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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

60 Jahre ist es her – das Gesetz über die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften vom 3. Juni 1959

Prof. i. R. Dr. Siegfried Kuntsche, Rastow

 

Vor 60 Jahren, am 3. Juni 1959, beschloss die Volkskammer der DDR das »Gesetz über die landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften« – die Magna Charta der genossenschaftlichen Produktionsform in der Landwirtschaft.

Das Gesetz verankerte die LPG als ein neues Element in der Staatsordnung der DDR, als eigenständige Wirtschaftsform neben landwirtschaftlichen Staats- und Privatbetrieben. Es stellte sie damit unter staatlichen Schutz. Zusammen mit den im April 1959 vom Ministerrat bestätigten neuen Musterstatuten entstand ein in sich geschlossenes LPG-Recht. Die Kodifizierung des LPG-Rechts war von der V. LPG-Konferenz schon im Februar 1957 empfohlen worden und ging auch in die Beschlüsse des V. Parteitages der SED im Juni 1958 ein.

Anfang 1957 hatte das 31. ZK-Plenum der SED das Konzept von Kurt Vieweg (Direktor des Instituts für Agrarökonomik der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften) für ein Agrarprogramm eines längeren Nebeneinanders von LPG und Einzelbauern zurückgewiesen. Im September 1957 bekräftigte das 33. Plenum den generellen Kurs zum Aufbau des Sozialismus und speziell zum Zusammenschluss der Bauern in landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften.

Für die Stärkung der LPG – bei Wahrung bäuerlicher Eigentumsinteressen

Es war von vornherein klar: Die Gewinnung der Bauern war angesichts der tiefen Verwurzelung des bäuerlichen Privateigentums die komplizierteste Aufgabe bei der Konstituierung sozialistischer Produktionsverhältnisse, zumal die Bauern in der DDR einer intensiven antikommunistischen Hetze aus der wirtschaftsstarken kapitalistischen Bundesrepublik ausgesetzt waren. Es bestand ein zwingender Zusammenhang zwischen den Staatszielen der Vergenossenschaftung einerseits und andererseits einer Steigerung der Agrarproduktion. Auch am Ende des Jahrzehnts war der Staat vor allem auf die Leistungen von Einzelbauern bei tierischen Produkten angewiesen, obwohl nur noch ein geringer Zuwachs unter den gegebenen Produktionsbedingungen zu erwarten war.

Es gelang 1958, die Stagnation bei der Neubildung von LPG auf bäuerlicher Basis zu überwinden. Neben einer schon bestehenden LPG Typ III mit vollgenossenschaftlicher Produktion durfte nun im Dorf eine LPG Typ I gebildet werden, wo nur die Feldwirtschaft gemeinsam betrieben wurde. Dazu kamen staatliche Maßnahmen zur Stärkung der LPG. Vorrangig sollten die Maschinen-Traktoren-Stationen (MTS) im Genossenschaftssektor wirken.

Die Zahl der LPG vom Typ I/II stieg von Ende 1957 bis Ende 1958 auf fast das Dreifache – auf 3.268 – und die Zahl der bäuerlichen Mitglieder wuchs um 86.000, verdoppelte sich beinahe. Das wurde als Zeichen dafür gewertet, dass sich nun auch Mittelbauern den LPG zuwandten. Mitte 1958 gab es bereits 240 vollgenossenschaftliche Dörfer mit beispielgebenden Genossenschaften wie Schafstädt im Süden und Trinwillershagen im Norden. Ende 1958 bewirtschafteten LPG 37 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Das war ein bedeutender Wirtschaftsfaktor, dessen staatsrechtliche Stellung und statutengemäße Innenverhältnisse geregelt werden mussten – nicht zuletzt in der Erwartung, die Neubildung von LPG zu befördern.

In einem Grundsatzartikel (Paragraph 1) des LPG-Gesetzes vom Juni 1959 werden die LPG als »sozialistische landwirtschaftliche Großbetriebe« charakterisiert, »die durch den freiwilligen Zusammenschluss werktätiger Bauern und Bäuerinnen … [und] Landarbeiter … entstehen.« Die »gemeinsame Arbeit gleichberechtigter Mitglieder« sei auf eine Produktions- und Effektivitätssteigerung sowie auf die »Verbesserung der materiellen und kulturellen Lebensbedingungen« zu richten »in voller Selbständigkeit auf der Grundlage der innergenossenschaftlichen Demokratie«. Die Arbeitsweise und die Rechte und Pflichten ihrer Mitglieder »ergeben sich aus diesem Gesetz, den Musterstatuten und anderen gesetzlichen Bestimmungen, dem Statut und der Inneren Betriebsordnung.« Im Paragraphen 2 heißt es dazu: »Die vom Ministerrat der DDR bestätigten Musterstatuten sind allgemeinverbindliche Rechtsnormen und bilden die gesetzliche Grundlage für die Ausarbeitung des Statuts jeder LPG.« Die Paragraphen 3 und 4 bestimmen, dass die Genossenschaft durch die Registrierung des von der Gründungsversammlung beschlossenen Statuts beim Rat des Kreises die Rechtsfähigkeit erlangt. Paragraph 5 zur »Arbeit in der Genossenschaft« betont als »oberste Pflicht« des Genossenschaftsmitglieds, »ehrlich und gewissenhaft entsprechend seinen Fähigkeiten« zu arbeiten sowie »kameradschaftlich« mit allen anderen zusammenzuwirken. Paragraph 6 regelt die Zusammenarbeit mit den MTS. Die folgenden Paragraphen beziehen sich auf die genossenschaftlichen Eigentums- und Nutzungsrechte. Ausdrücklich wird gesagt, dass der von den Mitgliedern eingebrachte Boden deren Eigentum bleibt, aber einer unbegrenzten genossenschaftlichen Nutzung unterliegt, so hinsichtlich der Änderung von Nutzungsarten und des Wegenetzes, der Durchführung von Meliorationsvorhaben und Errichtung von Bauten. Angesprochen ist die statutengemäße Überlassung von Boden an die Mitglieder »zur persönlichen Nutzung«. Der der LPG zur unentgeltlichen Nutzung vom Staat überlassene Boden bleibe Staatseigentum und sei gesondert auszuweisen. Eingehend regelt das Gesetz Schadenersatzansprüche, wobei einvernehmliche Regelungen den Vorrang haben sollen. Weiterhin gibt es Regelungen zum Zusammenschluss von LPG und zum Übergang von LPG Typ I zu einem höheren Typ. Das Gesetz regelt auch einige Fragen, die über die innergenossenschaftliche Entscheidungsmacht hinausgehen, so die Behandlung von Grundstückslasten und Erbauseinandersetzungen.

In den intensiven Diskussionen des Gesetzentwurfs vor der VI. LPG-Konferenz im Februar 1959 bekräftigten Bauern in vielen Dörfern vor allem die Festlegung, dass die LPG durch die freiwillige Entscheidung entstehen und dass der eingebrachte Boden zwar genossenschaftlich genutzt wird, das Eigentumsrecht aber gewahrt bleibt.

Die Musterstatuten für die LPG legten fest, dass jeder LPG-Bauer eine sogenannte Individuelle Hauswirtschaft führen kann – in der Regel auf einer Fläche von 0,5 Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche. Damit war eine Regelung gegeben, die schließlich generell als ein Element der Bejahung des genossenschaftlichen Weges wirkte.

Die Grundsätze des LPG-Gesetzes von 1959 wurden 1982 in ein neues Gesetz übernommen, das vor allem wegen der vielseitigen kooperativen Vernetzung der spezialisierten LPG notwendig wurde. Die Bestätigung des bäuerlichen Bodeneigentums verhinderte 1991/92 bei der Einführung der kapitalistischen Markt- und Profitwirtschaft den Zugriff der Treuhandanstalt (BVVG) auf den größeren Teil der landwirtschaftlichen Nutzfläche der DDR.

Erfolgreiche Entwicklung war eingeleitet

1959 wurde erwartet, dass ein weiterer Schub des Eintritts von Bauern in die LPG erfolgt und am Jahresende in jedem Dorf eine Genossenschaft besteht.

Die VI. LPG-Konferenz beschloss im Februar 1959 den »Siebenjahrplan der sozialistischen Entwicklung der Landwirtschaft«. Entsprechend den wachsenden Ernährungsansprüchen der Bevölkerung vor allem an tierischen Produkten sollten 1965 die Hektarerträge und die Leistungen der Viehwirtschaft über denen der westdeutschen Landwirtschaft liegen. Eine solche Leistungssteigerung sollte auf dem Weg der sozialistischen Großproduktion erreicht werden, für die die nötigen materiell-technischen Ressourcen geplant wurden. Es wurde kalkuliert, die Vollgenossenschaftlichkeit 1965 und möglichst schon 1963 zu erreichen.

Die LPG-Konferenz war der Auftakt für Aussprachen in allen Dörfern zur sozialistischen Perspektive des eigenen Dorfes.

Die Zahl der bäuerlichen LPG-Mitglieder wuchs um 82.500 und blieb damit nur geringfügig hinter dem Zuwachs des Vorjahres zurück. Bis November 1959 kamen rund 500 LPG mit reichlich 400.000 ha (im Durchschnitt 6,3 ha je Mitglied) dazu, so dass der Anteil des Genossenschaftssektors an der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) auf 43,5 Prozent stieg. Zur Erfolgsbilanz gehörten nun 389 vollgenossenschaftliche Dörfer. In 1.199 weiteren Dörfern bewirtschafteten die LPG mehr als 80 Prozent der LN. Der Kreis Eilenburg erreichte sogar die Vollgenossenschaftlichkeit.

Bemerkenswert ist, dass 1959 der Genossenschaftssektor wirtschaftlich gut vorankam. Bei Getreide, Ölfrüchten und Faserpflanzen wurden die Hektarerträge der Einzelbauern bereits überschritten. Der Viehbesatz wuchs je 100 ha LN rasch, obwohl er noch erheblich unter dem der Einzelbauern lag. 1959 benötigten noch 58 Prozent der LPG Typ III staatliche Wirtschaftsbeihilfen, um die garantierte Auszahlung von 7 Mark je Arbeitseinheit zu erreichen. Das war der Tatsache geschuldet, dass die Mehrzahl dieser LPG ohne bäuerliche Mitglieder durch Umbildung aus sogenannten Örtlichen Landwirtschaftsbetrieben (ÖLB) hervorgegangen war. Zusammen mit Staatsgütern hatten diese Betriebe riesige herrenlose Flächen zu bewirtschaften: verlassene oder vom Staat eingezogene bäuerliche Flächen und Flächen abgewanderter Neubauern im Umfang von mehr als einer Million Hektar.

Den 226.600 bäuerlichen LPG-Mitgliedern standen noch etwa 400.000 wirtschaftsstarke Einzelbauern gegenüber: erfahrene Altbauern und Neubauern mit Höfen auf besseren Böden und einer guten Ausstattung mit Produktionsmitteln. Obwohl so mancher erkannte, der genossenschaftliche Großbetrieb mit hohem Mechanisierungsgrad werde in der Flächen- und Arbeitsproduktivität überlegen sein, hofften die meisten, erfolgreich ihre private Wirtschaft weiterführen zu können.

Ab Mitte Januar 1960 verfolgte die SED abrupt das Ziel, nicht erst 1963, sondern schon bis zum Frühjahr 1960 alle Bauern für den genossenschaftlichen Weg zu gewinnen. Dafür scheinen politische Gründe ausschlaggebend gewesen zu sein. Im Vorfeld der für Juni 1960 geplanten Gipfelkonferenz in Paris war es wichtig, die Entwicklungspotenzen der sozialistischen Länder im Einflussbereich der Sowjetunion sichtbar zu machen. Die DDR sah sich der feindlichen Aufweichungspolitik der BRD-Regierung ausgesetzt und reagierte mit einer Sozialismusoffensive.

Nicht wenigen Einzelbauern gab die politische Kampagne den letzten Anstoß, sich für den genossenschaftlichen Weg zu erklären. Die meisten fühlten sich jedoch in die LPG gedrängt. Es war kennzeichnend, dass in Diskussionen zum Statut nicht selten gefordert wurde, statt der Formulierung des freiwilligen Zusammenschlusses zu formulieren: »aus politischer Notwendigkeit« oder »aus wirtschaftlicher Notwendigkeit« oder »genötigt durch die Maßnahmen der Regierung« oder auch »unter moralischem Druck der Aufklärungsbrigade« (Forschungsergebnis von Siegfried Prokop 1984). Erst nach Jahren produktiver gemeinsamer Arbeit identifizierten sich diese wirtschaftsstarken Einzelbauern mit dem genossenschaftlichen Weg. In der Wertung durch die SED war die Vollgenossenschaftlichkeit ein »sozialistischer Frühling«, in der Sprache antikommunistischer Politiker eine »Zwangskollektivierung«.

 

Siegfried Kuntsche wurde 1935 geboren. Er ist Sohn eines Lehrers aus der Oberlausitz und studierte nach dem Abitur Geschichte, danach Archivwissenschaft. Von 1959 bis 1979 war er im Mecklenburgischen Landeshauptarchiv in Schwerin tätig, danach leitete er ein Jahrzehnt den Geschichtsbereich im Institut für Ausländische Landwirtschaft und Agrargeschichte unter dem Dach der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften der DDR (AdL). In den frühen 90er Jahren sicherte er die Überführung des AdL-Archivs in das Bundesarchiv. Seit 1993 ist Prof. Kuntsche freiberuflich tätig. Er publizierte vor allem zu Bodenreform, zur Geschichte der DDR-Landwirtschaft und zu den Agrarwissenschaften.

  Siegfried Kuntsche ist Autor des Buches »Die Akademie der Landwirtschaftswissenschaften 1951-1990«, Leipziger Universitätsverlag, 21.12.2017,ISBN 978-3865839282, 2 Halbbände, 973 Seiten, 98.00 €.