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Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE

"LINKE-Kontroversen in Sachen Friedenspolitik"

Beschluss der 1. Tagung der 15. Bundeskonferenz der Kommunistischen Plattform

1. Das von Genossin Ellen Brombacher im Rahmen der vom Bezirksverband Berlin Tempelhof-Schöneberg am 16. März 2010 organisierten Podiumsdebatte »LINKE-Kontroversen in Sachen Friedenspolitik« gehaltene Eingangsstatement wird zustimmend zur Kenntnis genommen.

2. Die sich der Kommunistischen Plattform zugehörig fühlenden Genossinnen und Genossen nutzen die ihnen zur Verfügung stehenden Möglichkeiten, mit diesem Argumentationsmaterial in der Programmdebatte zu arbeiten bzw. es zu verbreiten.

 

Eingangsstatement zur vom Bezirksverband Berlin Tempelhof-Schöneberg am 16. März 2010 organisierten Podiumsdebatte "LINKE-Kontroversen in Sachen Friedenspolitik"

Teilnehmer: Stefan Liebich, MdB, und Ellen Brombacher, Bundessprecherin der KPF

1. Die Auseinandersetzung um die friedenspolitischen Prinzipien unserer Partei läuft seit gut anderthalb Jahrzehnten. Bereits 1996 wurde es auf dem Magdeburger Parteitag erforderlich, die entsprechenden Positionen des 93er Parteiprogramms zu bekräftigen. Der Magdeburger Parteitagsbeschluss lautete an der entscheidenden Stelle: "Wir lehnen militärische Konfliktlösungen grundsätzlich ab. Das gilt auch allen Bestrebungen der UNO, regionale Auseinandersetzungen und einzelne innerstaatliche Konflikte mit militärischen Mitteln bewältigen zu wollen, anstatt die jeweils vorhandenen Möglichkeiten der Kriegsverhütung und der politischen nichtmilitärischen Konfliktlösungen zu nutzen".

2. Der bisherige Höhepunkt der innerparteilichen Auseinandersetzungen um die friedenspolitischen Grundsätze war der Münsteraner Parteitag im April 2000. Dem war eine, schon im Programmkommentar angelegte, und seit Oktober 1999 andauernde, sich permanent zuspitzende Auseinandersetzung vorausgegangen. Der Antrag der Parteivorstandsmehrheit schloss die Einzel- oder auch Ausnahmefallprüfung zur Bestätigung oder Ablehnung von Beschlüssen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta ein. Dies käme einer Anerkennung von Militäreinsätzen als ultima ratio gleich. Der Gegenantrag unter der Federführung der damaligen PDS-Vizevorsitzenden Sylvia-Yvonne Kaufmann lehnte UN-mandatierte Militärinterventionen unter Berufung auf Kapitel VII und somit den generellen Prüfungsvorbehalt ab. Ca. 2/3 der Delegierten stimmten dem Kaufmann-Antrag zu.

3. Danach war die Debatte allerdings bei weitem nicht beendet. Im Rahmen der noch vor dem Münsteraner Parteitag begonnenen Programmdebatte, die 2003 mit dem Chemnitzer Programmparteitag ihr Ende fand, wurden größte Anstrengungen unternommen, das Ergebnis von Münster über die Programmdebatte wieder rückgängig zu machen. Ich war damals in der Programmkommission, speziell im Arbeitskreis Frieden und Sicherheit. Wäre ich nicht in diesem AK gewesen – und man hat sich große Mühe gegeben, mir den AK Sozialismus schmackhaft zu machen – so hätten in ihm ausnahmslos Gegner des Münsteraner Beschlusses agiert. Auch auf dem Chemnitzer Parteitag scheiterten letztlich die Bemühungen, der Anerkennung militärischer Gewaltanwendung als Mittel der internationalen Politik durch die Partei, die Tür einen Spalt weit zu öffnen.

4. 2004/2005 lief der Fusionsprozess zwischen PDS und WASG an, und damit die Diskussion um die programmatischen Eckpunkte der zukünftigen neuen Partei. Während sich im Text dieser Eckpunkte die geltenden friedenspolitischen Prinzipien der PDS wiederfanden, wurden diese im Eckpunkteentwurf faktisch dadurch konterkariert, dass in einem abschließenden Kapitel offene Fragen formuliert waren, die es weiter zu diskutieren gelte; darunter die Frage nach dem Verhältnis der Partei zum Völkerrecht. Dies bezog sich zweifelsohne auf die unterschiedlichen Positionen zu UN-mandatierten Militärinterventionen unter Berufung auf Kapitel VII der UN-Charta. Am Abend vor Beginn des Dortmunder Gründungsparteitages der LINKEN am 24./25. März 2007 wurde die eben erwähnte Fragestellung aus dem Fragekatalog gestrichen. Offensichtlich waren die Vorstände zu dem Schluss gekommen, dass eine faktisch auf kaltem Wege vonstatten gehende Infragestellung der in beiden Quellparteien geltenden friedenspolitischen Grundsätze die Vereinigung grundsätzlich in Frage stellen würde.

5. Und eine letzte Bemerkung zur Geschichte dieser Auseinandersetzung: Am 20./21. Juni 2009 fand der Parteitag in Vorbereitung der Bundestagswahlen statt. Noch am Morgen vor Beginn des Wahlparteitages verbreiteten die Medien, ein zähes Feilschen um das Bundestagswahlprogramm sei zu erwarten; ein bei mehr als tausend Änderungsanträgen chaotischer Kampf. In dieser Situation nahm auch die Kommunistische Plattform, gemeinsam mit dem Marxistischen Forum, dem Geraer Dialog und anderen, ihre Verantwortung für einen konstruktiven Parteitagsverlauf wahr. Gemeinsam hielten wir von 42 nur einen Änderungsantrag aufrecht; den Antrag, die Formulierung "Das Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen als Kern des Gewaltmonopols der Vereinten Nationen ist zu achten" durch die Formulierung "Das Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen ist zu achten" zu ersetzen. Wir hielten uns bewusst zurück. Aus gewiss unterschiedlichen Motiven überwog auf dem Parteitag bei weitem das Bewusstsein: Dies ist nicht der Ort, programmatische Debatten zu führen. Knapp zwei Stunden vor der Abstimmung über den außenpolitischen Teil des Bundestagswahlprogramms wurde der KPF-Sprecherrat von maßgeblicher Stelle gebeten, noch einmal mit den Delegierten der KPF zu sprechen, damit dieser von der KPF als einziger aufrecht erhaltene Antrag auch noch zurückgezogen wird. Eine scheinbar sinnlose Bitte. War es doch wahrscheinlich, dass der Parteitag dem Vorstandsantrag zustimmen würde, den außenpolitischen Teil des Wahlprogramms – bis auf eine bereits am Vorabend des Parteitages durch den Vorstand vorgenommene Änderung – unverändert zu lassen; zumal von Gregor eingebracht und von Sahra befürwortet. Wahrscheinlich war es demzufolge ebenso, dass unser Antrag überhaupt nicht zur Verhandlung kommen würde. Dennoch waren wir nicht bereit, diesen – im Übrigen auch von anderen – gestellten Antrag zurück zu nehmen. Denn auch hier ging es um die zentrale Frage, der Anerkennung der Staatsraison in punkto Außenpolitik durch die Akzeptanz des doppelt fragwürdigen Begriffs "Gewaltmonopol der VN" die Tür einen Spalt weit zu öffnen. Es sei hier angemerkt: Der Begriff Gewaltmonopol ist in der UN-Charta nirgendwo zu finden. Das, was damit gemeint ist, ist das Recht des Sicherheitsrates, nicht der UN-Vollversammlung, Gewaltanwendung zu beschließen. Als ich, kurz vor der Abstimmung darüber informierte, dass alle KPF-Delegierten für die Aufrechterhaltung des o.g. Antrages sind, war der Kommentar: "Ihr seid also gegen die UNO".

6. Es sei in aller Deutlichkeit gesagt: Wir sind ohne wenn und aber für die Ziele und die Grundsätze der Vereinten Nationen. Doch diese Ziele und Grundsätze existieren nicht in einem luftleeren Raum. Sie existieren im Rahmen von Kräfteverhältnissen. 1945 war es ein anderes als 1990 und heute ist es ein anderes Kräfteverhältnis als vor zwanzig Jahren. Der konzentrierte Ausdruck dieses Kräfteverhältnisses ist die Verfasstheit des Weltsicherheitsrates. Und der ist so verfasst, dass das tatsächliche Machtmonopol bei den USA und der NATO liegt. Gerade die Akzeptanz von Maßnahmen im Zusammenhang mit Artikel VII würde bedeuten, diesen Tatbestand anzuerkennen. Das käme der Akzeptanz eines legalistischen Standpunktes gleich. Aber – als Sozialistin oder Sozialist kann man die herrschenden Verhältnisse nicht akzeptieren, weil sie die herrschenden sind. Deshalb hört man nicht auf, Demokrat zu sein. Mit einer rein juristischen Argumentation lässt sich dem Problem für eine sozialistische Partei nicht beikommen. Ich möchte hier Uwe Jens Heuer aus den Auseinandersetzungen von 1999 zitieren: "Wenn wir uns zum Respektieren des Kapitels VII bekennen, haben wir ein Tor geöffnet, dass wir nicht wieder schließen können".

7. Es erhebt sich die Frage: Warum wird über einen so langen Zeitraum so unerbittlich um eine Position gerungen, die – formal betrachtet – für die LINKE lediglich Symbolcharakter hat? Ob durch die Beschlusslage in der LINKEN Einzel- oder auch Ausnahmefallprüfungen zur Bestätigung oder Ablehnung von Beschlüssen des Sicherheitsrates nach Kapitel VII der UN-Charta durch Bundesvorstand und Bundestagsfraktion akzeptiert oder nicht akzeptiert werden – für die weltpolitischen Prozesse ist dies eher nicht von Belang. Für die Identität und die innenpolitischen Wirkungsmöglichkeiten der Partei allerdings ist es maßgeblich, ob sie sogenannte robuste Militäreinsätze als ultima ratio akzeptiert oder ob sie militärische Gewaltanwendung als Mittel der internationalen Politik strikt ablehnt. Und für das Ansehen und die Glaubwürdigkeit der LINKEN ebenfalls.

8. Welche Kernargumente werden für die Anerkennung von Kapitel VII ins Feld geführt? Zunächst einmal einige Bemerkungen zum Gegenstand dieses Kapitels im Rahmen der UN-Charta: Selbige wurde am 24. Oktober 1945 von 51 Staaten in San Francisco verabschiedet. Das historisch Neue in ihr ist das Gewaltverbot um, gemäß Kapital I, Artikel 1 den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren. Zu den unter Kapitel I, Artikel 2 aufgeführten Grundsätzen gehört: "Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt." Ganz im Sinne der im Kapitel I fixierten Ziele und Grundsätze sind im Kapitel VI der Charta die Festlegungen zur friedlichen Beilegung von Streitigkeiten fixiert. Laut Kapitel V wird dem Sicherheitsrat der UN von deren Mitgliedern die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit übertragen. Im Gegensatz zu Resolutionen der UN-Vollversammlung, haben Beschlüsse des Sicherheitsrates verbindlichen Charakter. Die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates haben Vetorecht. Bei der Erfüllung seiner Pflichten, so heißt es in Kapitel V, Artikel 24 (2) "handelt der Sicherheitsrat im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen der VN. Die ihm hierfür eingeräumten besonderen Befugnisse sind in den Kapiteln VI, VII, VIII und XII aufgeführt". Kapitel VII nun umfasst Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Weltfriedens und bei Angriffshandlungen. Der Artikel VII schließt im Falle eines bewaffneten Angriffs das Selbstverteidigungsrecht ein und hat das Recht, "mit Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchzuführen". Hierzu sollten laut Kapitel VII, Artikel 43 nach Maßgabe eines oder mehrerer Sonderabkommen dem Sicherheitsrat Streitkräfte zur Verfügung gestellt werden.

9. Zu solchen Sonderabkommen ist es nie gekommen. Der Sicherheitsrat hat keine eigenen Truppen. Er kann gar nicht militärisch intervenieren. Es intervenieren militärisch regelmäßig die starken Staaten dieser Welt, die sich das leisten können, die das Militär samt Ausrüstung und die die Finanzen dafür haben. Der Sicherheitsrat gibt seine eigene Verantwortung also an diese Staaten ab; an die NATO oder an Sonderkoalitionen, indem er beschließt: Es sind alle Maßnahmen, darunter militärische, erlaubt. Alles andere beschließen die bewaffneten Koalitionen selbst. Und – das sei hier noch einmal festgestellt: Ohne die Zustimmung der fünf Vetomächte, die gleichzeitig Atommächte sind, vor allem aber ohne USA, geht ohnehin nichts. Das Argument, man müsse die Charta als Ganzes anerkennen, um die UNO als eigenständige Kraft, die sozusagen über den Großmächten stünde, zu profilieren – und zur Charta als Ganzes gehöre nun einmal auch Kapitel VII – hält den Realitäten schwer stand. Die UNO, also die Völker der Vereinten Nationen, wird wohl in erster Linie dadurch gestärkt, dass weltweit alle politischen Kräfte, die dazu willens sind – und dazu gehören die Linken als Teil der Friedensbewegung – darum kämpfen, dass das Gewaltverbot in den internationalen Beziehungen wieder einen größeren Stellenwert bekommt. Dem stehen Militäreinsätze nach Kapitel VII nun aber offenkundig entgegen, denken wir nur an Afghanistan. Bis 1990 wurde Kapitel VII nur einmal angewandt – im Zusammenhang mit dem Koreakrieg 1951. Der sowjetische Vertreter im Sicherheitsrat hatte an der entsprechenden Sitzung allerdings nicht teilgenommen. Erst nach 1990 häuften sich die Militäreinsätze unter Berufung auf Kapitel VII. Dieser Tatsache kann sich gerade eine sozialistische Partei nicht verschließen.

10. Nun bestätigen Ausnahmen manchmal die Regel: Nehmen wir an, das Bolivien Evo Morales wird von einer reaktionären lateinamerikanischen Staatengruppe überfallen und der Sicherheitsrat beschließt, ohne Veto der USA oder der NATO-Länder Großbritannien und Frankreich, Bolivien zur Hilfe zu eilen – wir gehörten zu den ersten, die einen Sonderparteitag fordern würden, damit dieser eine zustimmende Resolution beschließt. Dazu bedarf es keiner Veränderung der geltenden Beschlusslage. Noch etwas zum Thema Menschenrechtsproblematik, das nicht selten als Argument dafür ins Feld geführt wird, dass Militäreinsätze die ultima ratio sein könnten. Zum einen: Im Fall der Fälle – der schon deshalb eher nicht zu erwarten ist, weil bei internationalen Konflikten zumindest eine Vetomacht im Sicherheitsrat so gut wie immer ihre Interessen durch ein Veto geltend macht – also im Fall der Fälle bleibt immer der Sonderparteitag. Mit anderen Worten: Wenn es denn irgendwann DEN EINZELFALL gäbe, könnte man über ihn gesondert beschließen. Dafür muss man das Prinzip nicht ändern. Ansonsten zum o.g. Thema und zugleich abschließend folgende Anmerkungen: Kampfeinsätze, gleich unter welchem Helm, vertiefen zuvörderst global die Ungleichheit. Es gibt weltweit 12 Länder, die – offiziell oder mutmaßlich – über Atomwaffen verfügen, darunter drei NATO-Staaten. Es gibt 28 NATO-Mitglieder. Ergo existieren 36 Staaten weltweit, wo niemand eingreifen wird, es sei denn, er nimmt einen Atomkrieg a priori in Kauf. Auf der Erde leben 6,8 Mrd. Menschen, davon 3,4 Mrd. in kernwaffenbesitzenden Ländern und noch einmal einige 100 Millionen in weiteren NATO-Staaten. Mit anderen Worten: Weit mehr als 50% der Weltbevölkerung lebt in Gebieten, in denen die Herrschenden nach Gutdünken verfahren können, vorausgesetzt, wir unterstellen, Kampfeinsätze sind gedacht, Menschenrechten Geltung zu verschaffen. Und noch eine Bemerkung zu den Menschenrechten. Die BRD ist mit 11% am Gesamtvolumen der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Seit 2005 (6%) hat sie ihre Waffenexporte nahezu verdoppelt. Natürlich liefert sie Waffen auch in Krisen- und Kriegsgebiete, so in den Nahen Osten. Und sie liefert nicht zu knapp auf den afrikanischen Kontinent. Nach Südafrika und Algerien ist der Sudan der in Afrika drittgrößte Empfänger deutscher Waffen. Ausgerechnet der Sudan! Auch in Anbetracht solcher Fakten erhebt sich die Frage, warum sich eigentlich die LINKE dem Verdacht aussetzen sollte, auch nur der kleinste Zipfel eines Mäntelchens zu sein, dass ganz andere reale Interessen verhüllt als die Wahrung von Menschenrechten.

Ellen Brombacher, 16. März 2010