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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

55 Jahre NVA – Rückblick auf eine Friedensarmee

Dieter Popp, Bonn

 

Nach dem 8. Mai 1945 schwor sich die Mehrzahl der Deutschen, nie wieder ein Gewehr in die Hand zu nehmen. Selbst dem ehemaligen Oberleutnant der Wehrmacht Franz-Josef Strauß werden nach 1945 entsprechende Äußerungen nachgesagt. Die aus den Konzentrationslagern befreiten Antifaschisten, die aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Soldaten, die aus dem Exil und aus dem Untergrund Zurückgekehrten und die Überlebenden in den zerbombten Städten wußten: Es darf nie wieder Krieg geben; Rüstung und Militarismus sollen endgültig der Vergangenheit angehören.

Es sollte jedoch anders kommen: Seit etwa 1947 inszenierten die USA den Kalten Krieg und verkündeten das "Rollback des Kommunismus". Wie inzwischen zugängliche Geheimdokumente des Pentagon belegen, ging es den USA darum, Mittelost- und Osteuropa unter westlichen Einfluß zu bringen und die UdSSR durch Wettrüsten zu destabilisieren. Dabei mußten auch die besiegten Deutschen wieder mitmachen. Schrittweise wurde die öffentliche Meinung umgesteuert und die Remilitarisierung eingeleitet. Die offizielle Gründung der Bundeswehr am 5. Mai 1955 und im Gegenzug die Gründung der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA) am 1. März 1956 stellten nur die Schlußpunkte der Entwicklung dar.

Es wird vielen Kommunisten, die gerade erst Nazi-Terror und Krieg überstanden hatten, schwer gefallen sein, wieder eine Uniform anzuziehen. Heinz Keßler war 1941 gezwungen gewesen, am Überfall auf die Sowjetunion teilzunehmen. Drei Wochen nach Beginn des Krieges lief er zur Roten Armee über. Er gehörte zu den Mitbegründern des Nationalkomitees "Freies Deutschland" und rief an der Front deutsche Soldaten zum Überlaufen auf. Nach 1945 hatte er sich in der Freien Deutschen Jugend engagiert und auch in den westlichen Besatzungszonen versucht, gegen die Remilitarisierung zu agitieren. Er hätte sich sein weiteres Leben sicher anders gewünscht, als erneut in einer deutschen Armee zu dienen.

Der Aufbau der Bundeswehr lag in der Hand von Hitlers Generalen, die teilweise noch bis zuletzt junge Männer in einen sinnlosen Tod getrieben hatten und den 8. Mai 1945 als Niederlage sahen. Auch die NVA kam nicht ganz ohne das militärische Fachwissen ehemaliger Wehrmachtsoffiziere aus. Diese hatten sich jedoch bereits lange vor Kriegsende von Hitler abgewandt und waren im Bund Deutscher Offiziere bereit gewesen, aktiv etwas für ein schnelleres Kriegsende zu tun. Ihr Einfluß beim Aufbau der jungen Volksarmee mag dazu beigetragen haben, daß diese mehr Äußerlichkeiten der Wehrmacht und mehr Preußisches übernommen hat, als die Bundeswehr. Diese Äußerlichkeiten dürfen aber nicht den Blick auf den neuen Charakter der NVA verstellen.

Der Zwang zur Wiederaufrüstung belastete die junge DDR in doppelter Weise: Knappe Ressourcen, die für den Wiederaufbau der Volkswirtschaft benötigt wurden, mußten in die volkswirtschaftlich unproduktive Rüstung fließen. Die besten und engagiertesten Menschen konnten nicht Lehrer oder Ingenieure, sondern mußten Offiziere werden. Ersparen wir es uns, an dieser Stelle die Entwicklung beider deutscher Staaten bis zum Ende der DDR nachzuzeichnen. Nur soviel: Infolge von Gorbatschows Politik der Kapitulation vor den USA wurde die Wiedervereinigung Deutschlands nicht an dessen Neutralität und eine konsequente Abrüstung gebunden. Vielmehr durfte sich die NATO weiter nach Osten ausdehnen und die NVA vereinnahmen. Fast das gesamte technische Gerät wurde ins Ausland verkauft oder verschenkt, wo es teilweise direkt in laufenden Kriegen eingesetzt wurde, etwa in der Türkei gegen die Kurden oder in Indonesien.

Am 3. Oktober 1990 ging die NVA in der vereinigten Bundeswehr auf. Die noch knapp 90.000 Soldaten wurden in neue Uniformen gesteckt; die Spitzendienstgrade waren zuvor noch vom "Minister für Abrüstung und Verteidigung" Rainer Eppelmann entlassen worden. Viele ehemalige NVA-Offiziere und -Berufssoldaten traten dem Bundeswehrverband-Ost bei, wo sie als Kameraden aufgenommen wurden. Seit 1993 bemühte sich besonders der Bundesvorsitzende Oberst Bernhard Gertz um die Eingliederung und faire Behandlung der ehemaligen NVA-Angehörigen.

Der Jugoslawienkrieg 1999 zeigte, daß die "Armee der Einheit" wohl doch eine Illusion gewesen war: Zu unterschiedlich waren die Erziehungsideale in Ost und West gewesen. Echte Friedenserziehung auf der einen und überwiegend kritiklose Beteiligung an einem Angriffskrieg auf der anderen Seite kennzeichneten die unterschiedlichen Wurzeln. Die mir bekannten ehemaligen NVA-Angehörigen traten aus Protest gegen diesen Krieg aus dem Bundeswehrverband aus. Sie wußten auch von anderen, die aus dem gleichen Grund den Bundeswehrverband verließen. Einige gründeten den "Traditionsverband Nationale Volksarmee e.V.", der die Geschichte der NVA darstellen, die Traditionen pflegen und zur Friedenssicherung beitragen will. [Der Traditionsverband Nationale Volksarmee e.V. wurde im Dezember 2008 gegründet. (siehe NVA kompakt, 02/2010, unter www.traditionsverband-nva.de)]. Historisch zutreffend wird festgestellt: "Wir dienten einem Staat, der eine Politik des Friedens betrieb. Kein Soldat der NVA hat jemals in kriegerischer Absicht das Territorium eines anderen Staates betreten."

Ähnliches kann man von der Bundeswehr nach 1990 leider nicht sagen. Die Bundeswehr wurde von einer Armee zur Landesverteidigung zunehmend zu einer weltweit operierenden Interventionsarmee umgebaut. Die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen mit militärischen Mitteln wird inzwischen als legitim angesehen. Mittelfristig will die Bundeswehr erreichen, "entweder an einer großen Militäroperation mit bis zu 50.000 Soldaten für die Dauer eines Jahres oder gleichzeitig an zwei mittleren Operationen mit bis zu 10.000 Soldaten für mehrere Jahre teilnehmen zu können". Das Grundgesetz erlaubt diese veränderte Aufgabenstellung zwar nicht; unmißverständlich wird die Verteidigung als einzig legitimer Auftrag der deutschen Armee festgeschrieben. Solange aber die Systemparteien in diesem Ziel übereinstimmen und das Verfassungsgericht sich nicht für zuständig hält, bleibt das Grundgesetz ein totes Papier.

Am 1. März dieses Jahres jährte sich zum 55. Mal die Gründung der NVA. Ehemalige Angehörige gedachten dieses Tages in einer Feier – so weit, so gut. Die sogenannten "Opferverbände der kommunistischen Gewaltherrschaft" sahen jedoch wieder einmal eine Gelegenheit, von der "menschenverachtenden Grausamkeit des DDR-Regimes" zu fabulieren, sich über die "Ewig-Gestrigen" zu erregen und ein Verbot der "Zeichen und Symbole der kommunistischen Diktatur" zu fordern. Lassen wir die neurotischen DDR-Hasser bellen. Wichtiger ist es, in den eigenen Reihen der LINKEN für einen objektiven Umgang mit der Geschichte einzutreten. Alle Entwicklungen und auch Fehlentwicklungen müssen vor dem historischen Hintergrund – insbesondere den Bedingungen des Kalten Krieges – gesehen werden. Nostalgie und militärische Traditionspflege sind sicherlich keine Herzensanliegen einer sozialistischen Partei – aber sie sind auch nichts, von dem man sich im Falle der NVA erschreckt distanzieren muß. Der Verfassungsauftrag der Volksarmee war: Schutz der Republik und des sozialistischen Aufbaus sowie Sicherung des Friedens. Unter den Bedingungen des Kalten Krieges hat die NVA diesen Auftrag erfüllt. Nach dem Ende des Kalten Krieges sollte eine Friedensordnung gänzlich ohne Armeen möglich sein. Setzen wir uns vor allem dafür ein, daß zunächst alle Auslandseinsätze der Bundeswehr beendet werden. Setzen wir uns des weiteren für eine konsequente Abrüstung ein und für Konfliktregelung ausschließlich auf der Basis des Völkerrechts.

 

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