1. Mai, Berlin-Kreuzberg
Ellen Brombacher und Klaus Meinel im Interview
Die Redaktion der Mitteilungen führte Mitte Mai 2009 mit den beiden Mitgliedern des Berliner Landessprecherrates der KPF Ellen Brombacher und Klaus Meinel folgendes Interview:
Mitteilungen: Klaus, Du hast schon viele Demonstrationen angemeldet. War die Revolutionäre 1.-Mai-Demonstration irgendwann darunter?
Klaus Meinel: Nein. Zwar wurde ich gefragt, habe es aber abgelehnt.
Warum?
Klaus: Man sollte nur dann eine Demonstration anmelden, wenn es unter den beteiligten Gruppen zumindest ein Minimum an Konsens über Verhaltensmaßregeln gibt. Das konnte mir im Zusammenhang mit der Revolutionären 1.-Mai-Demonstration niemand zusichern. Und die Verantwortung für etwas zu übernehmen, wo zumindest ein Teil der Mitwirkenden nicht wünscht, die eigene Verantwortung zu definieren, ist nicht mein Ding.
Würdest Du denn auch meinen, daß für den Genossen Kyrill Jermak, Lichtenberger Bezirksverordneter der LINKEN, der die Demonstration angemeldet hatte, ein Parteiausschluß in Betracht gezogen werden könnte oder gar – wie die CDU-Fraktion es fordert – daß er sein Mandat niederlegen sollte?
Klaus: Ich verfüge über jahrzehntelange, reiche politische Erfahrungen, nicht zuletzt in puncto Demonstrationskultur. Ich habe in den vergangenen Jahren über hundert Demos angemeldet. Wenn ein junger Genosse eine Situation aus Unerfahrenheit nicht realistisch genug einschätzt, muß man das mit ihm auswerten und das war’s dann. Es geht um den jungen Genossen und nicht um die Befriedigung der veröffentlichten Meinung oder gar der CDU.
Welche Sicherheiten gibt es eigentlich bei der Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung für deren friedlichen Verlauf?
Ellen Brombacher: Das hängt nicht nur – nicht einmal in erster Linie – von den Demonstranten ab. Aber – und das haben wir uns im Bündnis über die Jahre als Standpunkt erstritten – wir gehen davon aus, daß eine friedlich verlaufende Demonstration politisch wirksamer ist als eine von Zwischenfällen geprägte oder auch nur begleitete. Die Gründe liegen auf der Hand: Zum einen: Es kommen auch Menschen, die nicht kämen, hielten sie Auseinandersetzungen mit der Polizei für wahrscheinlich, zum Beispiel welche mit Kindern oder auch Ältere. Zum anderen: Medien wird es erschwert, Widerstand auf Vorkommnisse zu reduzieren, die auch bei Menschen auf Ablehnung stoßen, welche mit den Zielen einer linken Demonstration durchaus sympathisieren.
Wenn in Frankreich also wütende Arbeiter Manager festsetzen oder Barrikaden errichten, so lehnst Du das ab?
Ellen: Wenn Menschen, denen ihre Existenzgrundlage unter den Füßen weggezogen wird, zu militanten Formen greifen, um zu demonstrieren, daß sie die Grausamkeiten des Kapitals nicht ohne weiteres hinnehmen, werden sie bei vielen anderen, die in einer ähnlichen Lage sind oder mit Ähnlichem rechnen müssen, auf Verständnis stoßen. Und dann ist das in Ordnung. Was ich persönlich nicht begreifen kann und will, ist eine Art Gewalt um der Gewalt willen. Warum zündet man Leuten willkürlich Autos an oder zwingt kleine Ladenbesitzer in Kreuzberg, ihre Schaufenster sonst wie dicht zu machen? Da sind welche frustriert, richtig. Aber das ist doch kein akzeptabler Grund für sinnlose Randale. Die stößt Leute ab. Das ist in einer Situation wie der jetzigen besonders sträflich, da die Linken auf die Politisierung breiter Massen setzen müssen. Die griechische KKE ist dafür angegriffen worden, daß sie sich gegen Randalierer während der Massenproteste in Griechenland aussprach. Wenn sich welche gegen das System stellten, so der Vorwurf von links außen, müsse man sich auf jeden Fall solidarisch erweisen. Ich halte dies für eine ziemlich fragwürdige Position: Wenn Sinnlosigkeiten Steilvorlagen für die Herrschenden bieten und Agents provocateurs beste Wirkungsmöglichkeiten, erhebt sich die Frage, ob derartiger Schwachsinn systemgefährdend oder -stabilisierend ist.
Ihr meint also, manches Vorkommnis bei Demos sei im Interesse derer, die dann die Prügelorgien seitens der Polizei befehlen?
Klaus: Das ist die bestmeinende Auslegung. Anders gesagt: Eure Frage geht davon aus, daß aus Unüberlegtheit Dinge geschehen, die den Hardlinern bei Polizei, VS und anderen zupaß kommen. Ich denke, wir haben es darüber hinaus auch mit Agents provocateurs zu tun. Aber – weg von Spekulationen. Ich beschreibe jetzt in aller Sachlichkeit, was ich am 1. Mai in Berlin-Kreuzberg, Muskauer/Ecke Pücklerstraße beobachtet habe. In Berlin gibt es ein generelles Vermummungsverbot. In der Muskauer Straße befanden sich zwischen vierzig und fünfzig perfekt vermummte, zum Teil auch mit Fahrradhelmen geschützte Personen, dem Anschein nach Autonome. Sie standen Polizeibeamten gegenüber, die weder über Schlagstöcke noch Schilder verfügten. Sie bewarfen die Polizisten aus fünf bis zehn Metern Entfernung mit Böllern und Pflastersteinen, allerdings ohne zu treffen. Die Wurfgeschosse landeten über den Köpfen der Beamten an Häuserwänden und in Fenstern. Nicht beschädigt wiederum wurden die Filialen von Schlecker, Allianz und der Sparkasse. Dafür wurde ein Blumenladen – wie es in der Sprache der einschlägigen "Spezialisten" heißt – entglast. Das Ganze wurde von ausnahmslos mit Fahrradhelmen ausgerüsteten Fotografen und Kameraleuten dokumentiert. Meist sind mir bei Demonstrationen einige Fotografen bekannt. Hier war nicht ein mir bekanntes Gesicht darunter. Alles in allem hat die Polizei anders reagiert als sonst in vergleichbaren Situationen bzw. dann später an diesem 1. Mai. Bis verstärkende Polizeieinheiten eintrafen, vergingen fünfunddreißig Minuten. Ich will es bei dieser Schilderung belassen – ohne Kommentar.
Ist auch nicht nötig. Warum das Ganze?
Klaus: In der Vergangenheit gab es nicht nur eine innenpolitische Option im Umgang mit Demonstrationen. Es gab immer jene – wie Schönbohm oder Werthebach es in Berlin demonstrierten –, bei denen die Schwelle niedrig lag, das Gewaltmonopol des Staates einzusetzen. Zugleich gab und gibt es durchaus Protagonisten einer Deeskalationsstrategie. Ich habe das bestimmte Gefühl: Von Letzterem wollen die innenpolitischen Hardliner weg. Keiner weiß, was in den nächsten Monaten – hervorgerufen durch die Weltwirtschafts- und Finanzkrise – an sozialen Verwerfungen auf uns zukommt. Kürzlich dokumentierte die junge Welt Auszüge aus einem Interview, welches Eric Hobsbawm dem STERN gegeben hatte. Hobsbawn führte aus: "Niemand bekam in den 1930er Jahren die Krise wirklich in den Griff. Und heute – obwohl sich Geschichte nicht wiederholt – ist es ähnlich dramatisch wie damals, nein schlimmer: Keine Regierung weiß, was sie tun soll. ... Alles ist möglich. Inflation, Deflation, Hyperinflation. Wie reagieren die Menschen, wenn alle Sicherheiten verschwinden, sie aus ihrem Leben hinausgeworfen, ihre Lebensentwürfe brutal zerstört werden? Meine geschichtliche Erfahrung sagt mir, daß wir uns – ich kann das nicht ausschließen – auf eine Tragödie zubewegen. Es wird Blut fließen, mehr als das, viel Blut, das Leid der Menschen wird zunehmen, auch die Zahl der Flüchtlinge. Und noch etwas möchte ich nicht ausschließen: einen Krieg, der dann zum Weltkrieg werden würde – zwischen den USA und China". "Das ist doch Unsinn", kommentierte der Interviewer. Mag sein, dem Journalisten fehlt es an Fantasie. Die Herrschenden bereiten sich auf alle Eventualitäten vor.
Keiner weiß, welches Maß an Widerstand sich entwickeln wird und in welcher Form. Da wollen schon vorher welche vergessen machen, daß es einmal so etwas wie Sicherheitspartnerschaft zwischen Demonstrierenden und der Polizei gab. Am liebsten würden sie das Demonstrationsrecht überhaupt abschaffen. Entsprechend entwickelten sich die Abläufe 2008 in Heiligendamm, unlängst in Strasbourg oder Kehl und eben auch am 1. Mai in Berlin. Selbstverständlich lag die Verantwortung für die Exzesse wesentlich bei den staatlichen Organen. Aber, denen kann man ein Eingreifen erschweren oder erleichtern. Wir – ich meine hier das LL-Bündnis und im speziellen die Kommunistinnen und Kommunisten meiner Partei, der DKP, wie auch der Kommunistischen Plattform der LINKEN – werden jedenfalls alles dafür tun, daß Provokateure und Dummköpfe bei uns kein leichtes Spiel haben.
Mehr von Ellen Brombacher in den »Mitteilungen«:
2009-05: Günter Gaus zum Gedenken
2009-03: Das Schweigen aber ... es ist keine Alternative
2009-03: So dachten schon einmal welche ...