Schlussfolgerungen aus den LL-Demos 2024 und 2025
Ob geprügelt wird oder nicht, bestimmt in erster Linie die Polizei. Ob wir dafür noch die Steilvorlagen liefern, das hängt von uns ab.
Im Rahmen der vom Parteivorstand der Linken beschlossenen »Fachgespäche Antisemitismus« befasste sich das zweite Treffen am 18. Oktober 2025 nicht zuletzt mit Fragen, die Repressionen gegen Palästinasolidarität und ihre allgemeinen Folgen betreffend. In diesem Kontext sprach Thomas Hecker auf der Zusammenkunft zum nachfolgend dokumentierten Thema.
Die staatlichen Repressionen gegen die palästinasolidarischen Proteste sind nicht der Beginn von Polizeiangriffen auf linke Demonstrationen und vor allem sind sie nicht deren Ende. Sie sind auch ein Experimentierfeld für zukünftige Polizeieinsätze, denn weder die Kriegsvorbereitungen hierzulande noch die damit verknüpften zu erwartenden sozialen Grausamkeiten werden ohne Widerstand verlaufen. Davon zeugten nicht zuletzt die Demonstrationen am 27. September und am 3. Oktober. Wie sich die Polizei verhält, kann nicht losgelöst von den tagespolitischen Interessen des Staates betrachtet bzw. erwartet werden. In unserer Einschätzung des Verhaltens der Polizei während der Demonstration »Alle für Gaza«[1] haben wir versucht, dazu ein paar Überlegungen anzustellen. Wir sind illusionsfrei: Ob geprügelt wird oder nicht, bestimmt in erster Linie die Polizei. Ob wir dafür noch die Steilvorlagen liefern, das hängt von uns ab. Zu dieser Dialektik will ich mich namens des Bündnisses zur Vorbereitung der jährlichen Luxemburg-Liebknecht-Demonstration äußern.
Seit Jahr und Tag nehmen Mitglieder der Palästinensischen Gemeinde an der jährlich im Januar stattfindenden Luxemburg-Liebknecht-Demonstration teil. Bis 2024 hatte es die verschiedensten brutalen Polizeiangriffe auf die Demonstration gegeben. Die galten aber nie den diszipliniert agierenden Palästinensern.
Nach den Polizeiübergriffen im Bereich des Palästina-Blocks auf der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration am 14. Januar 2024 berichtete ein Genosse, der als Ordner in diesem Bereich eingesetzt war, auf der Auswertungsveranstaltung des Bündnisses u.a. Folgendes:
»Vor der Kreuzung Rusche- und Schulze-Boysen-Straße war der Palästina-Block zum Halt gekommen, während der vordere Demonstrationsteil weitergegangen war. Dadurch kam es zum Riss des Gesamtdemonstrationszuges.
Ich begab mich an die Blockspitze und wurde von einer Genossin über die Ingewahrsamnahme eines Demonstrationsteilnehmers aus dem Palästina-Block informiert. Dem in Gewahrsam genommenen wurde vorgeworfen, mit der Aussage ›from the river to the sea‹ gegen die Auflagen der Versammlungsbehörde verstoßen zu haben. Unterschiedliche Personen hatten die Polizei aufgefordert, den in Gewahrsam genommenen freizulassen, um die Demonstration fortsetzen zu können. Ich wurde von den Ordnern des Palästina-Blocks informiert, dass die Demonstration erst fortgesetzt würde, wenn die in Gewahrsam genommene Person wieder an der Demonstration teilnehmen könne. Die Polizei informierte uns, dass die betroffene Person nicht mehr vor Ort und die Fortsetzung der Demonstration geboten sei. Zu diesem Zeitpunkt kam es bereits zu einzelnen kleineren Auseinandersetzungen mit der Polizei.
Die Situation veränderte sich, als eine behelmte Polizeimannschaft von 20 bis 25 Mann auf dem Schutzstreifen zwischen den beiden Straßenseiten kettenförmig Position einnahm. Sowohl eine Ordnerin des Blocks als auch ich riefen die Ordnergenossen zusammen, um der Eskalationslage entgegenzuwirken. So bildeten ausschließlich Ordner zwischen den Polizisten und den Demonstrationsteilnehmern eine Kette, indem sich die Ordner unterhakten, wobei wir die Teilnehmer aufforderten, Abstand von der Polizei zu nehmen. Wenige Minuten später sahen wir auf der linken Straßenseite eine größere Gruppe, die in entgegengesetzter Richtung zum Demonstrationszug auf uns zu schritt. Die vorherigen Versuche von Sevim Dağdelen und Ellen Brombacher, diese Gruppe aufzuhalten und zurückzuschicken, blieben ohne jede Wirkung. Die Polizei hatte keine Maßnahmen ergriffen, die linke Straßenspur zu sperren. Diese Gruppe, welche sich von der vorderen Hälfte des Gesamtdemonstrationszugs gelöst hatte, blieb auf der Höhe des Palästina-Blocks stehen. Es folgte in kurzem Abstand eine Auseinandersetzung zwischen den Polizisten und der dazugestoßenen Gruppe. Gleichzeitig drückte sich eine Polizeimannschaft rechts vom Fußgängerweg kommend durch die ordnungsgerecht wartenden Demonstrationsteilnehmer. Dieser Vorstoß führte zu einer Kesselbildung in der Mitte der Straße. Daraufhin lösten die Ordner ihre Kette auf und wir zogen unsere Genossen, die zwischen die Polizisten gekommen waren, aus dem im Entstehenden begriffenen Kessel heraus.
Als alle Ordner sich der Situation entzogen hatten, wollte ich als einer der Letzten ebenfalls diesen von circa 20 bis 25 Polizisten gebildeten Ring verlassen. Ein Polizist verhinderte dieses, indem er mich darüber belehrte, dass hier eine polizeiliche Maßnahme durchgeführt würde und ergänzte ›deine scheiß Binde bringt Dir jetzt auch nichts mehr!‹ – dabei punktierte er mit seinem Zeigefinger meine Ordnerbinde. Innerhalb des Kessels beobachtete ich, wie Polizisten unterschiedslos auf die nahestehenden Demonstrationsteilnehmer einschlugen. Dazu nahmen sie ihre Fäuste und ich erinnere mich an kreisende Armbewegungen von Polizisten. In zwei Fällen wurde auf Demonstrationsteilnehmer, die bereits am Boden lagen, eingetreten. So wurden in ihrer Erscheinung zierlich wirkende junge Frauen von Polizisten zu Boden gebracht, wobei die Polizisten – wie ich es vernahm – mit ihrem gesamten Körpergewicht auf die betroffenen Personen einwirkten. Die Kesselsituation dauerte wenige Minuten an. Nachdem sich diese Situation aufgelöst hatte, sah ich eine blutende und sich nicht mehr bewegende Person am Boden liegen, die sodann von Sanitätskräften notversorgt wurde.
Einzelne kleinere Ausschreitungen mit der Polizei setzten sich danach fort. Als die eskalierte Situation abklang, verbreitete sich die Meldung, dass die zuvor in Gewahrsam genommene Person wieder an der Demonstration teilnehmen würde. Die Verantwortlichen des Palästina-Blocks forderten die Teilnehmer auf, die Demonstration fortzusetzen. Bis zur Gudrunstraße blieb der Verlauf dann störungsfrei.«
Nach diesen Erfahrungen vom Januar 2024 wurden im Bündnis zur Vorbereitung der Demonstration im Rahmen der LL-Ehrung 2025 folgende Festlegungen getroffen:
- Rechtzeitig vor der Demonstration am 12. Januar 2025 nehmen wir Kontakt zur palästinensischen Gemeinde auf und besprechen und vereinbaren ein koordiniertes Zusammenwirken während der Demonstration.
- Zwei der in der Bündnisarbeit erfahrensten Genossen, die für ihr besonnenes und freundliches Auftreten bekannt sind, werden während der gesamten Demonstration ausschließlich als Kontaktpersonen für den palästinensischen Block eingesetzt. Während der Demonstration wurde ein bis dahin nicht in Betracht gezogener Vorteil dieses Einsatzes deutlich. Die Palästinenser verhandelten prinzipiell nicht mit der Polizei, nahmen aber die Vermittlungen zwischen ihnen und der Polizei, die unsere Genossen im Einverständnis mit den Palästinensern tätigten, gern in Anspruch. Diese gesichtswahrende Situation wirkte sich günstig aus.
- Wir müssen in Erfahrung bringen, um welche Gruppierung es sich handelt, die sich auf der LL-Demo am 14. Januar 2024 aus dem vorderen Teil der Demo gelöst hatte und maßgeblich zur Eskalation im Bereich des Palästinenser-Blocks beigetragen hat. Hierzu will ich anmerken, dass wir diese Information tatsächlich erst kurz vor der Demonstration im Januar 2025 erhielten.
Bevor ich zu den Erfahrungen der LL-Demonstration 2025 einige Bemerkungen mache – ich war einer der zwei Genossen, die den Palästinenserblock direkt im Auftrag der Demoleitung begleiteten – eine grundsätzliche Anmerkung: Die Organisatoren einer Demonstration bestimmen natürlich nicht, ob die Polizei eine Demo angreift oder nicht. Das würde ja bedeuten, dass immer die Demonstranten für Polizeieinsätze verantwortlich sind. Aber gerade, weil Demonstrationen in gewisser Weise ausgeliefert sind, ist es umso wichtiger, der Polizei keine Steilvorlagen zu liefern. Ob aus Unbedarftheit, falsch verstandener Prinzipialität oder ob durch gezielte Provokationen von V-Leuten: Das Ergebnis bleibt sich gleich, und wir werden in der Regel nicht erfahren, welche der genannten Möglichkeiten den willkommenen Vorwand für ein Eingreifen lieferte. Aus diesem Grund ist es nicht defensiv, sondern schlicht zweckdienlich, alles zu vermeiden, was Polizeieinsätze erleichtert. Diese Erfahrung bestätigte sich im Januar 2025 erneut.
Die Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung am 12. Januar 2025 verlief politisch erfolgreich. An ihr nahmen ca. 10.000, vorwiegend junge Demonstranten teil. Inhaltlich war die Demonstration vor allem antikapitalistisch und antimilitaristisch geprägt. Forderungen nach Frieden, besonders in der Ukraine und im Nahen Osten, waren allgegenwärtig. Ebenso antifaschistische, antirassistische und internationalistische Positionen.
Eine große Mehrheit der Demo-Teilnehmerinnen und Teilnehmer verhielt sich den Gesamtinteressen der Demonstration entsprechend diszipliniert – ausgehend vom im September 2024 beschlossenen Bündnisaufruf.
Der besondere Dank der Demo-Leitung in Auswertung der Demonstration galt den palästinensischen Genossinnen und Genossen für ihr besonnenes Verhalten, einschließlich eines uneingeschränkt solidarischen Zusammenwirkens mit Vertretern der Demo-Leitung. Entgegen anderen Medienaussagen blieb der Palästina-Block im Januar 2025 von Polizeiangriffen verschont.
Ebenso dankte die Demo-Leitung dem Jugendblock, bestehend aus SDAJ, SDS, Linksjugend ['solid] Berlin und dem BAK Klassenkampf der Linksjugend ['solid]. Durch ihr mit der Demo-Leitung abgesprochenes, gut organisiertes, diszipliniertes Agieren, besonders in der schwierigen Situation vor Demo-Beginn und im Kontext mit den Polizeiübergriffen, ermöglichten sie wesentlich mit, dass die Demonstration geschlossen blieb und zu keinem Zeitpunkt ernsthaft gefährdet war.
Die Demo-Leitung verurteilte die heftigen Übergriffe der Polizei auf Teile der Demonstration. Personen wurden abgeführt, es wurde geschlagen und Reizgas wurde versprüht. Nach den Auseinandersetzungen war ein Demonstrant nach Schlägen bewusstlos und musste mit einem Rettungswagen in ein Krankenhaus transportiert werden. In diesem Kontext war das solidarisch-professionelle Wirken der Demo-Rettungssanitäter sehr wichtig. Ebenso die Unterstützung durch Genossen Ferat Koçak (Die Linke, seinerzeit MdA, bei den letzten Bundestagswahlen gewann er das Direktmandat im Wahlkreis Neukölln), der als parlamentarischer Beobachter vor Ort war. Auch seine Einschätzung war, das Verhalten der Polizei sei unverhältnismäßig gewesen.
Unsere Verurteilung der Polizeiübergriffe steht nicht im Widerspruch zu unserer bekannten Position, dass es im Gesamtinteresse der Demo liegt, der Polizei keine Steilvorlagen für Übergriffe zu bieten. Wir haben uns dementsprechend dezidiert vor dem 12. Januar 2025 öffentlich geäußert, nachdem am 6. Januar 2025 in der jungen Welt eine Erklärung der Gruppierungen Bund der Kommunist:innen, Perspektive Kommunismus, Revolutionäre Perspektive Berlin, Rote Jugend Deutschland und Rotes Kollektiv Kiel dokumentiert worden war, die in ihrem Duktus dem LL-Bündniskonsens, in Spannungssituationen um Deeskalation bemüht zu sein, direkt zuwiderlief. Es ist sicher nicht belanglos, dass dem Anmelder der Demonstration bereits am 7. Januar mitgeteilt wurde, dass die bisher für die Demonstration verantwortliche Polizeistruktur nicht mehr zuständig sei, sondern vielmehr eine Einheit der Bereitschaftspolizei. Es würde zu weit führen, alle Einzelheiten zu benennen, die bezeugen, dass die eben erwähnten Gruppierungen keinerlei Bereitschaft erkennen ließen, dem Bündniskonsens Rechnung zu tragen. Wir konnten mit der Demonstration erst eine halbe Stunde zu spät beginnen, weil diese Gruppierungen nicht bereit waren, den ihnen im Demo-Zug zugewiesenen Platz einzunehmen und wir somit gezwungen waren, operativ entsprechende Umstellungen vorzunehmen.
Wir »verdanken« ihnen mehrere Halts wegen Verstößen gegen die Auflagen. Diese Verstöße (z.B. Abbrennen von Bengalfeuern, verknotete Seitentransparente) waren sinnlos. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.
Das hat uns nicht davon abgebracht, uns solidarisch zu erweisen, als diese Gruppierungen von der Polizei angegriffen wurden. Die Demonstration hielt an, bis die Übergriffe beendet waren. Unsere Solidarität ist eine unbedingt gesetzte Größe. Wenn die genannten Gruppierungen bereit sind, ihre dem Gesamtinteresse der Demonstration entsprechenden solidarischen Verpflichtungen zu akzeptieren, sind sie willkommen.
Mittlerweile haben die Vorbereitungen der LL-Demo 2026 begonnen und wir werden alles tun, um den Schlussfolgerungen aus den Jahren 2024/25 gerecht zu werden.
Thomas Hecker, 18. Oktober 2025