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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

5 Jahre Atomabkommen mit dem Iran

Lühr Henken, Berlin

 

Nachdem 1986 publik wurde, dass Israel Atommacht ist und sich der Iran im Verteidigungskrieg gegen den Irak (1. Golfkrieg 1980 bis 1988) alleingelassen fühlte, entschloss sich die iranische Regierung Ende der 80er Jahre, das vom Schah begonnene Atomprogramm mit Urananreicherungen wieder aufzunehmen. Um militärischen Anwendungen vorzubeugen, verhängte der US-Kongress in den 90er Jahren für US- und ausländische Firmen Sanktionen. Indizien für ein heimliches Nuklearwaffenprogramm, die 2002 öffentlich wurden, riefen die IAEA [1] auf den Plan. Die diesbezüglichen Vorwürfe konnten unter der Präsidentschaft Mahmud Ahmadinedschads nicht geklärt werden. Erst die Wahl des als gemäßigter Reformer geltenden Hassan Rohani zum Präsidenten 2013 brachte Schwung in die Gespräche und Verhandlungen der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschland (P5+1) mit dem Iran. Nach westlicher Einschätzung hätte dieser Mitte 2013 so viel Uran angereichert, dass das Material »für ein halbes Dutzend Nuklearwaffen reichen würde«. [2]

Rohani trat für Atomverhandlungen mit den P5+1 ein, um die Aufhebung der Sanktionen zu erwirken, die starke Wirkung gezeigt hatten: Der Ölexport war bis Oktober 2013 auf ein Drittel gefallen. [3] Das minderte die Staatseinnahmen, die zu 80 Prozent aus den Ölexporten gedeckt wurden. 

Erfolgversprechend oder »idiotisch«

Schnell zeigten die Verhandlungen zwischen dem Iran und den P5+1 Erfolge. Schon 2014 wurden die Urananreicherung oberhalb von 5 Prozent und der Bau des Schwerwasserreaktors in Arak für die Gewinnung waffenfähigen Plutoniums gestoppt, die Zahl der Gaszentrifugen eingefroren. Der Iran erhielt als Gegenleistung schrittweise Zugang zu 4,2 Mrd. Dollar, einem Teilbetrag von gesperrten ca. 100 Mrd. Dollar.

Das am 15. Juli 2015 vereinbarte umfassende Atomabkommen (»Joint Comprehensive Plan of Action«/JCPOA) bot die Grundlage dafür, einen 12 Jahre währenden internationalen Konflikt zu entschärfen. Seine wesentlichen Eckpunkte: Der Iran verringert die Zahl seiner Gaszentrifugen um zwei Drittel auf 6.104 und vernichtet 95 Prozent der Bestände an angereichertem Uran. So soll sichergestellt sein, dass der Iran für die Herstellung einer Bombe mehr als ein Jahr braucht. Diese Vereinbarung endet 10 Jahre nach Inkrafttreten des Abkommens. Der IAEA sind zeitlich unbegrenzt Kontrollen an allen Orten – auch unangekündigt – möglich. Der Iran kann seine Anreicherungstechnologie nur stark eingeschränkt fortsetzen. Der Kern des Schwerwasserreaktors in Arak wird mit Beton verfüllt. Turnusmäßige Bestätigungen der IAEA, dass der Iran den Verpflichtungen nachgekommen ist, sollen ihm schrittweise den Zugang zu den Öl- und Finanzmärkten öffnen.

Der UN-Sicherheitsrat billigte in der Resolution 2231 das JCPOA einstimmig, so dass es am 18. Oktober 2015 in Kraft trat. Damit erlangte es völkerrechtliche Gültigkeit und hob sechs nuklearbezogene UN-Resolutionen auf. Die Republikanische Partei der USA, Israel und Saudi-Arabien bildeten von Beginn an die aktive Opposition zum JCPOA. Ihr Haupteinwand: Das nur zeitlich befristete Abkommen ermögliche dem Iran schon nach 10 Jahren, in die Urananreicherung wieder einzusteigen und sich zu einem atomaren Schwellenland zu entwickeln. Die mit dem Vertragsabschluss verbundenen Hoffnungen der Befürworter hingegen basierten darauf, dass nach Aufhebung der Wirtschafts- und Finanzsanktionen Iran prosperiert und gemäßigte Kräfte dadurch das Sagen im Iran bekommen. Die am 18. Januar 2016 aufgehobenen nuklear bezogenen Sanktionen von UNO, EU und USA (unter Obama) entfachten im Iran Goldgräberstimmung. [4] Die VR China und der Iran besiegelten umgehend Abkommen, die ihr Handelsvolumen binnen 10 Jahren auf 600 Mrd. Dollar verzehnfachen sollen. [5]

Aber zu handfesten Verträgen mit westlichen Firmen kam es kaum. Europäische Großbanken schreckten vor deren Finanzierung, ja sogar vor Überweisungen in den Iran zurück. Zu groß war ihre Angst vor US-Sanktionen wegen »Menschenrechtsverletzungen« und »Unterstützung des Terrorismus« durch den Iran. Mit letzterem sind die iranische Unterstützung des Hizbullah im Libanon, die mit ihren ca. 120.000 Kurzstreckenraketen eine strategische Gefahr für Israel darstellt, der Hamas, der pro-iranischen Milizen im Irak (etwa 100.000 Bewaffnete), der Assad-Regierung in Syrien und der Huthi-Milizen im Jemen gemeint. General Kassem Soleimani [6] baute seit 2001 diese asymmetrischen militärischen Kräfte im Dienste Irans als Gegengewicht gegen Israel, die USA und den Golfkooperationsrat (GCC) auf. [7] Zudem erweiterte der Iran kontinuierlich seine Raketentechnologie und verfügt über bis zu 50 Mittelstrecken- und bis zu 100 Kurzstreckenraketen. [8] Laut UN-Resolution 2231  ist der Iran lediglich »aufgefordert, […] jede Aktivität im Zusammenhang mit ballistischen Flugkörpern, die als Träger für nukleare Sprengköpfe dienen können« [9], zu unterlassen. Somit verletzt er nicht de jure die UN-Resolution, sondern nur dessen Geist.

Seit Anfang 2017, der Amtsübernahme von Donald Trump, weht ein anderer Wind. Er lehnt das JCPOA als »idiotisch« ab und vereinbarte mit dem iran-feindlichen Saudi-Arabien einen Waffendeal für 10 Jahre im Wert von 350 Mrd. Dollar. [10] Hinzu kommt ein Handels- und Investitionsabkommen über 290 Mrd. Dollar. Gegen iranische Firmen verhängte die US-Regierung Sanktionen wegen des Testens ballistischer Raketen und der »Unterstützung von Terrorgruppen« und stellte das JCPOA offen in Frage. Trumps Forderungen: Der Vertrag müsse neu ausgehandelt, die darin enthaltenen Fristen müssten aufgehoben und Maßnahmen gegen die »Destabilisierung der Region« durch den Iran ergriffen werden. Die EU wurde ultimativ aufgefordert, auf den Trump-Kurs einzuschwenken und mit dem Iran »Nachbesserungen« auszuhandeln. Deutschland, Frankreich und Großbritannien (E-3) schwenkten insofern zwar auf den Trump-Kurs ein, dass sie die Kritik Trumps an Irans Raketenprogramm und der Unterstützung von Milizen teilen, wollen jedoch am JCPOA festhalten und diese Fragen später klären.

Inklusiver Diskurs in der Golfregion als Ausweg

Die IAEA bestätigte stets die Einhaltung des Atomabkommens durch den Iran, die P5+1 – außer den USA – stehen weiter zum Abkommen. Trump stieg am 11. Mai 2018 aus, setzte alle US-Sanktionen – völkerrechtswidrig – wieder in Kraft. US-Ziel ist es, den iranischen Ölexport zu strangulieren. Unter Androhung von US-Sanktionen widerriefen westliche Firmen binnen eines halben Jahres ihre Geschäfte mit dem Iran. Mit dieser Politik des »maximalen Drucks« soll der Iran gezwungen werden, dauerhaft auf die »zivile« Urananreicherung und Plutoniumgewinnung zu verzichten, keine Waffen zu exportieren, auf jedwede Unterstützung von Hizbullah, Hamas, irakischer Milizen und der Huthi zu verzichten, aus Syrien abzuziehen und die Bedrohung der Schifffahrt im Persischen Golf ebenso einzustellen wie die Entwicklung und Verbreitung von Raketen. [11] Mit der Unterschrift unter diesen Deal würden alle US-Sanktionen aufgehoben, so Trump. Der Iran ist nicht bereit, sich selbst zu entmachten und schloss mit der VR China Abkommen, die binnen 5 Jahren Investitionen in die Ölindustrie (280 Mrd. Dollar) und den Ausbau der Infrastruktur (120 Mrd. Dollar) vorsehen. China erhält im Gegenzug Zugang zu verbilligtem Erdöl. [12] Iran forderte die EU ultimativ auf, iranisches Öl zu kaufen und den Handel abzusichern. Da die E-3 dies nicht gewährleisten, reichert der Iran offen wieder Uran an. Am 20. Mai 2020 ermittelte die IAEA eine Menge von knapp 1,5 t mit einer Reinheit von 4,5 Prozent – ausreichend Material für die Herstellung einer Atombombe.

Wie könnte es weitergehen? Setzt der Iran die Anreicherung auf 90 Prozent fort, ist er möglicherweise 2021 an der Schwelle zur Herstellung einer Bombe. Das hätte zur Folge, dass Saudi-Arabien und die Türkei für diesen Fall ihre Ankündigung, eine Atomwaffe zu entwickeln, in die Tat umsetzen. Damit wäre der Atomwaffensperrvertrag obsolet. – Eine Katastrophe! Was wäre noch denkbar? Durch Krieg den Iran an diesem Weg zu hindern? Das Ergebnis wäre ein Flächenbrand im Nahen und Mittleren Osten. Einen kleinen Vorgeschmack darauf lieferten die Angriffe auf Öltanker am Golf und die Luftangriffe auf saudische Ölanlagen am 14. September 2019. Zudem würde die Sperrung der Straße von Hormus, durch die fast ein Fünftel des Rohöls transportiert wird, nicht abschätzbare weltweite wirtschaftliche Folgen haben. Auch dies wäre eine Katastrophe. Bliebe den USA die Option, durch Fortsetzung der Strangulationspolitik das politische System des Iran so zu destabilisieren, dass Aufstände und wirtschaftlicher Kollaps zu seinem Zusammenbruch führen. Die Aussichten dafür stehen allerdings schlecht: Die Teheraner Börse boomt. »Von einem Kollaps der Wirtschaft ist das Land weit entfernt«, schrieb die FAZ kürzlich [13].

Die aggressive US-Politik im Nahen und Mittleren Osten, die auf Spaltung der Region, Sanktionen und Destruktion setzt, zielt darauf ab, die billionenschweren Kooperationsvereinbarungen, die die VR China nicht nur mit dem Iran, sondern auch mit den GCC-Staaten zur Umsetzung ihrer Seidenstraßeninitiative getroffen hat – und die nur in friedlicher Atmosphäre verwirklicht werden können – zu untergraben. [14] Um den Destabilisierungsversuchen der USA und Israels, die mit Kriegsdrohungen einhergehen, zu entschärfen, ist in der Golfregion ein inklusiver Diskurs zu entwickeln, der Wege zu vertrauensbildenden Maßnahmen, Rüstungskontrolle, Abrüstung und Kooperation sucht, mit dem Ziel, die Region in eine von Atomwaffen und anderen Massenvernichtungswaffen freie Zone zu verwandeln.

Lühr Henken, Sprecher Bundesausschuss Friedensratschlag, arbeitet mit in der Berliner Friedenskoordination.

 

Anmerkungen:

[1]  Internationale Atomenergie Organisation, UNO-Organisation mit Sitz in Wien.

[2]  FAZ 3.7.2013.

[3]  NZZ 2.12.2013.

[4]  Im Raum standen Verträge über 127 Airbusse, ein Deal mit Boeing über 80 Maschinen (16,6 Mrd. Dollar) und mit Italien wurde ein Abkommen im Wert von 17 Mrd. Euro  angebahnt.

[5]  FAZ 25.1.2016.

[6]  Iranischer General, von einem völkerrechtswidrigen US-Drohnenangriff in Bagdad am 3.1.20 ermordet.

[7]  Die Militärausgaben der GCC-Mitglieder (Bahrain, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien, VAE) liegen beim Zehnfachen des Iran, die der USA beim 60fachen. Die israelischen übersteigen die iranischen um ca. 50 Prozent.

[8]  The Military Balance 2020, S. 350. Wikipedia nennt noch bedeutend höhere Zahlen.

[9]  www.un.org/Depts/german/sr/sr_15/sr2231.pdf, 107 Seiten, S. 102.

[10]  NZZ 22.5.2017.

[11]  Zwölf-Punkte-Plan von US-Außenminister Mike Pompeo. FAZ 22.5.2018, NZZ 5.11.2018, FAZ 7.11.2018.

[12]  11.9.2019, www.focus.de/finanzen/boerse/trotz-us-sanktionen-provokation-gegen-usa-china-hilft-irans-oelindustrie-mit-400-milliarden-dollar_id_11127580.html.

[13]  FAZ 12.5.2020.

[14]  Robert Fitzthum, Die Seidenstraßeninitiative und ihre Auswirkungen auf die Golfstaaten, in Matin Baraki / Fritz Edlinger (Hg.) Krise am Golf, Wien 2020, 245 Seiten, S. 145 bis 160.

 

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