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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

Alles für ein gutes Abschneiden der LINKEN!

Bundessprecherrat der Kommunistischen Plattform

Bis zu den Bundestagswahlen am 27. September 2009 bleibt noch ein Vierteljahr. Ein Monat ist seit den Europawahlen vergangen. Unsere Partei befindet sich in einer Situation größter Anspannung. Kommunistinnen und Kommunisten sollten alles für ein gutes Abschneiden der LINKEN am 27. 9. 2009 tun. Zum einen braucht das Land auch im Bundestag eine in wesentlichen Fragen konsequente Linke, und zum anderen werden gute Wahlergebnisse eine zunehmend kapitalismusentlarvende Linie bestätigen; mit Sicherheit nicht ohne Auswirkungen auf die Programmdebatte. Auf der KPF-Bundeskonferenz am 19. April 2009 erklärten wir: "Der Essener Parteitag hat mehr als nur linke Akzente gesetzt. Er steht wohl mit denen in Münster (2000) und Gera (2002) in einer Reihe. Der Parteitag hat die politische Linie von Oskar Lafontaine bestätigt ... Die, denen diese Linie nicht paßt, sind nicht mehr in der Lage, die Partei mit Rücktrittsdrohungen zu erpressen. Das unterscheidet Essen von Münster und Gera. Bestimmte Dinge sind eben mit Oskar Lafontaine etwas schwerer zu machen als seinerzeit mit Gabi Zimmer. Die politischen Gegner, darunter auch die bürgerlichen Medien – wo auch immer angesiedelt – hatten sich infolge der Fusionsprozesse von 2005 bis 2007 einen Rechtsruck erhofft, den übrigens ja auch wir zunächst befürchteten. Nun fühlen sich die Rechten aller Schattierungen ausgesprochen betrogen. Und sie sind stark. Der Druck auf die Linke wird in Vorbereitung der Europa- und Bundestagswahlen, der Landtags- und Kommunalwahlen im Jahr 2009 in womöglich bisher ungekannter Heftigkeit zunehmen."

Das Chaos blieb aus

Letzteres haben wir in Vorbereitung des Bundestagswahlparteitages vom 20./21. Juni 2009 erlebt. Noch am Morgen des ersten Konferenztages verbreiteten die Medien, ein zähes Feilschen um das Bundestagswahlprogramm sei zu erwarten: ein Kampf zwischen Strömungen, zwischen Pragmatikern und Radikalen. Immer mehr Linke würden über Lafontaine murren, der die Partei zwar großgemacht habe, aber zu einer Belastung geworden sei. So, als seien diese die sichere Garantie für das zu erwartende Chaos, erwähnte die ntv-Nachrichtensprecherin genüßlich die mehr als tausend Änderungsanträge zum Wahlprogramm.

Nachdem André Brie am 8. Juni 2009 im Spiegel seinen Artikel "Der Lafontainismus" veröffentlicht hatte – die medialen Vorankündigungen erfolgten ausgerechnet am Tag der Europawahlen – überschlug sich die veröffentlichte Meinung, Lafontaine zu denunzieren. Die Briesche Behauptung, es sei völlig offen, ob DIE LINKE Lafontaines Mandat überdauern würde, wurde unentwegt "ausgeschmückt". Ein paar sorgfältig getimte Austritte wurden ebenso sorgfältig eingesetzt, um den Eindruck zu erwecken, die LINKE befände sich in desolatem Zustand. Und André Brie münzte die Austritte zudem in den Vorwurf an Lafontaine um, der lasse zu, daß Andersdenkende ausgegrenzt und abgestraft würden. Dem höchst selbständig agierenden Vordenker folgten andere aus der Partei. Als dann noch die vielen Änderungsanträge zum Entwurf des Wahlprogramms auf dem Tisch lagen, schien – nach dem nicht befriedigenden Ergebnis der Europawahlen – ein chaotischer Wahlparteitag programmiert und demzufolge ein schlechtes Bundestagswahlergebnis geradezu unausweichlich zu sein. Doch auf dem Parteitag kam es anders.

Änderungsanträge zurückgezogen

Die Kommunistische Plattform hat, gemeinsam mit dem Marxistischen Forum, dem Geraer Dialog und anderen, ihre Verantwortung für einen konstruktiven Parteitagsverlauf wahrgenommen. Wir erhielten nur einen Änderungsantrag aufrecht: den Antrag, die Formulierung "Das Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen als Kern des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen ist zu achten" durch die Feststellung "Das Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen ist zu achten" zu ersetzen. In Abstimmung mit den Vertretern der oben genannten Zusammenschlüsse waren wir legitimiert, 42 der von uns, dem Marxistischen Forum und dem Geraer Dialog initiierten Änderungsanträge zurückzuziehen. Voraussetzung für diesen Schritt war die Zustimmung der Protagonisten des Forums demokratischer Sozialismus, ihre Anträge ebenfalls zurückzunehmen. Deren Zusage wurde dann nur sehr bedingt eingehalten. Ein moralisches Problem, ein politisches eher nicht. Denn gerade so konnte – wer wollte – auf dem Parteitag nachvollziehen, wer in dieser angespannten Situation die notwendige Behutsamkeit walten ließ. So trugen auch wir den Kompromiß mit, die Debatte zu außenpolitischen Themen sozusagen zu vertagen. Aus gewiß unterschiedlichen Motiven überwog auf dem Parteitag bei weitem das Bewußtsein: Dies ist nicht der Ort, programmatische Debatten zu führen. Nicht nur den sich zur KPF zählenden Delegierten war klar: Ein einem zerstrittenen Parteitag folgender halbherziger Wahlkampf und unbefriedigende Wahlergebnisse würden jenen besonderen Auftrieb geben, die beinahe um jeden Preis nach Koalitionsfähigkeit auf Bundesebene streben. Das hätte a priori Konsequenzen für die ab Herbst dieses Jahres mit Sicherheit ins Haus stehende Programmdebatte. Und so unverantwortlich es gewesen wäre, auf dem Parteitag mit der programmatischen Auseinandersetzung zu beginnen, so unausweichlich kommt sie nach den Wahlen auf uns zu; ob wir das wollen oder nicht. Wir werden uns darauf vorbereiten, ohne vor dem 27. September unnütz öffentliche Debatten zu führen. Wir wollen uns im Wahlkampf vielmehr vorrangig mit jenen Anwürfen auseinandersetzen, die schon im Vorfeld der Europawahlen eine bestimmende Rolle spielten.

Nicht weniger, sondern mehr Antikapitalismus

Gebetsmühlenartig wurde in den Medien ein konstruierter Widerspruch wiederholt. DIE LINKE würde weder von der Krise noch davon profitieren, daß der SPD die Wähler in Scharen abhanden kämen. Sehen wir einmal vom Zynismus dieser Formulierung ab. Sie impliziert, DIE LINKE müsse von der Krise profitieren. Es gäbe also einen Automatismus zwischen der sozialen Verschlechterung der Lebensbedingungen von Menschen und ihrem ideologischen Standort. Gerade diesen Automatismus gibt es nicht. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hierfür drei Gründe hervorgehoben:

1. Die Geschichte, und heute schon wieder die europäische Gegenwart, bezeugen, daß Menschen sich in Zeiten sozialer Verwerfungen durchaus rechts orientieren können. Vor allem dann, wenn es gelingt, Minderheiten zu Sündenböcken für die vorherrschende Situation zu machen. Rassismus und Nationalismus sind auf dem Vormarsch; das haben die Europawahlen in nicht wenigen Ländern beängstigend unter Beweis gestellt. Dies zum einen.

2. Zum anderen gewänne DIE LINKE auch nicht automatisch hinzu, gäbe es die faschistoid-nationalistischen Kräfte nicht. Der Antikommunismus wirkt in starkem Maße, und er erhält tagtäglich neues Futter über die Medien. Deshalb hat die KPF bereits im April 2009 vor Illusionen hinsichtlich möglicher Wahlergebnisse gewarnt. Wir stellten fest, "daß das Wirken des antikommunistischen Giftes in der Bevölkerung im Westen etwa fünf Prozent Wählerstimmen zuläßt und eben – zumindest zur Zeit – nicht wesentlich mehr. Anzunehmen – tatsächlich oder demagogisch – DIE LINKE könne im Westen mal eben die Stimmen ‚einkassieren’, welche die SPD verliert, ist gleichbedeutend damit, zu ignorieren, daß im Westen Deutschlands seit 1918 ungebrochen der Antikommunismus Staatsräson ist."

3. Last but not least: Einen Zuwachs für die Linken wird es nur dann geben, wenn deren politische Angebote der grassierenden Resignation zumindest partiell Paroli bieten. Dies scheint – und das ist bei weitem kein deutsches Problem – nur sehr bedingt zu gelingen.

Nun setzt hier auch die Kritik der sich als Reformer verstehenden Kräfte in der LINKEN an. Nicht radikale Kapitalismuskritik sei gefragt, sondern erwartet würden praktikable Konzepte für den Alltag. Nun schließt ja das eine das andere nicht aus. Allerdings erhebt sich die Frage, was sich in dieser Zeit als praktikabel erweist. Und genau diese Frage stellen sich doch ungezählte Wähler wie Nichtwähler, häufig unreflektiert. Ein wesentlicher Grund für die Resignation von Millionen sozial Schwachen und Gefährdeten besteht – im Kontext mit verlorenen Illusionen – doch wohl in deren Angst. Es ist die meist diffuse Angst, vom sich einer Walze gleich bewegenden Mechanismus der Profitmaximierung früher oder später sozial zermalmt zu werden. Angekündigte Politikwechsel finden nach Wahlen ohnehin nicht statt, und in Anbetracht der erdrückenden Krise, deren asozialer Höhepunkt noch bevorsteht, wächst die Erkenntnis, zumindest aber die Ahnung, daß die sogenannte Politik keineswegs die Hauptverantwortung für die Misere trägt, sondern letztere primär der Funktionsweise des Systems geschuldet ist. Doch am System, so empfinden es viele, könne man ohnehin nichts ändern. Diese Sichtweise ist natürlich nicht zuletzt aus der Niederlage des europäischen Sozialismus des vergangenen Jahrhunderts geboren. Hier muß DIE LINKE bereit sein, Sisyphusarbeit zu leisten. Zuvörderst im Alltag. Wir sind den täglichen Sorgen von Menschen verpflichtet. Doch dabei stehenzubleiben, reicht nicht aus. Wesentlich mehr Menschen als gegenwärtig müssen wieder darüber nachdenken, daß der Kapitalismus nicht die letzte Antwort der Geschichte sein darf. Und Lateinamerika bezeugt, daß ein Ende der Geschichte nicht in Sicht ist. Nicht weniger, sondern mehr Antikapitalismus, nicht Anpassung an den Antikommunismus, sondern seine Entlarvung werden das Profil der LINKEN schärfen. Noch einmal: Natürlich ist die Grundvoraussetzung dafür, mehr Menschen zu gewinnen, eine vertrauenswürdige praktische Politik. Der Kampf um eine andere politische Kultur, für die Ästhetik des Widerstands, setzt Vertrauen in eine sozialistische Partei und deren Protagonisten voraus. Und Vertrauen erwerben wir uns nur durch die politische Praxis: als Aktivisten in sozialen Bewegungen, als Abgeordnete und Bürgermeister, als Mitstreiter in antifaschistischen und antirassistischen Bündnissen, als Organisatoren in der Friedensbewegung, als ehrenamtlich Tätige in Vereinen und Sozialverbänden – überall dort, wo in der zunehmenden Kälte des Systems ein Stück Menschlichkeit erarbeitet oder auch erkämpft wird. Hier kann Vertrauen entstehen und nur so die Bereitschaft, nachzudenken über alternative gesellschaftliche Konzepte. Ein scheinbar endloser Weg. Doch ein kürzerer ist wohl nicht zu haben.

Das System hat die gegebene Situation produziert

Maßgeblichen Protagonisten in der Partei scheint bewußt zu sein, daß die Systemfrage gestellt werden muß. Natürlich sind die Vorstellungen darüber, was das bedeutet, alles andere als einheitlich. Aber allein die Anerkenntnis, daß es das System ist, welches die gegebene Situation produziert hat und bereits wieder reproduziert, ist eine wesentliche Grundlage für gemeinsames Agieren. Das ist notwendiger denn je. Zugleich wissen wir: Nicht weniger einflußreiche Kräfte in unserer Partei akzeptieren genau diesen systemkritischen Ansatz nicht. Die eigentliche Auseinandersetzung in der LINKEN – spätestens seit Essen wieder offen zutage getreten – ist die um einen antikapitalistischen oder lediglich vorsichtig kapitalismuskritischen Kurs. Dies widerspiegelt sich auf den verschiedensten konkreten Politikfeldern. Das betrifft die Position zum Lissabonner Vertrag ebenso, wie die stets aufs neue aufgeworfene Frage nach den friedenspolitischen Prinzipien der Partei. Das betrifft das Verhältnis zu Privatisierungen genauso wie die Frage nach Arbeitszeitverkürzungen bei vollem oder eben nicht vollem Lohnausgleich. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Daß sich in Essen die Mehrheit für radikal-kapitalismuskritische Ansätze entschied, wurde als Absage an den Pluralismus bewertet. Der Verweis auf Querelen war in dem Zusammenhang noch der geringste Vorwurf. Doch es handelte und handelt sich nicht um Querelen. Es handelt sich um die Debatte darüber, welche Schritte DIE LINKE in Anbetracht der gesellschaftlichen Situation gehen sollte. Ein völlig normaler Vorgang für eine Partei wie die unsere. Nicht so für André Brie und andere. Sie verstehen unter Normalität ihre Deutungs- und Interpretationshoheit. Wo die auch nur punktuell in Frage gestellt wird, fordern sie eine neue Strategie. Noch einmal sei André Brie zitiert. Unter Bezug auf Oskar Lafontaine führt er im besagten Spiegelartikel aus: "Er ist ihr (gemeint ist die LINKE) einziger Stratege, er ist derzeit ihre Strategie. Aber anders als früher in der SPD begnügt er sich heute mit einem politischen Protestprojekt. ... Aus dem Kampf gegen die SPD und die Grünen muß ein Kampf um eben diese werden. Das wird der Linkspartei enorme Veränderungen abverlangen. Es ist offen, ob sie dazu in der Lage ist." Um diese "enormen Veränderungen" kämpft nicht nur André Brie seit den Auseinandersetzungen um das 1993 beschlossene PDS-Programm. In der bevorstehenden Programmdebatte werden wir erneut auf solcherart "Veränderungswünsche" treffen. Ansonsten wiederholt Brie jene Kernüberlegungen, welche 2002 maßgeblich dazu beitrugen, die PDS um den Einzug in den Bundestag zu bringen. Die "Fehler" von damals bedürfen keiner Wiederholung. Vielmehr müssen jetzt alle Kräfte auf den Wahlkampf konzentriert werden. Die Eröffnung der Programmdebatte hat bis zum 28. September 2009 Zeit.