70 Jahre NATO
Oberst a.D. Bernd Biedermann, Berlin
Gleich nach der Gründung der NATO 1949 sagte ihr erster Generalsekretär, der britische Lord Hasting Ismay: »Die NATO wurde gegründet, um in Europa die Amerikaner drin, die Russen draußen und die Deutschen unten zu halten.«
Deutlicher konnte er das wahre Ziel der US-Amerikaner nicht formulieren. Nachdem die USA als eine der Siegermächte ihren Fuß auf europäischen Boden gesetzt hatten, wollten sie unter allen Umständen da bleiben.
Im Grunde genommen beruht die Gründung der NATO auf einer einzigen großen Lüge. Die Sowjetunion, die die Hauptlast des II. Weltkrieges getragen hatte, stand vor riesigen Zerstörungen und einem enormen Aufbauwerk. Zudem hatte sie den Verlust von 27 Millionen Menschen zu beklagen, was die Wirtschaft zusätzlich schwächte. Sie bedrohte niemanden.
Unmittelbar nach Gründung der NATO entfaltete sich der Ost-West-Konflikt. Es begann der Kalte Krieg, der 40 Jahre andauern sollte und der die intensivste und längste Periode der Militarisierung und Konfrontation unter der Schwelle eines offenen Konflikts war. Der militärische Faktor wurde in der Politik zum Mittel erster Wahl. Die NATO-Doktrinen der »Massiven Vergeltung« und »Flexible Response« waren eindeutig gegen die Sowjetunion und ihre Verbündeten gerichtet. Letztlich war der Kalte Krieg Ausdruck der Unfähigkeit der politischen Führer beider Seiten, maßvoll mit den realen Widersprüchen umzugehen. Nur das annähernde militärische Gleichgewicht konnte einen heißen Krieg verhindern. Dafür haben die sozialistischen Staaten einen hohen Preis gezahlt.
Nach der Auflösung des Warschauer Vertrags und dem Zerfall der Sowjetunion wurden 1999 Polen, Tschechien und Ungarn Mitglied der NATO. Bulgarien, Estland, Lettland, Litauen, Rumänien, die Slowakei und Slowenien kamen 2004 hinzu. Es folgten Albanien, Kroatien und Montenegro. Nunmehr hat die NATO 29 Mitglieder und ist damit das größte Militärbündnis aller Zeiten. Die Truppenstärke liegt bei etwa 3,8 Millionen. Allein in Europa verfügt sie über 240 Atombomben, jeweils 20 in Deutschland, Belgien und den Niederlanden, sowie 90 in Italien und 90 in der Türkei. Durch die sogenannte »nukleare Teilhabe« sind diese Staaten verpflichtet, entsprechende Flugzeuge ihrer Luftstreitkräfte ständig als Trägermittel vorzuhalten.
Ein vorrangiges Ziel der US-amerikanischen Außenpolitik besteht darin, ein deutsch-russisches Bündnis unbedingt zu verhindern, weil sich eine weitere Anwesenheit von US-Truppen und Einrichtungen in Europa erübrigt, wenn die beiden Staaten eine einvernehmliche Politik betreiben.
Durch die entgegen allen Versicherungen und Absprachen zu Beginn der 1990er Jahre einsetzende Osterweiterung der NATO entstand für die Russische Föderation eine ernsthafte Bedrohung. Dass die russische Seite angesichts ihrer geschichtlichen Erfahrungen deshalb im westlichen Militärbezirk eine entsprechende Abschreckung gewährleistet, müsste eigentlich jeder Realist akzeptieren.
Die NATO ist heute nicht nur ein Militärbündnis, sie ist auch eine Institution, die längst ein Eigenleben entwickelt hat und sich zunehmend verselbständigt. In ihren Streitkräften dienen 3,8 Millionen Soldaten. Zugleich beschäftigt sie in ihren Einrichtungen weltweit hunderttausende Angestellte und Mitarbeiter. Allein in Brüssel sind es mehr als 20.000 Frauen und Männer. Das Diplomatische Korps der NATO ist größer als das der EU und das bei der belgischen Regierung akkreditierte Diplomatische Korps. Man kann es drehen und wenden wie man will: Es ist den USA gelungen, die NATO zu einem Instrument ihrer Außenpolitik zu machen.
Die NATO ist nicht, wie behauptet wird, ein Faktor von Frieden und Fortschritt, sondern sie stellt seit geraumer Zeit die größte Bedrohung für den Frieden dar. Sie hat mit ihren militärischen Interventionen bereits eine Reihe von Staaten (Afghanistan, den Irak, Libyen, Tunesien und Syrien) destabilisiert und deren Völker ins Unglück gestoßen. Ihre Absicht, die russische Schwarzmeerflotte aus Sewastopol zu vertreiben und die Ukraine danach in die NATO aufzunehmen, konnte nur verhindert werden, weil es Russland durch das Referendum im März 2014 gelungen ist, den Frieden und die Krim zu retten.
Fakt ist, dass Deutschland heute nicht militärisch bedroht ist. Bei entsprechendem politischen Willen einer künftigen deutschen Regierung wäre ein Austritt aus der militärischen Organisation der NATO durchaus möglich. Das hat der französische Präsident, Charles de Gaulle, und seine Regierung schon 1966 eindrucksvoll demonstriert.
10. Februar 2019