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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Antikommunismus per Gesetz

Silvia Gingold, Kassel

"… teile ich Ihnen mit, dass der auf den 31. Juli 1975 befristete Arbeitsvertrag nicht verlängert wird. Mit Ablauf der Frist ist Ihre Mandantin aus dem Schuldienst des Landes Hessen ausgeschieden … Die Auswertung des Gesprächsprotokolls führte zu dem Ergebnis, dass Frau Gingold die durch die Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz Hessen aufgeworfenen Zweifel nicht ausgeräumt hat. Sie erfüllt folglich nicht die beamtenrechtliche Voraussetzung der verfassungsmäßigen Eignung für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst …"

Gefährliche Pädagogen?

Damit war ich nach 4-jähriger Tätigkeit als Lehrerin aus dem hessischen Schuldienst entlassen. Vorausgegangen war eine Anhörung beim Regierungspräsidium Kassel, wo mir seit meinem 17. Lebensjahr gesammelte "Erkenntnisse" des hessischen Verfassungsschutzes vorgelegt wurden, zu denen ich Stellung nehmen sollte: die Teilnahme an einer Demonstration gegen den Krieg in Vietnam, an einer "Wissenschaftlichen Tagung" der "Marxistischen Blätter", an den Weltjugendfestspielen in Sofia, an einer Flugblattaktion anlässlich des 12. Jahrestags des KPD-Verbotes usw. – die seitenlange Aufzählung aller "Erkenntnisse" mit genauen Zeit- und Ortsangaben würde hier den Rahmen sprengen. Ich nenne sie exemplarisch für über 3,5 Millionen vom Verfassungsschutz angelegte Dossiers über Bewerber für den öffentlichen Dienst, um das erschreckende Ausmaß der Gesinnungsschnüffelei zu verdeutlichen. Hierzu stellte Prof. Dr. Abendroth auf der Internationalen Konferenz gegen die Berufsverbote in Darmstadt im Januar 1979 fest: "Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland ein politisches Überwachungssystem, wie es in dieser Perfektion und in diesem Umfang in keiner anderen bürgerlichen Demokratie besteht, noch nicht einmal in den Vereinigten Staaten, etwa in der Zeit des Kalten Krieges. Das Bundesverfassungsschutzamt kombiniert millionenfach Zählkarten und Akten über fast jedermann, der irgendwann einmal kritisch im politischen Leben aufgetaucht ist".

Als Folge dieser Überprüfungen kam es zu 11.000 Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren, 1.250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen.

Grundlage für die Entlassung von Beschäftigten und Nichteinstellung von Bewerbern lieferte der Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Willy Brandt vom 28. Januar 1972 – bekannt als "Extremistenbeschluss" oder "Radikalenerlass". Danach sollte ein Bewerber für den öffentlichen Dienst abgelehnt werden, wenn er "verfassungsfeindliche Aktivitäten" entwickelt oder "einer Organisation angehört, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt" und somit "Zweifel begründet, ob er jederzeit für die freiheitliche und demokratische Grundordnung eintritt".

Betroffen waren ausschließlich Linke: Lehrerinnen und Lehrer in Schule und Hochschule, Juristinnen und Juristen, Postbedienstete, Lokführer, Beschäftigte im Sozial- und Gesundheitswesen. Es waren Mitglieder und Sympathisanten der DKP oder anderer marxistischer und sozialistischer Organisationen, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter, Kriegsdienstverweigerer, Jungsozialisten, deren berufliche Perspektiven und Lebensentwürfe unterbrochen, gestört oder zerstört wurden. Ihr "Vergehen": Sie engagierten sich im Sinne des Grundgesetzes gegen Demokratie- und Sozialabbau, gegen Neonazismus und Krieg und setzten sich für eine sozialistische Alternative ein. Genau dieses Engagement sollte mit dem Instrument des Radikalenerlasses eingedämmt und verhindert werden.

Tausende Bewerber für den öffentlichen Dienst wurden Verhören unterzogen und ausgefragt über ihre politischen Aktivitäten, ihre Einstellung zum Marxismus, zum Eigentum, zu den sozialistischen Ländern. Die Schnüffelei ging bis zur Ausforschung privater Bereiche, beispielsweise, dass sie in einer "linken" Kneipe verkehrten, in einer Wohngemeinschaft mit Kommunisten lebten oder Familienangehörige sich in kommunistischen Organisationen betätigten.

Es begann unter Adenauer

Dem Aufbegehren der Studenten- und Protestbewegung Ende der 60er Jahre gegen erhebliche Demokratiedefizite an den Hochschulen und in der Gesellschaft, gegen die Rückkehr der alten faschistischen Eliten in die Wirtschaft und in öffentliche Ämter, gegen die anwachsende Arbeitslosigkeit und den damit einhergehenden Sozialabbau, gegen die Übermacht der Springerpresse, gegen das Wiedererstarken der alten Nazis und gegen den Krieg der USA in Vietnam sollte ein Riegel vorgeschoben werden. Systemkritische Ideen und Visionen gesellschaftlicher Alternativen sollten keine Zukunft haben. Ein Klima der Angst und Einschüchterung sollte zur Anpassung und zum Duckmäusertum führen und mit dem Disziplinierungsinstrument des "Radikalenerlasses" politisches Engagement im Keim erstickt werden.

Aber diese Rechnung der Regierenden ging nicht auf: Jeder einzelne Berufsverbotsfall löste eine Welle von Empörung und Solidarität mit den Betroffenen aus. Es bildeten sich regionale Komitees gegen Berufsverbote sowie das bundesweite Komitee "Weg mit den Berufsverboten", welche die skandalösen Gesinnungsverfolgungen in die Öffentlichkeit trugen und die demokratischen Rechte für die Betroffenen einforderten. Es ist dieser breiten Solidaritätsbewegung – getragen nicht nur von Mitgliedern linker Organisationen, sondern von breiten Bevölkerungsschichten aus Kirche, Gewerkschaften, Betrieben, Kunst und Wissenschaft – zu verdanken, dass viele vom Berufsverbot Betroffene nicht resigniert und mit gebrochenem Rückgrat, sondern gestärkt aus der politischen Auseinandersetzung hervorgingen.

Ich selbst habe diese Solidaritätsbewegung hautnah erfahren: Schüler- und Kollegenbriefe an den hessischen Kultusminister, Briefe von Gewerkschaftern, SPD-Mitgliedern, Schriftstellern, Pfarrern, vielen Prominenten, die mir Mut und Kraft gaben. Was viele bewegte, war die erschreckende Tatsache, dass mit meinem Berufsverbot bereits die 3. Generation meiner Familie Diskriminierungen und Gesinnungsverfolgungen ausgesetzt war.

Begonnen hatte es 1933. Meine Großeltern – als Juden von den Nazis verfolgt – mussten mit ihren sechs Kindern nach Frankreich fliehen und während der Hitlerokkupation in einem Versteck leben. Meine Eltern kämpften in der Résistance gegen den Hitlerfaschismus. Meine 1940 in Paris geborene Schwester musste vor den Nazis versteckt werden. Mein Vater wurde von der Gestapo verhaftet, in die Todeszelle geworfen und schwer gefoltert. Sein Überleben verdankt er u.a. dem mutigen Einsatz französischer und deutscher Antifaschisten. Eine Schwester und ein Bruder meines Vaters wurden nach Auschwitz deportiert und in den Gaskammern ermordet.

Als meine Eltern 1945 aus der Emigration zurückkehrten, wurde ihre Hoffnung auf ein demokratisches Deutschland bald zerschlagen. Die antikommunistischen Adenauer-Erlasse Anfang der 50er Jahre lieferten die Grundlage für das Verbot einer Anzahl von kommunistischen und ihnen nahe stehenden Organisationen wie z.B. der FDJ, des "Demokratischen Frauenbundes", des "Friedenskomitees der Bundesrepublik Deutschlands, des "Demokratischen Kulturbundes Deutschlands". Sie fanden 1956 ihren Höhepunkt im Verbot der KPD.

Gleichzeitig konnten ehemalige Nazifunktionäre wieder in die Staatsorgane der Bundesrepublik einziehen: in die Verwaltung, in die Justiz, in die Hochschulen, in die Medien bis hin in die Spitzen der Politik, ohne dass es Zweifel an ihrer Verfassungstreue gab. "Verblüffenderweise sitzen heute von den ehemaligen Führern der Terroristengruppe nur wenige hinter Gittern, aber etliche im Bundestag", stellte der Schriftsteller Bernt Engelmann in den 70er Jahren fest.

Auf diese skandalösen Tatsachen reagierte die Öffentlichkeit in vielen europäischen Ländern. Für viele Franzosen, Holländer, Belgier, Dänen, Finnen, Norweger, Italiener, die im Widerstand gemeinsam mit deutschen Kommunisten gegen den Hitlerfaschismus gekämpft hatten und die ihnen daher hohe Wertschätzung entgegenbrachten, war es unfassbar, dass jene, die in der antifaschistischen Tradition standen, nun unter Berufsverbot fallen sollten. In vielen europäischen Ländern bildeten sich Komitees und Initiativen gegen Berufsverbote, in Frankreich ging "le Berufsverbot" als unübersetzbare Vokabel in den französischen Wortschatz ein. Die Massenmedien dieser Länder berichteten in großen Aufmachern über die undemokratische Praxis in der Bundesrepublik.

Der französische Politologe Alfred Grosser formulierte in seiner Paulskirchenrede am 12. Oktober 1975 anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels: "Wenn man die Nürnberger Judengesetze als normales Recht trocken ausgelegt hat, durfte man Staatssekretär im neuen Rechtsstaat werden. Wenn man die Gestapo polizeirechtlich gerechtfertigt hatte, durfte man in der freiheitlichen Grundordnung Rektor und Kultusminister werden. Die Kriterien, die nun verbieten sollen, Zollbeamter oder Dorfschullehrer zu werden, scheinen mir wahrlich strenger zu sein."

Willy Brandts "Irrtum"

Dieses im Ausland entstandene Bild eines hässlichen Deutschland setzte die sozialdemokratische Bundesregierung zunehmend unter Druck, so dass Willy Brandt 1976 schließlich den Radikalenerlass als "Irrtum" eingestehen musste, der der Demokratie mehr Schaden als Nutzen eingebracht habe. Mit neuen Richtlinien sollte die Berufsverbotepraxis "liberalisiert" werden, aber alle kosmetischen Korrekturen konnten nicht darüber hinweg täuschen, dass die undemokratische Praxis fortgesetzt wurde.

Unter dem anwachsenden Druck durch die in- und ausländische Protest- und Solidaritätsbewegung wurde ich 1976 auf Angestelltenbasis wieder in den Schuldienst eingestellt. Trotzdem erlangte ich bis zu meinem Ruhestand nie die volle Gleichstellung mit meinen verbeamteten Kolleginnen und Kollegen. Nach meiner zunächst erfolgreichen Klage gegen das Land Hessen, das nach Auffassung des Verwaltungsgerichts Kassel in unzulässiger Weise ausschließlich meine Mitgliedschaft in der DKP als Entlassungsgrund angeführt hatte, legte der hessische Kultusminister Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil ein, und es kam zu einem Prozess vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof. Entgegen den offiziellen Behauptungen, jeder Fall würde einzeln geprüft, kam es in meinem wie in den meisten anderen Fällen zu einem Pauschalurteil. Keine einzige verfassungswidrige Tätigkeit, keine einzige Verfehlung in meiner Unterrichtspraxis konnte mir nachgewiesen werden. Im Gegenteil, mein berufliches Engagement wurde sogar besonders gewürdigt. Einzig und allein die Tatsache, dass ich Mitglied der DKP war, einer Partei, deren "verfassungsfeindliche Zielsetzung allgemein bekannt und anerkannt" sei, wie es im Ablehnungsbescheid zynisch hieß, sowie die Prognose, ich könnte mich in Zukunft verfassungsfeindlich betätigen, waren ausschlaggebend dafür, dass ich als Verfassungsfeindin abgestempelt und nicht verbeamtet wurde. Dazu betonte Alfred Grosser in seiner schon erwähnten Paulskirchenrede: "… dass man jemand aus dem Schuldienst ausstößt …, weil eines Tages außerhalb des Schuldienstes ein undemokratisches Verhalten sein könnte …, was müsste man mit all jenen tun, die im Schul- oder Staatsdienst sind und sich zwölf Jahre lang furchtbar undemokratisch dem Hitlerregime gebeugt haben …"

In der Urteilsbegründung heißt es weiter im Hinblick auf meine DKP-Mitgliedschaft: "Die politische Treuepflicht fordert …, dass er (gemeint: der Beamte, Anm. d. Verf.) sich eindeutig von Gruppen und Bestrebungen distanziert, die diesen Staat, seine verfassungsmäßigen Organe und die geltende Verfassung angreifen, bekämpfen und diffamieren."

Genau danach aber handelten und handeln Demokraten damals wie heute, wenn sie nämlich die grundgesetzwidrigen, rassistischen, ausländerfeindlichen und menschenverachtenden Umtriebe alter und neuer Nazis bekämpfen und damit die Verfassung schützen. Dafür bekamen sie Berufsverbot, dafür werden sie heute wieder bespitzelt, kriminalisiert und Strafverfolgungen ausgesetzt.

Sie werden noch immer bespitzelt und verfolgt von dem "Verfassungsschutz", der uns nicht schützt vor Neonazis, die Jahre lang Verbrechen begehen konnten, obwohl sie in seinem Visier waren, ja sogar von ihm noch finanziert und unterstützt wurden. Deshalb ist die "Ahnungslosigkeit", mit der die politisch Verantwortlichen nach der scheibchenweisen Enthüllung dieser Skandale aus allen Wolken zu fallen schienen, unglaubwürdig und grotesk.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) machte sich von Anfang an die Erfahrungen von früheren Mitarbeitern von SS, Gestapo und NS-Geheimdiensten zu eigen, die zum Teil bis in die 70er Jahre in leitenden Positionen tätig waren "Einige hochrangige BfV-Mitarbeiter arbeiteten in den ersten Jahren unter falschem Namen mit, weil sie fürchteten, wegen Kriegsverbrechen verfolgt zu werden", schreibt Andreas Förster im Freitag vom 15. November 2011. Er berichtet weiter darüber, dass der ehemalige SS-Obersturmbannführer Kurt Klaus Lischka, der für die Deportation von 76.000 Juden aus Frankreich in die Konzentrationslager verantwortlich war, bis 1980 unbehelligt in der Bundesrepublik lebte und zeitweilig Mitarbeiter des 1950 gegründeten Bundesamtes für Verfassungsschutz war.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass der aus der Nazizeit hinübergerettete antikommunistische Geist dieses Amt nachhaltig prägte. Solch ein Verfassungsschutz ist nicht nur überflüssig, sondern gefährlich.

Wir brauchen keine von der Bundesregierung verordnete Extremismusklausel, die die Aktivitäten konsequenter Antifaschisten gegen Neonazis behindert.

Wir brauchen stattdessen eine Antifaschismusklausel, die endlich konsequent im Sinne des immer noch verbindlichen Potsdamer Abkommens, des Grundgesetzes und des Strafgesetzbuches davon ausgeht, dass faschistische Organisationen und Aktivitäten in Deutschland verboten sind.