seit dem Oktober 1944 zahlreiche politische, soziale und wirtschaftliche Reformen gegeben, die das Land grundlegend verändert hatten. Und die United Fruit Company, die auf dem Höhepunkt ihrer wirtschaftlichen Macht für 40 Pro­zent der guatemaltekischen Wirtschaftsleistung stand, sah ihre einzigartige Position in diesem mittelamerikanischen Land in Gefahr. Die United Fruit Company war nicht nur die größte Grundbesitzerin, ihr gehörten nahezu alle wichtigen Eisenbahnlinien und der einzige Atlantikhafen des Landes, über den der größte Teil des Außenhandels abge­wickelt wurde. Sie hatte in Guatemala in jeder Hinsicht eine beherrschende Position. Und das sollte so bleiben.

Ein Jahrzehnt tiefgreifender Reformen

Ende Oktober 1944 hatten Offiziere des Heeres, unter ihnen Jacobo Árbenz, mit einem Staatsstreich die politische Macht in Guatemala übernommen. Bereits im Dezember 1944 fanden die ersten demokratischen Wahlen in der Geschichte des Landes statt, das seit 1821 unabhängig war. Sieger der Präsidentschaftswahlen war Juan José Arévalo, ein promovierter Philosoph, der einen »spirituellen Sozialismus« vertrat. Der neue und demo­kratisch legitimierte Staatschef brachte umgehend eine neue Verfassung auf den Weg, die die grundlegenden bürgerlichen Freiheiten gewährte, den Schutz des Eigentums garantierte und die Notwendigkeit einer umfassenden Agrarreform anerkannte. Auf der Grundlage dieser Verfassung erfolgten zahlreiche tiefgreifende Reformen. So wurde bei­spielsweise eine allgemeine Sozialversicherung eingeführt. Die Regierung nahm den Kampf gegen das weit verbreitete Analphabetentum auf, das in einigen Teilen des Landes bei nahezu hundert Prozent lag. Und erstmals wurden elementare Rechte der indiani­schen Urbevölkerung verbindlich formuliert. Eine Vielzahl von ökonomischen Maßnah­men beförderte die Entwicklung der einheimischen Wirtschaft, ohne dass die Interessen der ausländischen Großunternehmen davon berührt wurden.

Sieger der nachfolgenden Präsidentschaftswahlen im Dezember 1950 war Jacobo Árbenz, der entschlossen war, die von seinem Vorgänger eingeleiteten Maßnahmen nicht nur fortzusetzen, sondern die drängenden politisch-sozialen Reformen und Umwälzungen mit großer Energie auszuweiten. Er wollte seine Amtszeit nutzen, um die noch immer bestehenden feudalen und semifeudalen Verhältnisse im Land endgültig zu überwinden und Guatemala in einen modernen kapitalistischen Staat zu verwandeln.

Kernstück seines Regierungsprogrammes war eine umfassende Agrarreform, die unter Präsident Arévalo zwar in der Verfassung verankert worden war, die jedoch von der alten Regierung nie wirklich in Angriff genommen worden war.

Bis zum Frühsommer 1954 wurden in Guatemala insgesamt 1,8 Millionen Hektar Land enteignet und an mehr als 100.000 Bauern und Landarbeiter übergeben, die nun erst­mals auf eigenem Grund und Boden wirtschaften konnten. Die United Fruit Company büßte etwa drei Viertel ihres früheren Grundbesitzes in Guatemala ein.

Offene Propaganda und geheime Invasion der USA

Was folgte, war der geheime Feldzug einer Weltmacht gegen ein kleines mittelamerika­nisches Land. In der ersten Hälfte der 1950er Jahre, der hohen Zeit des Kalten Krieges, war es kein Problem, den guatemaltekischen Präsidenten Árbenz in der Öffentlichkeit als »Kommunisten« zu stigmatisieren und ihn zu einem willigen »Handlanger Moskaus« zu erklären.

Nachdem die wenige Jahre zuvor gegründete CIA im August 1953 die Regierung Mossa­degh im Iran gestürzt hatte, bereitete sie nun unter der Bezeichnung »Operation PBSUCCESS« eine große verdeckte Operation in Mittelamerika vor. Treibende Kraft war der damalige CIA-Direktor Allen Welsh Dulles höchstpersönlich, denn er stand, ebenso wie sein älterer Bruder John Foster Dulles, der 1953 US-Außenminister wurde, als Anwalt und Lobbyist auf der Gehaltsliste der United Fruit Company.

Die CIA baute ab Mitte 1953 zunächst eine etwa 400 Mann starke »Befreiungsarmee« auf, die von US-Ausbildern in Nikaragua auf ihren Einsatz in Guatemala vorbereitet wur­de. Zeitgleich lief die Suche nach einem »Befreier«. Die Wahl fiel auf Carlos Castillo Armas, einem Oberstleutnant des guatemaltekischen Heeres, der bereits 1950 einen Putschversuch unternommen hatte und nach dessen Scheitern in das Nachbarland Nikaragua geflüchtet war. Dort erfreute er sich der besonderen Sympathie des Dikta­tors Anastasio Somoza.

Über mehrere Monate hinweg wurde in der US-amerikanischen und der mittelamerika­nischen Öffentlichkeit die Kulisse einer akuten und ständig wachsenden Bedrohung des Friedens und der Sicherheit in der Region durch das »kommunistische« Regime in Gua­temala aufgebaut. Das benachbarte Honduras sah sich von einer angeblich bevorste­henden Invasion bedroht. Als »Beweis« diente der Streik von 40.000 Bananenarbeitern im Norden von Honduras, der angeblich von der Regierung Guatemalas organisiert wor­den war. Und ein US-amerikanischer Abgeordneter verstieg sich sogar zu der Behaup­tung, dass der von den USA kontrollierte und schwer bewachte Panamakanal in akuter Gefahr sei.

Die Krise wurde dadurch verschärft, dass die Regierung von Guatemala ausgerechnet im Frühjahr 1954 in der Tschechoslowakei Waffen aus Weltkriegsbeständen für die Aus­rüstung der Armee gekauft hatte, nachdem sich die USA seit 1949 geweigert hatten, weiterhin Waffen an Guatemala zu liefern. Der Transport der Waffen vom Karibikhafen Puerto Barrios ins Landesinnere lieferte der in Nikaragua stationierten »Befreiungs­armee« den gewünschten Vorwand zum Eingreifen. Doch mehrere Versuche, der erste am 20. Mai 1954, die Züge mit den Waffen zu stoppen, scheiterten.

Die eigentliche Invasion, die zum Sturz von Präsident Jacobo Árbenz und zur Errichtung einer Militärdiktatur in Guatemala führte, begann am 18. Juni 1954. Zunächst gab es nur einige Geplänkel zwischen der »Befreiungsarmee« und den regulären Streitkräften. Erst am 20. Juni 1954 kam es in der Nähe der kleinen Ortschaft Gualán zum einzigen größeren Gefecht. Spätestens am 23. Juni 1954 wurde endgültig klar, dass die Militär­führung nicht bereit war, die »Befreiungsarmee« ernsthaft zu bekämpfen.

Präsident Árbenz setzte deshalb auf eine politisch-diplomatische Lösung. Doch der UNO-Sicherheitsrat weigerte sich unter dem Druck der USA – gegen die Stimme der Sowjetunion und drei Stimmen nichtständiger Mitglieder – sich mit dem »Fall Guatema­la« zu befassen.

Am 27. Juni 1954 sah sich Jacobo Árbenz daher gezwungen, als Präsident zurückzutre­ten. Seine Hoffnung, dass sein »freiwilliger« Amtsverzicht den Bestand der Reformen und Veränderungen seit der guatemaltekischen Oktoberrevolution des Jahres 1944 sichern würde, erfüllte sich nicht.

Vier Jahrzehnte Bürgerkrieg – Hunderttausende Opfer

Bis zum heutigen Tag wird in Guatemala vom »Trauma des Jahres 1954« gesprochen. Denn mit dem Staatsstreich wurde nicht nur der unter den Präsidenten Juan José Arévalo und Jacobo Árbenz eingeleitete Reformprozess abgebrochen und in vollem Umfang rückgängig gemacht. Für Guatemala begannen Jahrzehnte der Repression und des politischen Terrors.

Im Jahre 1960 formierte sich im Nordosten Guatemalas eine erste Guerilla-Bewegung, die den bewaffneten Kampf gegen das Militärregime aufnahm. Dieser Kampf dauerte bis 1996. Die Militärregimes, die das Land ohne Unterbrechung mehr als vier Jahrzehn­te beherrschten, gingen mit rücksichtsloser Gewalt gegen jede Form des Widerstandes vor. Eine guatemaltekische Wahrheitskommission, die 1996 auf Beschluss der Verein­ten Nationen eingesetzt wurde, zog auf 3.400 Seiten eine grausame Bilanz: In den Jah­ren und Jahrzehnten seit dem Putsch gegen Jacobo Árbenz starben im guatemalteki­schen Bürgerkrieg mehr als 200.000 Menschen. Es gab 45.000 »Verschwundene«, deren Schicksal sich nicht mehr aufklären ließ. Eine Million Menschen waren auf der Flucht, entweder innerhalb der Grenzen des eigenen Landes oder in den mittelamerika­nischen Nachbarstaaten.

Auch nach dem Ende der Militärregimes kam Guatemala nicht wirklich zur Ruhe. Zwar gab es den erfolgreichen Versuch, einen der brutalsten Diktatoren vor Gericht zu stel­len. Doch das Urteil gegen Ríos Montt, der von 1982 bis 1983 Staatschef Guatemalas war, konnte eine wirkliche Aufarbeitung der Jahre und Jahrzehnte der Gewalt nicht ersetzen. Die sozialen Probleme des Landes wurden bis heute nicht gelöst. Immer wie­der wird von schweren Menschenrechtsverletzungen, insbesondere in den ländlichen Gebieten, berichtet.

Seit dem 15. Januar 2024 ist Bernardo Arévalo Staatspräsident Guatemalas. In der Stich­wahl am 20. August 2023 hatte er sich mit großem Vorsprung gegen seinen rechtskon­servativen Mitbewerber durchsetzen können. Mit seinem Namen verbinden sich große Hoffnungen, denn er vertritt ähnliche Positionen wie sein US-amerikanischer Namensvet­ter Bernie Sanders. Vor allem jedoch ist er der Sohn von Juan José Arévalo, mit dessen Präsidentschaft 1944 ein Jahrzehnt der Hoffnung in Guatemala begann.

 

Mehr von Ronald Friedmann in den »Mitteilungen«: 

2023-07: Reichskonkordat

2022-04: Gerechtigkeit am Galgen

2022-01: Im Januar 1942 wurde am Berliner Wannsee der Mord an den europäischen Juden geplant