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Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE

Den Glaubwürdigkeitsbonus darf die Partei nicht verspielen

Bericht des Bundessprecherrates an die 4. Tagung der 15. Bundeskonferenz, Berichterstatter Jürgen Herold

Im August/September zeichnete sich ab, dass die von modernsten Kampfflugzeugen in seinerzeit mehr als 20.000 Einsätzen unterstützten de facto Bodentruppen der NATO in Bälde Libyen kontrollieren würden. Der russische NATO-Botschafter Rogosin bezeichnete die für den sogenannten Übergangsrat Kämpfenden als von der NATO ausgebildete und bis an die Zähne bewaffnete Einheiten, in deren Reihen auch westliche Söldner und Spezialeinheiten agieren würden. Im August erklärte NATO-Sprecherin Oana Lungescu: »Wenn die NATO ihren Job erledigt hat, ist es die Aufgabe anderer, die Leitung bei der Unterstützung Libyens zu übernehmen. Wir erwarten von den Vereinten Nationen, sich der Führungsrolle anzunehmen.« Und der NATO-Generalsekretär zog im September »erste Lehren«. Die NATO habe Flexibilität bewiesen, sie habe innerhalb von nur sechs Tagen mit dem Libyeneinsatz begonnen. Und sie habe »Stärke gezeigt«, weil Europäer und Kanadier die Hauptlast getragen hätten. Die Europäer müssten aber größere Anstrengungen unternehmen, um jene militärischen Fähigkeiten zu bekommen, die bisher nur die USA in ausreichendem Umfang besäßen.

Führt man sich vor Augen, dass die USA jährlich mehr für die Rüstung ausgeben, als die ihr nachfolgenden neun Staaten insgesamt, dann liegt die Ungeheuerlichkeit dieser Aussage auf der Hand. Wer ernsthaft den imperialistisch-militaristischen Wahn der USA zur europäischen Norm erheben will, der rüstet Europa in Gedanken zu einem alle noch existenten sozialen und demokratischen Errungenschaften verschlingenden Monster hoch.

In wessen Interesse die NATO und deren willige Helfer, jüngst auch in Libyen, ihren Job erledigen, ist – bei allem Gerede über Menschenrechte – schon lange kein Geheimnis mehr. Der päpstliche Nuntius in Tripolis, Bischof Innocenzo Martinelli, erklärte am 25. August 2011, das einzige Ziel des Krieges um Libyen sei es, »die besten Förderstellen zu sichern [und] Libyens Gas- und Ölvorräte auszubeuten«. Es tue ihm leid, das »so unverblümt« sagen zu müssen, aber der Egoismus der beteiligten Länder sei unübersehbar. Dazu passt, was in einer französischen Fernsehsendung im Kontext mit der Bombardierung Libyens in dankenswerter Offenheit geäußert wurde: Weil Frankreich ein Drittel der Flüge bestritt, habe es auch einen Anspruch auf ein Drittel des libyschen Öls.

Libyen, die Ermordung und zur Schau Stellung Ghaddafis inbegriffen, war die Demonstration des Imperialismus, dem modernen Faustrecht zwecks eigener Interessenwahrung in kürzester Zeit Geltung zu verschaffen. Der Welt wurde einmal mehr und ohne eine Spur von Scham demonstriert, dass es vor dem stärksten, mit modernsten Waffen ausgestatteten Militärbündnis der Welt kein Entrinnen geben soll. Die Tür zu einem völlig enthemmten, militärisch durchgesetzten Neokolonialismus wurde weiter denn je geöffnet, flankiert von außerordentlich zwiespältigen Entwicklungen in anderen nordafrikanischen Staaten und im arabischen Raum. Flankiert auch von offener Erpressung auf der politischen Weltbühne. Denken wir nur daran, dass die USA die Zahlungen an die UNESCO vorerst stoppten, nachdem Palästina mit den Stimmen von 107 Ländern bei nur 14 Gegenstimmen und 53 Enthaltungen am 31. Oktober 2011 in die UN-Spezialorganisation aufgenommen worden war. Oder nehmen wir den aktuellen Versuch, mit Hilfe des Iran-Berichts der IAEA den Iran schuldig zu sprechen. Die Kriegsgefahr, die solcher Politik innewohnt, ist beängstigend. Wer verhindern will, dass der Iran eventuell in den Besitz einer Atombombe gelangt, ohne zu fordern, dass der Nahe Osten eine atomwaffenfreie Zone wird – also Israel auf seine Atomwaffen verzichtet – der misst mit doppelten Standards. Und genau das charakterisiert imperialistische Politik, die ihrem Wesen nach undemokratisch sein muss. Demokratie ist solange ein Wert, wie sie imperialistischen Interessen nicht im Wege steht. Das zeigte sich nicht minder im Kontext mit dem zunächst geplanten und dann wieder rückgängig gemachten Volksentscheid in Griechenland. Dies alles und vieles andere mehr zeugt von der abgrundtiefen Verkommenheit des Systems der Profitmaximierung: Die Menschheit wird wieder und wieder an den Rand des Abgrunds gezockt. Forscher der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich haben festgestellt, dass 147 Superkonzerne die Weltwirtschaft zu ihrem Spielball machen. Diese haben die Verfügungsgewalt über rund 40% der Weltwirtschaft. »Die Konzentration der wirtschaftlichen Kontrolle, die wir gefunden haben, ist enorm«, befanden die Schweizer Forscher. Drei Viertel der Superkonzerne sind Teil der Finanzbranche. Die junge Welt vom 28.10.2011 kommentierte hierzu: »Weil sie untereinander mittels mannigfaltiger, teils hochspekulativer Instrumente wie Krediten und Kreditausfallversicherungen verschränkt sind, kontrollieren sich die Protagonisten der Supereinheiten vollständig gegenseitig. Und faktisch ist kein Konzernlenker mehr Herr über den eigenen Laden.« Die sogenannte Politik soll das ausgleichen. Sie soll Vernunft in den Profitmaximierungsmechanismus bringen, ohne diesen substantiell zu behindern. Das kommt der Quadratur des Kreises nahe und nicht zuletzt die Auseinandersetzungen um die Eurorettung machen das deutlich. Der Kapitalismus ist in der Position des Zauberlehrlings. Die Geister, die er rief, beherrscht er eher nicht mehr. Er darf sie nicht einmal beherrschen wollen.

Dies alles wissend müssen Linke dennoch um jeden Schritt der Kontrolle des Finanzkapitals und der Supermonopole kämpfen. Jede Kontrolle nämlich behindert den alles bestimmenden Daseinszweck der kapitalistischen Ordnung: Aus Kapital mehr Kapital zu machen – egal, was es die Menschheit kostet. Dagegen gehen mittlerweile weltweit Menschen in der Occupy-Bewegung auf die Straße. Was da läuft, könnte ein Anfang einer machtvollen, dem Wesen nach antikapitalistischen Bewegung sein. Womöglich ist deren momentane Stärke die Strukturlosigkeit, weil gerade sie es jedermann ermöglicht, dabei zu sein. Die Dialektik aber, so meinen wir, ist, dass es bei dieser Strukturlosigkeit nicht bleiben kann. In dieser Situation müssen Sozialistinnen und Sozialisten, Kommunistinnen und Kommunisten Geduld haben und genau hinsehen und analysieren – was eines voraussetzt: Dass wir dabei sind. Es wird für die Bewegung existentiell sein, inhaltliche Antworten eher zu finden, als die Geduld der Leute erlahmt. Dazu müssen wir unseren Teil beitragen, ohne uns zu überheben. Unsere Möglichkeiten liegen in unserer marxistischen Orientierung. Würden wir aus dieser ableiten, wir wüssten schon alles, so wäre das, neben der Fortsetzung alter Irrtümer, der sichere Weg in die Isolation. In all unserem Denken und Tun knüpfen wir an die sozialen Erfahrungen der Menschen an. Wir sind Zeugen, wie soziale Polarisierungen unfassbare Ausmaße annehmen. Millionen der Ärmsten der Armen verhungern. Und der Kampf um Wasser geht in eine neue, gefährliche Phase. In den hochentwickelten Industriestaaten wächst die Ausbeutung in für die Nachkriegsgenerationen ungekanntem Tempo. Alleine in der BRD liegt die Zahl der tatsächlich Arbeitssuchenden auch konservativ geschätzt bei mindestens fünf Millionen Menschen. So erodieren die sozialen Strukturen der Gesellschaft und zugleich wird die Umwelt systematisch um des Profits willen zerstört. Auf welche Weise auch immer: Diese zunehmend ins Chaos trudelnde gesellschaftliche Ordnung muss überwunden werden, wenn die Zivilisation gerettet werden soll.

Liebe Genossinnen und Genossen, es ist daher wichtig, dass das im Oktober 2011 auf dem Erfurter Parteitag beschlossene Parteiprogramm, dem nunmehr die Urabstimmung folgt, antikapitalistisch geprägt ist und die friedenspolitischen Prinzipien in ihm bewahrt wurden. Per Akklamation wurde die Resolution des Parteivorstandes »Occupy – Profiteure der Krise zur Kasse!« angenommen.

In Erfurt stimmten 503 Delegierte, das sind 96,9%, für das Programm. Vier Delegierte votierten dagegen und zwölf enthielten sich der Stimme. Von insgesamt 1.400 Änderungsanträgen wurden 350 tatsächlich behandelt, von denen 18 eine Mehrheit fanden. Nicht behandelt wurden all jene Anträge, die durch eine Blockabstimmung de facto unter den Tisch fielen. Hier könnte geschlussfolgert werden, eine mehr als anderthalbjährige Programmdebatte sei ohne wesentliche Ergebnisse geblieben. Doch die Dialektik ist eine andere: Gerade die Intensität und nicht zu unterschätzende Breite der Programmdebatte, die Ernsthaftigkeit, mit der sie erfolgte, die Sorgfalt, mit der Änderungsanträge verfasst wurden – viele darauf gerichtet, das linke Profil der jeweiligen Entwürfe weiter zu schärfen – waren der demokratische Beleg dafür, dass eine Mehrheit der Mitglieder unserer Partei zwar im Einzelnen Verbesserungen der jeweiligen Entwürfe befürwortete, aber nichts an deren antikapitalistischem, antifaschistischem und antimilitaristischem Charakter ändern wollte. Dass wir es sowohl in der Programmdebatte als auch mit dem neuen Programm mit einer so progressiven programmatischen Grundlinie zu tun hatten und haben, ist nicht zuletzt auf die Arbeit von Sahra in der Programm- und danach in der Redaktionskommission zurückzuführen, und dafür sagen wir heute ihr aber auch Oskar Lafontaine und Nele Hirsch – stellvertretend für weitere Kommissionsmitglieder, die mit der Basis im Rücken für ein antikapitalistisches Programm kämpften – ein besonderes Dankeschön.

Hätte der sechzehn Monate diskutierte 1. Entwurf nicht so viel Rückhalt an der Parteibasis gehabt, er hätte die Zeit bis zum Programmkonvent am 7. November 2010 kaum überlebt. Die den Gesamtverlauf der Programmdebatte charakterisierende Haupttendenz der Bewahrung der Grundlinie des Entwurfs bzw. des Leitantrags wiederspiegelte sich auch im Parteitagsverlauf. Sowohl die Reden von Gesine Lötzsch und Klaus Ernst als auch die von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine waren kapitalismuskritisch bis antikapitalistisch und gingen davon aus, dass die LINKE gerade angesichts der sich vertiefenden und zugleich erweiternden Krise, der Kriege und all der anderen elementaren Verwerfungen der Profitgesellschaft mehr gebraucht wird, denn je. Gearbeitet werden müsse besonders daran, dass diese objektive Notwendigkeit, mehr als gegenwärtig, Praxis im Alltag wird. Mit parlamentarischen Möglichkeiten ausgestattet müsse unsere Partei vor allem Teil der sich entwickelnden Bewegungen werden, die weltweit für die Interessen der 99% kämpfen.

Das beschlossene Parteiprogramm orientiert letztlich auf einen Systemwechsel – die Überwindung der Diktatur des Profits. »Sie haben einen Scheiß beschlossen«, schrie der CDU-Bundestagsabgeordnete in einer zum Parteiprogramm der Linken beantragten Aktuellen Stunde im Bundestag am 27. Oktober 2011, und verkörperte mit dieser kulturellen Leistung das Gesamtniveau dieser Veranstaltung. Auch die Mainstream-Medien erregten sich ob des neuen Programms, und das ist gut so. Die LINKE, so der Tagesspiegel vom 22. Oktober 2011, schüre eine Stimmung des Klassenkampfes, »stets in einer Abwehrhaltung«. Und das Blatt weiter: »Bloß nicht werden, wie die anderen Parteien, die sich ›devot den Wünschen der Wirtschaftsmächtigen unterwerfen‹, wie es in der Präambel heißt. Etwas Besseres will die Linke sein, die einzige Partei im Land, die den Empörten eine Stimme gebe, wie die Vorsitzende Gesine Lötzsch behauptet.« Soweit der Tagesspiegel. Den Mainstream-Medien passt die ganze Richtung nicht.

Ebenso wie die Reden der Protagonisten der LINKEN befasste sich ein großer Teil der Debattenbeiträge und der mündlichen Antragsbegründungen mit den Schwerpunkten Friedenspolitik, Antifaschismus und mit dem Widerstand gegen Sozialkahlschlag und Umweltzerstörung. Der Gedanke des Internationalismus spielte eine größere Rolle als auf vorangegangenen Parteitagen. »Hoch die internationale Solidarität«, dieser Ruf begleitete die beindruckende Rede des Vorsitzenden der griechischen Synaspismos-Partei Alexis Tsipras. Einstimmig wurde die Kundgebung und Demonstration am 22. Oktober 2011 in Erfurt zur Schließung der Flüchtlingslager und zur Abschaffung der sogenannten Residenzpflicht unterstützt, ebensolche Zustimmung fand der Antrag von Cuba Sí »Solidarität mit der Jugend und dem Volk von Chile und mit der Linken in ganz Lateinamerika« und beinahe einstimmig wurde der Antrag angenommen »10 Jahre Krieg in Afghanistan: Dem Frieden eine Chance, Truppen sofort raus aus Afghanistan!« Es war kein Zufall, dass der Parteitag mit einer berührenden Episode abschloss: Die erste Strophe der Internationale wurde mit Musikbegleitung gesungen. Dann endete das Band. Ein nicht kleiner Teil von Delegierten blieb im Saal und sang, von der Regie so nicht angedacht, die weiteren zwei Strophen der Internationale.

Liebe Genossinnen und Genossen, es wäre eine Illusion, anzunehmen, dass mit dem Beschluss über das Parteiprogramm und der jetzt erfolgenden Urabstimmung die Auseinandersetzungen in der Partei um grundlegende inhaltliche Fragen beendet sind. Am 24. August 2011 wurde ein von André Brie, Ernst Krabatsch, Stefan Liebich, Paul Schäfer und Gerry Woop verfasstes Papier vorgestellt, mit dem Titel »Reformen zur Stärkung der UNO sind notwendig und machbar. Vorschläge für eine linke Positionierung zur Weltorganisation«. Das Papier, so Paul Schäfer, solle nicht zuletzt den Vorwurf entkräften, dass DIE LINKE »zu wenig Verständnis für Außenpolitik zeigt«. Gerry Woop äußerte, die Überlegungen der Autoren seien realistisch, beinhalteten aber trotzdem linke Vorschläge. Warum eigentlich »trotzdem«? Ist Linkssein unrealistisch per se? Weiter lobte Woop, durch das Papier beweise die Linkspartei, dass sie auch außenpolitische Verpflichtungen übernehmen könne. Damit meinte er vor allem die von den Autoren geforderte Bereitschaft der LINKEN, Militäreinsätzen gegebenenfalls zumindest im Einzelfall, die Zustimmung nicht zu verweigern. Wenn Paul Schäfer erklärte, militärische Auslandseinsätze seien immer die Ultima Ratio, so erklärte er eben auch, dass sie möglich sein müssen: Als Ultima Ratio eben.

Dem entsprachen auch die Änderungsanträge des fds zum internationalen Teil des Parteiprogramms – so deren Änderungsantrag 3: »Die Bundeswehr muss wieder auf ihren grundgesetzlichen Verteidigungsauftrag im Rahmen des Völkerrechts begrenzt werden. Über eine Unterstützung ihrer Beteiligung an Missionen der Vereinten Nationen entscheidet DIE LINKE in jedem Einzelfall ...« Und in der Begründung zu diesem Antrag heißt es unter anderem, die Formulierung im Leitantrag opfere die Einzelfallbewertung jeder konkreten Anfrage der Vereinten Nationen einem generellen Nein. »Aber«, so wörtlich, »es gab Einzelfälle, bei denen zur Katastrophenhilfe, zur Durchsetzung des Völkerrechts, zur Beobachtung und Sicherung von Waffenstillstandsabkommen oder zur Verhinderung von Völkermord UN-Missionen sinnvoll und gerechtfertigt waren. Diese Fälle kann es auch künftig geben.« Solcherart waren auch die Diskussionsbeiträge von Stefan Liebich und Gerry Woop in Erfurt. Dass beide letztlich dennoch erklärten, sie würden dem Kompromiss hinsichtlich der friedenspolitischen Prinzipien zustimmen, der Kampfeinsätze nach Kapitel VII der UN-Charta und daher auch Einzelfallprüfungen dezidiert ausschließt, hatte wohl auch damit zu tun, dass das fds mit seinen diesbezüglichen Anträgen auf dem Parteitag keine Chance gehabt hätte.

Kehren wir noch einmal zu dem bereits erwähnten Papier von Brie, Liebich und anderen zurück. Der Bundessprecherrat hat sich dazu geäußert und ebenso wie eine diesbezügliche Stellungnahme von Jan van Aken ist unsere Erklärung in den Oktober-Mitteilungen dokumentiert. Ebenso unsere Änderungsanträge, die sich vor allem gegen die sogenannte responsibility to protect richteten, bzw. den Austritt aus der NATO forderten. Auch sie wurden nicht behandelt; die Möglichkeiten ihrer Begründung jedoch prägten das Klima auf dem Parteitag mit. Die entsprechenden KPF-Debattenbeiträge von Erfurt sind in den November-Mitteilungen nachzulesen. Soweit einige Anmerkungen zu programmatischen Dingen.

Liebe Genossinnen und Genossen, auf dem Erfurter Parteitag wurden auch Satzungsfragen behandelt, aus Zeitgründen nicht bis zu Ende. So blieben auch zwei Anträge des Kreisverbandes Vogtland-Plauen unbehandelt, in welchen gefordert wird, den Zusammenschlüssen der Partei ihre Delegiertenmandate zu nehmen bzw. ihnen nur noch Delegierte mit beratender Stimme zuzubilligen. Wir hatten uns bereits im Vorfeld des Erfurter Parteitages an alle Zusammenschlüsse gewandt, denen auf Grund ihrer Mitgliederanzahl Delegiertenmandate zustehen. Und es gab keinen Zusammenschluss, dem es gleichgültig war, ob in Zukunft Delegierungen möglich sein werden oder nicht. Der Bundessprecherrat hat sich am 17.11.2011 erneut an die bundesweiten Zusammenschlüsse mit die Mandatsfrage betreffenden Überlegungen gewandt. Erste Reaktionen von anderen Zusammenschlüssen liegen vor und wir werden weiter an diesem Problem arbeiten.

Liebe Genossinnen und Genossen, die Kommunistische Plattform hat sich in bestimmten innerparteilichen Auseinandersetzungen der vergangenen zehn Monate, besonders in der Zeit von Januar bis August 2011, große Zurückhaltung auferlegt. Wir vertraten die Auffassung, dass einige in diesem Zeitraum laufende Debatten – die Antisemitismusdebatte, die beinahe ausschließlich von den bürgerlichen Medien kontrollierte Diskussion über den 13. August, aber in gewisser Weise auch die so genannte Kommunismusdebatte – im Wesentlichen kontraproduktiv waren. Gesine Lötzsch hat sich in der Kommunismusdebatte couragiert und klug verhalten. Die nicht von Gesine zu verantwortende Themenwahl »Wohin bitte geht’s zum Kommunismus« allerdings ging an den Sorgen und Nöten derer, die sich von Deutschlands Linken etwas erhoffen, ziemlich vorbei. Diese Diskussionen, ebenso wie die anderen schon erwähnten, halfen uns nicht weiter. Vielmehr begünstigten diese Debatten, dass antikommunistische Angriffe in seltener Kompaktheit stattfinden konnten. Zudem vermittelte die Partei einen desolaten Eindruck: Die für diesen Eindruck Verantwortlichen waren durch Mainstream-Medien und manche in der Partei selbst schnell ausgemacht: Der Bundesvorstand und speziell Gesine und Klaus. Würdelos wurde das Glückwunschreiben an Fidel Castro innerparteilich instrumentalisiert – und so der in der Partei fest verankerte Gedanke der Solidarität mit dem sozialistischen Kuba mit Füßen getreten. Auch die unter anderem von Ralf Christoffers, Thomas Falkner, Kerstin Kaiser, Kurt Libera und Helmut Markov am 30.07.2011 im ND veröffentlichte Erklärung »Eine notwendige Erwiderung« trug nicht gerade zur Verbesserung des innerparteilichen Klimas bei. Wir kommen auf diese Erwiderung zurück. In dieser aufgeheizten Situation redeten einige hinter den Kulissen bereits von einem Putsch, sollten die Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin nicht befriedigend ausgehen. Wir haben nicht zu denen gehört, die in den besagten acht Monaten Öl ins Feuer gossen. Nur im Rahmen der Antisemitismusdebatte äußerten sich drei Genossinnen und Genossen der KPF: Kurt Gutmann, Friedrich Wolff und Ellen Brombacher. Die Erklärung ist in den Juli-Mitteilungen veröffentlicht und diesen Überlegungen soll heute nichts hinzugefügt werden.

In dem bereits erwähnten Papier »Eine notwendigen Erwiderung« gibt es eine durchaus antikommunistische Stoßrichtung. Brandenburger Akteure des fds warteten vermutlich seinerzeit auf unsere Gegenreaktion, was den bürgerlichen Medien im innerparteilichen Streit Futter für ihr schändliches Spiel geliefert hätte. Damals ließen wir uns weder provozieren, noch, wie unsere heutigen Bemerkungen zeigen werden, verdrängten wir die Angelegenheit.

Die so benannte notwendige Erwiderung setzte sich mit einer Rezension Oskar Lafontaines auseinander, in welcher er formuliert hatte, die Linkspartei dürfe in der Stalinismusdebatte nicht den aufrechten Gang verlieren. Anhand der von Michael Schumann auf dem 89’er Sonderparteitag bestimmten Kriterien des »Stalinismus als System« verglich Lafontaine Methoden, derer sich auch der real existierende Sozialismus bedient hatte, mit der im Kapitalismus herrschenden Machtpolitik. Methoden, die im Übrigen weder der Kapitalismus noch der Sozialismus erfunden hat und die letztlich von Machiavelli bereits 1532 in seinem staatsphilosophischen Traktat »Der Fürst« beschrieben wurden, weil sie schon im Feudalismus der Legitimierung und Durchsetzung der Staatsraison gedient hatten. Indirekt provozierte Lafontaine damit den Schluss, dass bestimmte machtpolitische Strukturen der untergegangenen sozialistischen Staaten keine diesem System innewohnende Einmaligkeit darstellten, sondern systemübergreifend feststellbar sind. Eigentlich sollten in der DDR sozialisierte Sozialistinnen und Sozialisten einem linken Sozialdemokraten dafür dankbar sein, dass er vergleichsweise sachlich mit Problemen des real existierenden Sozialismus umgeht. Kaiser, Markov, Christoffers und andere schrieben jedoch in ihrer Erwiderung, für sie habe es rein gar nichts mit intellektueller Redlichkeit zu tun, »Strukturelemente einer geschlossenen Gesellschaft, der ›Diktatur des Proletariats‹ samt ›führender Rolle der marxistisch-leninistischen Partei‹ und einer planwirtschaftlich geführten Staatsökonomie, formal auf eine parlamentarische Demokratie und eine fest in die Weltökonomie integrierte Marktwirtschaft, auf eine wettbewerbsorientierte offene Gesellschaft zu übertragen.«

Machiavelli Aber finden denn Kaiser, Markov, Christoffers u.a. die Diktatur der Banken, die die übergroße Mehrheit der Menschen zu Geiseln ihrer strukturellen Skrupellosigkeit machen, so angenehm, dass sie für das Image einer Gesellschaft einstehen wollen, die sie als offen und wettbewerbsorientiert empfinden. Wo ist der Wettbewerb, wo die den Dingen auf den Grund gehende Offenheit in einer von gewaltigen Medienkonzernen beherrschten veröffentlichten Meinung? Der Kapitalismus wird, laut Kaiser und anderen, durch einen Vergleich mit dem gewesenen Sozialismus abgewertet. Wörtlich: »Die heutige Realität wird durch die Gleichsetzung mit dem Vergangenen diskreditiert, wer im Heute – verglichen mit dem Vergangenen – historischen Fortschritt erkennt, soll ideologisch abgekanzelt werden.« Letzteres ist eine Lachnummer: In einer Gesellschaft, in der nur die leiseste positive Erwähnung der DDR den Aufschrei der meisten Politiker und der gesamten Mainstream-Medien zur Folge hat, sorgen sich Kaiser und andere um deren ideologische Abkanzlung. Das ist so, als fühle man sich verpflichtet, dem Vatikan vor jenen Schutz zu gewähren, die die Empfängnisverhütung oder die Aufhebung des Zölibats in Betracht ziehen. So werden die Dinge auf den Kopf gestellt. Und noch etwas: Kaiser und andere wenden sich hoffentlich – nicht in ihrem Papier, aber doch generell – ebenso wie wir gegen einen Vergleich des Sozialismus mit dem Faschismus – so gegen die permanenten, zur Gleichsetzung tendierenden Vergleiche zwischen Hitlerdeutschland und der DDR. Die DDR war – unterstellt, hier gibt es keine Differenz – demzufolge besser als die faschistische Daseinsweise des Kapitalismus, aber doch so schlecht, dass sie diesen – mit dem Kapitalismus schlechthin verglichen – diskreditiert. Wie geht das bei intelligenten Menschen zusammen? Wo bleibt da die intellektuelle Redlichkeit? Nur, wer das ökonomische Wesen des Faschismus ignoriert – leugnen kann man es nicht – kann zu dem Schluss kommen, ein Vergleich des Sozialismus mit dem Kapitalismus diskreditiere letzteren.

Liebe Genossinnen und Genossen, mit dieser Feststellung ist noch kein Wort über die Verhältnisse verloren, unter denen wir – weltweit – leben. Kein Wort über die Kriege. Kein Wort über den Zusammenhang zwischen durch Spekulationen hochgetriebenen Nahrungsmittelpreisen und dem Verhungern von Millionen in Afrika, und keines darüber, dass inzwischen Banker, nach sicheren Anlagen befragt, neben Gold auch Wasser aufzählen. Ein grauenhafter Gedanke. Kein Wort über den äußerst profitträchtigen Menschenhandel und die sexuelle Ausbeutung von Kindern und Frauen, kein Wort über die bestialischen Massenmorde in von Narco-Syndikaten weitgehend beherrschten Staaten Süd- und Mittelamerikas, kein Wort über die faschistoiden Tendenzen in mittlerweile vielen Ländern Europas und andernorts.

Gerade in den vergangenen zehn Tagen wurden und werden wir Zeugen, wie akut die Gefahr faschistischer Exzesse heute auch hierzulande schon wieder ist. Uns will zum Beispiel die FAZ einreden, dass die über dreizehn Jahre nichtgeahndeten Verbrechen die Taten einer Kleinstgruppe sind, und dass diese Morde und Mordversuche unentdeckt bleiben konnten, weil die Gruppe eben so klein war. Nach dieser Logik wäre ein Einzeltäter dann über fünfzig Jahre unentdeckt geblieben. Es habe, so der Bundesinnenminister am 15. November im ZDF-Morgenmagazin, in all den Jahren keinerlei Signale gegeben, dass die Untaten einen rechtsradikalen Hintergrund gehabt haben könnten. Anscheinend hat es aber Signale gegeben, dass Roma in die Verbrechen involviert waren oder türkische Bürger von den eigenen Leuten hingerichtet wurden. Da liegt ja der Verdacht nahe, es sei die türkische Mafia gewesen und da scheint der Begriff Döner-Morde dann ein sehr passender zu sein. Wir werden erleben, wie die demokratischen geheimen Dienste sich aus der Affäre ziehen werden. Vielleicht werden einige Bauernopfer gebracht. Was wirklich hinter den Dingen steckt, werden wir womöglich nie erfahren. Die Panzerschränke der demokratischen geheimen Dienste sind gut verschlossen. Was wir aber wissen ist zum Beispiel: Der in den laufenden Fall involvierte frühere thüringische Verfassungsschutzchef Helmut Roewer publiziert im als rechtsextrem eingestuften Grazer Ares-Verlag. Der ehemalige Bundeswehrpanzeroffizier vertritt die Auffassung, der deutsche Überfall auf die Sowjetunion sei ein Präventivkrieg gewesen. 1999 äußerte Roewer, der sogenannte Nationalsozialismus habe »gute und auch schlechte Seiten gehabt« und Neonazis seien im Gegensatz zu Antifaschisten »unproblematische Gruppen«. Es ist gut, dass demokratische geheime Dienste solch’ konsequente Leute haben. Denn die alten qualifizierten Geheimdienstleute, die vor und nach 1945 zumindest ihre antikommunistische Kompetenz ungebrochen geheimdienstlich ausleben konnten, wie Klaus Barbie, der Schlächter von Lyon, Walter Rauff, der Erfinder des Gaswagens, oder Alois Brunner, die rechte Hand Adolf Eichmanns, sterben aus.

A propos Gaswagen. Da wissen wir noch etwas: Im Berliner Wahlkampf konnte die NPD – mit einem Urteil des Verwaltungsgerichtes Berlin im Rücken – ungezählte Male das Plakat »GAS geben« hängen und hängen lassen. Auf den Wahlplakaten von pro Deutschland stand zu lesen: »Wählen gehen für zensierte Thesen«. Der Bezug auf Sarrazin war jedem klar. Dass Sarrazin das nicht passte, ändert nichts daran, dass die von ihm vertretenen Inhalte diesen Bezug ermöglichten. Es war erschreckend, wie Tausende Naziplakate das Bild des Berliner Wahlkampfes mit prägten: Aggressiv, voller Menschenverachtung – und kostenaufwendig. Wo so etwas letztlich enden kann, wissen wir aus der Geschichte. Und vor dem eigentlichen Massenmorden lag die verbale Massenverhetzung. Das gilt heute schon wieder. Darüber muss geredet werden und über die gesellschaftlichen Bedingungen, die die Nazis aus ihren Löchern kriechen lässt. Nun soll – so Frau Merkel auf dem CDU-Parteitag – geprüft werden, wie chancenreich jetzt ein NPD-Verbotsverfahren wäre. Es ist kaum anzunehmen, dass es eine diesbezügliche Chance geben wird. Nicht in erster Linie wegen der V-Leute in der NPD. Eine rechte Partei zu verbieten und die linken arbeiten zu lassen, das richtete sich gegen die Staatsraison der Bundesrepublik Deutschland, die da auch besagt: Rot gleich braun. Die sogenannte Extremismusklausel steht hierfür demonstrativ. Darüber müssen wir reden und gleichermaßen die antifaschistischen Aktionen intensivieren. Abschließend noch einmal zur Brandenburger fds-Erwiderung: Die Nazi-Tendenzen gehören ebenso wie die anderen bereits aufgeführten weltweiten Widerlichkeiten zum Kapitalismus, dessen Diskreditierung Kaiser und andere so fürchten.

Liebe Genossinnen und Genossen, wir haben in den August-Mitteilungen unsere Auffassung zum Verlauf der Programmdebatte dargestellt. Ohne unsere seinerzeit geäußerten Überlegungen heute wiederholen zu wollen, sollen doch deren Kerngedanken noch einmal unterstrichen werden: Die wesentlichen Konfliktlinien im Rahmen der Programmdebatte verliefen nicht zwischen den Strömungen, sondern sie verliefen zwischen der Mehrheit der Parteibasis – Ost wie West – und jenen in der Partei, die beinahe unbedingte Regierungsbefürworter sind und denen der Programmentwurf und später der Leitantrag diesbezüglich als Hindernisse erschienen. Zunächst einmal wurde der Programmentwurf frontal angegriffen. Doch die Wirkung dieser Frontalangriffe war eher kontraproduktiv, da durch sie eine Polarisierung zugunsten der Programmbefürworter provoziert wurde. Ende 2010 wurde der Ton sachlicher.

Zugleich wurden ab diesem Zeitpunkt – im Rahmen der Auseinandersetzungen um das zukünftige Programm – der LINKEN nacheinander Debatten aufgezwungen, die zunehmend medial gesteuert waren. Sie sollten die Positionen der Programmbefürworter schwächen und jenen das Geschäft erleichtern, die am liebsten all jene in der Partei ins Abseits drängen würden, deren Handeln sich primär an der wesentlich von Oskar Lafontaine geprägten Linie orientierte und orientiert. Die Angriffe auf die Parteiführung häuften sich. Für uns ist klar, wer die Hauptverantwortung für verschiedene kontraproduktive Auseinandersetzungen in der LINKEN trägt, die in dieser Zeit stattfanden. Aber – wir verhehlen auch nicht, dass es dafür die eine oder andere Steilvorlage von links gegeben hat, die so nicht nötig gewesen wäre.

Nehmen wir die Diskussion um die Bewertung des 13. August. Die eigentliche Provokation im Kontext mit der sogenannten Mauerdebatte lieferte der Landesvorstand Mecklenburg-Vorpommern mit der Entscheidung, am 13. August 2011 einen Landesparteitag durchzuführen. Wir kommentierten dies in den Juli-Mitteilungen so: »Wenn ein Landesverband der LINKEN auf den Tag genau fünfzig Jahre nach der Errichtung der Mauer einen Parteitag organisiert, erwartet man auf diesem natürlich eine Stellungnahme zum erwähnten historischen Ereignis. Genau drei Wochen vor den Landtagswahlen keine gute Situation: Wird der Zeitgeist bedient, so stößt man die eigenen Leute vor den Kopf; löckt man wider den Stachel, so hat man die bürgerlichen Medien am Hals. Was man auch tut – ein prima Ergebnis ist gewiss.« Der dann in Mecklenburg Vorpommern scheinbar gefundene Ausweg, eine Konferenz zum Mauerbau nach den Wahlen einzuberufen, war nur die Verschiebung einer Debatte, über deren Ergebnisse nicht wir die Interpretationshoheit haben werden. Nun wäre, sollte die Konferenz wirklich stattfinden, seitens der linken Kräfte sehr genau zu überlegen, wie man sich dieser Konferenz näherte. Dort sollten dann vor allem Historiker zu Wort kommen, um den ewig Moralisierenden die Sache schwer zu machen. »Es sind immer die Moralisten«, hat Max Frisch einmal gesagt, »die das meiste Unheil anrichten.«

Ansonsten hat es den Linken im Allgemeinen und der LINKEN im Besonderen nichts gebracht, sich anlässlich des 50. Jahrestages der Grenzschließung auf die Hetze der Antikommunisten aller Schattierungen einzulassen. Die nachfolgende Auffassung wird nicht von allen Genossinnen und Genossen der KPF geteilt. Dennoch soll sie nicht verschwiegen werden: Es wäre klüger gewesen, all die Bläker des bürgerlichen Spektrums und den einen oder anderen in unserer eigenen Partei einfach bläken zu lassen. Es gibt Auseinandersetzungen, denen kann und darf man nicht ausweichen. Zu keinem Zeitpunkt. Ein Beispiel hierfür ist die Diskussion um die friedenspolitischen Prinzipien. Es gibt aber auch Auseinandersetzungen, bei denen man – zumindest zu bestimmten Zeitpunkten – nur verlieren kann. In diesem Kontext sei Lenin zitiert: »Den Kampf aufzunehmen, wenn das offenkundig für den Feind und nicht für uns günstig ist, ist ein Verbrechen, und Politiker der revolutionären Klasse, die nicht ›zu lavieren, Übereinkommen und Kompromisse zu schließen‹ verstehen, um einem offenkundig unvorteilhaften Treffen auszuweichen, sind keinen Pfifferling wert.1« Ist dieser taktische Hinweis Lenins eine Aufforderung, sich opportunistisch anzupassen? Mitnichten. Sich nicht zu verbiegen ist nicht identisch damit, sich zu Auseinandersetzungen, die man zumindest gegenwärtig nicht gebrauchen kann, provozieren zu lassen. Wir meinen, die aus dem Jahr 2001 stammende Erklärung der KPF zum 13. August 1961 zeugt von der Möglichkeit, den aufrechten Gang zu bewahren, ohne unseren Gegnern die Chance zu geben, unsere Position gegen uns zu benutzen. Vor allem aber der Brief von Egon Krenz an Christian Wulf, veröffentlicht in den Oktober-Mitteilungen, ist ein Zeugnis dafür, dass in aller Konsequenz die historische Wahrheit gesagt werden kann, ohne es Reaktionären zu ermöglichen, antikommunistische Hetze zu intensivieren. Jederzeit können wir sagen, in welcher Lage die DDR vor dem Mauerbau war und dass für diese Art Grenzziehung auch alle Verantwortung trugen, die Pfahl im Fleische der DDR sein wollten. Jederzeit können und müssen wir sagen, dass wir schon 1961 kaputt gegangen wären – voraussichtlich mit fatalen Folgen für den Weltfrieden – hätten wir die Grenzen weiter offen gelassen, so, wie Heinz Kessler und Fritz Strelitz das in ihrem Buch beschrieben haben. Aber jeder Versuch, heute so zu tun, als sei die Mauer etwas, das Ansehen des Sozialismus nicht Beschädigendes gewesen, ist vielen Menschen suspekt, sodass die versammelte Medienübermacht wirkungsvoll auf den Plan treten kann, sobald ein solcher Eindruck erzeugt wird. Ein solcher entstand nicht mit der Beilage der jungen Welt am 13. August 2011. Er entstand aber sehr wohl mit deren erster Seite. Die war, wie es inzwischen Protagonisten der jungen Welt selbst geäußert haben, eine bewusste Provokation. Der Bundessprecherrat beteiligte sich an dieser aufgeheizten Debatte bekanntlich nicht. Allerdings wandten wir uns mit einem nichtöffentlichen Brief an die Bundestagsfraktion unserer Partei, in dem wir jegliche Boykottmaßnahmen gegen die junge Welt und deren Denunziation ablehnten. Der Bundeskoordinierungsrat wurde im September über den Wortlaut des Schreibens informiert und billigte ihn.

Liebe Genossinnen und Genossen, gerade im Jahr 2011 gab es genügend Gründe, darüber nachzudenken, ob Provokationen ein geeignetes Mittel linker und sozialistischer Politik sind. Nun wird in Diskussionen nicht selten gesagt, für die Gegner der LINKEN und nicht zuletzt der KPF sei jeweils deren bloße Existenz eine Provokation. Gegen den Vorwurf, man provoziere, könne man sich ohnehin kaum wehren. Das kann man so sehen. Nur hilft diese Sicht nicht weiter, wenn wir uns die Frage beantworten wollen, was uns in der politischen Arbeit schadet oder nützt. Wir sind uns wahrscheinlich alle einig, dass uns nützt, was geeignet ist, Menschen zum Nachdenken anzuregen und zum Handeln zu mobilisieren. Voraussetzung für beides ist, dass wir uns durch nichts von denen isolieren, deren Herzen und Hirne wir letztlich gewinnen wollen. Erinnern wir uns auch hier an Lenins Worte im »Linken Radikalismus«: »Die ganze Aufgabe der Kommunisten besteht darin, die Rückständigen zu überzeugen, unter ihnen zu arbeiten, und sich nicht durch ausgeklügelte, kindische ›linke‹ Losungen von ihnen abzusondern […] Es kommt gerade darauf an, dass wir das, was für uns erledigt ist, nicht als erledigt für die Klasse, nicht als erledigt für die Massen betrachten.« Das stimmt heute mehr denn je. Es besagt auch heute vor allem eines: Was wir tun oder lassen, tun oder lassen wir nicht um unserer politischen Gegner willen, sondern wegen der Menschen, die wir für sozialistische, und daher zunächst antikapitalistische Politik gewinnen wollen. Damit ist noch etwas klar: Was wir tun oder lassen, tun oder lassen wir nicht um unser selbst willen. Es geht nicht darum, dass wir erleichtert sind oder uns freuen oder dass es uns warm ums Herz wird, weil dies oder jenes endlich einmal gesagt wurde. Es geht überhaupt nicht darum, ob wir mit einer Provokation von links leben können, sondern darum, ob die Tatsache, dass wir mit einer solchen vielleicht leben könnten, aufwiegt, was die bürgerlichen Medien damit zu veranstalten pflegen. Es müssen uns – das sei wiederholt – die verstehen, ohne die wir auf Dauer eine Sekte würden.

Kehren wir hier zum Verhältnis zur Provokation zurück. Provokationen überzeugen niemanden. Vielleicht erfreuen sie manche, die nicht mehr überzeugt werden müssen. Andere – vor allem Nachdenkliche – werden eher von ihnen abgestoßen. Provokationen sind immer darauf gerichtet, unbedachte Reaktionen hervorzurufen. Ihre Folgen sind nur dann beherrschbar, wenn die Provozierenden über die, Beherrschbarkeit gewährleistenden Machtmittel verfügen. Doch häufig ist gerade das Gegenteil der Fall: Der Versuch – mittels der Provokation, am realen Kräfteverhältnis vorbei – Aufmerksamkeit zu erzwingen, für etwas, was auf normalem Weg keine Aufmerksamkeit erzeugen würde, dieser Versuch bietet politischen Gegnern meist Steilvorlagen. Häufig geht mit Provokationen von links die Illusion einher, man könne so gegen die Interpretationshoheit der Mainstreammedien angehen. In Wirklichkeit liefern solcherart Provokationen denen meist nur das Futter, ihre antisozialistische Hetze zu intensivieren. Provokationen – verbal oder durch Aktionen – dienen den Gegnern progressiver Entwicklungen häufig zur mittelbaren Durchsetzung von Interessen, die unmittelbar nicht durchgesetzt werden können.

Die Argumente der Befürworter provokativer Elemente in der Politik gehen in der Regel davon aus, dass Linke von Provokationen und Provokateuren nur so umgeben sind und ihnen daher nicht das Recht abgesprochen werden dürfe, hin und wieder auch selber zu provozieren. Auf einen groben Klotz gehöre ein grober Keil. Nun ist die Frage manchmal nur, wer der Klotz ist und wer mit dem Keil hantiert. Das ist bei Provokationen im Regelfalle schwer zu überblicken. Der Grat zwischen einer aus berechtigter Verärgerung, ja Verbitterung rührenden Provokation von links und einer Provokation, die gezielt eingesetzt wird, um politischen Gegnern der Linken Vorwände für Hetzkampagnen oder antisozialistische Aktionen zu liefern, ist schmal. Bei den sogenannten Steilvorlagen für rechte Kampagnen ist nie sicher zu sagen, ob hier Unüberlegtheit im Spiel war, oder eiskaltes Kalkül. Man weiß bei einem Provokateur nie, ob er besonders schnell vorwärts stürmen will oder das Geschäft jener besorgt, die restaurativ sind. Dies auszusprechen ist unpopulär. Solches zu sagen wird auch nicht mehr nötig sein, wenn Steilvorlagen nicht mehr geliefert werden, die benutzt werden können, um z.B. innerparteiliche Zustände zu manipulieren, die nur noch als desolat bezeichnet werden können. Diese desolaten Zustände erlauben es dann, alle möglichen Süppchen zu kochen, inhaltlich wie personell. Genau das haben wir gerade erlebt, und daran können marxistische Kräfte in der Partei ebenso wenig interessiert sein, wie die Parteibasis als Ganzes.

Wer dies vermeiden will, verzichtet auf das Mittel der Provokation von links.

Die Rechnung, die aufzumachen ist, ist doch die, welchen Nutzen es uns bringt, wenn wir über Provokationen in die Medien kommen, auf deren Reaktionen wir wiederum nicht den geringsten Einfluss haben. Nun meinen manche: wenn dieses Herangehen unser Maßstab sei, dann könnten wir gar nichts mehr sagen. Weit gefehlt. Wir haben Bundesparteitage, Landesparteitage, Haupt- und Basisversammlungen, Podiumsgespräche u.a., wir können Leserbriefe schreiben, die Mitteilungen verbreiten etc. Wir genießen in dem, was wir sagen, dort Autorität, wo die Genossinnen und Genossen der Parteibasis uns als aktive Mitstreiter erleben, weil wir mitten im Leben stehen, mit unseren Argumenten an die sozialen Erfahrungen der Menschen anknüpfen und stets zur Kleinarbeit bereit sind, darauf gerichtet, die Lebensumstände der Menschen zu verbessern bzw. Erreichtes zu verteidigen. An diesem täglichen Kampf vorbei führt kein spektakulärer Weg. Und auch keine im stillen Kämmerlein geschriebene superradikale E-Mail.

Dies gilt auch für die solide Vorbereitung der Demonstration im Rahmen der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung am 15. Januar 2012. Hier ist besonderes politisches Fingerspitzengefühl vonnöten. Wir halten es nicht für einen Zufall, dass es ausgerechnet in Griechenland und Italien, aber auch in den USA, wo bei Demonstrationen und Streiks Hunderttausende auf den Straßen waren und sind, der gewollt friedliche Verlauf der Proteste durch ein paar Hundert vermummte Gestalten so beeinträchtigt wurde, dass weltweit mehr über die Randale berichtet wurde, als über die Massenaktionen. Wir wollen eine kämpferische und friedliche Luxemburg-Liebknecht-Demonstration, in der Agents Provocateurs keine Chancen haben. Und wir rechnen mit Provokationen, zumal sie einem CDU-Innensenator, der sich erst noch beweisen muss, womöglich zupass kämen. Körting agierte anders, als seinerzeit Schönbohm und Werthebach von der CDU. Es wird sich zeigen, in welche Fußstapfen sein Nachfolger tritt. Wie auch immer: Die beste Profilaxe ist eine gute Demonstrationsteilnahme. Je mehr Teilnehmer, desto schwerer ist es, Demonstrationen zu stören und anzugreifen.

Liebe Genossinnen und Genossen, die Notwendigkeit der täglichen Kleinarbeit bewiesen auch die verschiedenen Wahlen in diesem Jahr. Als im Januar die sogenannte Kommunismusdebatte im vollen Gange war, und die bürgerlichen Medien pausenlos suggerierten, diese Partei zu wählen lohne nicht, da sie zerstritten und konzeptionslos sei, programmatisch unentschieden, im Osten orthodox und im Westen linkssektiererisch – brachte dies dennoch nicht das gewünschte Ergebnis. Wir zogen, wenngleich mit Verlusten, erneut in die Hamburger Bürgerschaft ein. Auch die Wahlergebnisse in Sachsen-Anhalt waren nicht unbefriedigend. Allerdings merkten wir schon, dass es für uns problematisch werden kann, wenn Menschen, die auf uns setzen, zu dem Eindruck gelangen, ihre Themen stünden ungenügend auf unserer Agenda. Wählerinnen und Wähler würden wir in erster Linie dann verlieren, wenn uns nicht mehr geglaubt würde, dass wir zuvörderst die sozialen Interessen jener vertreten, die keine Lobby haben und dass mit uns keine Bundeswehreinsätze im Ausland zu machen sind.

Trotz der unerhörten antikommunistischen Hetze gelang es unseren politischen Gegnern zu Jahresbeginn nicht im gewünschten Maße, den Eindruck zu erwecken, die LINKE agiere jenseits der Interessen ihrer potentiellen Wählerinnen und Wähler. Noch sechs Landtagswahlen und die Kommunalwahlen in Hessen und Niedersachsen standen da bevor. Die Ergebnisse bei den Landtagswahlen in Baden Württemberg und Rheinland Pfalz konnten nicht der Kommunismusdebatte angelastet werden. Natürlich lagen Ursachen für den Nichteinzug in die Parlamente auch in den jeweiligen Landesverbänden. Unleugbar war jedoch, dass die schrecklichen Ereignisse in Japan den Wahlkampf überschatteten und merklich zu den glänzenden Wahlergebnissen der Grünen beitrugen. Anders hätte es aussehen können, hätten wir bei den Bürgerschaftswahlen in Bremen eine Schlappe erlitten. Doch auch hier gelang uns, wenngleich ebenfalls mit Verlusten, der Wiedereinzug in die Bürgerschaft.

Am 4. September wurde der Landtag in Mecklenburg-Vorpommern gewählt. Auch hier war das Klima im unmittelbaren Vorfeld aus den bereits erwähnten Gründen antikommunistisch gefärbt. Dennoch erzielte die LINKE ein besseres Ergebnis als bei den Wahlen 2005. Offenbar ist sie für viele Menschen im Alltag unverzichtbar – auch im Kampf gegen die Nazis. Und die Erinnerung an Sünden der Partei im Rahmen ihrer Regierungsbeteiligung in Mecklenburg Vorpommern von 1998 bis 2006 war offenbar ein wenig verblasst. Nicht so in Berlin. Ellen Brombacher, Rim Farha und Carsten Schulz – Landesparteitagsdelegierte und aktiv im KPF-Landessprecherrat Berlin – haben sich wenige Tage nach den Berliner Abgeordnetenhaus-Wahlen öffentlich zu den Berliner Wahlergebnissen zu Wort gemeldet und für ihre Bewertung nicht wenig Zuspruch erfahren. Das Papier wurde am 24.09.2011 gekürzt in der jungen Welt und vollständig in den Oktober-Mitteilungen dokumentiert, sodass wir diesbezüglich heute nichts wiederholen möchten.

Nimmt man die Wahlergebnisse für unsere Partei im Jahr 2011 in ihrer Gesamtheit, so lässt sich ohne Zweckoptimismus sagen, dass es – ohne die Verluste klein reden zu wollen – erstaunlich ist, dass wir uns trotz einer Hetze, die sich andere Parteien im Land schlicht nicht vorstellen können, letztlich behauptet haben. Das zeugt von Unverwechselbarkeit zumindest in einigen Grundfragen und vom Vertrauen nicht weniger Menschen, dass die LINKE trotz all ihrer Unzulänglichkeiten, trotz eines beträchtlichen Maßes an Opportunismus eines Teils ihrer Protagonisten, sich als einzige der in den Parlamenten vertretenen Parteien mit einer gehörigen Portion sozialer und friedenspolitischer Kompetenz für das einsetzt, wofür sie gewählt wurde. Diesen Glaubwürdigkeitsbonus dürfen wir nicht verspielen.

Liebe Genossinnen und Genossen, an diesem Bonus hat auch die KPF ihren Anteil. Immer wieder zeigt es sich, dass eine inhaltlich um Qualität kämpfende, organisatorisch sich festigende und auch wachsende Kommunistische Plattform gut für DIE LINKE ist. Wir sind 1.250 in der LINKEN organisierte Genossinnen und Genossen. Dazu kommen viele Parteilose, die in der KPF aktiv sind. Doch unser Altersdurchschnitt ist naturgemäß nicht anders als der der Gesamtpartei. Auch für uns gilt, dass wir neue Genossinnen und Genossen, vor allem aus den Reihen der Partei, für die Plattform interessieren müssen und so auch gewinnen können. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren diesbezüglich kaum gezielt gearbeitet und müssen dies wieder mehr tun. Genauer gesagt: Wir müssen wieder Genossinnen und Genossen ansprechen, wenn wir meinen, dass sie für die Plattform eine Bereicherung sein könnten. Unersetzbar für das Wirken der KPF sind unsere Mitteilungen. Wie ihre weitere Existenz gesichert werden muss, wird Genosse Helmut Müller für die Org.-Gruppe Mitteilungen in einem speziellen Beitrag auf unserer heutigen Konferenz darlegen.

Liebe Genossinnen und Genossen, in gut sieben Monaten findet in Göttingen der nächste Parteitag statt, auf dem der Vorstand neu gewählt wird. Wir werden uns an den sich schon jetzt breit machenden Spekulationen zu Personalfragen nicht beteiligen, uns aber sehr wohl darauf einstellen, dass diese im nächsten halben Jahr eine nicht geringe Rolle spielen werden. Es begann bereits am Tag nach Erfurt. Wozu musste da Bodo Ramelow in der »Mitteldeutschen Zeitung« Matthias Höhn als möglichen Bundesgeschäftsführer ins Spiel bringen? Warum forderten Wulf Gallert und Klaus Lederer in derselben Zeitung, die Wahl der Parteiführung vorzuziehen und den Wahlparteitag vor die Landtagswahl in Schleswig-Holstein Anfang Mai zu verlegen? Zwar schrieb Klaus Lederer im ND vom 26. Oktober 2011, er überließe die Personaldebatten anderen, aber wozu dann dieser Vorschlag? Jedem, der dies so lesen wollte, ermöglichten Gallert und Lederer die Interpretation, die Partei mit Gesine und Klaus sei nicht einmal mehr knappe acht Monate handlungsfähig. Oder soll jemand glauben, irgendwer wolle die Vorstandswahlen vorziehen, um die jetzige Führung zu bestätigen? Auf der Berliner KPF-Aktivberatung vom 26. Oktober 2011 und auch auf der KPF-Landeskonferenz in Niedersachsen und Mecklenburg Vorpommern forderten die Genossinnen und Genossen, diese erneute, in der Sache zerstörerische Personaldebatte sofort wieder zu beenden.

Es war verantwortungslos, den Erfolg des Parteitages durch das Wiederaufleben lassen dieser Personalspekulationen bereits einen Tag danach in Frage zu stellen. Es gibt anderes zu tun. Zwischen dem 17. November und dem 15. Dezember 2011 ist eine erfolgreiche Urabstimmung über das Programm zu organisieren. Zur Teilnahme an den Occupy-Bewegungen, zu den Anti-Castortransport-Protesten und anderen außerparlamentarischen Aktivitäten ist zu mobilisieren. Der Wahlkampf in Schleswig-Holstein muss organisiert und geführt werden. Besonders unsere Mitwirkung an antifaschistischen Aktionen muss gewährleistet werden, nicht zuletzt am 18. Februar 2012 zur Verhinderung des Naziaufmarsches in Dresden. Die Luxemburg-Liebknecht-Ehrung ist vorzubereiten. Wir haben die Schwerpunktaufgaben, vor denen wir bis zu unserer nächsten Konferenz im Frühjahr 2012 stehen, in dem Euch vorliegenden Beschlussantrag formuliert und bitten dafür um Eure Zustimmung.

Danke für Eure Aufmerksamkeit.