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Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE

Referat des Sprecherrates auf der 14. Bundeskonferenz

Ellen Brombacher, Berlin (Berichterstatterin)

Liebe Genossinnen und Genossen, anläßlich der ersten Lesung des Haushaltes 2009 äußerte Minister Peer Steinbrück im Deutschen Bundestag: "Die Wirtschaftskonjunktur dreht in einen Abschwung – das ist richtig –, und damit springt die Konjunktur von Untergangspropheten und Krisenpredigern an." An dem Tag, da er dies verkündete, am 16. September 2008, hatte der teuerste je gedrehte deutsche Film "Der Bader-Meinhoff-Komplex" Premiere. Nicht, um diesen Film a priori zu denunzieren – ohnehin kann sich jeder sein eigenes Urteil bilden – sondern weil es einfach Fakt ist, sei hier erwähnt: Der Produzent des B-M-K ist Bernd Eichinger. Jener, der auch den Streifen "Der Untergang" fabrizierte. Im "Untergang" konnten wir lernen, daß führende Nazis auch nur Menschen sind – selbst Hitler. Und wir lernten noch etwas Wichtigeres. Da Nazis auch nur Menschen sind und kein Mensch vom Bösen frei, hat jeder von uns das Zeug, ein Massenmörder zu werden. Ein solcher wiederum kann durchaus sympathische Züge haben. Selbst SS-Ärzte werden zu Helden, wenn es gilt, Volksgenossen zu operieren. Da kann schon einmal weggelassen werden, daß der im Film agierende stellvertretende Chef des NS-Hygieneinstituts an Häftlingsversuchen beteiligt war. Und Speer erst. Was für ein Schöngeist, wie besorgt um die deutsche Bevölkerung. Eichinger brach ein Tabu, indem er Völkerschlächtern ein auch menschliches Antlitz verlieh. Jetzt will er einem – angeblichen – Mythos den Garaus bereiten; dem der RAF! Und er will mehr: Sein Film, so heißt es in den Medien, soll jeder Revolutionsromantik ein Ende bereiten. Nun wird kaum jemand dem Eindruck verfallen sein, in deutschen Landen griffe diese schon um sich.

Um sich greift allerdings der Zweifel: In Anbetracht der weltweiten, auch Deutschland täglich beängstigender erfassenden Krise, in Anbetracht der mörderischen Kriege, in Anbetracht des globalen Elends! 1,2 Milliarden Menschen sind in der Armutsfalle gefangen, 923 Millionen leiden an Hunger, und elf Millionen Kinder sterben jedes Jahr. Um sich greift der Zweifel – in Anbetracht der Umweltkatastrophen und der allgemeinen Dehumanisierung. Es ist der Zweifel, ob der Kapitalismus in der Lage ist, noch irgendein Menschheitsproblem zu lösen. Und das Zweifeln kann gefährlich werden. Da braucht man die Eichingers, Springers, Bertelsmänner und wie sie alle heißen gleich doppelt: Um Nazis zu verniedlichen und Revolutionäre zu entmenschlichen. Und da kommt die RAF zupaß. Deren Vorstellungen von revolutionärer Idee und Praxis waren und bleiben abschreckend, und der BILD-Zeitungs-gebeutelte Bundesbürger wiederum hat keine anderen von der Revolution. Und für Menschen, die mit Revolutionärsein mehr verbinden als individuellen Terror, den schon Lenin zurückwies, hat Stefan Aust, der Autor des Buches zum Film, ein differenzierteres Konstrukt zu bieten. Zu Ulrike Meinhof merkt er an: "Sie war Mitglied der damals illegalen KPD und hat ihre Arbeit schon sehr früh diesem Weltbild untergeordnet." Und schon sind wir mitten im heutigen Alltag. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer warnt, die Linkspartei versuche, Menschen in einer Leistungsgesellschaft, die zu mehr Ungleichheit führe, mit Versprechungen zu ködern. "Wir müssen", so Böhmer wörtlich "diesen Menschen klar machen, daß die Versprechungen der Linken in Wahrheit unerfüllbar sind." Hier schließt sich der Kreis. Der Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit – eine voluntaristische Vorstellung. Womöglich gar Revolutionsromantik. Und so soll funktionieren, daß jeder Gedanke an die Überwindung des kapitalistischen Systems sich nicht nur für den Kleinbürger mit dem Schrecken vor den RAF-Protagonisten verbindet. Wie praktisch für das System. Hätte es die RAF nicht gegeben, man hätte sie erfinden müssen. Der sogenannte Antiterrorismus und der Antikommunismus sind Hauptsäulen der bürgerlichen Ideologie. Und je unerträglicher der Kapitalismus, desto aggressiver wird seine Ideologie. Besonders mit ihr haben wir uns auseinanderzusetzen. Außer den Kommunisten und Marxisten wird dies kaum jemand tun. Die bürgerliche Ideologie wird zuvörderst über die Massenmedien transportiert. Fidel Castro hat hierzu in seinen Memoiren festgestellt: "Als die Massenmedien aufkamen, haben sie sich des Geistes bemächtigt, und sie steuern nicht nur Lügen, sondern auch konditionierte Reflexe. Eine Lüge ist nicht das Gleiche wie ein konditionierter Reflex. Die Lüge beeinträchtigt das Wissen, der konditionierte Reflex beeinträchtigt die Fähigkeit zu denken. Und es ist nicht das Gleiche, ob man desinformiert ist oder ob man die Fähigkeit zu denken verloren hat, weil die Reflexe Deinen Verstand dominieren: ‚Der Sozialismus ist schlecht, der Sozialismus ist schlecht, er nimmt Dir das Sorgerecht, er nimmt Dir das Haus, er nimmt Dir die Frau.’ Und alle Unwissenden, alle Analphabeten, alle Armen und Ausgebeuteten wiederholen: ‚Der Sozialismus ist schlecht, der Sozialismus ist schlecht’. So bringt man den Papageien das Sprechen, den Bären das Tanzen und den Löwen eine respektvolle Verbeugung bei."

Doch gerade unsere heutige Welt braucht keine vom Kapital dressierten Massen. Gebraucht werden Menschen, die sich ihrer Lage bewußt werden und bereit sind, die Verhältnisse zu verändern. Auch hier sei noch einmal Fidel Castro zitiert. In Reflexionen "Die Laster und die Tugenden", datiert vom 20. 9. 2008, sagt er: "Der Kampf ist gegenwärtig der einzig mögliche Weg für die Völker, um eine Gemeinschaft zu erreichen, in der man mit sozialer Gerechtigkeit und Würde leben kann, d.h. das Gegenteil des Kapitalismus und der Prinzipien, die dem widerlichen und ungerechten System zugrundeliegen. Im harten Kampf um die Erreichung dieser Ziele ist der egoistische Instinkt des Menschen der schlimmste Feind. Wo der Kapitalismus die ständige Nutzung dieses Instinkts bedeutet, ist der Sozialismus der unaufhörliche Kampf gegen diese natürliche Tendenz." Mit anderen Worten, liebe Genossinnen und Genossen, Kommunisten müssen gerade jetzt für drei Dinge einstehen: Aufklärung, Kampfbereitschaft und Solidarität!

Marxistisch die Welt verstehen und handeln

Liebe Genossinnen und Genossen, vor nicht einmal drei Wochen wählten die Vereinigten Staaten von Amerika Barack Obama zum neuen Präsidenten. Zweifelsfrei ist dieses von der Mehrzahl der Wähler abgegebene Signal ein progressives. Die Obama-Wähler wollen, daß die verkommene und in jeder Hinsicht aggressive Politik der Ära Bush ein Ende findet. Die Zeit wird zeigen, in welchem Maße Obama eine verantwortungsvollere Politik betreiben will und kann. "Es wäre schon sehr naiv zu glauben, daß die guten Absichten eines intelligenten Menschen ändern könnten, was Jahrhunderte der Interessen und des Egoismus geschaffen haben", kommentierte Fidel Castro. "Man sollte", so einer der ARD-Kommentatoren am Wahlmorgen, "nicht der Illusion verfallen, mit einem neuen Gesicht im Weißen Haus ändere sich die amerikanische Interessenlage". "Eine neue Zeit amerikanischer Führungskraft dämmert herauf", sagte Obama in seiner Siegesrede nach dem Wahltriumph. Rainer Rupp schrieb am Wahltag in der jW: "Das US-Kapital hat sein (Obamas) Potential erkannt, zum Motor eines neuen, die US-Gesellschaft einenden Projektes zu werden, und versucht entsprechend, ihn zu umarmen. Und doch kann der von Obama vielfach versprochene ‚Change’, der von vielen erhoffte Wandel, ... nicht von vornherein ausgeschlossen werden". Wir werden sehen.

Liebe Genossinnen und Genossen, in weniger als einem Jahr wird in der BRD ein neues Parlament gewählt. Wir leben – auch im Angesicht der US-amerikanischen Veränderungen – in einer weltpolitischen Situation, da kaum jemand sagen kann, was in diesem – historisch betrachtet – kurzen Zeitraum geschehen wird. Wird es Krieg geben, mit dem Iran? Und welche Waffen würden dann eingesetzt? Die Kriegspläne gegenüber dem mittelöstlichen Land sind, wie jüngst aus der Washington Post zu entnehmen war, nicht ad acta gelegt, sondern vielmehr sehr konkret. Zu der Gruppe Politiker, die ein entsprechendes Papier namens "Meeting the Challenge – U.S. Policy toward Iranian Nuclear Development" vorgelegt haben, gehören auch solche aus dem Beraterkreis von Obama. Wie wird es weitergehen im Irak und in Afghanistan? Werden deutsche Truppen in den nächsten Jahren aus Afghanistan abgezogen oder deren sogenanntes Engagement abermals verstärkt? Welche Politik wird die US-Administration gegenüber Rußland und China betreiben? Wartet in den nächsten Monaten eine weitere Zuspitzung der internationalen Finanzkrise auf uns, oder wird es ein weiteres Mal gelingen, das unheilvolle Platzen einer Spekulationsblase unter Kontrolle zu bekommen, bis die nächste, größere Blase platzt? Wozu wird sich die konjunkturelle Abkühlung in den Industrieländern ausweiten? Der Internationale Währungsfonds jedenfalls erklärte am 7. November, die Welt stünde vor der schlimmsten Rezession nach dem II. Weltkrieg. Das ist die vornehme Umschreibung der Vermutung, daß sich eine Weltwirtschaftskrise anbahnt, die der von 1929/30 ebenbürtig sein wird oder schlimmer gar. Die ersten Ausläufer haben Deutschland erreicht; denken wir nur an Opel und BASF. Noch einmal sei Rainer Rupp zitiert: "Trotz aller offiziellen Beschwichtigungsversuche ist das neoliberale Wirtschaftscredo, das in den vergangenen Jahren zum Sieger über Kommunismus und Sozialismus verklärt wurde, nun entmystifiziert und schwer angeschlagen". Soweit Rupp. Was wir in dieser Situation sicher wissen, ist: Die gesamten drohenden Verluste der Banken, Versicherungen und womöglich auch der Fonds, gehen in den "Besitz" der Allgemeinheit über. Das Systemrisiko übernimmt der Staat, sprich der Steuerzahler. In bisher nichtgekannter Dimension gilt: Gewinne werden privatisiert, Verluste vergesellschaftet. In der Sache Gleiches wird sich in der sogenannten Realwirtschaft abspielen. Unabsehbar die sozialen Konsequenzen. Was geschieht, wenn die sozialen Verwerfungen Ausmaße annehmen, die es dem Kapital nicht mehr erlauben, auf die verbliebenen Reste der bürgerlichen Demokratie zu setzen? Kryptisch zwar, aber doch nicht völlig unverständlich hieß es auf dem SPD-Sonderparteitag am 19. 10. 2008, die Welt stehe vor einer zweiten Phase der Globalisierung. Diese, die politische Globalisierung, stelle die Demokratie ernsthaft auf die Probe und womöglich vor eine Zerreißprobe. Der Begriff politische Globalisierung schließt demzufolge die reale Möglichkeit ein, daß das Kapital international zunehmend auf die totalitäre Variante der Machtausübung setzt. Sind die faschistoiden Entwicklungen in Italien zeitweiliges Extrem oder – wie übrigens schon einmal – Vorbote?

Andererseits: Wie geht es mit der revolutionären Entwicklung in Lateinamerika weiter? Was wird aus Reformen in Kuba, was aus Morales in Bolivien, aus Correa in Ecuador und mit Chávez in Venezuela? Fragen über Fragen. Wollen wir Antworten finden und geben, so können wir uns auch auf Eric Hobsbawm berufen. "Kein Sozialist", so Hobsbawm, "kann auf die Ideen von Marx verzichten, da seine Überzeugung, daß auf den Kapitalismus eine andere Form der Gesellschaft folgen muß, nicht auf Hoffnung oder Willen beruht, sondern auf einer ernsthaften Analyse der historischen Entwicklung, besonders der kapitalistischen Ära. Seine aktuelle Vorhersage," so Hobsbawn weiter zu Marx, "daß der Kapitalismus durch ein gesellschaftlich geleitetes und geplantes System ersetzt werden wird, erscheint immer noch begründet, auch wenn er sicherlich die Marktelemente unterschätzte, die in jedem nach-kapitalistischem System überleben würden." Auf die Frage, warum es heute wichtig sei, Marx zu lesen, antwortet Hobsbawm, er solle gelesen werden, "weil – wie er selbst schrieb, die Welt nicht verändert werden kann, wenn man sie nicht verstanden hat". Heute marxistisch zu handeln bedeutet wesentlich, Menschen zu helfen, die Welt zu verstehen, wider die Mainstream-Medien, deren Aufgabe in der Anti-Aufklärung besteht.

Programmbausteine der KPF vorgelegt

Wie wird – unter diesen konkreten Umständen – unsere Partei Die LINKE in das Wahljahr 2009 gehen? 2009 fallen an vier Sonntagen 15 Entscheidungen. Am 18. Januar ist die Hessenwahl. Am 7. Juni steht die Wahl des Europaparlaments im Vordergrund. Am selben Tag finden Kommunalwahlen in acht Bundesländern statt, nämlich in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Am 30. August stehen Wahlen in drei Bundesländern an: Im Saarland, in Thüringen und Sachsen. Am 27. September schließlich finden die Bundestagswahlen statt. Am gleichen Tag wird in Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. Bereits im Juli dieses Jahres forderte der Bundesgeschäftsführer alle Zusammenschlüsse auf, die Erarbeitung des Bundestagswahlprogramms durch ein knappes Arbeitsmaterial zu unterstützen. Der Bundessprecherrat kam dieser Aufforderung nach, und wir haben das Dietmar Bartsch übermittelte Material im heutigen Referat bzw. im Beschlußantrag mit verarbeitet.

"Unter welchen sozial-ökonomischen Bedingungen im Land wird Politik in den kommenden vier Jahren voraussichtlich stattfinden? Wovon sollten die Wahlprogramme ausgehen? Welche gesellschaftlichen Großthemen sollten im Mittelpunkt unseres Wahlprogramms stehen? Und: Wie sind die politischen Kräfteverhältnisse im Wahljahr 2009 einzuschätzen?" Zu diesen Fragen teilten wir unsere Auffassungen mit. Die sozial-ökonomischen Bedingungen in Deutschland werden sich besonders für die sozial Schwachen und all jene, denen dieses Schicksal bevorsteht, weiter spürbar, möglicherweise einschneidend negativ verändern (damit sind in erster Linie die Beschäftigten – besonders im Niedriglohnsektor – gemeint, ebenso die Bezieher von ALG II, des weiteren die sogenannten Aufstocker, die Leiharbeiter, die Empfänger von Grundsicherung, die von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz Lebenden, sowie jene nicht aus begüterten Elternhäusern kommenden Studierenden, denen bestenfalls BaFög-Leistungen zur Verfügung stehen und – gemeint sind nicht zuletzt die Empfänger von kleinen Renten). Die zunehmend das kapitalistische System in Gänze erfassende Hypotheken-, Finanz- und Wirtschaftskrise wird – je nach weiterem Verlauf – Millionen Existenzen zerstören, den Mittelstand weiter dezimieren und die allgemeine Existenzunsicherheit und -angst erheblich verbreitern und vertiefen. Gerade in diesem Klima wird der Druck auf die Löhne noch mehr zunehmen, werden diese noch mehr unter den Wert der Ware Arbeitskraft sinken und demzufolge werden sich die Verwertungsbedingungen für das Kapital letztlich entsprechend verbessern. Der sogenannte, faktisch schon wieder beendete Aufschwung, der zum bloßen Aufschwung der Profitmaximierung geworden ist, ist natürlich nicht unten angekommen. Vielmehr ist die Tatsache, daß der sogenannte Aufschwung mittlerweile dort nicht ankommt, seine natürliche Voraussetzung. Um so wichtiger die Realisierung der Forderung nach Mindestlöhnen, nach Rücknahme des Rentenbeginns ab siebenundsechzig, nach Abschaffung bzw. Verzicht auf Studiengebühren und der anderen bekannten sozialen Forderungen der LINKEN. Die nachfolgenden Fakten sprechen für sich: Der Zuwachs an Wirtschaftsleistung ist in den vergangenen drei Jahren ganz überwiegend den Beziehern von Gewinn- und Vermögenseinkommen zugeflossen. Insbesondere die Unternehmen konnten ihre Gewinne stark steigern. Die realen Nettolöhne je Beschäftigten sind dagegen im zu Ende gehenden Aufschwung insgesamt um 3,5% gesunken – ungeachtet der besseren Lohnentwicklung in den vergangenen Monaten. Trotz eines Beschäftigungsanstiegs um 3,3% verringerte sich das reale Nettolohneinkommen aller Beschäftigten zusammengenommen um 0,3%. Das reale Einkommen eines Vierpersonenhaushaltes mit einem Alleinverdiener sank während der 13 Aufschwungquartale um 3,5%, das eines Ein-Personen-Haushalts ging um 2,6% zurück. Derartige Reallohnverluste in einer Phase wirtschaftlicher Prosperität sind neu: Im vorherigen Aufschwung, der elf Quartale zwischen 1998 und 2001 umfaßte, stiegen die realen Nettolöhne pro Kopf noch um 4%. Die Ergebnisse einer neuen Studie des Institutes Arbeit und Qualität (IAQ) besagen, daß die durchschnittlichen Stundenlöhne von 1995 bis 2006 zwar nominal um 8,2% stiegen, unter Berücksichtigung der Preissteigerungen allerdings stagnierten. So sanken laut der IAQ-Studie die Brutto-Stundenlöhne im Bevölkerungsviertel mit den geringsten Einkommen in diesem Zeitraum um 4,8%, während sie im obersten Viertel um 12,3% zulegten. Inflationsbereinigt gab es im untersten Viertel sogar Bruttolohnverluste von 13,7%. Als Folge davon sank der Anteil der Gruppe mittlerer Einkommensbezieher an allen Beschäftigten, der 1995 noch bei gut 63% lag, bis 2006 um elf Prozentpunkte. Gleichzeitig hat die Niedriglohnbeschäftigung rapide zugenommen. Die gesamte Niedriglohnquote – unter zwei Dritteln des mittleren Lohnes – stieg in dem Zeitraum von 15 auf 22,2% der Beschäftigten. Zuletzt gehörten schon 6,5 Millionen Bürger zu dieser Gruppe. Dies ist laut den IAQ-Autoren zum einen auf die starke Zunahme von Mini- und Teilzeitjobs zurückzuführen. Zum anderen arbeitet aber auch schon jeder siebte Vollzeitbeschäftigte für einen Niedriglohn. Drei von vier Niedriglöhnern haben eine abgeschlossene Berufsausbildung oder einen akademischen Abschluß. Wie das statistische Bundesamt am 9. September 2008 mitteilte, nahm die Zahl der Erwerbstätigen in sogenannten Normalarbeitsverhältnissen von 1997 bis 2007 um 1,5 auf 30,2 Millionen ab. Gleichzeitig sei die Zahl der Personen in atypischen Beschäftigungsformen in diesem Zeitraum um 2,6 auf 7,7 Millionen angestiegen. Als Normalarbeitsverhältnis gilt unbefristete Beschäftigung mit vertraglich fixierter Vergütung, zu den als atypisch bezeichneten Formen gehören befristete oder geringfügige Beschäftigung, Teilzeit- und Zeitarbeit sowie die verschiedenen Formen der (Schein-) Selbständigkeit. Auch die staatlichen Transfers an die privaten Haushalte, darunter die Renten, haben sich real deutlich reduziert. Preisbereinigt sanken diese um 7%. In der vorigen Konjunkturphase waren sie hingegen um rund 4% gestiegen. Insgesamt stagnierte das preisbereinigte verfügbare Einkommen der privaten Haushalte, während es beim letzten Boom noch um 7% gewachsen war.

Summa summarum: Das Armutsrisiko in Deutschland ist nach einer OECD-Studie bereits jetzt auf rund 11% gestiegen. Die Einkommen sind so ungleich wie nie zuvor verteilt, und die soziale Situation hat sich stärker als in jedem anderen OECD-Staat zugespitzt. So sind so viele Menschen von der "Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung" abhängig wie noch nie. Ende 2007 waren es rund 733.000 Personen. Dies entspricht einer Erhöhung von 7,4% im Vergleich zum Vorjahr. Daher nimmt es nicht Wunder, daß die bundesweit agierenden Deutschen Tafeln einen stark gestiegenen Zulauf erleben: In den vergangenen drei Jahren hat sich die Zahl der Menschen, die dort regelmäßig unterstützt werden, von 500.000 auf nahezu eine Million verdoppelt. Und noch zwei Faktoren werden die soziale Situation von Millionen nachhaltig beeinflussen bzw. bringen deren Situation signifikant zum Ausdruck: Der geplante Gesundheitsfonds wird sich als trojanisches Pferd erweisen, indem die Kosten zunehmend auf Versicherte und Patienten abgewälzt werden. Es ist absehbar, daß viele Krankenkassen Zusatzbeiträge erheben werden. Aber zahlen müssen den Zusatzbeitrag nur die Versicherten, nicht die Unternehmer. Damit wird eine alte Forderung der Unternehmer erfüllt. Sicher ist: Die Zweiklassenmedizin wird weiter polarisieren. Und parallel werden zunehmend Bildungsschranken errichtet: Die Uni-Maut sorgt für soziale Auslese. Chancengleichheit in der Bildung hat es in der Bundesrepublik noch nie gegeben; doch jetzt haben wir es mit einer neuen Qualität der Ungleichheit zu tun; so entwickelten sich z.B. von 1995 bis 2006 die privaten Schulen um 35% und die Grundschulen in privater Trägerschaft auf 112%.

"Rosen auf den Weg gestreut"

All diese sozialen Verwerfungen – von den noch ausstehenden Folgen der sich ausbreitenden Rezession ganz zu schweigen – werden die Möglichkeiten für Nazis erhöhen, insonderheit für ihre soziale Demagogie. Nationalismus, Chauvinismus, verschiedenste Variationen von Rassismus, besonders Antisemitismus und Islamophobie, summa summarum: Kulturfeindlichkeit und Primitivität jeder Art werden weiter zunehmen, produziert und begünstigt durch all jene Medien, die augenscheinlich ihren Auftrag in der systematischen Verdummung und Verrohung der Bevölkerung sehen. Produziert und begünstigt ebenso durch eine Flüchtlings- und Asylpolitik, die den Nazis Recht zu geben scheint. Auch hierzu einige Fakten:

Es tobt eine Art Krieg an den europäischen Außengrenzen. Seit 1998 sind mehr als 12.000 Menschen bei dem Versuch gestorben, europäisches Territorium zu erreichen. Anläßlich der Verleihung des Menschenrechtspreises an einen griechischen Anwaltsverein, der sich für die Rechte aufgegriffener Flüchtlinge einsetzt, wurde berichtet: "Man schlägt beispielsweise die Flüchtlingsboote leck oder nimmt ihnen Treibstoff und Lebensmittel ab". Verantwortlich für die rigide Praxis der Griechen sei die Europäische Union und vor allem auch Deutschland. Bei der Abwehr der Flüchtlinge an den EU-Außengrenzen arbeiten die Europäer mittlerweile eng zusammen. Zu diesem Zweck wurde 2004 die europäische Grenzschutzagentur FRONTEX gegründet. Deutschland stellt der Behörde Hubschrauber zur Verfügung, mit deren Hilfe man Flüchtlinge im Mittelmeer aufspüren kann. Vorrangiges Ziel dieser Operationen ist es, die Flüchtlinge zurückzudrängen, nicht sie aus Seenot zu retten. Immer wieder kommt es dabei zu tödlichen Zwischenfällen. Zugleich wurden 2007 aus Deutschland mehr als 9.600 Menschen abgeschoben, die meisten in die Türkei und nach Serbien. Im Kontext hiermit unterstützt der Staat immer weniger Asylbewerber. Die Zahl der Empfänger von Asylbewerberleistungen, so das Statistische Bundesamt Wiesbaden unter Berufung auf vorläufige Daten, lag 2007 bei nur noch 154.000 Menschen und damit 20,7% unter der des Vorjahres. Dies war die niedrigste Zahl von Empfängern von Regelleistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz seit Einführung der Statistik 1994. Der bisherige Höchststand war 1996 mit 490.000 Personen verzeichnet worden. Ist vielleicht die Lage für Menschen, besonders in der Dritten Welt, besser geworden? Wohl kaum. Denken wir nur an die grauenhaften Ereignisse im Kongo. Seit 1996/97 fielen dort bis zu 5 Millionen Menschen kriegerischen Auseinandersetzungen zum Opfer – die meisten von ihnen in den an Bodenschätzen außergewöhnlich reichen Gebieten im Osten Kongos. Es geht in diesem afrikanischen Land nicht zuletzt um deutsche und amerikanische Wirtschaftsinteressen. Und es gibt keinen Abschiebestopp nach Kongo. Nazis müssen sich bei solch einer rigiden Flüchtlings- und Asylpolitik in ihrem Rassismus, Nationalismus, in ihrer zynischen Haltung zu allen, die anders sind als der "weiße Arier" – permanent bestätigt fühlen. Der institutionelle Rassismus, der seinen Hauptausdruck in der Flüchtlings- und Asylpolitik findet, transformiert die medialen Aufrufe, bei Angriffen auf Ausländer Zivilcourage zu beweisen, in den Bereich der Lächerlichkeit. Und wenn Antifaschisten sich nachhaltig wehren, wie am 20. September in Köln, dann sieht das Zentralorgan der deutschen Bourgeoisie, die FAZ, angesichts der Breite des Kölner Bündnisses eine neue "Mode" der "Intoleranz" gegen kleine Minderheiten. Nicht die Rechten von "Pro Köln" und deren faschistoide europäische Gäste, sondern die Zahl ihrer Gegner fand das Blatt "wirklich zum Fürchten". Ein solcher Kommentar in der FAZ sollte uns stärker beunruhigen als dumpfe Stiefelfaschisten. Ein solcher Kommentar signalisiert: Stiefelfaschisten sollen in Reserve gehalten werden – in einem für sie gedeihlichen Klima. Da fallen einem nur noch Tucholskys "Rosen auf den Weg gestreut" ein:

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Ihr müßt sie lieb und nett behandeln,

erschreckt sie nicht – sie sind so zart!

Ihr müßt mit Palmen sie umwandeln,

getreulich ihrer Eigenart!

Pfeift euerm Hunde, wenn er kläfft –:

Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!

Wenn sie in ihren Sälen hetzen,

sagt: "Ja und Amen – aber gern!

Hier habt ihr mich – schlagt mich in Fetzen!"

Und prügeln sie, so lobt den Herrn.

Denn prügeln ist doch ihr Geschäft!

Küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft!

Und schießen sie –: du lieber Himmel,

schätzt ihr das Leben so hoch ein?

Das ist ein Pazifisten-Fimmel!

Wer möchte nicht gern Opfer sein?

Nennt sie: die süßen Schnuckerchen,

gebt ihnen Bonbons und Zuckerchen ...

Und verspürt ihr auch

In euerm Bauch

Den Hitler-Dolch, tief bis zum Heft –:

Küßt die Faschisten, küßt die Faschisten,

küßt die Faschisten, wo ihr sie trefft –!

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Kurt Tucholsky 1931. Aber vielleicht ist ja ein NPD-Verbot, für das auch wir mit aller Konsequenz eintreten, das probatere Mittel. Es ist an der Zeit. Bei den Brandenburger Kommunalwahlen schafften es NPD und DVU überall dort, wo sie antraten, auch in den Kreistag. Dieses Ergebnis genügte für insgesamt etwa dreißig Mandate in fast allen Kreistagen und in den Stadtverordnetenversammlungen von Potsdam und Cottbus. Auch wenn die Nazis schlechtere Ergebnisse erzielten als im Vorfeld der Wahlen befürchtet, konnten sie ihre Positionen doch ausbauen. Und das ist schlimm und gefährlich genug.

Entsetzt blicken wir nach Italien. Die größte katholische Wochenzeitschrift des Landes Famiglia Cristiana schrieb vor einiger Zeit in einem Leitartikel von der "Gefahr Faschismus" in Italien. Die katholische Wochenzeitschrift berichtete von der Regierungsentscheidung, den Romakindern zur Identifizierung die Fingerabdrücke abzunehmen und erinnerte an das berühmte Foto aus dem II. Weltkrieg, das im Warschauer Ghetto aufgenommen wurde und ein jüdisches Kind zeigt, wie es von SS-Soldaten abgeführt wird. "Dieses Bild", so Famiglia Cristiana, "hatten wir alle vor Augen, als wir von der sogenannten Sicherheitsmaßnahme der Regierung hörten." Der Vatikan hat sich übrigens von diesen Äußerungen distanziert. Der Vatikan hat schon einmal weggeschaut. So hat jeder seine Tradition. Oder – nehmen wir Österreich. Fast 30 Prozent der Österreicher haben Ende September "blau" gestimmt. Mit Themen wie Preissteigerung und Bevormundung durch die EU, "Überfremdung" und "islamische Gefahr" trieben FPÖ und BZÖ die Altparteien vor sich her. In den Bierzelten der Rechten herrschte am Abend nach der Wahl ungetrübter Jubel. Straches FPÖ hatte von 11 auf 18 Prozent zugelegt, während Jörg Haider seinen Stimmenanteil auf 11 Prozent verdreifachte, auch – wenn er nun direkt nichts mehr davon hat. "Das dritte Lager", so meinte BZÖ-Kandidat Ewald Stadler, der erst vor kurzem die FPÖ verlassen hatte, "ist zum ersten Lager geworden". Wir können die Aufzählung faschistoider und auch faschistischer Tendenzen in Europa fortsetzen. Wenige Beispiele mögen für viele stehen. In der litauischen Zeitung "Lietuvos aidas" stellte eine sogenannte Kriminologin, Dr. Ruta Gajauskaite den Holocaust als Erfindung der Juden dar, um den Staat Israel zu finanzieren. Dazu paßt übrigens die Verhöhnung der Opfer des Faschismus durch den Nazi Horst Mahler. "Sogenannte Zeitzeugen" des Holocaust seien "Lachnummern". In Spanien haben sich zum Nationalfeiertag mehr als eintausend Neofaschisten an Aufmärschen beteiligt. Daran nahmen junge Faschisten ebenso teil wie alte Franco-Anhänger. Diese ließen z.B. hoch über Barcelona Banner aus Zeiten des faschistischen Spaniens wehen. In Ungarn marschiert die faschistische Ungarische Garde durch Roma-Dörfer und verbreitet mit Terror unter Ausländern und Linken Angst.

Noch einmal zurück nach Deutschland. Neonazis haben im ersten Halbjahr mehr Straftaten verübt als bislang bekannt war. Die Behörden registrierten insgesamt 10.655 Delikte mit faschistoidem Hintergrund, darunter 612 Gewaltdelikte. Jeden Tag lesen und hören wir von Nazigewalt irgendwo, von Nazi-Demos und Faschokonzerten. In Dortmund zerschlagen sie die Scheiben von Ulla Jelpkes Abgeordnetenbüro. Nazis äußern in einem von ihnen als "Abmeldung vom GEZ-Zwangsgebührenerhebungssystem" verschickten Pamphlet: "Sie nennen sich GEZ der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland ... Die hier im Lande lebenden Deutschen sind keine ‚Bundesbürger’, wie diese immer wieder wahrheitswidrig bezeichnet werden, sondern insgesamt Reichsbürger und haben als solche ausschließlich die Staatsangehörigkeit des nach wie vor existenten Staates DEUTSCHES REICH ... Das Territorium des nach wie vor existenten Völkerrechtssubjekts DEUTSCHES REICH erstreckt sich in seinen Grenzen vom 31. 12. 1937 ..."

Anknüpfend an Ärgernisse und Probleme der Menschen transportieren Nazis ihre faschistoiden Inhalte. In Leipzig wird die achtjährige Michele ermordet, und schon sind sie bei den fassungslos Trauernden und fordern "Todesstrafe für Kinderschänder." In Berliner Briefkästen fanden sich Flugblätter der "Jungen Nationaldemokraten". Unter der Überschrift "Kaputte Umwelt – zerstörte Zukunft" ist zu lesen: "Wir werden mit weniger Konsum auskommen müssen, dafür in einem Land mit einer starken nationalen Solidargemeinschaft leben", und sie fragen die "Volksgemeinschaft": "Wollt ihr konsumieren, bis alles in Scherben fällt?" In Friedrichshain-Kreuzberg wurden am Abend des 21. Heß-Todestages in bestimmten Gebieten nicht wenige NPD-Aufkleber angebracht: "Nein zur Islamisierung Europas. Deutschland den Deutschen. Aktiv werden gegen Moscheebau und Islamismus ..." und so weiter und so fort. Verschiedene Aufkleber im Vierfarbendruck; professionell gemacht. Nicht ganz billig in der Herstellung. Logistik wird demonstriert. Der Hamburger Journalist Andreas Speit hat zu diesen alarmierenden Entwicklungen präzise formuliert: "Die Partei (NPD) wurde ins kommunale Leben integriert: die Mitglieder engagieren sich in Sportvereinen, in der Feuerwehr, in der Elternarbeit und in ehrenamtlichen Initiativen. Die NPD greift soziale Ängste und regionale Probleme auf, nimmt sich der Sorgen und Nöte der sogenannten ‚kleinen Leute’ an, bietet Hartz-IV-Beratung an und ist da präsent, wo sonst niemand mehr hingeht. Wo immer die Gesellschaft Leerstellen läßt, da ist die NPD."

Die Nazis sind unter uns. Scheinbar nur eine Randerscheinung. Doch der Rand, der rechte, wird immer breiter und tangiert die sogenannte Mitte. Und die Rechten werden immer dreister und sind nicht selten dem Zeitgeist sehr nahe. Wir müssen unsere antifaschistischen Aktivitäten ebenso verstärken wie unsere Wirksamkeit in antirassistischen Zusammenschlüssen. So beteiligten wir uns an mannigfaltigen Antinazidemonstrationen, am Tag der Mahnung und Erinnerung am 14. 8. 2008, an vielfältigen Initiativen anläßlich des Tages des Flüchtlings am 3. 10. 2008 sowie an anderen antifaschistischen und antirassistischen Aktionen. In den Mitteilungen der KPF nehmen Fragen des Antifaschismus und der Flüchtlings- und Asylpolitik zunehmend mehr Raum ein. Antifaschistische Arbeit, das ist ganz besonders auch eine antifaschistische und antimilitaristische Geschichtsinterpretation. Wir haben im kommenden Jahr auch Daten, die besonders den deutschen Imperialismus charakterisieren. Zum siebzigsten Mal jährt sich der Beginn des II. und zum fünfundneunzigsten Mal der des I. Weltkrieges. Die Resultate dieser Kriege sind bekannt. Manche glauben, vor ähnlichen Entwicklungen wäre die Menschheit gefeit, weil es einfach undenkbar sei, daß sich solche Barbarei wiederholt. Die gleichen hätten noch vor wenigen Jahren ausgeschlossen, daß sich die Ereignisse von 1929/30 wiederholen könnten. Die gleichen hätten noch vor zwanzig Jahren ausgeschlossen, daß sich Deutschland an einem Überfall auf Jugoslawien beteiligen könnte, zum dritten Mal in der Geschichte. Am 24. März 2009 jährt sich zum zehnten Mal der Tag, an dem die NATO-Staaten Jugoslawien mit Terrorangriffen ihrer Luftstreitkräfte überfielen. Der Krieg war nach Europa zurückgekehrt. Die NATO, vor sechzig Jahren – im April 1949 – als Militärpakt gegen vermeintliche Bedrohungen aus dem Osten gegründet, erwies sich als das, was sie ist: als Instrument zur Durchsetzung imperialer Interessen der USA und ihrer Verbündeten, darunter – seit 1956 – die BRD. Wir hegen keinerlei Zweifel daran, daß der deutsche Imperialismus gefährlich geblieben ist – im kommenden Jahr werden 33,5 Milliarden Euro für das Militär ausgegeben. Es ist für Kommunistinnen und Kommunisten von unschätzbarem Wert, daß sich am 13. Oktober die Linksfraktion als einzige geschlossen gegen das Aufstocken des Bundeswehrkontingents in Afghanistan wandte und am 4. November gegen die Verlängerung des Einsatzes der Bundesmarine am Horn von Afrika. Die Bundesmarine hat bisher keine feindlichen Schiffe versenkt; aber vielleicht bieten ja die Piraten vor Somalia bald die Gelegenheit, wieder zu üben, was die deutsche Marine in zwei Weltkriegen so vorzüglich beherrschte. Die Journaille jedenfalls schreit förmlich danach.

Die Linke, Kriege und Staatsräson

Es ist nur natürlich, daß in einer Situation zunehmenden kriegerischen Agierens der BRD zwecks "Verteidigung deutscher Interessen" am Hindukusch und in zehn weiteren Staaten auch die forcierte Militarisierung der Innenpolitik angestrebt wird. Gegenwärtig, da sich der Repressionsapparat im Landesinneren ohnehin üppig entfaltet, finden die Auseinandersetzungen darüber statt, ob die Militarisierung und Entdemokratisierung der Innenpolitik durch Aufhebung der klassischen Trennung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben einerseits und polizeilichen und geheimdienstlichen Aufgaben andererseits alsbald gesetzlich sanktioniert wird. Eines steht jedenfalls fest: Durch nichts zu rechtfertigende Sicherheitsmaßnahmen, begründet mit dem Popanz der Terrorgefahr, werden das ihre zu einem Klima der gesellschaftlichen Verunsicherung und Dehumanisierung beitragen. Rolf Gössner, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte, formulierte es so: "Wir befinden uns auf den Weg in einen präventiven und autoritären Sicherheitsstaat, die moderne Informationsgesellschaft entpuppt sich zunehmend als Überwachungs- und Kontrollgesellschaft." Gegen diesen Weg wandte sich auch die Demonstration am 11. 10. 2008, an der Genossinnen und Genossen der KPF teilnahmen. Sowohl destruktiv-anarchische als auch totalitäre Züge der bürgerlichen Gesellschaft werden sich weiter verstärken. Und all dies wird im Kontext damit geschehen, daß Deutschland als kriegsführende Macht immer tiefer und nachhaltiger in den Sumpf der besonders von den USA initiierten Kriegsabenteuer sinken wird. Umso wichtiger ist und bleibt es, daß sich Kommunistinnen und Kommunisten in der Friedensbewegung aktiv agieren und alles dafür tun, daß die friedenspolitischen Prinzipien der LINKEN unangetastet bleiben. Und in der LINKEN wird über Änderungen durchaus nachgedacht. Dafür sprechen nicht nur die in der PDS schon weit vor dem Münsteraner Parteitag im Jahr 2000 begonnenen Auseinandersetzungen um die sogenannte Einzelfallprüfung. Dafür gibt es auch in jüngster Zeit Signale. "Parteifrieden in Gefahr?" titelte ND am 19. November. Der Arbeitskreis Internationale Politik der Bundestags-Linksfraktion hat ein Papier vorgelegt. Ursprünglich als Positionspapier eingebracht, wurde es zum Diskussionspapier herabgestuft. Einer der Einbringer, Paul Schäfer, gab der jW vorgestern ein Interview. Liest man dies unbefangen, so fragt man sich, wieso dieses Diskussionsmaterial den Parteifrieden in Gefahr bringen sollte. Kein Wort, so Schäfer, stünde im Material darüber, daß man dem Gedanken auch nur näher treten sollte, "robuste" Militäreinsätze der UN zu befürworten. Aber, wir wollen ehrlich sein: Wir sind nicht unbefangen. Aus Erfahrung befangen lesen wir in dem Papier: "Die LINKE setzt sich dafür ein, der UNO als einzigem globalen System kollektiver Sicherheit endlich die zentrale Funktion einzuräumen, die sie laut UNO-Charta haben müßte: die materielle Ausübung des globalen Gewaltmonopols (...) Wie die UNO dieses Recht wahrnehmen und welche Fähigkeiten sie dafür benötigen wird, darüber ist zu diskutieren. Wer eine gestärkte UNO will, kann sich dieser Auseinandersetzung nicht entziehen." Ob vor Münster oder schon weit davor auf dem Magdeburger Parteitag, ob in der Programmdebatte bis zum Jahr 2003 oder in den Auseinandersetzungen um die Eckpunkte: Stets war die Befürwortung des sogenannten Gewaltmonopols der UNO und die damit verknüpfte Aufforderung, über das Wie der Wahrnahme dieses Monopols zu debattieren, in letzter – weil auch logischer – Konsequenz mit der Forderung verbunden, das Prinzip der Einzelfallprüfung in der Partei zum Beschluß zu erheben. Und wir haben es uns an den Schuhsohlen abgelaufen, daß dies das Einfallstor wäre, die friedenspolitischen Prinzipien der Partei aufzugeben. Wir werden dazu ebensowenig schweigen, wie wir es in der Vergangenheit taten. Vor allem aber werden wir sehr genau auf die dieses Thema betreffenden Abschnitte in den Wahlprogrammen schauen. Es soll dabei bleiben, daß Struck und andere in Interviews und Reden der LINKEN Regierungsuntauglichkeit vorwerfen, weil deren außenpolitische Positionen nicht akzeptabel seien. Wir wissen: An Versuchen, "sicherheitspolitisch" koalitionskompatibel zu werden, fehlt es nicht. Davon zeugte auch die Rede Gregor Gysis am 14. April 2008 auf einer Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung anläßlich des 60. Jahrestages der Gründung Israels. Es würde den Rahmen dieses Referats sprengen, hierauf im Einzelnen einzugehen. Es gibt eine von Rim Farha, Victor Grossman, Kurt Gutmann, Ulla Jelpke (MdB), Prof. Dr. Sonja und Moritz Mebel, Sahra Wagenknecht (MdEP), Rosemarie Schuder-Hirsch, Dr. Friedrich Wolff, den Bundessprechern der KPF und weiteren vierzehn Persönlichkeiten unterzeichnete Erklärung, die in der jungen Welt vom 28. 5. 2008, in den Mitteilungen der Kommunistischen Plattform vom Juni 2008 und im Internet unter der Adresse www.die-linke.de/kpf zu finden ist. Die Überschrift dieser Erklärung "Staatsräson und Regierungsbeteiligung" weist darauf hin, worum es letztlich in der Gysi-Rede geht: nämlich nicht zuletzt um einen weiteren Versuch, die geltenden friedenspolitischen Grundsätze der Partei – in Münster verteidigt und in den programmatischen Eckpunkten sowie im Cottbusser Parteitagsbeschluß unterstrichen – in Frage zu stellen und womöglich außer Kraft zu setzen.

Übrigens: Sieht man von den genannten Veröffentlichungen ab, so wurde diese Erklärung totgeschwiegen – und dies mit Sicherheit nicht, weil es ihr an Substanz und prominenten Protagonisten mangelte. Es stört, wenn zur Situation im Nahen Osten Positionen dargelegt werden, die nicht der Staatsräson der Bundesrepublik Deutschland entsprechen, die von Solidarität mit dem palästinensischen Volk und der israelischen Friedensbewegung getragen werden und die zugleich frei sind von jenen oft plumpen Vereinfachungen, die manchmal von Antisemitismus nur noch schwer zu unterscheiden sind. Solche differenzierten und doch nicht beliebigen Positionen werden dann gerne unterschlagen. Dafür wird jenen Raum in den Medien eingeräumt, die, wie BAK Shalom, meinen, das unbeschreiblich entsetzliche Schicksal des jüdischen Volkes berechtige sie, jeden Kritiker der israelischen Politik an den Pranger und unter Antisemitismusverdacht zu stellen. Der direkten Auseinandersetzung weichen sie weitgehend aus. Junge Genossinnen und Genossen von linksjugend ['solid] hielten es für politisch angebracht, eine Diskussion zum Thema "Interessen im Nahen Osten und deren Widerspieglung in der Bundesrepublik Deutschland" zu organisieren, die am 13. 10. 2008 unter Mitwirkung von Norman Paech (MdB), Max Steiniger (Bundessprecher der linksjugend ['solid]) und Ellen Brombacher stattfand. Trotz rechtzeitiger Einladung erschienen weder Vertreter von BAK Shalom noch prominente Politiker der LINKEN, die diese Gruppierung unterstützen: Matthias Höhn, Katja Kipping, Caren Lay, Petra Pau und Bodo Ramelow. Wir haben in den November-Mitteilungen darüber im Einzelnen berichtet und stellten fest: "Warum blieben wir unter uns, obgleich gerade dies nicht gewollt war? Die Debatte über den Nahen Osten ist geeignet, Linke auseinanderzudividieren – härter formuliert: zu spalten. Gerade deshalb ist sachlicher Streit geboten, nicht Denunziationen über die Medien, gegen die sich Betroffene kaum wehren können."

Am 19. November fand – organisiert von der BO 378 Berlin Mitte – nun ein Gespräch zum Thema "Die LINKE und ihre Sicht auf die USA" statt. Im Podium diskutierten Victor Grossman, Journalist und Autor, Mitglied unserer Partei und Sebastian Voigt, Autor und Doktorand an der Universität Leipzig. Voigt steht der BAK Shalom nicht nur nahe, sondern zählt wohl zu deren Stichwortgebern. Nicht nur BAK Shalom hatte für diesen Abend mobilisiert, sondern u.a. auch die KPF Berlin, und so waren doch mehr an der Seite von Victor Grossman als Sebastian Voigt Unterstützer hatte. Es ist heute nicht die Zeit, im Einzelnen auf diese Veranstaltung einzugehen. Doch ganz hart muß gesagt werden: Mit BAK Shalom sind Leute am Werk, die Verständnis für den Irak-Krieg aufbringen – Voigt sagte – auch er habe den Irak-Krieg nicht gewollt; aber nachdem er ausgebrochen sei, wäre er für ein effizientes, schnelles, siegreiches Ende gewesen. Mit BAK-Shalom sind welche am Werke, die alle Verbrechen der USA mit der Bemerkung relativieren, man müsse die Dinge im Kontext mit dem kalten Krieg sehen und heutzutage im Zusammenhang mit dem Terrorismus oder mit Entwicklungen wie in Rußland. Mit BAK Shalom sind Leute am Werke, die kein Problem damit haben, jegliche die Kriegsvorbereitungen gegen den Iran bedienende Scharfmacherei zu kolportieren. Mit anderen Worten, deren Protagonisten sind gefährlich. Nicht intellektuell. Da war nicht viel zu holen, an jenem Abend. Aber ihre Demagogie zielt auf politisches Halb- und Nichtwissen derer, die sie beeinflussen wollen und vor allem: Sie sind in der Lage zu spalten, und sie werden es tun, wenn man sie läßt. Warum auch immer und in wessen Interesse auch immer. Wir haben uns hier auf schwierige Auseinandersetzungen einzustellen, die besondere Klarheit in der Sache und zugleich äußerstes Fingerspitzengefühl erfordern, eine Sensibilität, die es unmöglich macht, uns des Antisemitismus zu bezichtigen.

Die SPD und unser Selbstverständnis

Liebe Genossinnen und Genossen, noch einmal zurück zu unserer Zuarbeit für das Wahlprogramm der LINKEN. Hinsichtlich des für das Wahljahr 2009 einzuschätzenden politischen Kräfteverhältnisses schrieben wir: Keine der etablierten Parteien (CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne) wird die Lage ehrlich beschreiben, geschweige denn wesentliche Ursachen benennen und ihre Politik zumindest mit systemkritischen Ansätzen betreiben. Möglicherweise wird die SPD auf Grund des Drucks ihrer eigenen Basis und der LINKEN einige Aspekte der Agenda 2010 korrigieren. Eine wirkliche Wende wird sie nicht vollziehen. In der entscheidenden Frage des Friedens wird keine der etablierten Parteien einen Kurswechsel vornehmen. Sie alle sind von der Notwendigkeit überzeugt, daß die BRD ohne die Bereitschaft und Fähigkeit, Kriege zu führen, ihrer Rolle in der Welt, die eine bedeutende sein soll, nicht gerecht werden wird. Sie alle werden auch fürderhin bereit sein, diesen machtpolitischen Aspekt zu verschleiern: mit der Pseudobegründung von den drohenden Terrorgefahren und der Unabdingbarkeit humanitärer Hilfe. Hinsichtlich der Politik der sogenannten inneren Sicherheit und der Flüchtlings- und Asylpolitik sind von sozial-liberalen Kräften noch am ehesten Forderungen nach gewisser Mäßigung von Repressionen zu erwarten. Ausgehend von diesen Tatsachen hat die LINKE zwei Optionen:

Die erste: Als einzige mit Parlaments-Chancen versehene Partei im Wahlkampf diese Probleme zu benennen und den potentiellen Wählern eine redliche und kräftige Opposition im Bündnis mit anderen linken Kräften und außerparlamentarischen Bewegungen zu versprechen. Wir haben im Euch vorliegenden Beschlußentwurf die Forderungen fixiert, die sich – bei einem solchen Herangehen – unseres Erachtens für die Wahlprogrammatik unserer Partei ergeben sollten, für die wir eintreten und die wir dem Bundesgeschäftsführer so übermittelt haben.

Nun zur zweiten Option, die darin besteht, in der Hoffnung auf Koalitionen in den Ländern und eventuell auch im Bund auf Ehrlichkeit in der Lageeinschätzung und auf grundlegende Forderungen für einen ernstzunehmenden Politikwechsel zu verzichten, und an Stelle dessen faule Kompromisse zu machen und die Unterscheidbarkeit von den anderen Parteien (gern auch als Alleinstellungsmerkmal bezeichnet) zu verwischen.

Liebe Genossinnen und Genossen, was wird kommen, wenn die LINKE möglicherweise in Brandenburg, im Saarland, in Sachsen und Thüringen mit in der Regierung sein wird? Was wird, in Anbetracht der normativen Kraft des Faktischen, dann bleiben von der nicht unsympathischen Politik der Bundestagsfraktion der LINKEN hier und heute? Denken wir nur an deren vielfältige Aktivitäten, zum Beispiel in friedenspolitischer Hinsicht oder auf sozialpolitischem Gebiet. Was wird geschehen, wenn sich in der SPD jene durchsetzen, die vorwiegend um des Machterhalts willen bereit sind, mit der LINKEN zu koalieren? Wer diese Fragen heute nicht stellt, ist ein Träumer. Aber wer heute nicht sieht, daß sich diese Partei nach links bewegt hat – und das ist untrennbar mit Lafontaine verbunden – der trägt den Realitäten ebensowenig Rechnung. Der Weg der LINKEN ist nach vorne offen. Die kommenden zwölf Monate werden für die LINKE von besonderer Bedeutung sein.

Auch wenn, gerade nach dem Debakel der SPD in Hessen, noch so viele anderslautende Erklärungen abgegeben werden: Es liegt durchaus im Bereich des Möglichen, daß eine rot-rot-grüne Koalition auf Bundesebene schon 2009 zur Debatte steht. Es ist nicht verwunderlich, daß 72% der Deutschen meinen, wenn es ernst würde, würde die SPD auf alle Abgrenzungserklärungen pfeifen und schon 2009 auf Bundesebene eine Koalition mit der LINKEN eingehen. Die Jusos fordern desgleichen. Die einen in der SPD sind also für das Prinzip der Entzauberung und die anderen für das der Ausgrenzung. Die einen wie die anderen bedienen sich des Antikommunismus. Er dient als Begründung für Unvereinbarkeitserklärungen ebenso, wie er in Gestalt politischer Forderungen an Die LINKE deren Anpassung an den Zeitgeist befördern soll.

In den vergangenen zwei Jahrzehnten konnten wir kontinuierlich die Erfahrung machen, daß die Regierungstauglichkeit der PDS bzw. der LINKEN an folgende Bedingungen geknüpft wird:

1. Die LINKE soll die Außen- und sogenannte Sicherheitspolitik der Bundesrepublik Deutschland uneingeschränkt akzeptieren. Das betrifft die internationalen Bündnisverpflichtungen durch NATO- und EU-Mitgliedschaft, die Beteiligung an Kriegen einbegriffen.

2. Die LINKE ist aufgefordert, den Umgang mit der Geschichte des gewesenen europäischen Sozialismus – und damit auch mit der eigenen Geschichte – einzig an der veröffentlichten Meinung auszurichten. Verurteilt werden soll der historische Versuch, die Idee des Sozialismus in Gestalt staatlicher Macht zu realisieren. Nicht die Unzulänglichkeiten und Fehlentwicklungen, die den europäischen Sozialismus des vergangenen Jahrhunderts auch charakterisierten, sollen kritisch analysiert werden, sondern, der Versuch, ohne das Prinzip der Profitmaximierung die Gesellschaft zu gestalten, soll als eine einzige Fehlentwicklung dargestellt werden. Und

3. Da Kommunistinnen und Kommunisten der Überzeugung sind, daß Sozialismus letztlich unlösbar mit der Eigentums- und daher Machtfrage verbunden ist, soll die LINKE ihre kommunistischen Wurzeln verleugnen und Kommunisten die Arbeit in der Partei verleiden.

Liebe Genossinnen und Genossen, im Zusammenhang mit solchen Forderungen, im Kontext mit unserem Selbstverständnis als Kommunisten und nicht zuletzt auf Grund der Tatsache, daß mit der Konstituierung der LINKEN nicht wenige originäre Sozialdemokraten zur Partei gestoßen sind, werden wir immer wieder nach unserem Verhältnis zur SPD und zu Sozialdemokraten innerhalb und außerhalb derselben gefragt. Und dies besonders in Anbetracht der jüngeren und jüngsten Entwicklungen in der SPD. Am 10. 9. 2008 schrieb Gabriele Oertel im ND, "Opportunismus, Intrigen, Netzwerke, Flügel, Lager", von all dem habe die älteste Partei offenbar überproportional viel." Mag sein. Doch – stellen wir die Frage anders: Ist denn die SPD ohne Opportunismus, Intrigen, Netzwerke, Flügel und Lager vorstellbar? Und wenn nicht – warum hat sie denn mit diesen überproportional ausgeprägten Erscheinungen zu tun? Weil innerparteiliche Demokratie nun einmal so etwas hervorbringt? So hervorragend soll es ja mit der innerparteilichen Demokratie in der SPD nicht bestellt sein. Die Ursachen für die Zerrissenheit der ältesten deutschen Partei liegen tiefer. Die SPD kann auf Dauer nicht existieren, wenn das soziale Grundempfinden großer Teile der Basis permanent und grundlegend ignoriert wird. Dann nämlich – wie sich in den vergangenen Jahren zeigte – verliert sie die Basis als solche. Zugleich will das Establishment in der SPD unbedingt regieren. Da aber in diesem Land die eigentlich Regierenden, die Unternehmerverbände, Banken und Mainstream-Medien, letztlich bestimmen, wo es langgeht, wird diese Partei zwischen antagonistisch wirkenden, teils hausgemachten Zwängen zerrieben. Um dies auszutarieren, gibt es Opportunismus, Intrigen, Netzwerke, Flügel und Lager. Und um dies zu verschleiern, macht man die die Zerrissenheit reflektierenden Strukturen zur Ursache selbiger. Doch der Grundwiderspruch, der untrennbar mit dem Verhältnis der SPD zur LINKEN verknüpft ist, ist offenbar nicht mehr zu kitten. Davon zeugen nicht zuletzt die jüngsten Ereignisse in Hessen. Hessen hat die Frage des Umgangs der SPD mit der LINKEN nicht beantwortet, sondern stellt sie in neuer Qualität. Hessen lehrt uns zumindest zweierlei: Zum einen: Der Kampf innerhalb der SPD, ob man um Regierungsmehrheiten mit der LINKEN kämpfen soll oder jenseits der LINKEN, dürfte mehr denn je entbrennen. Zum zweiten: Unsere Partei kann sich noch siebzehneinhalb Mal umbenennen. Maßgebliche Protagonisten der LINKEN können, wie Holter, die CDU in ihrer DDR-Denunziation noch übertreffen. Wir können uns entscheiden, in Sack und Asche zu gehen – am Ende reicht eine politische Intrige, und alle politischen Bemühungen, dem Mainstream als reuiger Sünder zu begegnen, sind neutralisiert. Wir bleiben für Leute wie die Landtagsabgeordnete Everts die Partei mit dem problematischen Gesellschafts- und Geschichtsverständnis – auch dann, wenn einflußreiche Persönlichkeiten der LINKEN sich in ihrem Gesellschafts- und Geschichtsverständnis der veröffentlichten Meinung weitgehend angepaßt haben. Nicht wir bestimmen primär, wie die bürgerliche Gesellschaft uns sieht, sondern die Interessenlagen in dieser Gesellschaft bestimmen weitgehend die von den Medien gemachte Sicht. Dies sollte niemand als Aufruf betrachten, sich zukünftig wie die Axt im Walde zu verhalten. Wir sollten nirgendwo durch Dummheiten Steilvorlagen für Hetze gegen unsere Partei liefern. Natürlich hetzen die sowieso. Gerade deshalb gibt es keinen Grund, Ihnen das noch zu erleichtern. Aber ebenso wenig Grund gibt es dafür, sich zu demütigen. Es gibt keinen Grund, sich dafür zu entschuldigen oder gar zu schämen, daß wir eine Gesellschaft zu gestalten versuchten, in der der Profit aufgehört hatte, das Maß aller Dinge zu sein. Analyse aller positiven und negativen Seiten dieses historischen Weges – ja. Übernahme der bürgerlichen Maßstäbe bei der Bewertung unserer Vergangenheit – unter keinen Umständen. Heute weniger denn je, da sich die kapitalistische Welt in ihrer ganzen Verantwortungslosigkeit und Verkommenheit entblößt. Was immer sich aus dem Hessen-Debakel für die SPD strategisch und taktisch ergibt: Unsere Strategie kann nur darauf hinauslaufen, die Systemfrage zu stellen.

Liebe Genossinnen und Genossen, kann es unter diesen Umständen Gemeinsamkeiten mit Sozialdemokraten geben? Wir sind davon überzeugt. Wo liegen diese Gemeinsamkeiten? In der Notwendigkeit, die täglich irrationaler und brutaler werdenden Auswüchse kapitalistischer Profitmaximierung zu bekämpfen. Wenn SPD und LINKE in dieser Frage Gemeinsamkeiten haben, dann finden diese auch die Unterstützung von Kommunistinnen und Kommunisten in der LINKEN und wohl auch außerhalb derselben. Mit Auswüchsen ist mehr gemeint als Hartz IV. Dazu zählen nicht minder die stattfindenden und geplanten Kriege und der unter dem Vorwand der Terrorbekämpfung betriebene Abbau mehr oder weniger aller verbliebenen Rechte der bürgerlichen Demokratie. Daß Sozialdemokraten bei diesen Kämpfen auf die Reformierbarkeit des Kapitalismus setzen und Kommunisten – ohne a priori gegen Reformen zu sein – die Reformierung des Profitsystems für nicht möglich halten, also die Lösung der Eigentums- und damit verbundene Machtfrage für letztendlich unabdingbar halten – diese grundlegende Differenz ist kein Grund, nicht hier und heute mit Sozialdemokraten zusammenzuarbeiten, innerhalb und außerhalb der LINKEN. Die Frage, ob uns dies auf eine Politik der kleinen Schritte festlegt, muß durch die Frage ergänzt werden, ob wir denn gegenwärtig zu großen in der Lage sind.

Kürzlich veröffentlichte die jW ein Gespräch mit Denis Goldberg, 1933 als Sohn jüdischer Einwanderer in Kapstadt geboren, Mitglied der Kommunistischen Partei Südafrikas, 1963 zu viermal lebenslänglicher Haft verurteilt. 1985 wurde er aus der Haft entlassen und nahm im Exil Führungspositionen im ANC ein. Ein Kämpfer also, der Jahrzehnte unter Einsatz seines Lebens für seine Überzeugungen eintrat. Er wird gefragt: "Wie viel Geduld muß man als Kommunist auf dem Weg zu sozialer Gerechtigkeit aufbringen ..." Goldberg antwortet: "Geht es schneller? Können wir die schlechte Lage auf revolutionäre Weise verändern? Wir leben heute unter den Bedingungen der Dominanz des Kapitalismus. Das ist die Wahrheit. Um unsere Ziele von Gleichheit und Gerechtigkeit durchzusetzen, müssen wir das durchsetzen, was möglich ist. ... Voneinander unabhängige Organisationen müssen lernen zusammenzuarbeiten. Es ist eine sehr schwierige Beziehung, die mit der wirtschaftlichen Verfaßtheit, der Rolle der Gewerkschaften, des gesellschaftlichen Umfeldes zu tun hat ...". Soweit Goldberg. Hat er seine früheren Ideale aufgegeben? Wohl kaum. Ist seine Lagebeurteilung unrealistisch? Eher nicht. Wenn wir also das Zusammenwirken mit Sozialdemokraten und punktuell auch mit der SPD für sinnvoll und durchaus notwendig halten, so meinen wir damit nicht das Zusammengehen in Koalitionen, die uns die Identität zerstören.

In gemeinsamen Koalitionen läßt die LINKE Federn, denn mit der verbinden sich noch Hoffnungen. Die SPD hat ihre Rolle als Hoffnungsträger schon lange extrem beschädigt. Beiden – der LINKEN und der SPD – täte eine strategische Orientierung auf eine kraftvolle Opposition in- und außerhalb der Parlamente gut. In Anbetracht der bitteren Erfahrungen der italienischen Kommunisten, der italienischen Linken generell, schreibt Gianni Vattimo in seinem Buch "Wie werde ich Kommunist": "Die Unterschiede zwischen den (wenigen verbliebenen) Linken und den Reformisten müssen deutlich erkennbar bleiben. Die kleinen Schritte, die eine Regierung der linken Mitte in Italien gehen kann – womit wir zugeben, daß sie besser wäre als Berlusconi –, sind nur möglich, wenn ein empfindlicher Druck von einer Linken ausgeübt wird, die nicht von der Regierungstätigkeit kompromittiert wird und stark genug ist, sich Gehör zu verschaffen. ... Diese Linke wird sich nur dann Gehör verschaffen, wenn sie ihr Wählergewicht nicht völlig verliert. Das aber ist in Gefahr, verloren zu gehen, wenn die kommunistischen Ideale in den Dienst einer kompromißlerischen und zutiefst atlantischen Regierungsmehrheit gestellt werden ... Eine italienische Linke, die sich ihrer Wurzeln erinnert und nicht aus Resignation die Pax Americana akzeptiert, sollte sich durch ihre Nähe zu den antikapitalistischen Regierungen auszeichnen, die heute vor allem in Südamerika zu finden sind. Auch in diesem Punkt unterscheiden wir uns deutlich von den Reformisten, die von Castro und Chávez, jetzt auch von Evo Morales, als autoritären Populisten reden, die zur demokratischen Ordnung gerufen werden müssen." An dieser Stelle ist dem Autor, mit dem ansonsten nicht nur übereingestimmt werden kann, nichts hinzuzufügen.

Gegen bürgerliche Ideologie, Antikommunismus und Geschichtsklitterung

Liebe Genossinnen und Genossen, die Kommunistische Plattform wird, wie auch in den vergangenen zwei Jahrzehnten, sich in ihrem Wirken an der Basis der Partei zuvörderst darauf konzentrieren, daß sich die Mitglieder der Partei den Versuchen widersetzen, die ideologischen Maßstäbe des bürgerlichen Parteienestablishments ohne Einschränkungen durchzusetzen. Was heißt ohne Einschränkungen? Wir würden lügen, bzw. die Lage vollkommen falsch einschätzen, behaupteten wir, daß in unserer Partei bürgerliche Maßstäbe nicht schon längst in beträchtlichem Maße existierten. Allerdings: Sie sind für viele Parteimitglieder dennoch nicht maßgebend. Das heißt: Es gibt Bewahrenswertes und wir sollten uns auf unserer heutigen Konferenz dazu verständigen, daß wir uns besonders auf die Verteidigung jener Inhalte konzentrieren werden, die DIE LINKE von den etablierten Parteien unterscheidet und damit allerdings einer Regierungsbeteiligung – nicht zuletzt auf Bundesebene – im Wege stehen. Dies konsequent zu tun ist zugleich der Hauptweg, dem Antikommunismus etwas entgegenzusetzen.

Wir leben in einer Zeit, in der kaum jemand außer den Kommunisten selbst sich gegen den Antikommunismus zur Wehr setzt. Dies zu tun ist und bleibt ein Hauptfeld unserer Tätigkeit. Dabei geht es nicht ausschließlich darum, daß wir uns auf Veranstaltungen und Konferenzen zusammenfinden, auf denen Reden wider den Zeitgeist gehalten werden, und man sich gegenseitig versteht. Darum geht es zweifelsfrei auch. Aber das reicht bei weitem nicht aus. Das Wichtigste ist die direkte Auseinandersetzung mit der bürgerlichen Ideologie. Zuallererst in der eigenen Partei. Also immer dann, wenn in der LINKEN

1. der politische Wert antikapitalistischer Opposition in Frage gestellt wird, wenn

2. die friedenspolitischen Prinzipien der LINKEN abstrakten Menschenrechtsforde-rungen geopfert werden sollen, wenn

3. Neofaschisten mit sogenannten Linksextremen gleichgesetzt werden, wenn

4. von Kapitalismus geschwiegen wird, wo von Nazis die Rede ist, und immer dann, wenn

5. mit unserer Geschichte so umgegangen wird, wie es der Zeitgeist diktiert.

Dies sind die Schwerpunkte, auf die wir uns konzentrieren sollten. Nicht nur, weil dies für die programmatische Debatte unverzichtbar ist, sondern ebenso, weil wir nur so einen Beitrag leisten können, das Bewußtsein wieder zu beleben oder – soweit vorhanden – zu bewahren und zu vertiefen, daß der Kapitalismus nicht die letzte Antwort der Geschichte sein darf und daß – trotz der ungeheuren Niederlage des Sozialismus im 20. Jahrhundert – dieser den einzigen Ausweg aus der zunehmenden Barbarei der Ausbeutergesellschaft darstellt. Das wird besonders in Auseinandersetzungen zum Umgang mit der Geschichte eine Rolle spielen. In dieser Hinsicht haben wir uns im bevorstehenden Jahr 2009 auf Extremes einzustellen. Denn es ist nicht nur Superwahljahr, sondern gleichermaßen Superjubiläumsjahr.

Liebe Genossinnen und Genossen, die Auseinandersetzungen im Kontext mit dem 60. Jahrestag der Gründung der BRD und der DDR sowie im Zusammenhang mit dem 20. Jahrestag der sogenannten Wende, die die Restauration des Kapitalismus in Gesamtdeutschland einleitete, werden kontrovers verlaufen – auch in der LINKEN. Stets aufs Neue wird von Protagonisten der bürgerlichen Ideologie ein Pseudostreit über die Geschichte entfacht. Denn ein echter Streit ist gar nicht erwünscht. Ein produktiver Streit wäre einer über den Charakter abgelaufener Geschichtsprozesse, in dem nicht zuletzt Interessen hinterfragt werden, die diese Prozesse determinierten. Doch wer Dialektik im Umgang mit Geschichte einfordert, wird schnell der Nähe zum "Stalinismus" bezichtigt. Wer die DDR nicht total verdammt, ist suspekt. Kein Angehöriger der Naziwehrmacht, der auf dem zweitausend Kilometer langen Rückzug daran beteiligt war, flächendeckend verbrannte sowjetische Erde zu hinterlassen, brauchte sich auch nur einen Bruchteil der Vorwürfe anhören, die ein loyaler Bürger der DDR in den vergangenen neunzehn Jahren über sich ergehen lassen mußte. Das scheint – annähernd unreflektiert – normal. Anormal sind für den Mainstream diejenigen, die dem Sozialismus – den gewesenen, real existierenden eingeschlossen – etwas grundsätzlich Positives abgewinnen können und die auf prinzipiell antikapitalistischen Positionen stehen. Da sind nicht nur die Herrschenden schnell mit dem Extremismusvorwurf bei der Hand. Erinnert sei an die Podiumsdiskussion vom 7. Mai mit Prof. Hermann Klenner, Prof. Michael Brie, Stefan Liebich und Ellen Brombacher, auf der – moderiert von Klaus Höpcke – gerade über solche Grundfragen gestritten wurde. Gerade, weil die Partei nach links gerückt ist, ist sowohl mit entsprechenden verstärkten Angriffen von außen als auch mit zunehmenden innerparteilichen Auseinandersetzungen zu rechnen. Davon zeugte auch das Holter-Interview im STERN 36/2008. Der Bundeskoordinierungsrat hat dazu auf seiner Sitzung im Oktober eine Erklärung abgegeben, die in den November-Mitteilungen dokumentiert ist. Wir konstatierten: "Man muß die Frage stellen dürfen, warum Holter für die DDR keine besseren Worte findet, als sie in der jüngsten Schmähschrift der CDU ‚Geteilt. Vereint. Gemeinsam’ nachzulesen sind."

Am 15. 9. 2008 verabschiedete der CDU-Parteivorstand ein 28-seitiges Positionspapier, das als Antrag auf deren Parteitag Anfang Dezember in Stuttgart eingebracht werden soll. Darin heißt es u.a.: "Die Linkspartei, ‚die direkte Nachfolgerin der für Unterdrückung und Bespitzelung verantwortlichen SED, propagiert ein Geschichtsbild, das die DDR als sozialpolitisches Großexperiment und nicht als menschenverachtendes totalitäres System zeichnet’". Weil es immer wieder gelänge, die kommunistische Diktatur sowie die katastrophale soziale und wirtschaftliche Situation in den Hintergrund zu drängen, fordert die CDU, die Aufklärung über das sogenannte DDR-Unrechtsregime zu verstärken. Deutsche Teilung, SED-Diktatur und friedliche Revolution müßten als verbindliche Inhalte des Unterrichts in die Rahmenpläne des Faches Geschichte aufgenommen werden.

Kaum war in der Öffentlichkeit von dem erwähnten CDU-Papier die Rede, da meldete sich schon der überaus integere SPD-Aufbau-Ost-Minister Tiefensee zu Wort. Er forderte die Eltern in Deutschland auf, mit ihren Kindern mehr über die DDR zu sprechen. Um welche Gesprächsrichtung es ihm dabei geht, wird durch den positiven Bezug auf das CDU-Papier deutlich. Und besonders seit dem 3. Oktober realisieren die Medien die Leitlinien der CDU-Agitkommission mit Penetranz.

Ebenfalls im September zitierte der SPIEGEL aus einem Wahlstrategiepapier der LINKEN: "Die SPD werde Die LINKE ‚bekriegen’ (...) und ‚die Vielzahl der historischen Jahrestage 2009 gegen uns zu nutzen versuchen’. Dafür würde die SPD im ‚historischen Supergedenkjahr’ an ‚allen Imagemerkmalen ansetzen’ wie ‚SED’, ‚Stasi’ und ‚DKP’".

Diese Formulierungen aus dem LINKEN-Strategiepapier sagen zunächst einmal wenig aus. Daß die SPD versuchen wird, die Vielzahl der historischen Jahrestage 2009 gegen uns zu nutzen, ist völlig logisch. Interessant wird der Sachverhalt, wie die LINKE damit umzugehen gedenkt. Für den Begriff Image finden sich im Bertelsmann-Synonymwörterbuch die Begriffe: (Charakter)bild, Ruf, Ansehen, Nimbus, Prestige, Namen, Renommee, Reputation. Wie sehen wir selbst unser Image? Um welches Ansehen, um welches Prestige geht es uns? Gehört die Grunderfahrung, eine gesellschaftliche Alternative zum Kapitalismus entwickelt zu haben, zu unserem Prestige? Zählen wir diese Erfahrung zu unserem Renommee, wenngleich sie in einer Niederlage endete, wenngleich sie auch durch Unzulänglichkeiten, Fehler und Dummheiten, auch durch Ungerechtigkeiten und Verbrechen charakterisiert war? Sind wir bereit, den ersten historischen Versuch, die Eigentumsfrage im Interesse der Mehrheit zu lösen, trotz seiner nichtsozialistischen Züge als eine Erfahrung zu bewahren, die schon in ihrer Unvollkommenheit Lösungen parat hatte, von denen im "modernen" Kapitalismus nur geträumt werden kann – erwähnt seien nur die sozialpolitischen Errungenschaften, das Bildungssystem, der Zugang zur Kultur, die Friedenspolitik und der konsequente staatliche Antifaschismus. Oder gehört es zu unserem Image, daß wir genau diesen Versuch verleugnen, daß wir sagen, unser Makel bestünde gerade darin, eine solche Vergangenheit zu haben?

Letzteres führt zu einer gefährlichen Nähe zu Positionen, wie sie Senator Martin Mejstrik (Tschechien) vertritt: "Solange Europa den Gedanken nicht akzeptieren wird, daß der Nationalsozialismus und der Kommunismus völlig gleichwertige verbrecherische Regime sind", so Mejstrik, "wird es nicht einheitlich sein."

Anspruch der Aufklärung

Der Cottbusser Parteitag plädierte für einen differenzierten Umgang mit unserer Geschichte. Dies war einerseits dem realen Klima auf dem Parteitag geschuldet, war aber andererseits auch durchaus gewollt. Die den Crash durch Sahras Kandidatur wünschten, waren ins Leere gelaufen und die genau diesen nicht wollten, waren in der Mehrzahl. Nicht unbedingt aus inhaltlichen, sondern auch aus taktischen Gründen. Das sollte weder klein geredet noch überschätzt werden. Die notwendigerweise verschobene Auseinandersetzung steht uns bevor. Im Superwahljahr wie in der Programmdebatte. Die Bundeskonferenz der KPF vom April dieses Jahres beschloß auf ihrer Tagung, in Vorbereitung der 60. Jahrestage von BRD und DDR eine Veranstaltung unter dem Motto durchzuführen: "Geschichte in Geschichten. Linke aus Ost und West erzählen sich ihre Biographien." Hier werden wir besonders der Geschichtsklitterung den Kampf ansagen. Diese funktioniert deshalb so wirksam, weil sie mit einer Tabuisierung sondergleichen verknüpft wird. Ein Tabu bricht, wer über die Umstände redet, unter denen sich Sozialismus in der DDR entwickelte, wer darüber spricht, daß die DDR durchaus Bewahrenswertes hervorbrachte und wer darauf verweist, daß Defizite, Fehler und Defekte, welche die DDR auch charakterisierten, nicht zuletzt aus der Härte der Systemauseinandersetzung resultierten. Der Bundeskoordinierungsrat befaßte sich am 6. September mit dem Vorhaben "Geschichte in Geschichten" und beriet entsprechende Maßnahmen.

Des weiteren beschloß die Bundeskonferenz der KPF im April 2008, eine Broschüre herauszugeben, in der wesentliche Positionen zur Geschichte, wie sie von uns über die letzten zwei Jahrzehnte vertreten wurden und werden, dokumentiert sind. Nach unseren bisherigen Recherchearbeiten läßt sich schon jetzt eines klar sagen: Unsere Inhalte sind von großer Kontinuität. Und wir sagen zugleich in aller Offenheit: Prinzipientreue im Umgang mit unserer Geschichte bedeutet für uns auch, so über geschichtliche Themen zu reden und zu schreiben, daß unseren Gegnern keine Steilvorlagen geliefert werden. Auseinandersetzungen über die Geschichte sollen uns stärken und nicht jenen die Möglichkeiten erweitern, die uns isolieren wollen. Da geht es auch um Sprache. Natürlich können und dürfen wir auf die marxistischen Begriffe nicht verzichten. Es ist allerdings nicht erstrebenswert, überkommene Parteiterminologie zu pflegen. Die hat schon zu späten DDR-Zeiten niemanden mehr überzeugt, der nicht ohnehin schon katholisch war. Im Kontext mit einer verständlichen, nicht behauptenden, sondern erklärenden Sprache, geht es darum, auf Verkürzungen zu verzichten. Vor allem die Tatsache, daß wir in der Auseinandersetzung zwischen den Systemen zunächst unterlagen, verpflichtet uns, die Dinge zu erklären. Es ist nicht die Zeit, Losungen zu wiederholen. Auch für Kommunisten ist die Maxime Anna Oppermanns nicht die schlechteste: "Ich hasse endgültige, sich absolut gebärdende Formulierungen." Es ist eine Zeit, in der wir Menschen nur gewinnen, wenn sie uns inhaltlich und menschlich vertrauen – das setzt voraus, daß sie uns folgen können, daß sie unsere eigene Nachdenklichkeit erleben und zugleich unsere Festigkeit. Nur Festigkeit, so ehrenwert sie ist, hat eigentlich nie ausgereicht. Nun aber, nach einer solchen historischen Niederlage, kann sie – isoliert von Nachdenklichkeit – kontraproduktiv wirken. Ein Beispiel: Manche Linke werfen uns vor, daß wir die sogenannte Wende nicht durch den Begriff Konterrevolution ersetzen. Dieser Begriff ist gut für jene, die zu den Geschehnissen Ende der achtziger Jahre keine Fragen mehr haben und darüber hinaus ihre eigene Position als die vieler Menschen voraussetzen. Aber was antworten wir jenen, die uns fragen, ob all diejenigen, die 89 auf die Straße gingen, Konterrevolutionäre gewesen seien? Wenn wir diese Frage mit ja beantworten, entscheiden wir – neben der Tatsache, daß das Leben so schlicht nicht verläuft – darüber, daß wir unter uns bleiben. Also muß man doch die Komplexität der damaligen Situation erklären, wozu ein Begriff niemals ausreicht. Deshalb haben wir uns schon vor geraumer Zeit entschieden, von der die Restauration des Kapitalismus in Gesamtdeutschland einleitenden Wende zu sprechen. Etwas, was die Restauration des Kapitalismus einleitet, ist bestenfalls für die Deutsche Bank revolutionär. Unsere Formulierung regt eher zum Fragen, eher zum Nachdenken an, als die bloße Feststellung, im Herbst 1989 habe es eine Konterrevolution gegeben. Und sie zeugt von eigener Nachdenklichkeit. Wir halten die Synthese von Prinzipienfestigkeit in der Sache und Behutsamkeit im Stil zum einen für überzeugender als manche abstrakte, häufig auch überkommene Formulierung und – was nicht weniger wichtig ist – für bedeutend schwerer angreifbar. Gegner sollen sich mit unseren Inhalten auseinandersetzten – nicht mit unserem Stil. Und unsere Inhalte, ich komme zurück auf unsere sich in Arbeit befindliche Dokumentation, lassen an ideologischer Deutlichkeit nichts offen.

Natürlich werden wir uns im kommenden Jahr auch mit dem 20. Jahrestag des Sonderparteitages befassen. Dieser wird mittlerweile darauf reduziert, mit dem "Stalinismus als System" gebrochen zu haben. Daß dieser Sonderparteitag vom Erhalt der DDR ausging, wird heute nicht mehr erwähnt und daß sich aus dem Untergang der DDR und der daraus resultierenden Restauration des Kapitalismus in Gesamtdeutschland die Notwendigkeit ergibt, manche Einschätzung und manches Urteil aus jenem Dezember ’89 zu hinterfragen, steht eher nicht zur Debatte. Einigen in unserer Partei wäre es recht, solche Fragen würden gar nicht mehr aufgeworfen. Die Kommunistische Plattform wird sich mit diesen Ausblendungen wie in der Vergangenheit so auch zukünftig prinzipiell auseinandersetzen. Und sie wird stets jene Traditionen in Ehren halten, welche die besten Erfahrungen und Charakteristika der Arbeiterbewegung in sich tragen. So beteiligten wir uns am vergangenen Sonnabend an der Veranstaltung zu Ehren des 90. Jahrestages der Novemberrevolution und der KPD-Gründung. Anläßlich des vierzigsten Jahrestages der Gründung ihrer Partei waren wir am 27. September bei unseren Genossen der DKP in Recklinghausen zu Gast. Und natürlich gehört unsere aktive Mitarbeit im Bündnis zur Vorbereitung der Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung zu unserer Tradition. Vor neunzig Jahren wurden die Mitbegründer der Kommunistischen Partei Deutschlands umgebracht. Die Morde waren skrupellos geplant und wurden bestialisch vollzogen. Luxemburg und Liebknecht hatten die Systemfrage gestellt, und das System antwortete. Die Ideen, für die beide kämpften und für die sie von der Reaktion ermordet wurden, sind aktueller denn je. Wir bitten alle Landessprecherräte, die verbleibende Zeit bis zum 11. Januar 2009 zu nutzen, um weitere Unterschriften unter den Aufruf zu sammeln, um die von Thomas Richter so originell gestalteten Buttons, die es in Kürze geben wird, zu verkaufen und vor allem, um so viele Linke wie irgend möglich für die Teilnahme an der Demonstration zu mobilisieren.

Liebe Genossinnen und Genossen, einige Bemerkungen zu unserer originären Situation als Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei. Der Kommunistischen Plattform gehören 960 in der LINKEN organisierte Genossinnen und Genossen an. Erscheint es da nicht lächerlich, sich in ein politisches Verhältnis zu den Problemen zu setzen, die das ganze Land, ja die die Existenz der Zivilisation betreffen? Gegenfrage: Wozu sonst sollten wir uns ins Verhältnis setzen? Sollen wir uns begrenzen auf die sogenannten kleinen Alltagsfragen? Um Mißverständnisse zu vermeiden: Ohne Kleinarbeit blieben wir Salonkommunisten. Die Arbeit in den Kommunen, Bürgervereinen, Flüchtlingsinitiativen etc. ist eine Selbstverständlichkeit. Gedankt sei an dieser Stelle unseren Genossinnen und Genossen in Niedersachsen, welche die Proteste gegen die Castortransporte nach Gorleben mit gestalteten. Aber um diese Arbeit zu machen, muß man nicht Kommunist sein. Wir haben die selbst auferlegte Verantwortung, die Dinge im Rahmen der jeweiligen Klassenkampfsituation zu sehen, einzuschätzen und unser alltägliches Handeln davon abzuleiten. Nicht zuletzt sind wir verpflichtet, dem Anspruch der Aufklärung gerecht zu werden. Dabei ist jede unbilanzierte Ungeduld hemmend. So sehr wir uns über die Stärkung der KPF freuen, die im Rahmen des Fusionsprozesses erarbeitet wurde: Wir können eben mit knapp tausend Genossinnen und Genossen keine Wunder vollbringen, und wer solche dennoch von uns verlangt, lähmt nur die real vorhandenen Kräfte. Wem man ständig erzählt, was alles, und zwar voraussetzungslos, hier und heute noch getan werden müßte, dem entzieht man die Kraft für das, was wirklich getan werden kann. Denn wir sind Menschen und keine Maschinen, die man von allen Seiten unter Druck setzen kann. Das sei heute auch für den Bundeskoordinierungsrat und den Bundessprecherrat gesagt. Monatlich beraten die im Bundeskoordinierungsrat versammelten Genossinnen und Genossen aus den Bundesländern die Lage und die bevorstehenden Aufgaben. Die Bundessprecher treffen sich in der Regel an drei Abenden im Monat mehrere Stunden, um die gesamte Tätigkeit der Bundes-KPF zu koordinieren. Und da ist noch keine der Verpflichtungen zeitlich einbegriffen, an Veranstaltungen teilzunehmen, Landeskonferenzen bundesweit zu besuchen, Reden – wie zum Beispiel die heutige – zu erarbeiten, Artikel zu schreiben oder aber Daten zu pflegen und die täglich eingehenden E-Mails zu beantworten.

Name und Programm

Liebe Genossinnen und Genossen, nicht nur Gegner einer antikapitalistisch orientierten LINKEN haben ein Problem damit, daß es in dieser Partei eine Kommunistische Plattform gibt. Hier und heute soll auch nicht die Rede von manchen Genossinnen und Genossen aus anderen Zusammenschlüssen, Gruppierungen und Parteien sein, die uns immer wieder vorwerfen, wir seien Feigenblatt für opportunistische Tendenzen in der Partei. Wir haben uns mit diesem Vorwurf mehrfach auseinandergesetzt. Es gibt, zumindest seit wir auch in den alten Bundesländern zugelegt haben, eine neue Tendenz. Der Antikommunismus in der alten Bundesrepublik sei so ausgeprägt, heißt es, daß der linke Flügel in unserer Partei im Westen chancenlos bliebe, solange die Plattform das Attribut kommunistisch trüge. Es wäre im Interesse der linken Entwicklung unserer Partei, wenn auf dieses Attribut verzichtet würde und anstelle dessen z.B. das Attribut marxistisch träte. Wir wollen diesem Ansatz nichts unterstellen, zum Beispiel nicht, daß eine Bedingung für Regierungstauglichkeit der LINKEN die Bereitschaft voraussetzt, die kommunistischen Traditionslinien der Partei zu verleugnen. Wir gehen von einer ehrlichen Sorge um die Entwicklung antikapitalistischer Positionen innerhalb der LINKEN aus, und wir gehen davon aus, daß die zentrale Kernfrage des Marxismus schon die Eigentums- und damit auch die Machtfrage ist, und daher die Begriffe kommunistisch und marxistisch durchaus identische zentrale Kategorien meinen. Dennoch: Warum gab es in der Geschichte der SPD immer Unvereinbarkeitsbeschlüsse und ein davon abgeleitetes Handeln, und warum war in der SPD in all den Jahrzehnten nach dem Krieg zugleich ein marxistischer Arbeitskreis stets existent und gelitten? Doch offenbar, weil der Interpretationsspielraum dessen, was unter marxistisch zu verstehen ist, größer erscheint, als der des Begriffes kommunistisch. Es ist nicht Sache dieses Referates, sich mit diesen Interpretationsfragen auseinanderzusetzen, wenngleich die Debatte darüber mit anderen sich marxistisch verstehenden Kreisen interessant und notwendig ist. Wichtig heute ist uns: Eine marxistische Plattform wäre objektiv SPD-kompatibel; die Kommunistische Plattform ist es nicht. Was würde es bedeuten, wir ließen uns auf eine Namensumbenennung ein, weil es unsere Situation im Westen angeblich verbessern würde? Die Interpretation von Freund und Feind wäre zweifelsfrei die, daß die KPF nunmehr kapituliert habe. Und diese Interpretation bestünde zu Recht. Das soll ein Vergleich verdeutlichen. In Deutschland gibt es zur Genüge das, was die veröffentlichte Meinung Fremdenhaß nennt. Was würde man über einen Türken, Italiener oder Marokkaner sagen, der sich seines Akzentes schämte und mit gebleichten Haaren herumliefe, damit die Leute ihn vielleicht für einen Deutschen hielten, um so Fremdenhaß abzubauen. Man würde dies als würdelos und dumm zugleich empfinden; dumm deshalb, weil die Deutschen ihm das Deutschsein ohnehin nicht abnähmen. Man würde ihm als Linker vielmehr raten, sich gegen Rassismus und Nationalismus zur Wehr zu setzen, zu seiner Herkunft zu stehen und die Irrationalität von Fremdenhaß anzuprangern. Warum sollten wir mit Antikommunismus anders umgehen? Weil es in unserer Geschichte nicht nur Erfreuliches gab? Unser Leumund in der alten BRD hat nicht in erster Linie etwas mit unserer Geschichte zu tun. Was wissen viele Alt-Bundesbürger überhaupt darüber? Daß es Stalin gab, die Mauer und die sogenannte Stasi. Und daß die Rote Armee, als sie den Osten Deutschlands besetzte, auch schlimme Dinge tat. Über den Krieg, der von deutschem Boden ausging, wissen sie herzlich wenig und über dessen Folgen noch viel weniger. Was wissen sie über die Spaltung Deutschlands und das Ausbluten der DDR bei offener Grenze? Was über den Kampf, auch mittels Geheimdiensten, gegen den ostdeutschen Staat? Was wissen sie über den sanften Umgang mit Nazi-Verbrechern, vor allem mit den Profiteuren aus Hitlers Krieg, in der Bundesrepublik Deutschland? Viele wissen nur, daß man mit den Funktionsträgern der DDR so umging, wie man mit ihnen umging, weil man angeblich die Fehler nicht wiederholen wollte, die nach ’45 den Umgang mit den Nazi-"Eliten" prägten. Was für ein Vergleich. Er erlaubt die Assoziation, Höß sei irgendwie schon mit dem Leiter des MfS-Untersuchungsgefängnisses in Berlin Hohenschönhausen zu vergleichen. Vorausgesetzt, man weiß, wer Rudolf Höß war. Wir sprechen hier nicht über die Linken in den Alt-Bundesländern. Die sind ja zumeist auch keine Antikommunisten. Wir reden über den durchschnittlichen Bildzeitungsleser, bekanntlich das in Deutschland meistgelesene Blatt. Sollen wir uns einem von BILD und SAT geprägten, auf enormer Geschichtsverfälschung beruhenden Kommunistenbild unterwerfen? Und glaubt wirklich jemand, dadurch gewänne die Parteilinke an Autorität? Wir sollten da keine Probe aufs Exempel machen. Wir verlören zuerst die, durch die die KPF seit zwei Jahrzehnten lebt. Hinzu käme die Häme des politischen Gegners der LINKEN sowie der Spott jener, die mit der KPF innerhalb der Partei nichts am Hut haben; hinzu käme die Verachtung durch Kommunistinnen und Kommunisten außerhalb der LINKEN. Man kann es kürzer sagen: Ein solcher Schritt – und wir wären erledigt!

Noch etwas zu unserer Spezifik. Im Juni 2006 erschien der Aufruf "Für eine antikapitalistische Linke". Viele von uns haben ihn mit unterschrieben und tragen ihn mit. Wenngleich dieses Papier zunächst mit keinerlei Strukturbildungen verknüpft war, war zunehmend zu bemerken, daß die Protagonisten des Aufrufs sowohl im ND als auch in der "jungen Welt" behandelt wurden, als seien sie Vertreter einer neuen, übergreifenden linken Strömung. Hinzu kam die Bildung einer tatsächlich selbsternannten Strömung ... Die "Sozialistische Linke". Während die weit länger als zehn Jahre existierenden, marxistisch orientierten Zusammenschlüsse der Linkspartei.PDS zunehmend seltener erwähnt wurden, wurde zugleich medial durchaus der Eindruck suggeriert, es gäbe bereits strukturelle plurale Ansätze einer zukünftigen neuen Linken in der bald neuen Partei. Ausgehend von dieser Beobachtung baten wir auf unserer Bundeskonferenz im November 2006 die Verfasser des Papiers "Für eine antikapitalistische Linke", die ihnen zur Verfügung stehende Öffentlichkeit zu nutzen, um deutlich zu sagen, welches ihre selbstbestimmte Rolle ist und wofür sie sich nicht werden mißbrauchen lassen. Unsere Bitte spielte eher keine Rolle. Die Dinge kamen, wie sie kommen mußten. Es bildeten sich, trotz gegenteiliger Absichten und Erklärungen, Strukturen. Doppelzugehörigkeiten, deren Sinn sich kaum erschließt, sorgten genauso für Verwirrungen wie Konkurrenzverhalten. Zudem, vielleicht nicht ganz unabhängig vom eben Gesagten, bildete sich das Forum demokratischer Sozialisten, das sich zur Stimme all jener in der Partei machte und macht, denen Regierungsbeteiligungen ein Wert an sich ist und die ihre DDR-Herkunft am liebsten vergessen machen würden. Je näher die Bundestags- und Europawahlen rücken, desto deutlicher werden Hausmachtinteressen. Die Kommunistische Plattform wird punktuell mit allen innerhalb und außerhalb der Partei zusammenarbeiten, wenn es um die Verteidigung bzw. Durchsetzung von Inhalten geht, von denen wir etwas halten. Sie wird notfalls alleine agieren, wenn es für bestimmte Positionen keine oder kaum Unterstützung von anderen Zusammenschlüssen, Strömungen oder Gruppierungen gibt. Wir denken nur an den Umgang mit der Geschichte. Zum Glück wissen wir uns besonders in dieser Frage in voller Übereinstimmung mit einem großen Teil der Mitgliedschaft, gerade im Osten, und natürlich mit dem Marxistischen Forum. Wir sollten uns, im Kontext mit Organisationsfragen, heute mehr denn je der Position entsinnen, die Rosa Luxemburg einnahm.

Noch im Dezember 1915, in Vorbereitung der Gründung der Spartakusgruppe, hatte Rosa Luxemburg ausgehend von den in diesem Zusammenhang erarbeiteten "Leitsätzen" die Herausschälung eines festen aktionsfähigen Kerns gefordert, aber gleichzeitig ausdrücklich gewarnt: "Mit organisatorischer Zusammenfassung ist große Vorsicht geboten. Denn alle Zusammenschlüsse der ‚Linken’ führen nach meiner bitteren langjährigen Parteierfahrung nur dazu, den paar aktionsfähigen Leuten die Hände zu binden."

Zur Organisation der Arbeit

Liebe Genossinnen und Genossen, nicht Bezeichnungen und strukturelle Spielereien entscheiden, sondern über das Optimum an Wirkung entscheidet das Niveau der inhaltlichen und organisatorischen Arbeit vor Ort. Den Begriff Optimum verwenden wir, weil wir vor Illusionen warnen möchten. Wir sollten von uns selbst keine Wunder erwarten. Erinnern wir uns. Als wir ab Herbst 2006 gezwungen waren, die Anzahl der sich der KPF zugehörig fühlenden Genossinnen und Genossen in der PDS und der WASG zu erfassen, haben wir nicht zuletzt an das Solidaritätsempfinden von Menschen appelliert. Wir sind realistisch nicht davon ausgegangen, daß das Wachstum der faktischen KPF-Mitglieder von einem adäquaten Wachstum der Strukturen unseres Zusammenschlusses begleitet sein würde. So ist es dann auch gewesen, und in Abhängigkeit vom persönlichen Engagement von Genossinnen und Genossen in den jeweiligen Bundesländern haben sich, wo noch nicht vorhanden, Strukturen entwickelt und im günstigen Falle schon weiter ausgeprägt. Wie ist die aktuelle Lage? Zunächst einmal ist auch in diesem Jahr die Anzahl der Genossinnen und Genossen der Partei DIE LINKE, die in der KPF sind, in den Bundesländern (ausgenommen Schleswig-Holstein) weiter moderat angewachsen – insgesamt um mehr als 100 auf nunmehr 961. Das war keinesfalls im Selbstlauf möglich, und wir möchten uns heute bei den Landessprecherräten erneut sehr herzlich für ihr Engagement bedanken.

Abhängig vom erreichten Stand haben wir es mit unterschiedlichen Herausforderungen zu tun:

- In den bereits seit Jahren zahlenmäßig und organisatorisch starken Landesorganisationen Berlin und Sachsen (mit jeweils über 160 Mitgliedern), sowie in Brandenburg und Thüringen (mit jeweils ca. 100 Mitgliedern) gilt es die bewährten Strukturen zu nutzen, um die Wirksamkeit in den Landesorganisationen der Partei zu stärken. Das gilt auch für Sachsen-Anhalt (55), wenngleich hier auch zahlenmäßig noch zugelegt werden könnte.

- In den Landesverbänden Niedersachen (42), Nordrhein-Westfalen (94) die erst in den letzten Jahren zahlenmäßig an Stärke gewonnen haben, gilt es die Erfahrungen beispielweise Sachsens zu nutzen und Arbeitsmethoden weiterzuentwickeln, die der gewachsenen Mitgliederzahl stärker Rechnung tragen.

- In den neu konstituierten Landesverbänden Bayern (32), Hessen (42), Mecklenburg-Vorpommern (29), Schleswig-Holstein (17) und Rheinland-Pfalz (20) gilt es, den erreichten Stand auf Landesebene vorerst zu stabilisieren und nicht vorschnell dem Druck auf Regionalstrukturen nachzugeben.

- In Baden-Württemberg (27), im Saarland (10) sowie in Bremen (2), wo die KPF noch nicht formal konstituiert ist, werden die Aktivisten vor Ort – wenn sie die Zeit für die Gründung für reif halten – seitens des Bundessprecherrates nach Kräften unterstützt werden.

Zurück zur Organisation der Arbeit in den Ländern. Welches Optimum sollten wir gemeinsam anstreben? Ein bis zweimal im Jahr sollten alle sich der Plattform in einem Bundesland zugehörig fühlenden Genossinnen und Genossen zu einer Landeskonferenz, Aktivberatung oder wie auch immer die Bezeichnung ist, eingeladen werden. In diesem Zusammenhang sollten auch neue Aktivisten für die KPF gewonnen und die Kontaktdaten auf dem aktuellen Stand gehalten werden. Der gewählte Landessprecherrat sollte mindestens einmal im Quartal tagen und sich zu inhaltlichen Problemen und nächsten Aufgaben verständigen. Landesparteitage sollten prinzipiell im Landessprecherrat vorbereitet werden. Wenn es um politisch brisante, in ihrer Bedeutung über das Land hinausgehende Parteitagsthemen oder Fragen der Programmdiskussion geht, stehen Mitglieder des Bundessprecherrates gern als Gesprächspartner zur Verfügung. Die Politik der Landessprecherräte sollte stets das Gesamtinteresse der Plattform berücksichtigen. Natürlich kann der Bundeskoordinierungsrat keinem Land das Handeln vorschreiben. Aber – wir sollten immer bedenken, wem öffentlich ausgetragene Differenzen nutzen. Von besonderer Bedeutung sind die Bemühungen der Sprecherräte, die Mitteilungen weiter bekannt zu machen, die Leserschaft zu verbreitern und das Spendenaufkommen zu erhöhen. Ihnen und besonders der Redaktion der Mitteilungen gilt heute unser herzlicher Dank. Wie ist die aktuelle Lage? Monatlich werden ca. 1.850 Mitteilungen gedruckt. Davon beziehen 1.560 Leser die Mitteilungen über die Post. Die Zahl der Postbezieher ist von November 2006 bis heute um 250 Leser gestiegen. Berlin und Sachsen liegen beim Leserzuwachs erheblich vor den anderen Ländern und sind auch in den absoluten Zahlen weit an der Spitze. Doch die Zahl der die Mitteilungen regelmäßig Lesenden reicht bei weitem nicht aus. Es ist eine Tatsache, daß viele Linke nicht einmal wissen, daß es die Mitteilungen gibt, oder aber nicht darüber informiert sind, daß diese Publikation hervorragende Autorinnen und Autoren und ein hohes Maß an Aktualität bietet. Die Mitteilungen sind für die ideologische Arbeit in der LINKEN und darüber hinaus unverzichtbar. Machen wir das zum Maßstab, so ist die Lage unbefriedigend und wir bitten daher darum, daß alle Landessprecherräte Maßnahmen beraten und beschließen, die dazu beitragen, daß im kommenden Jahr mindestens 500 neue Leser gewonnen werden. Das sind pro Land ca. 30 Neubezüge. In den meisten Ländern bräuchte nicht einmal jedes KPF-Mitglied einen neuen Leser zu gewinnen. Ein anderes, sehr prinzipielles Problem ist das der Spenden für unsere Mitteilungen. Die Situation ist mehr als unbefriedigend. Wir wollen in aller Offenheit die Lage schildern. Die Druckkosten für die Mitteilungen betragen in diesem Jahr 12.839 Euro. Hinzu kommen die Versandkosten, von denen heute nicht die Rede sein soll. Für beides kommt zunächst die Partei auf. Unsere Verpflichtung besteht darin, durch politische Arbeit die Druckkosten über das Spendeneinkommen abzudecken. Per 12. November sind 10.755 Euro Spenden eingegangen. Das heißt, uns fehlen derzeit, die Kosten für das Dezemberheft schon eingerechnet, 2.084 Euro zur Erreichung des notwendigen Ergebnisses. Wir bitten alle hier Anwesenden zu helfen, die Lage kurzfristig zu verändern. Das eigentliche Problem liegt tiefer. Der Berliner Landessprecherrat hat eine Analyse der Spendensituation in Berlin vorgenommen. Das Ergebnis macht mehr als nachdenklich. Bis Mitte September hatten nur ca. 13% der in Berlin die Mitteilungen regelmäßig Beziehenden überhaupt gespendet. Daß dennoch eine erkleckliche Summe zusammengekommen ist, hängt mit teilweise sehr hohen Spenden zusammen. Die Berliner haben auf der Aktivberatung am 15. Oktober ohne jede Beschönigung über diese Frage diskutiert und es ist eine Verbesserung des Spendenaufkommens zu verzeichnen, ohne daß Zufriedenheit schon angebracht wäre. Wir bitten alle Landessprecherräte, in absehbarer Zeit eine solche Analyse vorzunehmen und daraus die jeweils erforderlichen Arbeitsschritte abzuleiten. Ohne diese konkrete Kleinarbeit werden wir die Reserven in der Arbeit mit unseren Mitteilungen nicht erschließen.

Liebe Genossinnen und Genossen, vor uns liegt viel Arbeit. Im Euch vorliegenden Beschlußentwurf sind die Schwerpunkte hierfür fixiert und mit der Wahl des neuen Bundeskoordinierungsrates und des Sprecherrates wollen wir die personellen Voraussetzungen für die Weiterführung unseres Wirkens schaffen.