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Kommunistische Plattform der Partei Die Linke

Antwort auf Euren Text "Prioritäten. Nachbetrachtungen zur Liebknecht-Luxemburg-Ehrung 2008"

An die GenossInnen des SprecherInnenrates der KPF Sahra Wagenknecht, Ellen Brombacher, Thomas Hecker, Jürgen Herold und Friedrich Rabe

 

Liebe Sahra, liebe Ellen, lieber Thomas, lieber Jürgen, lieber Friedrich, Eure Erklärung "Nachbetrachtungen zur Liebknecht-Luxemburg-Ehrung" nimmt für sich in Anspruch, "die Prioritäten" richtig zu setzen. Sie setzt sich dabei unter anderem auseinander mit Mitgliedern der Landesorganisation Berlin der Partei DIE LINKE. Kurz zusammengefasst kommt diese Auseinandersetzung zu folgendem Ergebnis:

Statt sich, wie Ihr unterstellt, mit antikommunistischen Thesen hervorzutun und bei "dem herrschenden Mainstream" von Bertelsmann bis Walter Momper anzubiedern, sollte DIE LINKE in Berlin sich lieber mit den Nazis auseinandersetzen. Das tue sie zwar so ein bisschen, aber viel zu zögerlich, während den "Opfern des Stalinismus" sämtliche Mühe und sämtliches Engagement gehöre. Die "Belege" hierfür zeige die Zusammenstellung von Veröffentlichungsdaten und Reaktionen im Landesverband, bei Aufrufen und Briefen. Man wolle das zwar alles nicht kommentieren, aber da möge sich jede und jeder selbst ihren oder seinen Reim darauf machen. Und der bestehe eben, "ohne das jetzt weiter kommentieren zu wollen" (???), darin: "Wir hätten uns gewünscht, dass" (eine Reihe von namentlich benannten LINKE-Politikerinnen bzw. -Politiker – K. L.) "für den Nachmittag des 13. Januar zu einem antifaschistischen Spaziergang in den Weitling-Kiez aufgerufen hätten. Einen solchen Aufruf gab es bekanntlich nicht; auch nicht vor dem Verbot des Nazi-Aufmarsches. Das Engagement zur Rechtfertigung des Steins – auch vor Ort – schien wohl dringlicher."

Liebe Genossinnen und Genossen vom SprecherInnenrat der KPF, diese Eure Schlussfolgerung ist eine unerträgliche Denunziation. Sie beinhaltet nichts anderes als die Unterstellung, die von Euch persönlich benannten GenossInnen fänden die Auseinandersetzung mit dem Naziungeist nicht so wichtig, was man ja an "ihrer Prioritätensetzung" sehen könne.

Da wird nicht nur unterschlagen, mit welchem persönlichen Einsatz gerade die Genannten seit Jahren Demonstrationen mitorganisieren und sich den Faschos bei jeder Gelegenheit in den Weg stellen. Es wird ausgeblendet, dass gerade DIE LINKE. Lichtenberg am 24. November 2007 am Münsterlandplatz eine Kundgebung mitorganisiert hat, um gegen eine angemeldete Nazidemo zu demonstrieren. Es wird ausgeblendet, dass nur eine Woche später in Rudow viele unserer Genossinnen und Genossen, darunter die von Euch genannten, Gesicht gezeigt haben. Es wird ausgeblendet, dass wir als Partei im Berliner Landesetat 2008/2009 eine deutliche Aufstockung der Mittel für Demokratie- und Toleranzarbeit durchsetzen konnten. Und es wird insgesamt ausgeblendet, auf welche Weise sich Mitglieder unserer Partei gegen Rechtsextremismus engagieren. So haben unsere Genossinnen und Genossen aus Marzahn-Hellersdorf im Dezember einen Platz und eine Straße nach Otto Rosenberg benannt. Diese Aufzählung ließe sich fortsetzen. Ich habe wohlweislich immer darauf verzichtet, Euch einen Vorwurf daraus zu machen, dass ich Euch bei nicht jeder dieser Gelegenheiten sehen konnte.

Ich meine, liebe Genossinnen und Genossen, die Einteilung von Mitgliedern unserer Partei in "wirklich konsequente" und "weniger konsequente" AntifaschistInnen spaltet DIE LINKE tatsächlich. Sie ist zurückzuweisen, ohne Wenn und Aber. Sicherlich, gegen faschistische Umtriebe kann nahezu nie genug getan werden. Und es ist ebenfalls richtig, dass wir weiter darüber nachdenken müssen, wie wir den antifaschistischen Kampf intellektuell und aktionsmäßig führen wollen. Aber das wird nicht gelingen, indem wir in der Partei Zensuren verteilen, wer für sich die Etikettierung als wahrhaft aufrechte Antifaschistin, als wahrhaft aufrechter Antifaschist, für sich in Anspruch nehmen darf und wer nicht. Auch die Kommunistische Plattform hat für sich nicht die alleinige Weisheit gepachtet, wie dieser Kampf zu führen ist.

Dass Ihr Euch hier im Übrigen eines Propagandastils bedient, der schon zu DDR-Zeiten darin bestand, Sozialistinnen und Sozialisten, Demokratinnen und Demokraten, mittels Objektivität suggerierenden Daten- und Fakten-Patchworks einer moralisch fragwürdigen Haltung zu überführen, und dies aus der Anmaßung eines absoluten moralischen Überlegenheitsanspruchs, ist bedauerlich und zeigt meines Erachtens, wie wichtig es ist, dass wir uns mit unserer eigenen Geschichte weiter sehr ernsthaft auseinandersetzen: Ihr setzt den historischen Umgang mit unserer eigenen Geschichte gegen den Kampf gegen Rassismus und Faschismus, für Demokratie, Vielfalt und Toleranz. Ihr sagt: "Wer das eine tut, der hat dann eben keine Zeit mehr für das andere. Da muss man sich dann entscheiden." Auch das ist nicht hinnehmbar. Ihr verbindet das mit der Herabsetzung der von Euch angegriffenen Genossinnen und Genossen, indem Ihr wiederum pseudo-objektiv vermeintliche Fakten aneinanderreiht und alles, was nicht ins Bild passt, einfach beiseite schiebt und weglasst.

Dabei wisst Ihr genau, dass der Stein selbst nicht von der PDS/LINKEN Berlin aufgestellt worden ist. Dabei wisst Ihr genau, dass die Geschichtsdebatte in unserer Landesorganisation über das gesamte vergangene Jahr hinweg geführt worden ist, dass der Vorschlag von Bernd Preußer schon wesentlich älter ist. Dabei wisst Ihr ganz genau, dass wir ihn nicht als "Gedenkanordnung" aufgegriffen haben, sondern als eine Form, in würdiger und individualisierter Weise das Gedenken an die Opfer des Massenterrors zu pflegen. Dabei wißt Ihr genau, dass nicht der Berliner Landesvorstand, sondern das "Neue Deutschland" in eigener redaktioneller Verantwortung über die Themen und die Form ihrer Behandlung in dieser Tageszeitung entscheidet. Ihr wisst genau, dass alle Mitglieder unserer Partei über 15 Jahre Zeit hatten, um sich für eine gelungene Umsetzung des Vorschlags von Michael Schumann auf dem Außerordentlichen Parteitag der SED-PDS zu engagieren: "Wir setzen uns dafür ein, dass den Opfern stalinistischer Verbrechen ein bleibendes Gedenken in unserer Gesellschaft bewahrt wird."

Liebe Genossinnen und Genossen, es ist diese – unsere – Unterlassung, die uns jetzt in die Situation bringt, uns verhalten zu müssen zu dem, was da ist. Wenn wir es ernst meinen mit der Verpflichtung, die Sowjetunion und den untergegangenen Realsozialismus nicht am Kapitalismus, sondern an ihren einstigen eigenen Vorstellungen zu messen. Wenn wir es ernst meinen mit unserem Bruch mit einer Gesellschaft, von der Wolfgang Ruge 1990 folgendes schrieb: "Ich glaube, wenn wir den Stalinismus analysieren wollen, dann müssen wir erst einmal von den Fakten ausgehen, erst einmal erkunden, was da vor sich ging. Das sage ich, weil ich sozusagen einen humanistischen Blick auf die Geschichte habe und weil ich in allererster Linie fragen möchte: Was hat die Entwicklung den Menschen gebracht? Und aus dieser Sicht meine ich, dass das wichtigste und, wie ich glaube, das Hauptkriterium des Stalinismus die Tatsache ist, dass unter seiner Herrschaft ein wesentlicher Teil des Volkes physisch vernichtet wurde."[1][1]

Wenn wir uns darin einig sind, dass uns – wie Ihr schreibt – all diejenigen Sozialistinnen und Sozialisten, Kommunistinnen und Kommunisten schmerzen, "die in der Stalinära Willkür und Verbrechen zum Opfer fielen", die "unter Stalin unschuldig Umgekommenen und Repressierten", dann müssen wir auch die Frage beantworten, wen wir meinen, wenn wir von "schuldig Umgekommenen" sprechen. Was ist mit denen, die der "Orgie der Gewalt"[2][2] im Bürgerkrieg zum Opfer gefallen sind? Was ist mit denen, die von den Bolschewiki geopfert wurden, weil diese zwar Menschen von hohem Idealismus waren, aber eben auch "intolerant", "nicht willig und nicht fähig, eine Bündnispolitik zu betreiben"? Was ist mit den Millionen Hungertoten im Ergebnis der Zwangskollektivierung, deren "Zielsetzung eine ganz andere war, nämlich die absolute Ausweitung des Machtmonopols der Partei, das hieß jetzt der Parteiführung und das hieß Stalins in Hinblick auf Eigentum, auf Ideologie, auf Politik usw."? "Schritt für Schritt verkam ihre Partei zu einer hierarchischen Befehlsmaschine; der von ihnen geschaffene Sowjetstaat entartete zu einem gewaltigen Terrorinstrument. Der mit roten Fahnen geschmückte Moloch des Stalinismus vernichtete millionenfach unschuldiges Leben. Nach jahrzehntelanger Verfolgung des menschlichen Denkens ging die Gesellschaft schließlich ihres wichtigsten Selbstbehauptungsmittels verlustig: ihrer Reformfähigkeit."[3][3] Dazu müssen wir uns verhalten.

Und das hörte ja mit Stalins Tod nicht auf. Was ist mit denen, die auch in der DDR und anderen realsozialistischen Ländern unter der allwissenden und alles entscheidenden Diktatur der führenden Partei zu leiden hatten? Um es erneut mit Wolfgang Ruge zu sagen: "Parteiabweichende Produkte menschlichen Denkens wurden (...) unter Kuratel gestellt. Schon Kindergarten und Schule brachten den Heranwachsenden bei, dass nicht aus der Reihe getanzt und gedacht werden durfte. Eine der Aufgaben des höheren Bildungswesens bestand darin, den Wissensdurstigen einen Großteil der von Generationen erarbeiteten Ideen vorzuenthalten. Wer sich trotzdem den Funken ungezügelter Inspiration zu bewahren vermochte, wurde mundtot gemacht oder (faktisch zum Nutzen des alternativen Systems) des Landes verwiesen."[4][4] Wer hat das Monopol darauf zu entscheiden – und was sind die Kriterien hierfür? –, wen die Maschinerie der Parteibürokratie "zu Recht" zermahlen hat? Es bleibt unsere Pflicht, so schmerzlich es ist, uns mit diesem dunklen Teil unserer Geschichte offen auseinanderzusetzen.

Um es an dieser Stelle klar zu sagen: ich halte es für abenteuerlich, die Schergen Hitlers, die von der Anti-Hitler-Koalition unter Beteiligung der SU, deren Menschen den höchsten Blutzoll zu tragen hatten, an ihrem mörderischen Tun gehindert wurden, der Kategorie "Opfer des Stalinismus" zuzuordnen. Auf diese Idee kann eigentlich nur kommen, wer sich nun überhaupt nicht mit dem befasst hat, was "Stalinismus" eigentlich gewesen ist. Und ich wundere mich, dass die Tatsache, dass es in unserer Gesellschaft durch Reaktionäre und Rechtsaußen geschieht, uns permanent als Maßstab für unser eigenes Handeln und unser eigenes Geschichtsbild vorgehalten und uns von Euch permanent als Richtlinie für unseren eigenen Umgang mit der Geschichte abverlangt wird. Das ist auch politisch unklug, weil damit nämlich von vornherein jeder Versuch aufgegeben wird, durch Eingreifen in die Hegemonieauseinandersetzung um die zwiespältige Geschichte der Systemauseinandersetzung und des Kalten Krieges eine kluge, aufgeklärte und aus der Geschichte lernende junge Generation mitzubefördern. Statt dessen kultivieren wir den Status der "Verfemten" und verlangen einzig und allein die Unterwerfung unter unsere, angeblich allein richtige, historische Sicht und Bewertung. Das ist ein großer politischer Fehler.

Es ist richtig, dass – um es erneut mit Wolfgang Ruge zu formulieren – es "verfehlt wäre (...), wenn sich die ehemaligen DDRler beim Blick zurück aufs Selbstbezichtigen beschränkten oder gar aufs reumütige Winseln. Die Grenze zwischen Falsch- und Richtigdenken verlief nicht im Harz und im Thüringer Wald."[5][5] Aber Ihr unterstellt das ja lediglich, und belegt es überhaupt nicht, dass die von Euch beleumundeten Genossinnen und Genossen aus Gier nach den Fleischtöpfen, aus Opportunismus und zur Vorbereitung von Koalitionen mit der SPD die Auseinandersetzung mit unserer eigenen Geschichte instrumentell und völlig auf die Dimension des Stalinismus reduziert führen würden. Warum führen wir die Diskussion um unser eigenes Erbe nicht gemeinsam? Warum setzt Ihr die Befassung mit ihm statt dessen mit der Unterlassung antifaschistischen Engagements gleich?

Ich glaube, dass es notwendig wäre, unsere differenzierte historische Sicht in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Und deshalb wünschte ich auch, dass Ihr beispielsweise – anstatt ihn pauschal zu diffamieren und als vermeintlichen Kronzeugen für die Geschichtsrevisionisten aufzubieten – anerkennt, dass es gerade der Sozialdemokrat Walter Momper war, der am vergangenen Samstag mit einer überkommenen "Unvereinbarkeitsregel" der SPD brach und im Abgeordnetenhaus als Schirmherr der Veranstaltung "60 Jahre VVN in Berlin" auftrat und sprach. Man muss nicht alles teilen, was Momper vertritt, aber ich finde, dass Euer Verdikt des Geschichtsrevisionismus – im Grunde gegen alle außer Euch selbst – ein wenig zu eng gezogen und von einer Position aus vertreten wird, die jeden Selbstzweifel vermissen lässt. Für Euch gibt es offenbar nur eine einzige geschichtliche Wahrheit, nämlich die Eure.

Und das schmerzt wiederum mich. Denn wir haben immer gemeinsam gekämpft – gegen die Tilgung der Straßennahmen von Antifaschistinnen und Antifaschisten, gegen die Verteufelung der DDR als "zweite deutsche Diktatur" und gegen die platte Vokabel vom "Unrechtsstaat DDR".

Liebe Genossinnen und Genossen, ihr habt Recht: Verändern wir diese Gesellschaft, indem wir uns für die soziale Frage, für Frieden, für Solidarität, Demokratie, Offenheit und Vielfalt einsetzen. Kämpfen wir gegen Kriege und kriegerische Konfliktlösungen. "Beteiligen wir uns aktiv an der Programmdebatte. Seien wir solidarisch mit Menschen in aller Welt, die gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg kämpfen und fordern wir gleichermaßen die Solidarität mit den hier lebenden Asylbewerberinnen und Asylbewerbern, Flüchtlingen und Migrantinnen und Migranten ein. Und – last but not least – bereiten wir langfristig und sorgfältig die Liebknecht-Luxemburg-Ehrung im Januar 2009 mit vor."

Aber ich bitte Euch: tun wir das auf eine Art und Weise, die in unserer eigenen Partei nicht spaltet, denunziert und verleumdet. Darin sollten wir uns einig sein.

Wie es im Übrigen um die von Euch beschworene Einigkeit einer Linken bestellt ist, die hinnimmt, dass es in Sprechchören auf der Demonstration heißt: "Marx, Engels, Lenin, Stalin – Viva! Viva! Viva!", die hinnimmt, dass vom Lautsprecherwagen der MLPD per Mikrofon vermeldet wird, der "Vorschlag von Bernd Preußer, aufgegriffen vom Berliner Landesverband (sei) eine Verunglimpfung des Genossen Stalin (...), die der Idee und der Revolution Schaden zufügen soll, und die Verdienste Stalins bei der Zerschlagung des Faschismus vergessen machen soll.", die es erleben lässt, dass die von Euch angegriffenen Genossinnen und Genossen als "Gauleiter" bezeichnet und mit Dachlattenschlägen bedrängt werden, die es nicht für abenteuerlich hält, unsere eigenen Genossinnen und Genossen als Steigbügelhalter der Faschisten zu denunzieren, darüber mag sich jede und jeder selbst ein Bild machen.

Mit solidarisch-sozialistischen Grüßen

Klaus Lederer