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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

5. April 1958: Für Atomwaffen in Westdeutschland

Ulrich Vanek, Twistringen

Am 25. April 1958 stimmte der deutsche Bundestag einer Ausrüstung der Bundeswehr mit Abschuss- und Trägersystemen für Atomsprengköpfe zu. Dies war zunächst ein Teilerfolg für den »Verteidigungsminister« Franz Josef Strauß, der, nachdem 1956 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, unverzüglich die Ausrüstung der Bundeswehr mit atomaren Gefechtsfeldwaffen forderte. Gegen heftigen parlamentarischen und außerparlamentari­schen Widerstand hatte die Adenauer-Regierung auf ihrem Weg in die absolute Westbin­dung als Staatsräson ein weiteres wichtiges Etappenziel erreicht: Wiederbewaffnung und Bundeswehr, Beitritt zur NATO, Wehrpflicht und schließlich der Abstimmungserfolg am 25. März 1958. Gestärkt durch das Ergebnis der Bundestagswahl von 1957, aus der die Uni­onsparteien mit absoluter Mehrheit hervorgingen, wurde die Einbahnstraße in Richtung Konfrontation mit der Sowjetunion und ihren Verbündeten weiter ausgebaut. Auch aus heutiger Sicht ist das Ergebnis der Bundestagswahl interessant. Die Unionsparteien er­reichten 50,2%, die SPD 31,8% und die FDP 7,7%. In den Geschichtsbüchern der Bonner Republik wurden für »Sonstige« 10% der Zweitstimmen ausgewiesen. Die ganze Wahrheit ist, dass die extreme Rechte beachtlichen Zuspruch erfuhr. Auf den BHE (Bund der Heimat­vertriebenen und Entrechteten) entfielen 4,6%, auf die DP (Deutsche Partei) 3,4% und auf die DRP (Deutsche Reichs-Partei) 1% der Zweitstimmen.

Da die DP, die besonders in Niedersachsen stark war, sechs Direktmandate verbuchen konnte, zog sie in Fraktionsstärke mit 17 Abgeordneten in den Bundestag ein. Auf die Stimmen der extremen Rechten konnten sich die Unionsparteien jedoch nicht immer ver­lassen, behagte den Neo- und Altfaschisten die absolute Bindung an die Siegermacht USA gar nicht.

Wiederbewaffnung und Bruch des Potsdamer Abkommens lange geplant

Der Atom-Beschluss des Bundestages vom 25. März 1958 war nur der scheinbare Aus­druck einer souveränen Entscheidung. Die Weichen wurden viel früher gestellt, seitens der USA bereits vor dem Sieg über Hitlerdeutschland. Ältester Beleg ist eine Besprechung vom 15. April 1945 im US-Außenministerium, an dem auch der spätere US-Außenminister J. F. Dulles teilnahm. Aus dieser Besprechung wird das Folgende berichtet: »Die Gruppe be­schloss ..., Deutschland wieder aufzubauen und dann zu remilitarisieren. Deutschland soll­te zu einem Bollwerk gegen Russland gemacht werden«. [1] Weithin bekannt sind die Äuße­rungen des britischen Premiers, Winston Churchill, der keine Skrupel kannte: »Noch vor Kriegsende ... telegraphierte ich an Lord Montgomery (britischer Feldmarschall und von 1951 bis 1958 Oberbefehlshaber der NATO) und wies ihn an, dafür zu sorgen, dass die deutschen Waffen gesammelt würden, damit man sie wieder an die deutschen Soldaten ausgeben könne, mit denen wir zusammenarbeiten müssen, wenn die Sowjets ihren Vor­marsch fortsetzen«. [2]

Bereits vor Gründung der BRD 1949 gab es nicht nur Indizien, sondern handfeste Beweise dafür, dass (entgegen dem Potsdamer Abkommen!) die Wiederbewaffnung Deutschlands von Seiten der Westalliierten nicht nur gewünscht, sondern vielmehr konkret geplant wur­de. In der angesehenen New York Times vom 16. November 1949, die BRD war gerade ge­gründet worden, konnte man lesen, dass Stabsoffiziere westeuropäischer Staaten sich dar­über Gedanken machten, wie viele deutsche Divisionen für eine Verteidigung Westeuro­pas gegen einen Angriff aus dem Osten erforderlich wären. [3] Die Aufregung in der west­deutschen Presse hielt sich in Grenzen, waren diese Vorhaben doch kein Geheimnis und jedem, der es wissen wollte, zugänglich. Umso größere Bedeutung erlangten die Maßnah­men zur weiteren Desorientierung der Öffentlichkeit, die mit hoher demagogischer Energie betrieben wurden. Konrad Adenauer stellte bereits im Dezember 1948 rundheraus in Abre­de, dass an westdeutsche Soldaten auch nur gedacht würde. [4] Und im ersten international­en Vertrag, den die BRD im November 1949 abschloss, dem sogenannten »Petersberg-Abk­ommen«, heißt es: »Die Bundesregierung erklärt ihre feste Entschlossenheit ..., mit al­len ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die Neubildung irgendwelcher Streitkräfte zu ver­hindern«. [5]

Die Westanbindung der BRD, verbunden mit den Plänen zur Wiederbewaffnung, stieß im Inneren trotz aller Versuche der Desorientierung auf heftige Kritik. Bereits im Dezember 1949 brachte die Fraktion der KPD eine Entschließung gegen die Wiederbewaffnung ein und wusste sich dabei in Übereinstimmung mit einem großen Teil der Anhängerschaft der SPD. Am 4. Oktober 1950 richtete der hessische Kirchenpräsident Martin Niemöller, vor 1945 einer der aktivsten Widerstandskämpfer der Bekennenden Kirche, einen offenen Brief an Adenauer, in dem er erklärte, dass der deutsche Bundestag über gar kein Mandat verfüge, die Aufrüstung zu beschließen.

Die Haltung der Führung der SPD war widersprüchlich. Man wandte sich nur scheinbar ge­gen die Wiederbewaffnung, lediglich das Konzept fand keine Zustimmung. Man favorisierte ein Konzept, das bei einem sowjetischen Angriff eine Entscheidungsschlacht östlich der Grenzen des Deutschen Reiches von 1937 erzwinge. So äußerte sich jedenfalls Kurt Schu­macher, Vorsitzender der SPD. Trotzdem engagierten sich weite Teile der Bevölkerung, auch der größte Teil der Anhänger der SPD, außerparlamentarisch gegen Wiederbewaff­nung und Aufrüstung. Eine Volksbefragungsaktion zu diesem Thema wurde 1951/52 vom Innenminister verboten.

Auch die Haltung des DGB zur Remilitarisierung war, zumindest anfänglich, widersprüch­lich. Erst 1954 gab es auf dem Bundeskongress eine Entschließung, in der jeder Wehrbei­trag abgelehnt wurde und auf eine Politik der Verständigung mit dem Ziel der Einheit Deutschlands gesetzt wurde.

Die Göttinger Achtzehn und andere Aktionen der Widerstands

Nachdem 1956 gegen heftigen Widerstand die allgemeine Wehrpflicht eingeführt wurde, die Atompläne von Franz Josef Strauß immer konkretere Gestalt annahmen und die KPD verboten wurde, organisierte sich der Widerstand zunehmend professioneller. Am 12. April 1957 erklärten 18 namhafte Atomwissenschaftler öffentlich in einem Memorandum, dass sie nicht bereit wären, »sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen«. [6]

14 von ihnen waren übrigens Mitglieder verschiedener Beratungsgremien der Regierung. Diese Erklärung erlangte vor allem deswegen Gewicht, weil hier Insider Befürchtungen äu­ßerten, die sie offensichtlich für reale Gefahren hielten, nämlich den Aufbau westdeut­scher Kernwaffenindustrien. Als ein Beispiel für die überwiegend feindselige Haltung der Presse zu den Befürchtungen der Wissenschaftler sei hier auf die Neue Zürcher Zeitung verwiesen, die am 13. April 1957 in ihrer Sonntagsausgabe schrieb, dass die Verfasser des Memorandums mit ihrem Protest allein der Sowjetunion einen Dienst erweisen würden.

Der DGB, als Einzelgewerkschaft besonders die IG-Metall, schloss sich unverzüglich dem Professorenprotest an. Über die Erklärung hinausgehend, wandte sich der Bundesvorstand des DGB »gegen die Lagerung von Atomwaffen in Deutschland« und »gegen die Ausbildung an jeder Art von Atomwaffen ... jetzt und künftig«. [7]

Weiteren Schwung erhielt diese Stellungnahme aus dem kirchlichen Umfeld durch promi­nente Protestanten, wie Niemöller und Karl Barth, der Karfreitag 1957 öffentlich zum au­ßerparlamentarischen Handeln aufrief: Nach dem Versagen der Bundesregierung sei es an der Zeit, »die Sache in die eigenen Hände zu nehmen«. Und einen Tag nach Ostern äußerte sich die Idealfigur der Friedensbewegung der 50er Jahre, der Arzt und Theologe Albert Schweitzer, über Radio Oslo mit einem Appell zur Einstellung aller Kernwaffenversuche.

Eine große Anzahl bedeutender Künstler, Schriftsteller und Intellektueller machte sich die­sen Protest zu eigen. Dazu gehörten Persönlichkeiten wie Otto Dix oder der Verleger Ernst Rowohlt. Am 5. Mai 1957 richteten sie einen offenen Brief an den Kanzler und äußerten ih­ren Protest gegen Militarisierung und atomare Abenteuer. Auch Universitäten meldeten sich erstmals zu Wort mit Forderungen nach Abrüstung und Einstellung der Kernwaffenver­suche.

Dieser breite außerparlamentarische Protest, der von Anhängern der verbotenen KPD, ei­nem nicht unbedeutenden Teil der Mitglieder der SPD, linksliberalen Intellektuellen, Vertre­tern der Kirchen getragen wurde und bis in das bürgerliche Milieu reichte, erzielte zu­nächst Wirkung. Sogar die großbürgerliche FAZ sah eine »Sternstunde der Menschheit« [8] gekommen, und die Bundesregierung hielt den Ball flach, war 1957 doch das Jahr der Wahl zum deutschen Bundestag. Man hielt es nicht für geboten, weiter Öl ins Feuer zu gießen. –

Die Unionsparteien erreichten im September 1957 eine knappe absolute Mehrheit der Mandate im Bundestag und konnten allein regieren. Dieses Ergebnis auf dem ersten Höhe­punkt des Kalten Krieges ist trotz der mehrheitlichen Ablehnung der Wiederbewaffnung und der atomaren Rüstung durch die westdeutsche Bevölkerung nur so zu erklären, dass die konterrevolutionären Umsturzversuche in Ungarn und Polen und ihre mediale »Ver­marktung« in den Medien dazu beitrugen und die schwächelnde Ollenhauer-SPD keine wirkliche Alternative war.

Opposition musste diskreditiert werden

Nun brachen alle Dämme und man unternahm gar nicht erst den Versuch, die atomaren Rüstungsabsichten zu verschleiern. Als Reaktion darauf erhielt Anfang 1958 die Gegen­wehr Züge einer Massenbewegung. Durch die Gründung der Aktion »Kampf dem Atomtod« gelang eine Kanalisierung des vorhandenen Protests. In Bremen und Hamburg beschlos­sen die Bürgerschaften eine Volksbefragung zu diesem Thema. Sie wurde vom Bundesver­fassungsgericht verboten. Die Maßnahmen zur Diskreditierung der außerparlamentari­schen Opposition, zu der nach wie vor große Teile der Anhängerschaft der SPD gehörten, nahmen immer aggressivere Formen an. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte das am 3. Februar 1958 wie folgt: »Es ist soweit. Wer sich anmaßt, eine eigene, von der Bonner Generallinie abweichende, Meinung offen auszusprechen, muss damit rechnen, als Volks­schädling gebrandmarkt zu werden«.

Es gab seitens der Bonner Administration ein ganzes Bündel von Aktivitäten, um eine Be­drohung aus dem Osten als reale Gefahr darzustellen. Alle Initiativen der Sowjetunion und ihrer Verbündeten (Rapacki-Plan!) dem entgegenzutreten, wurden als Propaganda abgetan. Auch entsprechende Vorstöße westlicher Politiker, z.B. aus dem Umfeld der Labour Party in Großbritannien, fanden kein Gehör. Das Bonner Innenministerium verbreitete vielmehr an alle Haushaltungen zwei Broschüren. In der einen ging es um die »Aktion Eichhörnchen«. Hier wurden Vorschläge zur Bevorratung mit Lebensmitteln gemacht: Milchpulver, Hülsenfrüchte, Dosenfleisch, Gemüsekonserven, Wasser usw. Die andere Schrift befasste sich mit »Schutzmaßnahmen« bei einem zu erwartenden Atomkrieg. Beim Aufenthalt im Freien, so wurde empfohlen, möge man sich auf den Boden legen und den Kopf mit einer Aktentasche schützen. Beim Aufenthalt in geschlossenen Räumen solle man Schutz unter Tischen suchen. Bizarre Vorschläge! Aus heutiger Sicht mag das lächerlich er­scheinen. Die Broschüren verfehlten seinerzeit jedoch ihre Wirkung nicht.

Ein politischer Streik in der Geschichte der BRD

Eine hervorragende Rolle bei der Mobilisierung des Widerstands spielte die KPD, die trotz des Verbots natürlich mit ihren Mitgliedern und Strukturen weiterhin präsent war. Heftig kritisiert wurde im Bulletin des ZK 6/58, dass »die SPD-Führung einerseits eine außerpar­lamentarische Volksaktion gegen den Atomkrieg ankündigt und plötzlich krampfhaft be­müht ist, die Debatte wieder und ausschließlich ins Parlament zu verlegen«. Es war natür­lich kein Zufall, dass die KPD 1956 verboten wurde. Reichte ihr Einfluss doch viel weiter als es Mitgliederzahlen oder Wahlergebnisse aussagen. Nicht ohne Erfolg wandte sich die KPD, auch nach dem Verbot, über ihre Betriebsgruppen an sozialdemokratische Arbeiter. Im Bulletin 11/58 des ZK wird ein Aufruf zitiert: »Wir wenden uns an die Genossen der SPD und erneuern unser Angebot zu gemeinsamen Aktionen gegen den Atomtod ... Gehen wir an die Öffentlichkeit mit Kundgebungen und Demonstrationen gegen die atomare Auf­rüstung«. Die Einschätzung der Bundestagsdebatte, an deren Ende das Diktat der Adenau­er-Gruppe zum Auftakt der atomaren Aufrüstung stand, schloss mit dem Aufruf: »Nationa­ler Notstand gebietet nationalen Widerstand!«

Am 22. Februar 1958 bildete sich ein zentraler Arbeitsausschuss der Aktion »Kampf dem Atomtod«. Ein bundesweiter Aufruf rief zum Widerstand auf. Es gab Massenkundgebungen, eine der größten am 23. März 1958 in Frankfurt/Main. Insgesamt mehr als 1,5 Millionen Menschen beteiligten sich an den Demonstrationen und Kundgebungen. Und es kam zu politischen Streiks, den ersten und einzigen in der Geschichte der BRD. Die Arbeiterschaft legte z.B. in Bremerhaven im Hafen und in den Hafenbetrieben die Arbeit nieder. Große Be­achtung fand auch der Streik in den Henschel-Werken (später VW-Werk) in Kassel. Es ver­wundert nicht, dass die Führungen von DGB und SPD solche Streiks entschieden ablehn­ten. Sie verwiesen auf das Mittel einer Volksbefragung, die jedoch endgültig vom Bundes­verfassungsgericht am 30. Juli 1958 als verfassungswidrig verboten wurde.

Der Atombeschluss des deutschen Bundestages war ein Mosaikstein für das Bild, das wir heute vorfinden, und hat, ganz nebenbei, die Grenzen des bürgerlichen Parlamentarismus aufgezeigt. Die Friedensfähigkeit imperialistischer Staaten ist eben nur eine scheinbare. Mahnwachen, Appelle, Offene Briefe konnten die Mächtigen bisher nicht beeindrucken. »Unser Blut sei nicht mehr der Raben, nicht der nächt'gen Geier Fraß! Erst wenn wir sie vertrieben haben, dann scheint die Sonn' ohn' Unterlass!« Was tun? Aber das ist ein ande­res Thema. Februar 2018

Anmerkungen:

[1] L. L. Mathias, Wie kam es zur Teilung Deutschlands? In: Neuer Vorwärts, 3. Dezember 1954.

[2] Winston S. Curchill, The Unwritten Alliance, London 1961, S. 196 f.

[3] NYT v. 16. November 1949 und Robert McGeeham, The German Rearmament Question, 1971, S. 16 f.

[4] dpa vom 9. Dezember 1948.

[5] Niederschrift der Abmachungen zwischen den Alliierten Hohen Kommissaren und dem Bundeskanzler am 22. November 1949.

[6] dpa-Meldung, die vorab am 14. März 1957 in Tageszeitungen verbreitet wurde.

[7] Zitiert nach DGB-Pressedienst, Bd. XIII, Düsseldorf 1957.

[8] FAZ vom 24. April 1957.