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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

1975: Osttimor wird von Indonesien besetzt

Prof. Dr. Norman Paech, Hamburg

 

Osttimor liegt für Europa am Ende der Welt. Nur wenige wissen, dass die »Demokratische Republik Timor-Leste«, wie sie offiziell heißt, seit 2002 ein selbständiger Staat ist und den östlichen Teil der Insel Timor bildet, deren westlicher Teil zu Indonesien gehört. Timor-Leste ist kein Ferienparadies, Dili, die Hauptstadt ist kein Ziel von Kreuzfahrtlinern, weder Öl noch Gold noch Uran sind in seiner Erde zu finden. Nur wenn dort Krieg ist, dringen Nachrichten aus dem fernen Archipel zu uns, allerdings unvollständig und unzuverlässig.

Bis 1904 war die Insel ein Zankapfel zwischen dem niederländischen und portugiesischen Kolonialismus. In jenem Jahr einigten sich die beiden Kolonialmächte auf eine Teilung der Insel. Der östliche Teil kam in portugiesischen, der westliche in niederländischen Besitz. Der portugiesische Siedlerkolonialismus war eine besonders primitive und gewalttätige Herrschaftsform, an der die Kirche einen entscheidenden Anteil hatte. Der Sklavenhandel blühte. Einen Aufstand der Timoresen schlugen die Portugiesen 1912 blutig nieder, über 3.000 Tote hatte die Bevölkerung zu beklagen. Im zweiten Weltkrieg wurde auch Osttimor durch australische, holländische und schließlich japanische Besatzungstruppen in das Kriegsgeschehen gezogen. Über 50.000 Timoresen kamen nach portugiesischen Angaben ums Leben.

1974: Forderungen nach Selbstbestimmung

Die Unabhängigkeitsproklamation durch Indonesiens ersten Präsidenten Sukarno am 17. August 1945 änderte an der extremen Unterentwicklung Osttimors ebenso wenig wie die erste Asien-Afrika-Konferenz, die Sukarno 1955 in Bandung ausrichtete und die zur Geburtsstunde der Blockfreienbewegung wurde. Die Forderungen nach Selbstbestimmung, die von den Menschen in den Bergen immer wieder erhoben wurden, fanden erst nach der portugiesischen Revolution im April 1974 Gehör bei der neuen Regierung. Auch die indonesische Regierung signalisierte zunächst Unterstützung für die neu gebildeten Bewegungen, die gemäßigte »Timorese Democratic Union« (UDT) und die eher sozialdemokratische »Revolutionary Front for an Independent East Timor« (Fretilin). Doch die anfängliche Koalition zwischen den beiden Bewegungen zerbrach schon bald und endete mit dem Sieg der Fretilin, die die größte Unterstützung in der Bevölkerung hatte. Obwohl die Fretilin ihre Forderung nach sofortiger Unabhängigkeit zurücknahm und die portugiesischen Pläne einer schrittweisen Unabhängigkeit bis Oktober 1978 akzeptierte, hatte sich der Wind in Djakarta gedreht.

1965 hatte Generalmajor Suharto Präsident Sukarno in einem blutigen Putsch mit westlicher Unterstützung entmachtet und eine brutale antikommunistische Diktatur errichtet. In einer gnadenlosen Kommunistenjagd, bei der nach unterschiedlichen Quellen zwischen 500.000 und drei Millionen Menschen getötet wurden, konnte er die seinerzeit weltweit drittgrößte kommunistische Partei, »Partai Komunis Indonesia« faktisch vernichten. Suharto nannte sein System »Neue Ordnung«. In ihm nahmen in den USA oder von US-amerikanischen Stiftungen in Indonesien ausgebildete Beamte und Wissenschaftler die führenden Positionen ein, öffneten mit neuen Investitionsgesetzen den indonesischen Markt und erleichterten den Zugriff auf die Ressourcen und billige Arbeitskräfte. Sukarno hatte 1957 ausländische Großunternehmen enteignen lassen und drei Jahre später eine Bodenreform zu Lasten der Großgrundbesitzer beschlossen, die allerdings nie richtig in Angriff genommen wurde. Damit war unter Suharto nun Schluss und sollte auch im östlichen Teil der Insel nicht wieder auferstehen.

Annexion im Dezember 1975 – mit Unterstützung des Weißen Hauses

Eine Propagandakampagne gegen die Fretilin mit dem Vorwurf, eine kommunistische Organisation zu sein, wurde nicht nur von Jakarta, sondern auch von Washington und von der australischen Regierung in Canberra betrieben. Das Gespenst eines »zweiten Kubas« wurde an die Wand gemalt und Berichte über Verfolgungen, Verwüstungen und Grausamkeiten durch die »marxistische Fretilin« erschienen in den Medien. Das gab Suharto die Rückendeckung, ab Mitte 1975 Osttimor mit seinen Truppen zu infiltrieren und am 7. Dezember 1975 zu besetzen. Ein halbes Jahr später im Juli 1976 wurde sie als 27. Provinz, Timor Timur, der Republik Indonesien einverleibt. Die Fretilin hatte noch im November 1975 die Vereinten Nationen angerufen, um den Rückzug der Invasionstruppen zu erreichen. Am 28. November hatte sie die Unabhängigkeit als Demokratische Republik Timor-Leste ausgerufen in der Hoffnung, dass dem Appell eines unabhängigen Staates mehr Gewicht zukomme als dem Aufruf einer Bewegung. Doch Indonesien hatte mit einer »Integrationserklärung« am Tag darauf gekontert und hatte dazu die Unterstützung der UDT sowie der »Timorese Popular Democratic Association« (Apodeti) bekommen, die immer schon den Anschluss an Indonesien befürwortet hatte.

Bis Ende des Jahres 1975 verlagerte Indonesien ca. 20.000 Soldaten in die Region. Ihnen fielen im ersten Jahr der Besatzung zwischen 60.000 und 100.000 Timoresen zum Opfer. Die UN-Generalversammlung verabschiedete zwar – mit der Unterstützung der USA – eine Reihe von Resolutionen, die Indonesien zum Rückzug aufforderten, jedoch ohne Erfolg.  Nichts macht den brutalen und menschenverachtenden Charakter der Besatzung deutlicher, als die Schätzung von US-AID im Jahre 1979, dass etwa 300.000 Osttimoresen entwurzelt, vertrieben und in Lager des indonesischen Militärs zusammengetrieben wurden. Indonesiens Außenminister, Mochtar Kusumaatmadja, ging im November 1979 davon aus, dass etwa 120.000 Menschen in Osttimor ums Leben kamen. Amnesty International schätzt die Anzahl der Toten wegen Krieg, Hunger oder Krankheit bis 1999 auf 200.000.

Suharto war sich bei seinem Plan, Osttimor zu annektieren, anfangs nicht sicher über die Reaktion des Westens. So wartete er den Besuch von US-Präsident Gerald A. Ford und Außenminister Henry A. Kissinger ab und befahl die Invasion erst einen Tag nach ihrer Abreise. Kissinger – sonst verblüffend durch die detailgenaue Erinnerung über seine Zeit mit Nixon und Ford in seinen Memoiren – hat dieses Treffen mit Suharto offensichtlich nicht für so wichtig eingeschätzt, um es zu erwähnen. Vielleicht war ihm auch seine damalige Rolle peinlich. Seine Memoiren tragen ohnehin nicht den Stempel der Wahrheit. Vergessen hat er das Treffen jedoch nicht. Verschiedentlich hat Kissinger ausdrücklich verneint, mit Suharto substantielle Diskussionen über dessen Pläne auf der Insel gehabt zu haben. Doch 2001 wurden bis dahin geheime Dokumente aus der Gerald R. Ford Presidential Library freigegeben, die eindeutig belegen, dass Suharto für seine Invasion die volle Unterstützung des Weißen Hauses hatte. Kissinger – auch das geht aus den Dokumenten hervor – wies Suharto an, dass es »wichtig« sei, »was immer er auch unternehme, schnell zu geschehen habe«, aber dass »es besser sei, es nach ihrer Rückkehr in die USA zu machen«. Noch ist die umfangreiche Sammlung der Kissinger-Scowcroft-Akten in der Ford Library nicht zugänglich, genauso wie die Aufzeichnungen des Indonesien-Büros im State Department und des Büros für Ostasiatische Angelegenheiten der 70er Jahre. Sie würden den Memoiren Kissingers zweifellos ein aufschlussreiches Kapitel hinzufügen.

Suharto trat 1998 nach heftigen politischen Unruhen zurück. Sein Nachfolger Habibie kündigte einen Volksentscheid über Unabhängigkeit oder Verbleib bei Indonesien an. Nach etlichen Schwierigkeiten fand er am 30. August 1999 statt, 78,5 % stimmten für die Unabhängigkeit. Das Militär war mit diesem Ergebnis überhaupt nicht einverstanden, Habibie musste abdanken, und in Osttimor eskalierte eine neue Welle der Gewalt mit furchtbaren Verwüstungen. Pro-indonesische Milizen zogen mordend durch das Land. Habibies Nachfolger Abdurrahman Wahid hielt sich zwar an das Unabhängigkeitsvotum, konnte aber dem grauenhaften Treiben und den Zerstörungen keinen Einhalt gebieten. Kirchenquellen sprechen von 3.000 bis 5.000 Toten in den Monaten vor dem Referendum. Das dauerte, bis endlich am 20. September 1999 ein Kontingent der aus 15 Staaten bestehenden »International Force in East Timor« (Interfet) in der Hauptstadt Dili eintraf und in den folgenden Monaten langsam die Kontrolle übernehmen konnte. Interfet blieb bis März 2002 als Fretelin-Chef Xanana Gusmao, der die Wahlen im August 2001 gewonnen hatte, als Präsident vereidigt wurde.

Hamburg, den 18. Dezember 2015

Literatur:

The National Security Archive, East Timor Revisited, National Security Archive Electronic Briefing Book No. 62 vom 6. Dezember 2001.

Noam Chomsky, Edward S. Herman, The Washington Connection and Third World Fascism, Haymarket Books, Chicago, 1979/2014, S. 147 ff.

Edward S. Herman, The Real Terror Network, South End Press, Boston, 1982, S. 182 ff.

Anett Keller, Indonesiens Opfer, Le Monde diplomatique vom 8. Oktober 2015.

Rainer Werning, Politik des Massenmords, junge Welt vom 7. Dezember 2015, S. 12 f.

 

 

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