An die Mitglieder der Partei DIE LINKE
Dr. Gesine Lötzsch, MdB, Berlin
19. Juni 2024
Liebe Genossinnen und Genossen,
heute möchte ich euch darüber informieren, dass ich bei der kommenden Bundestagswahl nicht wieder antreten werde. Diese Entscheidung habe ich bereits 2021 getroffen. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, sie bekannt zu machen.
Mein Dank richtet sich an alle Genossinnen und Genossen, die mich jahrzehntelang unterstützt haben. Mit eurer Hilfe habe ich fünf Mal das Direktmandat auf Berliner Landesebene und sechs Mal das Bundestagsmandat direkt für Lichtenberg gewonnen. Das wäre ohne eure Unterstützung nicht möglich gewesen. Ihr habt unzählige Wahlkampfstände organisiert, Zeitungen und Flugblätter unserer Partei in die Briefkästen gesteckt. Ihr habt mit euren Verwandten, Nachbarn und Freunden für die Wahl der PDS und später für die Wahl der Partei Die Linke geworben. Für mich war es immer wichtig zu wissen, wie ihr die Politik unserer Partei einschätzt. Gemeinsam haben wir uns stark gemacht. Für euch war und ist ein Thema immer ganz wichtig gewesen – der Frieden. Soziale Gerechtigkeit und Frieden sind die beiden Themen, mit denen wir in der Vergangenheit Wahlen gewonnen haben.
Ein Grund für das katastrophale Ergebnis bei der Europawahl war eine Strategie, die unser Parteiprogramm nur in Teilen widerspiegelte. Der Parteivorstand wollte nicht über Frieden reden, weil unsere Partei in dieser Frage gespalten wäre. Selbst wenn sie gespalten wäre, dann ist es die erste Aufgabe des Parteivorstandes, für eine gemeinsame Position zu kämpfen. Einfach nicht über Krieg und Frieden zu reden, ist keine gute Strategie. Wer existenzielle Fragen nicht diskutieren will, der wird abgewählt.
Der Kanzler (SPD) hat auf seinen Plakaten Frieden schreiben lassen. Das hat keinen Menschen überzeugt. Hat er doch gleichzeitig Entscheidungen für eine Ausdehnung des Krieges getroffen. Mit deutschen Waffen darf wieder auf russisches Territorium geschossen werden. So viel Verlogenheit wurde von den Wählerinnen und Wählern bestraft.
Die Linke wurde von vielen ihrer ehemaligen Wählerinnen und Wählern nicht mehr gewählt. Entweder haben sie das BSW gewählt oder sind gar nicht wählen gegangen. Das lag auch an falschen Personalentscheidungen. Die Auswahl von Carola Rackete für unser Spitzenteam war ein Fehler. Die Partei kannte sie nicht und sie kannte unsere Partei nicht. Carola Rackete hat vielen Menschen im Mittelmeer das Leben gerettet. Das ist ihr großes Verdienst.
Auf dem kommenden Parteitag muss es eine Strategieänderung geben. In einem Strategiepapier aus dem Karl-Liebknecht-Haus für die kommende Bundestagswahl steht: »Frieden: wichtig für ältere potenzielle Wähler*innen (vor allem im Osten). Die potenziellen Wähler*innen sind hier gespalten.« Das Papier wurde schon dem Spiegel zugespielt. Nein, Frieden ist nicht nur etwas für ältere Menschen im Osten. Was sind das für Leute, die solche Einschätzungen treffen?
In den vergangenen Jahren habe ich immer mehr den Eindruck gewonnen, dass die Parteivorstände neue Wählerinnen und Wähler gewinnen wollen und dabei auf die Stammwählerinnen und -wähler gern verzichten. Das Resultat liegt jetzt auf unserem Tisch.
Damit kein falscher Eindruck entsteht. Ich habe mich nicht nur um die alten Stammwähler gekümmert. In meinem Büro waren über die Jahre mehr als 150 junge Menschen als Praktikanten und Studierende beschäftigt. Immer wieder war ich mit Jugendlichen in ganz Europa auf den Spuren des antifaschistischen Widerstandskampfes unterwegs. Nicht wenige dieser jungen Menschen sind heute in unserer Partei aktiv.
Bei der Bundestagswahl 2021 haben Gregor Gysi, Sören Pellmann und ich Direktmandate gewonnen. Nur aus diesem Grund konnte die Bundestagsfraktion wieder in den Bundestag einziehen. Das war ein knapper Erfolg! Ich war entsetzt, wie leichtfertig der Parteivorstand bereit war, die Bundestagsfraktion aufzugeben. Die katastrophalen Wahlergebnisse sind auch auf die Spaltung der Fraktion zurückzuführen. Jeder, der die deutsche Geschichte kennt, weiß, dass die Spaltung der Linken immer zu einer Stärkung der Rechten geführt hat.
Ich weiß, dass es viele engagierte Mitglieder in unserer Partei gibt, die in der Lage sind, einen erfolgreichen Bundestagswahlkampf zu führen. Der Parteitag muss personell und inhaltlich Grundsatzentscheidungen treffen. Wir müssen wieder als Friedenspartei erkennbar werden. Wir müssen wieder unsere eigenen Genossinnen und Genossen ernst nehmen. Viele Menschen setzen auf unsere Partei ihre ganzen Hoffnungen. Enttäuschen wir sie nicht!
Mit solidarischen Grüßen,
Gesine Lötzsch
Veröffentlicht unter: www.gesine-loetzsch.de/willkommen/aktuelles-1.
Gesine Lötzsch ist Mitglied des Deutschen Bundestages, dort stellvertretende Vorsitzende der Gruppe DIE LINKE. und Mitglied im Haushaltsausschuss.
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