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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

70 Jahre Bretton Woods

Prof. Dr. Christa Luft, Berlin

 

Der Zweite Weltkrieg tobte noch, Europa lag in Trümmern. Doch mit der Landung der Alliierten in der Normandie am 6. Juni 1944 (D-Day) waren die Niederlage des deutschen Faschismus und damit das Ende des Zweiten Weltkrieges in greifbare Nähe gerückt. Kurz darauf trafen sich vom 1. bis 22. Juli 1944 die Finanzminister und Notenbankgouverneure von 44 Ländern, um sich über eine Nachkriegsweltfinanzordnung zu verständigen. Das Ziel der Verhandlungen war die Wiederherstellung Europas als Wirtschaftsraum und als wichtiger Handelspartner der USA. Das Treffen fand in Bretton Woods statt, einem kleinen Ferienort im US-Bundesstaat New Hampshire, dem das 1946 in Kraft getretene völkerrechtliche Abkommen seinen Namen verdankt.

Bretton Woods legte Grundlage für globale Dominanz der US-Währung

Die Verhandlungen waren von einem harten Machtkampf zwischen den USA und Großbritannien begleitet. Auf britischer Seite stritt der Ökonom John Maynard Keynes, damals Berater des Schatzamtes, für den endgültigen Abschied vom Goldstandard und eine Art Weltzentralbank mit eigener Währung. Auf der Gegenseite wollte der US-Verhandlungsführer Harry Dexter White den Dollar ins Zentrum stellen, dessen Wert schon seit Jahren an das Gold gebunden war. Der Amerikaner setzte sich durch. Nach dem Zweiten Weltkrieg zur dominierenden Macht des Westens geworden, strebten die USA ein internationales Währungs- und Finanzsystem an, das vor allem ihren Vorstellungen entsprach. Bis heute profitieren sie davon, dass der Dollar die internationale Leitwährung ist. Da vor allem Erdöl und Erdgas traditionell in Dollar fakturiert werden, hat der Kurs des Greenback großen Einfluss auf das Geschehen im Rohstoffhandel.

Der Abkommenstext beginnt mit der Proklamation von vier allgemeinen Grundsätzen:

  • Alle Teilnehmer [1] sollen die Hindernisse beseitigen, die den freien internationalen Handel beschränken.
  • Agrarprodukte und Rohstoffe sollen zu fairen Preisen gehandelt werden.
  • Alle Staaten werden die Kriegsindustrien auf den Friedensbedarf umstellen.
  • Die Länder werden Pläne für die Vollbeschäftigung im Einklang mit anderen Ländern erarbeiten und eine fortschreitende Verbesserung des Lebensstandards anstreben.

Diese Ziele sollten mit folgenden Maßnahmen erreicht werden:

Erstens: Vereinbarung fester, an den US-Dollar als Leitwährung geknüpfter Wechselkurse zwischen den nationalen Währungen, deren Konvertibilität angestrebt wurde. Der Dollarkurs wiederum wurde im fixen Verhältnis zum Goldstandard definiert. Eine Feinunze Gold (31,104 g) entsprach 35,00 US-Dollar. National motivierte Abwertungswettläufe wie sie in den 1930er Jahren stattgefunden hatten, sollte es nicht mehr geben.

Zweitens: Durchsetzung von Kapitalverkehrskontrollen, um grenzüberschreitende Finanzflüsse zu regulieren und destabilisierende Währungsspekulationen zu verhindern.

Drittens: Verpflichtung der USA, auf Dollar lautende Forderungen anderer Länder auf Verlangen der Gläubiger jederzeit in Gold einzutauschen. Die USA verfügten 1945 auf Grund von Kapitalflucht in die USA und von Rüstungsgüterexporten an ihre Alliierten über 70 Prozent der weltweiten Goldbestände.

Viertens: Gründung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank (IBRD) zwecks Herstellung politischer Stabilität und Friedenswahrung im Nachkriegseuropa. Für den Wiederaufbau zerstörter Gebiete, die Umstellung der Kriegsindustrien auf zivile Produktion, die Entwicklung wirtschaftlich zurückgebliebener Gebiete sollte Kapital einfach und zu günstigen Zinssätzen über einen langen Zeitraum verfügbar sein. Zum Bretton-Woods-System zählte schließlich auch das General Agreement on Tariffs and Trade (GATT).

Bretton Woods stabilisierte Welthandel und Kapitalverkehr

Knapp drei Jahrzehnte prägte dieses Abkommen nach 1944 die internationalen Finanzbeziehungen, es trug zur Vermeidung größerer Turbulenzen auf den Finanzmärkten bei, leistete einen Beitrag zur Wiederbelebung der durch den Krieg zerrütteten Weltwirtschaft und zur Stabilisierung von Welthandel und internationalem Kapitalverkehr. Verhältnismäßig reibungslos funktionierte es, solange die USA keine großen Außenhandelsdefizite aufwiesen, der Dollar also international knapp war. In den 1960er Jahren begann die Dollar-Bargeldmenge die Goldreserven der amerikanischen Zentralbank zu übersteigen und brachte diese mit ihrem Goldeinlöseversprechen zunehmend in Bedrängnis. Dabei hatte die Bundesrepublik Deutschland als Gläubiger anders als zum Beispiel Frankreich und die Schweiz stets darauf verzichtet, ihre Forderungen gegenüber der »Schutzmacht« in Gold einzutauschen. Das hatte mit dazu beigetragen, dass die USA lange glaubten, jedes Defizit international finanziert zu bekommen.

Bretton Woods und der Vietnam-Krieg

Als die USA ab 1964 Krieg gegen Vietnam führten und die immensen Kosten mit Hilfe der Notenpresse finanzierten, wurde die Welt mit Dollar überschwemmt. Alle Länder mussten Dollar aufkaufen, um ihren Wechselkurs zu verteidigen. 1965 griff Frankreichs Präsident de Gaulle die Vorherrschaft der US-Währung direkt an. Die Notenbank in Paris tauschte Millionen von Dollar gegen Gold. Andere Länder folgten. Von 1948 bis 1971 schmolzen die Goldvorräte in Fort Knox auf weniger als die Hälfte zusammen. Das Bretton-Woods-System geriet aus den Angeln und brach 1973 schließlich endgültig zusammen. Auslöser dafür war, dass die USA infolge der drückenden Kriegslasten von ihrer Verpflichtung Abstand nahmen, Dollarforderungen in Gold einzulösen. Diese Entscheidung hatte am 15. August 1971 der damalige US-Präsident Richard Nixon ohne vorherige Verständigung der Partnerländer in einer sonntäglichen Fernsehansprache an die Nation bekannt gegeben. Mit der Aufhebung der Golddeckung des Greenback war der zentrale Stützpfeiler des Nachkriegsfinanzsystems geborsten. Für die USA bedeutete das, dass sie sich fortan (und das bis heute) in eigener Währung exzessiv verschulden konnten, ohne Gefahr zu laufen, Forderungen der Gläubigerländer auf deren Verlangen mit Gold begleichen zu müssen.

Zum Zusammenbruch des Bretton-Woods-Abkommens gehörte ebenfalls, dass feste Wechselkurse durch flexible, sich am Markt bildende Kurse ersetzt wurden. Die Folge: Auch Wechselkurse konnten nun Gegenstand von Spekulation an den Börsen werden und sind es bis heute. Schließlich wurden die Kapitalverkehrskontrollen aufgehoben und massive Kapitalströme konnten sich ungehindert und nach Höchstprofiten gierend über den Erdball bewegen. Gegenwärtig sollen es bis zu fünf Billionen US-Dollar täglich sein, wovon nur ein Bruchteil der finanziellen Abwicklung von Waren- und Dienstleistungsgeschäften dient. Das Gros sucht spekulative Anlage. Nicht betroffen waren vom Zusammenbruch des Abkommens die Institutionen Weltbank und IWF, wenn sich auch teils ihre Zuständigkeiten änderten. Beide sind heute mit 188 Mitgliedern größer denn je und begehen ihren 70. Geburtstag. Aus dem GATT ist die Welthandelsorganisation (WTO) hervorgegangen.

Was kam nach Bretton Woods?

Mit dem Zusammenbruch von Bretton Woods entstanden in Europa Regime mehr oder weniger frei schwankender Wechselkurse, zunächst die Europäische Währungsschlange (1972-1979), in der EG-Länder Bandbreiten für Kursschwankungen festlegten, um die Stabilität der Währungen zu sichern. Das gelang jedoch nicht immer. Viele Währungen gerieten gegen die starke D-Mark unter Druck. 1979 folgte das Europäische Währungssystem (EWS) – ein Vorläufer der 1999 in Kraft getretenen Europäischen Währungsunion. Seit Einführung der Gemeinschaftswährung können einzelne Länder ihre Währungen in Konjunkturflauten nicht mehr abwerten. Der Euro durchlebt schwere Zeiten: Den einen ist er viel zu stark, weil das die Exporteure belastet. Ihre Waren werden auf den Weltmärkten teurer. Für andere ist er trotz des gestiegenen Wechselkurses ganz im Gegensatz zur früheren D-Mark eine Weichwährung.

Insgesamt waren und sind die auf Bretton Woods folgenden Systeme heterogener und krisenanfälliger als das vorangegangene. Das hängt mit der Eigendynamik der geld- und währungspolitischen Liberalisierungen zusammen, die seit dem Ende des Bretton-Woods-Systems vorgenommen worden sind. Hier nur wenige Beispiele: 1986 annullierte die britische Regierung viele Zulassungsbeschränkungen für Börsengeschäfte und begründete damit den Ruf Londons als internationales Finanzzentrum. Die US-Regierung beseitigte 1999 den »Glass-Steagall-Act« aus den 1930er Jahren, der es Banken untersagt hatte, das Privatkundengeschäft und das Investmentbanking gleichzeitig zu betreiben. Im Jahre 2001 ermöglichte die US-amerikanische Börsenaufsicht den computergesteuerten Hochgeschwindigkeitshandel mit Wertpapieren. Die internationalen Währungsbeziehungen wurden infolge dieser und vieler anderer Liberalisierungsschritte immer stärker durch Märkte und immer weniger durch Zentralbanken und Regierungen gesteuert. Einen international verbindlichen Ordnungsrahmen für dieses Marktgeschehen gibt es immer noch nicht. Die Finanzmärkte entkoppelten sich zunehmend von der »realen« Wirtschaft. So betrug das Weltsozialprodukt in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre 20 Billionen US-Dollar. Die Summe der Finanzprodukte erreichte damals 3 Billionen Dollar. Die reale Wirtschaft war also sechs- bis siebenmal so groß gewesen wie die virtuelle. Nach der Deregulierung der Finanzmärkte und der Entfesselung der Phantasie cleverer Investmentbanker hat sich das Weltsozialprodukt auf jetzt etwas mehr als 60 Billionen Dollar verdreifacht, die virtuelle Wirtschaft hingegen hat sich in demselben Zeitraum auf jetzt 600 Billionen Dollar verzweihundertfacht. Die Spekulation feiert Urständ.

In Wissenschafts- und politischen Kreisen taucht immer mal die Idee eines neuen Bretton Woods auf. Die Debatten über das Internationale Währungs- und Finanzsystem werden weitergehen.

 

Anmerkung:

[1]  Dem Abkommen waren schließlich fast alle Staaten der Welt beigetreten, ausgenommen die Sowjetunion und die Länder ihres Einflussbereiches sowie China. Die Bundesrepublik Deutschland gehörte seit ihrer Gründung im Jahre 1949 dazu.

 

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