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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Auch für den Ukraine-Konflikt gilt: Internationale Solidarität

Beschluss des 4. Parteitages der Partei DIE LINKE vom 10. Mai 2014

 

Nie wieder Krieg. Nie wieder Faschismus

Mit dem mörderischen Anschlag auf das Gewerkschaftshaus in Odessa, bei dem mindes­tens 46 Menschen, vermutlich deutlich mehr, getötet wurden, hat die rechte Gewalt in der Ukraine nach zahlreichen Angriffen auf Büros und dem physischen Terror gegen Mitglieder linker und antifaschistischer Organisationen einen neuen Höhepunkt erreicht, ist die Gefahr eines Bürgerkriegs bedrohlicher geworden. Linke Aktivistinnen und Aktivisten ste­hen auf schwarzen Listen der Rechten und können sich in Kiew und der Westukraine nicht mehr frei bewegen. DIE LINKE verurteilt die gewaltsamen Übergriffe und die Eingriffe in politische Betätigungsrechte derer, die in Opposition zur der derzeitigen Übergangsregie­rung stehen. DIE LINKE erklärt ihre ausdrückliche Solidarität mit den Opfern. DIE LINKE ist solidarisch mit allen demokratischen, antifaschistischen Kräften in der Ukraine. DIE LINKE fordert alle Konfliktparteien – d.h. auch die NATO, die Bundesregierung, die EU, die US-Ad­ministration und die russische Regierung – auf, auf eine weitere Eskalation zu verzichten.

Die große Mehrheit in Europa will keinen Krieg und keine Zuspitzung der Kriegsgefahr in Europa. Sie wollte keinen Krieg in Jugoslawien, nicht im Irak und Afghanistan, nicht in der Ukraine. Auch und gerade im Konflikt um die Ukraine müssen Gewalt, die Androhung von Gewalt, die Drohung mit einem Dritten Weltkrieg, muss jegliche Kriegsrhetorik unterblei­ben. Sonst besteht die Gefahr, dass dem Krieg der Worte der Krieg der Waffen folgt. Ab­rüstung beginnt verbal. Abrüstung beginnt damit, dass Abstand genommen wird von ein­seitigen Feindbildern. Dialog statt Sanktionen, Diplomatie statt Drohungen – das ist der Inhalt der Vorschläge der LINKEN. DIE LINKE steht an der Seite der Friedensbewegung gegen eine weitere Eskalation der Kriegsgefahr in Europa!

Anders als es die Bundesregierung darstellt, ist nicht in erster Linie Russland für die Zuspitzung der Situation um die Ukraine verantwortlich. Schon die Bejahung einer Auflösung des Warschauer Vertrages bei gleichzeitiger Ablehnung der Auflösung der NATO verhinderte den Aufbau eines gemeinsamen Hauses Europa, die Schaffung einer Sicherheitsstruktur unter Einschluss Russlands. Das war ebenso falsch wie der Bruch des Versprechens, eine Osterweiterung der NATO nicht vorzunehmen. Die Sicherheitsinteressen Russlands wurden durch die Stationierung von amerikanischen Raketen in Tschechien und Polen missachtet.

DIE LINKE hat die Völkerrechtsbrüche beim Krieg gegen Jugoslawien bzw. Serbien, bei der Abtrennung des Kosovo und den militärischen Interventionen im Irak und in Libyen verur­teilt. Die Aufnahme der Krim in die russische Föderation ist ebenfalls völkerrechtswidrig. DIE LINKE versteht sich als Partei des Völkerrechts und will das Völkerrecht stärken.

Wir lehnen alle Drohungen mit wirtschaftlichen Sanktionen, mit militärischer Intervention oder gar den unmittelbaren Einsatz von Militär ab. Der Antiterroreinsatz muss beendet, und der Einsatz der ukrainischen Armee muss beendet und die Nationalgarden müssen sofort in die Kasernen zurückgeholt werden. Nur Verhandlungen, die friedliche Einigung auf gemeinsame Lösungen können die Konflikte deeskalieren.

Es gab für die Menschen auf dem Kiewer Maidan gute Gründe, gegen die Regierung von Viktor Janukowitsch zu protestieren. Seine Regierungszeit war gekennzeichnet von Korrup­tion und dem Abbau demokratischer Rechte. Die Macht und die Herrschaft von Oligarchen unterschiedlicher wirtschaftlicher und politischer Ausrichtungen haben die Lebensverhält­nisse der Menschen in der Ukraine stets negativ beeinflusst.

Das Tragische ist, dass wir gerade Zeugen davon werden, wie diese Ziele in ihr Gegenteil verkehrt werden.

  • Es steht zu befürchten, dass die sozialen Verwerfungen zunehmen.

  • Gleichzeitig bleibt das Vermögen der Oligarchen weiterhin unangetastet.

  • Und in einer militärisch so aufgeheizten Stimmung wird es nicht mehr demokrati­sche Rechte, sondern stattdessen mehr Autoritarismus geben.

Die Hoffnung der Maidan-Demonstranten, eine Annäherung an die EU durch das Assoziie­rungsabkommen würde eine Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Situation bewirken, war illusionär. Bei diesem Abkommen ging es nicht um eine verbesserte Reise­freiheit für Ukrainerinnen und Ukrainer in der EU, sondern um die Durchsetzung neolibera­ler Wirtschaftsideologien. Die Durchsetzung der von der EU und dem Internationalen Wäh­rungsfonds angestrebten neoliberalen Reformen in der Ukraine würde zu einer drastischen Anhebung der Energiepreise, zu einer Zerstörung der industriellen Basis im Osten der Ukraine führen und für weite Teile der Bevölkerung eine noch größere Verarmung bedeu­ten. Es gab also genügend Gründe für den früheren Präsidenten Janukowitsch, das Assozi­ierungsabkommen mit der EU abzulehnen.

Ein schwerer Fehler der demokratischen Kräfte auf dem Maidan war allerdings, die Mitwir­kung der faschistischen Partei Svoboda und anderer Kräfte des rechten Sektors zu akzep­tieren. Nicht minder verwerflich war es, dass der Westen, auch die Bundesregierung, trotz dieses starken faschistischen Einflusses dem nicht entschieden entgegentrat, sondern die gewaltsamen Proteste bis zuletzt anfeuerte. Dadurch haben sie dazu beigetragen, Faschis­ten salonfähig zu machen.

Die Beteiligung von Faschisten an der ukrainischen Regierung hat international weitrei­chende Kritik ausgelöst: Die Zusammenarbeit mit faschistischen, neofaschistischen und rechtspopulistischen Parteien darf nicht enttabuisiert werden. DIE LINKE hat die Zusam­menarbeit mit antisemitischen und geschichtsrevisionistischen Kräften in der Ukraine stets scharf kritisiert. Die Verharmlosung von Faschisten in der Ukraine muss sofort been­det werden. Es darf keine Finanzhilfen von der Bundesregierung und aus der EU geben, solange Faschisten an der Regierung beteiligt sind. Im Gegenteil, den Menschen muss geholfen, antifaschistisch-demokratische Organisationen müssen unterstützt werden.

Die Übergangsregierung in Kiew, die beim »Maidan« die Besetzung öffentlicher Gebäude positiv bewertete, spricht bei ähnlichen Aktionen im Osten des Landes von »Terroristen« und setzt auf Ultimaten und Gewaltandrohungen. Und die Regierungen Deutschlands, der EU und der USA messen wieder einmal mit zweierlei Maß. Janukowitsch wurde zu recht für sein Terrorismus-Vokabular kritisiert und zu einer politischen Lösung aufgefordert. Aber der »Anti-Terror-Einsatz« des verfassungswidrig eingesetzten Präsidenten Turtschinow wird politisch vom Westen gedeckt, obwohl dieser sogar das Militär und die neu rekrutierte Nationalgarde einsetzt.

Die Proteste auf dem Maidan und alle Folgen seitdem sind längst kein ausschließlich ukrai­nisches innenpolitisches Ereignis mehr. Sie sind Teil der, im Einzelnen jeweils unterschied­lichen, Interessen der USA, der EU und Russlands, diese Region wirtschaftlich, politisch, auch militärisch zu kontrollieren. Die Interessen der Großmächte und der Europäischen Union sind nicht identisch mit den Interessen der Bürgerinnen und Bürger der Ukraine und der Politik der europäischen Linksparteien. DIE LINKE kämpft für eine Umverteilung von oben nach unten, für Demokratisierung und gegen Militarisierung. Für DIE LINKE verlaufen die Grenzen in Europa nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten. Die Internationalisierung des Ukraine-Konflikts hat auch dazu geführt, dass der Schlüssel zur Lösung des Ukraine-Konflikts auch nicht allein in Kiew liegt.

Zur Sicherung des Friedens in Europa und für die weitere Entwicklung in der Ukrai­ne schlägt DIE LINKE vor:

1. Alle am Konflikt Beteiligten bleiben aufgefordert, auf militärische Drohungen und erst recht auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten. Auch völkerrechtswidrige territoria­le Anschlüsse darf es nicht geben. Der Einsatz der Nationalgarde im Ostteil der Ukraine ist sofort zu stoppen. Die Stationierung von Einheiten der NATO und der Bundeswehr in Nachbarstaaten Russlands ist rückgängig zu machen. Die USA und die NATO müssen auf die Installierung des Raketenabwehrschirms in Europa verzichten. Die Modernisie­rung der in Deutschland stationierten US-Atomwaffen muss unterbleiben, die vorhande­nen sind abzuziehen.

2. Die Konflikte um die Ukraine können nur durch Verhandlungen gelöst werden. An den Verhandlungen müssen auf internationaler Ebene neben den Ländern des »Budapester Memorandums« USA, Großbritannien, Russland und Frankreich auch Polen und Deutschland beteiligt werden. Es muss verbindlich festgehalten werden, dass weder Georgien noch die Ukraine als Mitglieder in die NATO aufgenommen werden. Die Aussa­ge der Bundesregierung, dass eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine derzeit nicht auf der Tagesordnung stünde, langt nicht aus. Es wäre zu begrüßen, wenn in den Verfas­sungen Georgiens und der Ukraine der Verzicht auf eine Mitgliedschaft in Militärbünd­nissen aufgenommen wird.

3. Durch eine neue Ost- und Entspannungspolitik müssen die Voraussetzungen für eine Überwindung der Konfrontation geschaffen werden: Europa braucht ein neues kollekti­ves Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands, das die NATO überwindet und auf Abrüstung zielt. Eine neue Helsinki-Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa ist sinnvoll. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) muss gestärkt und ausgebaut werden. Sie könnte der Rahmen für eine neue Helsinki-Konferenz und ein kollektives Sicherheitssystem in Europa sein. Mit dem Ein­satz der Militärbeobachter und dem Suggerieren, diese seien Mitglieder der Genfer OSZE-Mission, hat die Bundesregierung der von allen Konfliktparteien gebilligten OSZE-Mission einen Bärendienst erwiesen.

4. Die Ukraine als Brücke zwischen der EU und Russland darf von beiden Seiten nicht vor die Entscheidung »pro EU« oder »pro Russland« gestellt werden. DIE LINKE will die soli­darische Zusammenarbeit mit Russland, mit den osteuropäischen Mitgliedsstaaten der EU, mit der Ukraine, Moldawien und Belarus ebenso wie mit Georgien, Aserbaidschan und Armenien. Das ist die Antwort der LINKEN auf die »Osterweiterung« der NATO und die »Politik der östlichen Partnerschaft« der Europäischen Union.

5. Die Konfliktparteien, einschließlich der »Aufständischen« in der Südostukraine und der demokratischen Kräfte des Maidan, müssen an der Suche nach Lösungen des Konflikts beteiligt werden. Runde Tische unter der Vermittlung der OSZE sind ein mögliches For­mat für einen notwendigen Dialog. Faschistische Kräfte wie die Partei Swoboda und der »Rechte Sektor« dürfen nicht an demokratischen Lösungsversuchen beteiligt werden.

6. Mit dem verfassungswidrig eingesetzten Präsidenten darf es keine weiteren internatio­nalen Abkommen geben, die getroffenen sind illegitim. Erst nach der Bildung einer legi­timen Regierung können weitergehende Verhandlungen geführt werden. Finanzielle Hil­fen setzen vorherige demokratische Wahlen und das Ausscheiden der Faschisten und des Rechten Sektors aus der Übergangsregierung voraus. Solange Nazis in der Regie­rung sind, ist es völlig inakzeptabel, auch nur über Hilfskredite nachzudenken.

7. Dem Konflikt in der Ukraine liegen schwer wiegende soziale Probleme zu Grunde. Um sie zu lösen, ist die Heranziehung des Vermögens sämtlicher Oligarchen erforderlich, die mit ihrer Politik der rücksichtslosen Bereicherung großen Anteil an der Verelendung weiter Teile der Bevölkerung hatten.

8. Das Abkommen vom 21. Februar 2014 muss umgesetzt werden. Das Verhältnis von Ost- und West-Ukraine muss neu und demokratisch geordnet werden. Eine Föderalisie­rung der Ukraine ist ernsthaft zur Diskussion zu stellen. Rechtliche Garantien sollen die lokale und regionale Selbstverwaltung absichern.

9. Bei Finanzhilfen von EU und IWF bzw. bei einer Streichung von Auslandsschulden darf es keine Diktate in Richtung Sozialabbau geben. Für die Menschen in der Ukraine wäre es kein Fortschritt, wenn die Ausbeutung durch die Oligarchen von der Austeritätspolitik einer »Troika« oder von Diktaten des Weltwährungsfonds (IWF) abgelöst würde.

10. Faschistische Organisationen und bewaffnete Formationen in der Ukraine sind zu ver­bieten. Waffen dieser Formationen müssen unter Kontrolle der OSZE eingezogen wer­den. Die Gewaltakte im Zusammenhang mit den Maidan-Protesten und mit dem Brandanschlag auf das Gewerkschaftshaus in Odessa sind sorgfältig und transparent von einer unabhängigen internationalen Untersuchungskommission aufzuklären.

Territoriale Integrität, Souveränität und die Unverletzlichkeit der Grenzen müssen wieder gesichert werden. Nur eine gemeinsam vereinbarte Rückkehr zum Völkerrecht bietet die Gewähr für Sicherheit in Europa.

DIE LINKE unterstützt Aktionen der Friedensbewegung und der antifaschistischen Bewe­gung, die sich gegen die wachsende Kriegsgefahr, die Kriegsvorbereitung, die Eskalations­politik und das Schüren von Faschismus und Nationalismus richtet.

Unser Platz ist dort, wo eine Friedenspartei hingehört: an die Seite derer, die für Frieden und Demokratie einstehen. Wir stehen an der Seite der Vernunft und die sagt auch hier:

  • Ja zu einem sofortigen Stopp sämtlicher Rüstungsexporte.

  • Nein zu Sanktionen.

  • Nein zur Logik der Eskalation.

  • Nein zum Einsatz von Militär.

 

»Auch für den Ukraine-Konflikt gilt: Internationale Solidarität«. So hieß ein Beschluss der 2. Tagung des 4. Bundesparteitages der LINKEN, der am 10. Mai 2014 in Berlin als Berliner Parteitag stattfand. Wir dokumentieren diesen Beschluss nach knapp neun Jahren erneut, weil aus ihm sehr deutlich hervorgeht, dass der 24. Februar 2022 eine Vorgeschichte hat, auch wenn die eine oder der andere in unserer Partei sich daran nicht mehr erinnert.

Quelle: https://archiv2017.die-linke.de/partei/organe/parteitage/archiv/berliner-parteitag-2014/beschluesse/auch-fuer-den-ukraine-konflikt-gilt/ [6.12.2022]