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Kommunistische Plattform der Partei Die Linke

Wir geben es unumwunden zu!

Erklärung des KPF-Bundessprecherrates zum Bielefelder Parteitag

In Bielefeld kündigte Genosse Gregor Gysi an, im Herbst nicht erneut für den Fraktionsvorsitz der LINKEN zu kandidieren. Die KPF weiß um die außerordentlichen Verdienste Gregor Gysis. Anfang der neunziger Jahre ging es um die bloße Existenz unserer Partei. Groß ist auch Gregors Anteil an der Fusion von PDS und WASG zur LINKEN; Die gesamte Entwicklung unserer Partei in den vergangenen fünfundzwanzig Jahren ist ohne ihn so nicht vorstellbar. Es ist eine Lebensleistung, der unser Respekt gebührt und unser Dank.

Doch wollen wir redlich sein, so können wir es nicht bei diesen Worten im Zusammenhang mit dem Bielefelder Parteitag belassen. Es muss ausgesprochen werden: Der Respekt vor Gregors Lebensleistung wurde in Bielefeld de facto auch zu einem Schleier. Der legte sich über die tiefen Differenzen, die es in der LINKEN im Verhältnis zu programmatischen Fragen und somit auch zu Grundfragen der täglichen Politik der Partei gibt. Dafür trägt nicht Gregor Gysi allein die Verantwortung, wenngleich dadurch, dass er den Parteitag faktisch beendete, keine Debatte zu den von ihm aufgeworfenen substantiellen Fragen mehr möglich war. Die aber wäre notwendig gewesen. Doch die Parteitagsregie hat wohl nicht er zu verantworten.

Der Parteitag begann am Sonnabend um 12:00 Uhr, ging zunächst bis 23:00 Uhr und wurde am Sonntag von 9:00 bis gegen 14:30 Uhr fortgesetzt. In diesem knappen Zeitrahmen wurden die Bundesschiedskommission und die Bundesfinanzrevisionskommission gewählt sowie vier Schwerpunktthemen in jeweils gesonderten Tagesordnungspunkten behandelt: Für eine starke LINKE … / Generalaussprache zum Leitantrag; Diskussion über Modelle eines emanzipatorischen Grundeinkommens; Diskussion zur Kommunalpolitik sowie zur Kampagne der Partei »Das muss drin sein«. Die meiste Zeit im Rahmen dieser vier Tagesordnungspunkte nahmen die offiziellen Reden, Begrüßungsansprachen sowie die gesetzten Redebeiträge ein. So blieben von der ohnehin viel zu knapp bemessenen Zeit für die Generaldebatte nur vierzig Minuten für nicht gesetzte, ausgeloste Delegiertendiskussionsbeiträge (Redezeit jeweils vier Minuten). Der Redebedarf wäre etwa vier- bis fünfmal so hoch gewesen. Geht es doch gerade in der Generaldebatte zum Leitantrag naturgemäß um essentielle Fragen: So zum Beispiel um das Verhältnis der Partei zu Regierungsbeteiligungen und zur Staatsräson, um den Ukraine-Konflikt oder um Griechenland. Widersprüche kamen nur sehr bedingt zum Tragen. Das hing natürlich nicht zuletzt mit dem bereits erwähnten Fakt zusammen, das die Rede von Gregor Gysi faktisch den Parteitag abschloss. Seine dort zur Regierungsbeteiligung und zu den roten Haltelinien geäußerten Positionen stellen wesentliche Programmpunkte infrage, ebenso seine Äußerungen zum Kapitalismus. Die Parteiprogrammatik geht davon aus, dass der Kapitalismus als System überwunden werden muss, was natürlich nicht bedeutet, auf den Kampf um Verbesserungen innerhalb dieses Systems zu verzichten. Gregor Gysi formulierte: »Wenn wir sozialistisch bleiben wollen, müssen wir erklären, was uns und warum am Kapitalismus stört, auch was uns nicht stört, sondern im Gegenteil gut ist, und wie man das Störende überwinden und das andere erhalten kann.«

Es ist ungesund für die innerparteiliche Demokratie und die Standpunktfindung, wenn solche Aussagen möglich sind, ohne die gleichzeitige Möglichkeit, sich damit direkt auseinanderzusetzen. Wenn der Mangel an Debattenzeit dann noch »ergänzt« wird durch die Nichtbehandlung sehr vieler Anträge, darunter der Offene Brief an Michael S. Gorbatschow und der von Genossen Wolfgang Gehrcke initiierte Antrag »Gute Nachbarschaft mit Russland«, erhebt sich die Frage, in welchem Maße der Parteitag seiner Rolle als Souverän überhaupt gerecht werden kann. Schnell entsteht so ein verzerrtes Bild der in der Partei vorhandenen realen Tendenzen, welches Medien dann als das reale Bild interpretieren. Das kann auch nicht allein dadurch korrigiert werden, dass z.B. in den Reden von Katja Kipping und Bernd Riexinger, besonders aber in der von Sahra und ebenso in den Ausführungen zum Beispiel von Tobias Pflüger, Christiane Reimann, Claudia Heydt, Sabine Lösing oder Ellen Brombacher und Carsten Schulz gefordert wurde, die friedenspolitischen Prinzipien der LINKEN ohne Wenn und Aber zu bewahren.

Es bleibt, dass z.B. folgende Passage aus der Rede von Gregor Gysi völlig unwidersprochen bleiben musste: »Es gibt bei uns viele, die eine Regierungsverantwortung anstreben, und es gibt solche, die sie nicht wollen. Letztere können das aber nicht zugeben und werden nur für sehr viele rote Haltelinien streiten, die man auf gar keinen Fall unterschreiten dürfe, in der Hoffnung, dass SPD und Grüne schon an der zweiten Haltelinie scheitern. Wir können und sollten auch auf Bundesebene regieren wollen, und zwar selbstbewusst, mit Kompromissen, aber ohne falsche Zugeständnisse. (...)«

Die Formulierung, es gäbe bei uns viele, die eine Regierungsverantwortung anstrebten, und es gäbe solche, die sie nicht wollten, suggeriert, eine Mehrheit wünsche die rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene. Das ist sehr anzuzweifeln und sollte an der Basis der Partei verifiziert werden. Was aber auf keinen Fall korrekt ist, ist Gregors Feststellung, die eine Regierungsverantwortung im Bund Ablehnenden könnten das nicht zugeben. Wir geben das unumwunden zu. Und unsere Ablehnung ist nicht abstrakt, sondern ein Ausdruck von politischem Realismus. Niemand in dieser BRD ist koalitionsfähig, der Probleme mit der Staatsräson, also mit den Bündnisverpflichtungen in NATO und EU hat. Die LINKE hat Probleme mit der Staatsräson, indem sie Auslandeinsätze der Bundeswehr ablehnt und eine ebenso ablehnende Haltung zur NATO und den militärischen Strukturen der EU einnimmt. In dieser Frage kann es keine Kompromisse geben, wenn die Partei ihrer Verantwortung gerecht werden will. Kriegsbefürwortende Parteien gibt es genug im Land. Es gibt auch noch weitere Gründe, keine Regierungskoalition auf Bundesebene anzustreben. Aber gäbe es »nur« diesen hier erwähnten, er reichte aus. Wir suchen mit unserem strikten Festhalten an den friedenspolitischen Prinzipien nicht nach Gründen, die uns eine Koalitionsablehnung ermöglichen, sondern wir halten eine strikte Ablehnung von Auslandsbundeswehreinsätzen und Rüstungsexporten für bedeutend wichtiger als eine Regierungsbeteiligung.

Und noch etwas: Dass es um die Veränderung unserer Außenpolitik geht, wird von jenen, die sich die Regierungsbefürworter in unserer Partei als Koalitionspartner wünschen, immer wieder in aller Deutlichkeit gesagt. So äußerte die Grünen-Vorsitzende Peter nach dem Bielefelder Parteitag, im Notfall müssten auch Militäreinsätze erlaubt werden: »Darüber muss sich auch die Linkspartei in der Perspektive klar werden – dann kann man auch miteinander regieren.« Und Peter an anderer Stelle: Zwar sei das Personal »natürlich schon wichtig. Aber wichtiger wird sein, wie sich die Linkspartei grundsätzlich aufstellt.« Sie müsse klären, ob sie weiter »Fundamentalopposition« machen wolle oder sich darauf vorbereite, 2017 mitregieren zu wollen. Wir jedenfalls halten eine grundsätzliche und kluge Oppositionspolitik nicht nur für angebracht, sondern für dringend notwendig, nicht zuletzt, weil wohl nichts dafür spricht, dass SPD und Grüne sich unseren Positionen soweit annähern würden, dass es nicht nur zu einem beschworenen, sondern zu einem realen Politikwechsel käme.

Abschließend soll noch einmal von der bereits erwähnten Nichtbehandlung von Anträgen auf dem Bielefelder Parteitag die Rede sein. Dass es zeitlich mehr als ungünstig gewesen wäre, am Sonntag gegen 14:30 Uhr noch weitere 20 Anträge zu behandeln und sie somit an den Parteivorstand überwiesen werden mussten, liegt auf der Hand. Dass eine solche Situation zustande kam, war unnötig und der bereits eingangs kritisierten Parteitagsregie geschuldet. Und wir gehen noch einen Schritt weiter. Die Vorgänge um den Offenen Brief im Vorfeld des Parteitages lassen uns zu dem Schluss gelangen: Die Nichtbehandlung dieses Antrages war politisch gewollt. Vermutlich trifft das auch für den Antrag »Gute Nachbarschaft mit Russland« zu. Die Abstimmungen über diese beiden Papiere hätten Stimmungen und Kräfteverhältnisse bloßgelegt. Natürlich gab es für deutlich antikapitalistische und antimilitaristische Reden viel Zustimmung. Aber die gab es eben auch für Redner, deren Positionen zu den friedenspolitischen Prinzipien der Partei nicht mehrheitsfähig sind. Bodo Ramelow zum Beispiel fand sehr bewegende Worte zur Flüchtlingspolitik in Thüringen und nicht ein einziges zu seiner Medien-Positionierung kurz vor Bielefeld, die Partei müsse ihr Verhältnis zur Bundeswehr klären. Auch hier zeigte sich: Gute Rhetorik hat fast immer auch eine Eigenwirkung. Bei Abstimmungen ist das etwas anderes. Da werden Differenzen messbar. Das war offensichtlich in der Russland-Ukraine Frage nicht gewollt. Denn diese Frage berührt wiederum die Staatsräson, die Bündnisverpflichtungen der BRD in NATO und EU. Und diesbezüglich sollte auf dem Parteitag eher alles im Unverbindlichen verbleiben. Das entspricht inhaltlich durchaus den geäußerten Wünschen nach einer Regierungsbeteiligung 2017. Dass diese Unverbindlichkeit möglich wurde, hatte auch mit der Erklärung der Fünfunddreißig vom 22. Mai 2015 etwas zu tun. Dort war die Rede davon, eine Abstimmung des Offenen Briefes auf dem Parteitag sei nicht mehr nötig. Die KPF hat dagegen Einspruch erhoben, und wir sind auch auf dem Parteitag unverrückbar bei unserer Position geblieben. Es ist unsere Überzeugung: Der Umgang mit dem Offenen Brief hatte seine tieferen Ursachen in dem Wunsch der Regierungsbefürworter, SPD und Grüne nicht zu verschrecken. Dies ist nicht der Wunsch der Fünfunddreißig. Aber – und das muss hier der Ehrlichkeit halber gesagt werden – sie haben sich dem Druck gebeugt.

Fazit: Der Bielefelder Parteitag wurde stark geprägt durch das, wie im ND formuliert, politische Vermächtnis Gregor Gysis: »keine Angst vorm Regieren«. Die notwendige kontroverse Debatte zu dieser Frage musste auf dem Parteitag weitgehend ausbleiben. Doch spätestens jetzt muss sie geführt werden.