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Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE

Briefwechsel des Bundessprecherrates der KPF mit Dietmar Bartsch

Dokumentiert

19. Januar 2012

Fragen des Bundessprecherrates der KPF an Dietmar Bartsch

Unter www.dietmar-bartsch.de findet sich in einer Kolumne vom 2. Januar 2012 - bis zum 18. Januar 2012 - ein unglaublicher Satz. Zunächst schreibt Dietmar Bartsch: "Gerade wir wurden und werden von der Union (und anderen!) immer wieder der Europafeindlichkeit bezichtigt. Das ist ein völlig haltloser Vorwurf gegenüber einer Partei, die den demokratischen Sozialismus auf ihre Fahnen geschrieben hat. Sozialisten müssen Internationalisten sein, anders geht das gar nicht." Und dann folgt - bis zum 18. Januar 2012 - die Ungeheuerlichkeit; es sei "überaus bezeichnend, dass die schlimmste Pervertierung des Sozialismus eben mit dem Nationalismus gekoppelt war - Nationalsozialismus."

Die größten Massenmörder des 20. Jahrhunderts nannten sich Nationalsozialisten, um vor allem die Arbeiter über ihre wahren Absichten zu täuschen: Den Kapitalismus in seiner grauenhaftesten Gestalt zu ermöglichen. Der Faschismus hat die kapitalistischen Strukturen nicht nur unangetastet gelassen; er hat sie verteidigt und optimale Bedingungen für die Profitmaximierung geschaffen. Er hat die Arbeiterbewegung durch blutigen Terror und gnadenlose Demagogie zerschlagen. Er hat den profitablen Vernichtungskrieg vorbereitet und geführt, der allein in Europa fünfzig Millionen Menschen das Leben kostete. Durch das KZ- und Zwangsarbeitersystem hat er die deutsche Wirtschaft mit Millionen Sklaven bedient, die auf bestialische Weise liquidiert wurden, wenn ihre Arbeitskraft verschlissen war.

Dem notorischen Bildzeitungsleser mag sich der Klassenhintergrund des Faschismus nicht erschließen. Ein Linker jedoch weiß davon. Dietmar Bartsch ist ein politisch erfahrener, gebildeter Mensch. Wir meinen: Es kann nicht sein, dass er wirklich denkt, was er da zunächst schrieb. Warum also äußerte er sich wider besseres Wissen? Und wie kommt es, dass erst siebzehn Tage nach der Erstveröffentlichung seiner Kolumne eine - aus unserer Sicht - kosmetische Korrektur erfolgte, in dem es seit dem 19. Januar 2012 heißt, es sei "überaus bezeichnend, dass die schlimmste Pervertierung des Sozialismus-Begriffs eben mit dem Nationalismus gekoppelt war - Nationalsozialismus."?

Nicht nur wir erwarten Antworten auf diese Fragen!

Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE, Bundessprecherrat


23. Januar 2012

Antwort von Dietmar Bartsch an den Bundessprecherrates der KPF

Liebe Genossinnen und Genossen!

Zu meiner Kolumne vom 2. Januar 2012 "Wider die kulturlose Arroganz" stehe ich. Es ist meines Erachtens dringend geboten, das nationalistische Gerede und Gehabe eines Teils der Regierenden deutlich zu machen. Aber das ist ja nicht eurer Thema. Mir ist auch nicht bekannt, dass sich der Sprecherrat zu Kauder geäußert hätte.

Ich stimme zu, dass die von euch beanstandete Formulierung präzisiert werden kann. Deshalb folgte ich einem Vorschlag, der mich am 19. Januar dazu erreichte. Für eure Unterstellungen jedoch bietet der Text keine Grundlage. Diese verleumderischen Unterstellungen weise ich entschieden zurück. Weder habe ich den "Klassenhintergrund des Faschismus" ignoriert, wie eure schwer erträgliche Belehrung suggeriert, noch habe ich Nationalsozialismus als eine Spielart des Sozialismus bezeichnet, wie ich dieser Tage auch lesen musste. Das Duden-Fremdwörterbuch übersetzt "pervertieren" unter anderem mit "verfälschen". In diesem Sinne habe ich von "Pervertierung" gesprochen. Eine Fälschung hat mit dem Original nichts gemein, höchstens eben die lügnerische Absicht, die Fälschung als Original auszugeben. Es gibt andere Verständnisse des Begriffs "pervertieren", deshalb und nur deshalb spreche ich von einer zu präzisierenden Formulierung meinerseits.

Wenn das, was euch dermaßen erregt, wirklich eine solche "Ungeheuerlichkeit" ist, wie ihr es darstellt, frage ich mich schon, weshalb euer Einspruch fast drei Wochen auf sich warten ließ?

Offensichtlich wurde eure "Empörung" durch einen der vielen verleumderischen Artikel über mich in der Jungen Welt angeregt.

Dafür habt ihr eure "Position" sogleich weltweit verteilt.

Was mich allerdings tatsächlich sprachlos macht, ist die Art und Weise eures Umgangs mit mir. Wir kennen uns teilweise seit über 20 Jahren persönlich. In meiner Zeit als Bundesgeschäftsführer gab es in jedem Jahr Treffen zwischen uns, von zahllosen mehr oder minder zufälligen Begegnungen abgesehen. Da ihr immer wieder um Gespräche mit mir gebeten habt, können diese wohl auch in euren Augen weder sinnlos noch verwerflich gewesen sein. Oder mit wem habt ihr euch da gemein gemacht?! Nun aber, liebe Ellen, lieber Thomas, liebe Genossinnen und Genossen, bringt ihr es nicht einmal fertig, angesichts einer vermeintlichen schlimmen Verfehlung zum Telefon zu greifen, um mit mir darüber zu sprechen. Nein, offenbar bin ich in euren Augen mittlerweile eine solche Unperson, dass ich nicht einmal mehr einer Anrede würdig bin.

Solch ein unsolidarisches und feiges Verhalten hätte ich euch nicht zugetraut. Erschrocken bin ich nicht zuletzt über euer Menschenbild.

Selbstverständlich wähnt ihr euch haushoch über den "notorischen Bildzeitungslesern", auch die Besucherinnen und Besucher meiner Homepage sind in euren Augen wohl eher schlichte Gemüter und eure Einschätzung meiner Person bietet eine grandiose Alternative: dumm oder verlogen. Ich frage mich wirklich, woher ihr diese Arroganz bezieht, und ich erschaudere angesichts des inquisitorischen Stils eurer Zeilen. Erzählt ihr mir bitte nichts mehr von innerparteilicher Solidarität!

Sehr, sehr enttäuscht

Dietmar Bartsch


26. Januar 2012

Antwort des Bundessprecherrates der KPF

Lieber Dietmar,

Deine E-Mail hat uns nicht kalt gelassen, gerade weil es stimmt, dass unsere Begegnungen immer respektvoll verliefen – trotz prinzipieller Meinungsverschiedenheiten. Ebenso wenig haben wir vergessen, dass Du uns fair behandelt hast. Das trifft, so meinen wir, auch umgekehrt zu.

Vielleicht kannst Du es Dir nur schwer vorstellen: Aber Deine Äußerung, die wir als unerträglich bezeichneten, hat uns nicht minder getroffen als Dich unsere Erklärung. Bei Dir heißt es, "dass die schlimmste Pervertierung des Sozialismus (wie übrigens soll ein Begriff pervertieren?) eben mit dem Nationalismus gekoppelt war – Nationalsozialismus." Ersetzt man in Deiner Formulierung den Begriff "Pervertierung" – unter diesem Begriff wird in erster Linie die krankhafte Abweichung vom Normalen verstanden – ersetzt man ihn also durch das von Dir ins Spiel gebrachte Wort "Verfälschung", so bleibt der Sinn Deiner Aussage doch erhalten: Die Verfälschung des Sozialismus (bzw. des Sozialismusbegriffs). Aber der Faschismus war keine Verfälschung des Sozialismus, sondern die mörderischste Variante der Kapitalherrschaft. Denn seine Strukturen waren unzweifelhaft kapitalistische. Der Faschismus war die bisher äußerste Pervertierung des Kapitalismus.

Man kann es drehen und wenden, wie man will: In Deiner Auseinandersetzung mit Kauder hätte es der absolut falschen Aussage in Deinem Text nicht bedurft. Du hast diese Formulierung öffentlich gebraucht und darauf haben wir öffentlich reagiert. Ein Telefonat kann etwas aus der Welt schaffen, was noch nicht in der Öffentlichkeit ist. Für unsere Empörung bedurfte es der jungen Welt nicht. Ein Genosse schickt uns am 18. Januar Deinen Text, den wir bis dahin nicht kannten, und wir haben sofort reagiert.

Mit Deiner E-Mail hast Du die Auseinandersetzung auf eine emotionale Ebene gebracht und entsprechend sind die Vorwürfe. Wir wollen keine Schlammschlacht. Wir bitten Dich, darüber nachzudenken, wie Deine Formulierung Menschen verletzen kann, die ehrlichen Herzens für eine nichtkapitalistische Gesellschaft arbeiteten, viele von ihnen aus dem antifaschistischen Widerstand kommend.

Lieber Dietmar, im Regelfall veröffentlichen wir in den "Mitteilungen" unsere Erklärungen. Da wir von Dir eine Antwort wollten und Du sie uns gegeben hast, möchten wir fragen, ob wir Deine E-Mail veröffentlichen sollen oder lediglich Deine Bemerkungen zu Formulierungspräzisierungen.

Mit solidarischen Grüßen,

Bundessprecherrat der KPF


30. Januar 2012

Antwort von Dietmar Bartsch

Liebe Genossinnen und Genossen,

ich bedanke mich für eure Mail. Obwohl es mich in gewisser Hinsicht reizt, will ich auf eure Argumente nun nicht noch einmal eingehen.

Zur Frage der Veröffentlichung so viel: So ihr eure Erklärung in Gänze in den Mitteilungen veröffentlicht, bitte ich auch darum, meine Antwort in Gänze zu veröffentlichen. Dort, wo eure Erklärung bereits veröffentlicht wurde, gehe ich davon aus, dass ihr meine Antwort (siehe euer letzter Satz) dazu stellt.

Freundliche Grüße, und die Hoffnung, dass wir zukünftige Kontroversen nicht zuerst in aller Öffentlichkeit austragen

Dietmar