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Mitteilungen der Kommunistischen Plattform

10. April 1995: Günter Guillaume verstorben

Werner Großmann, Generaloberst a.D., Berlin

 

Günter Guillaume verdient es, auch an seinem 25. Todestag ob seiner Lebensleistung gewürdigt zu werden. Er gehört zu den ersten Kundschaftern des Ende 1951 gegründeten Außenpolitischen Nachrichtendienstes der DDR, der späteren Hauptverwaltung A (HVA) des MfS der DDR, und zu den erfolgreichsten.

Günter, am 1. Februar 1927 in Berlin geboren, arbeitete nach Ende des 2. Weltkrieges zunächst als Fotograf und ab 1950 als Redakteur im Verlag »Volk und Wissen« der DDR. 1951 heiratete er Christel Boom, die als Sekretärin arbeitete. 1952 wurde er Mitglied der SED. Durch seine und Christels aktive politische Tätigkeit wurden bald Mitarbeiter des Außenpolitischen Nachrichtendienstes auf sie aufmerksam, die die Aufgabe hatten, Bürger als Kundschafter für den Einsatz in der Bundesrepublik zu gewinnen. In Gesprächen mit diesen erklärten sich schließlich Günter und Christel aus Überzeugung bereit, dies zu tun. Bis 1956 erfolgte ihre intensive Ausbildung und dann ihre Übersiedlung in die Bundesrepublik, getarnt als Republikflucht zur Mutter von Christel, die in Frankfurt/Main lebte. Wie geplant wurden sie Mitglieder der SPD, und es gelang ihnen sehr schnell, führende Positionen in dieser Partei zu erlangen. Christel als Sekretärin, Günter als Sekretär und dann Geschäftsführer und Stadtverordneter der SPD in Frankfurt/Main. Nachdem Günter erfolgreich den Wahlkampf von Georg Leber geleitet hatte, empfahl dieser ihn dann als Mitarbeiter des Bundeskanzleramtes. Seine Tätigkeit dort begann dann 1970. 1972 wurde er persönlicher Referent des Bundeskanzlers Willy Brandt. Ein Riesenerfolg natürlich für ihn und die zuständigen Mitarbeiter in der HVA des MfS. Dies wurde aus Sicherheitsgründen zunächst in der HVA und gegenüber dem Minister geheim gehalten. Erst später, als uns die Bearbeitung von Günter und Christel durch den Verfassungsschutz bekannt wurde, wurde auch Minister Mielke ins Bild gesetzt.

Die Ursache für die Bearbeitung lag in Folgendem. Im April 1957 wurde der Sohn Pierre geboren. Über den konspirativen Funkverkehr gratulierten die Mitarbeiter der HVA. Zwar hatte der Verfassungsschutz keinen Klarnamen, aber eben die Tatsache der Geburt eines Sohnes zu diesem Zeitpunkt. Die HVA wusste damals nicht, dass das von uns benutzte Funksystem der sowjetischen Aufklärung vom Gegner entschlüsselt werden konnte. Das erfolgte erst später und wurde dann natürlich sofort geändert. Das erklärt auch, dass der Bundesverfassungsschutz Jahre brauchte, um auch das Ehepaar Guillaume unter Kontrolle zu nehmen. Das wiederum erkannten natürlich auch Günter, Christel und die HVA-Mitarbeiter. Ein Angebot unsererseits an Günter und Christel, sie in die DDR zurückzuziehen, lehnten beide ab und waren überzeugt, erfolgreich weiterarbeiten zu können.

Mit Einzug von Günter ins Bundeskanzleramt stellte er auf unsere Weisung hin die Lieferung von Informationen mit konspirativen Mitteln an uns ein und hielt dafür persönlichen Kontakt zu unserem Kundschafterehepaar Anita und Wolfgang Rausch, die nun öfter illegal in die Bundesrepublik einreisten und sich mit Günter trafen. Insofern erhielt die lnformationsabteilung der HVA auch keine Informationen mehr von ihm. Das nur mal nebenbei als Feststellung für die angeblichen Experten der Stasiunterlagenbehörde, die daraus den Schluss ziehen, dass Guillaume ja gar kein erfolgreicher Informant war.

Im Gegenteil. Der Arbeitsbeginn von Günter im Bundeskanzleramt gehört eben zu einer Sternstunde der Arbeit der HVA. Genau zum Zeitpunkt der von der Regierung Brandt-Scheel verfolgten Neuen Deutschen Ostpolitik mit den Abschlüssen der Verträge mit Moskau und Warschau 1970 und dem Grundlagenvertrag DDR-BRD 1972/1973 war er in der Lage, zu kontrollieren, ob die Informationen, die wir aus dem Auswärtigen Amt und den Spitzengremien der SPD und FDP erhielten, zutrafen. So konnten wir die Partei- und Staatsführungen in der UdSSR, der VR Polen und der DDR rechtzeitig im Detail über Formulierungen im Text der Verträge informieren.

Natürlich waren wir auch im Detail über das Privatleben von Willy Brandt informiert, haben diese Informationen aber in keinem Fall verwendet. Auch sie wurden am Ende unseres Dienstes vollständig vernichtet.

Am 24. April 1974, früh 6 Uhr 30, werden Günter und Christel Guillaume verhaftet. Günter schreibt in seinem Buch »Die Aussage« dazu: »Ich öffnete, sah eine Gruppe von Männern und eine Frau mit äußerlich unbewegten, aber innerlich erregten Gesichtern und wußte, was die Glocke geschlagen hatte. Der vorn stand fragte: ›Sind Sie Herr Günter Guillaume?‹ Ich sagte leise: ›Ja, bitte?‹ Wir haben einen Haftbefehl des Generalbundesanwalts. Im selben Augenblick wurde ich rückwärts in den Flur gedrängt, umringt, fühlte mich gestellt und bedroht. Ich sagte. ›Ich bitte Sie‹. Rief es mehr, als daß ich es einfach sagte: ›Ich bin Bürger der DDR und ihr Offizier. Respektieren Sie das!‹«

Das war mit Günter und Christel nie so vereinbart worden. Es überraschte auch uns. Fakt wäre gewesen, dass bei einer Leugnung und strikten Zurückweisung der Anschuldigung die später ausgesprochenen Haftstrafen nicht so hoch ausgefallen wären. Die Beweislage des Verfassungsschutzes war sehr gering. Nun war es aber so und das Verhalten von Günter und Christel während der 42 Verhandlungstage am Oberlandesgericht Düsseldorf war entsprechend ihrer Einlassung. Sie schwiegen und verweigerten jegliche Aussage. Welch eine Kraft Beider?

Unsererseits organisierten wir Unterstützung durch den bundesdeutschen Rechtsanwalt Dr. Horst-Dieter Pötschke. Das Urteil lautete: 13 Jahre Haft für Günter, 8 Jahre für Christel.

Die politischen Folgen in der BRD waren, dass Bundeskanzler Brandt am 7. Mai 1974 zurücktrat. Innenminister und führender FDP-Funktionär Genscher insbesondere, aber auch Wehner und Schmidt drängten ihn dazu. Nun erfüllte sich die schon von ihnen länger verfolgte Absicht, Brandt als Kanzler abzulösen.

In der DDR erfolgten seitens der SED-Parteiführung Überlegungen, Markus Wolf als Leiter der HVA zu entbinden. Nicht aber bei Minister Mielke, und so blieb er auch als solcher.

Im Zuge eines Agentenaustausches wurden Christel und Günter 1981 aus der Haft entlassen. Günter auch besonders wegen seines schlechten Gesundheitszustandes. Sie kehrten in ihre Heimat, die DDR, zurück. Zu Hause wurden beide mit großer Freude und Aufmerksamkeit empfangen. Beide wurden von Erich Honecker mit dem Karl-Marx-Orden ausgezeichnet und Günter zum Oberst und Christel zum Oberstleutnant ernannt. Von der Hochschule des MfS wurde Günter der Titel Dr. h.c. verliehen.

Leider ließen sich Günter und Christel alsbald scheiden. Schon in der BRD war der Bruch entstanden. Sie vollzogen ihn aber in Rücksicht auf ihre eingegangenen Kundschafterpflichten dort nicht. Günter heiratete seine ihn pflegende Krankenschwester und nahm deren Namen, Broehl, an. Am 10. April 1995 starb Günter Guillaume an Herzversagen und wurde auf dem Friedhof Berlin-Marzahn beigesetzt. Kurz vor seinem Tod bat er mich, die Trauerrede zu halten. Was ich dann auch tat. Viele ehemalige Mitarbeiter des MfS, Angehörige der NVA und weitere ehemalige DDR-Bürger erwiesen ihm die letzte Ehre.