Zum Hauptinhalt springen

Kommunistische Plattform der Partei Die Linke

Erste Überlegungen zum Abschneiden der LINKEN bei den Bundestagswahlen

Erklärung des Bundesprecherrates

Wenn eine Partei fast die Hälfte des Stimmanteils verliert, ist schonungslose Analyse angesagt. Die Auseinandersetzungen über die Ursachen unseres Abschneidens bei den Bundestagswahlen werden das Leben unserer Partei in den nächsten Tagen und Wochen maßgeblich prägen. Die Ursachen sind sicherlich vielfältig. Wir sind davon überzeugt, dass es ein grundlegender Fehler war – den die PDS 2002 schon einmal beging – den Wahlkampf der LINKEN in ungesundem Maße auf das Streben nach einer Regierungsbeteiligung im Bund zu fixieren. So berichtete das nd vom 23. September 2021 in einer Stimmungslage, die keine Sicherheit bot, dass wir die Fünf-Prozent-Hürde nehmen werden, der Ex-Fraktionschef der Berliner LINKEN Udo Wolf habe geäußert, auch mit einer Gruppe könne man bei der Frage der Regierungsbildung mitsprechen. Eine unfassbare Prioritätensetzung.

Während landesweit Mitglieder unserer Partei in ungezählten Gesprächen an Wahlständen, Haustüren und andernorts dafür kämpften, dass Menschen DIE LINKE wählen, konnte man sich kaum des Eindrucks erwehren, dass sich führende Genossinnen und Genossen der LINKEN im Wahlkampf primär darauf konzentrierten, SPD und Grünen nicht zu nahe zu treten. Letzteres prägte inhaltlich und in der Tonalität wesentlich den Wahlkampf unserer Partei.

LINKEN-Protagonisten richteten buchstäblich alles darauf aus, den vermeintlich potenziellen Koalitionspartnern deutlich zu machen, dass wir selbst solche Kompromisse nicht scheuen würden, die den Kern unserer Identität zerfräßen und uns daher in Zukunft unsere Glaubwürdigkeit kosten würden. Bereitwillig wurde das Spiel von SPD und Grünen mitgespielt. Die sagten, sie würden mit niemandem koalieren, der den Austritt aus der NATO fordert.

Von Dietmar Bartsch, Susanne Hennig-Wellsow und anderen wurde dann sofort erklärt, an dieser Frage würde eine Koalition nicht scheitern. Mehr noch: Klaus Lederer erklärte, DIE LINKE müsse über eine »holzschnittartige, quasi pazifistische Friedenspolitik« hinauskommen. Man werde über jeden Auslandseinsatz der Bundeswehr »im Einzelnen entscheiden müssen«, so Dietmar Bartsch, und Gregor Gysi will »über Blauhelmeinsätze im eigentlichen Sinn diskutieren«. Was auch immer Gregor Gysi unter Blauhelmeinsätzen im eigentlichen Sinn versteht, und warum auch immer führende Genossinnen und Genossen sich nicht auf die Beschlusslage zur NATO sowohl im Partei- als auch im Wahlprogramm beriefen, bleibt ihr Geheimnis.

Die Formulierung in beiden Programmen lautet gleichermaßen: »Wir fordern die Auflösung der NATO und ihre Ersetzung durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands, das Abrüstung als ein zentrales Ziel hat.« Hier wird ein Prozess gefordert, an dessen Ende ein neues europäisches Sicherheitssystem steht, das auch russischen Interessen Rechnung trägt. Da geht es um keinen definierten Zeitpunkt, sondern um ein strategisch-politisches Ziel, welches allerdings impliziert, dass unsere Partei die NATO ablehnt. Das unterscheidet sie fundamental von SPD und Grünen. Aber nicht nur in puncto NATO wurde Programmatisches verworfen. Wenn Dietmar Bartsch über jeden Bundeswehr-Einsatz einzeln entscheiden will, dann kommt das der Befürwortung der Einzelfallprüfung gleich, die seit 1996 auf allen Parteitagen, auf denen diese Frage zur Debatte stand, abgelehnt wurde.

Mehrheitsentscheidungen scheinen das Papier nicht mehr wert, auf dem entsprechende Beschlüsse in der PDS und der LINKEN geschrieben stehen. So etwas wird bemerkt. Es mindert in hohem Maße Glaubwürdigkeit. Auch Menschen, die gar nicht unbedingt unsere beschlossenen Positionen zur NATO und zur »Einzelfallprüfung« teilen, könnten sich abgestoßen fühlen von der devoten Haltung, mit der LINKEN-Protagonisten ihre Bereitschaft dokumentierten, ihren Markenkern Friedenspartei aufzugeben. Warum sollten sie glauben, dass DIE LINKE in anderen Fragen, z.B. Soziales oder Umwelt betreffend, verlässlicher agieren würde? Zumal wir im Wahlkampf pausenlos suggerierten, mit SPD und Grünen könnten wir die sozialen Probleme lösen, die von denen selbst verursacht worden sind: Stellvertretend sei nur die asoziale Hartz-IV-Politik benannt. Wir müssen alles tun, damit die von der Kapitalherrschaft Ausgebeuteten und Bedrückten uns wieder als ihre Interessenvertreterin sehen.

Natürlich resultiert unser Wahlergebnis aus vielen Faktoren. Auch innerparteiliche Auseinandersetzungen trugen dazu sicherlich bei. Es wäre allerdings mehr als gewagt, den Auseinandersetzungen über Sinn und Unsinn des Genderns und ähnlichen Konflikten, die nur Schaden brachten – und auch zukünftig bringen würden –, einen größeren Wert beizumessen als dem würdelosen Verhalten in der Friedensfrage. Die KPF wird sich an den bevorstehenden Debatten in unserer Partei aktiv beteiligen und auf der Bundeskonferenz am 27. November 2021 ihre Standpunkte formulieren. Eines steht heute schon fest: Dieses Land braucht eine antikapitalistische Opposition – nicht zuletzt in den Parlamenten –, auch, damit es den Demagogen der AfD erschwert wird, sich als Vertreter der Bevölkerungsinteressen auszugeben. Würde DIE LINKE scheitern, so wäre denen Tür und Tor geöffnet. Unsere Wahlergebnisse, besonders im Osten, sind hierfür ein beängstigendes Warnsignal.